Offenbarung 2,8-11

Offenbarung 2,8-11

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Zweitletzter
Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag), 19. November 2000

Predigt über Offenbarung 2,8-11, verfaßt von Friedrich
Mildenberger


Liebe Gemeinde!

Es ist gut, daß sich der vorstellt, der hier
zu uns redet: „Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist
lebendig geworden“. Wir wissen, wer das ist: Jesus Christus. Der Seher der
Offenbarung schildert im ersten Kapitel, wie er diesen Jesus Christus als die
strahlende Lichtgestalt schaute, als den Sieger, dessen endgültigen Sieg
über das Böse, über den Satan wie über den Tod und alle
ihre Helfer und Helfershelfer dieses Buch der Offenbarung dann in gewaltigen
Bildern schildert. ER ist der Sieger, der Erste, der den Tod überwunden
hat, und der Letzte, der am Ende triumphieren wird. Noch einmal nenne ich das:
„Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig
geworden.“ Er spricht, er tröstet, er verheißt.

Wir kennen ihn, diesen Sieger. Wir kennen ihn
nicht nur als die Lichtgestalt, wie sie der Seher Johannes schildert. Wir
kennen ihn aus den Erzählungen der Evangelien, wir kennen ihn von vielen
Bildern, die wir gesehen haben. Vor allem ist es das Bild des Gekreuzigten mit
der Dornenkrone, das sich uns allen eingeprägt hat.

„Der Erste und der Letzte, der tot war und
ist lebendig geworden“: Dieser ist der Sieger, dessen Sieg nicht nur eine
vorübergehende kurze Episode ist. Die Sieger von heute, die kennen wir ja
auch: Die auf dem Fußballfeld, die auf der Aschenbahn, die auf der
Rennpiste. Namen brauche ich nicht zu nennen. Wir haben die Namen der Sieger im
Wettkampf der Forscher gehört, die in diesem Jahr den Nobelpreis
erhielten. Wir kennen wohl auch einige von den Siegern in wirtschaftlichen
Wettbewerb, die besonders erfolgreichen Bosse und Manager. Und erst recht
kennen wir die politischen Sieger, die ihre Wahl gewonnen und ihre Konkurrenten
aus dem Feld geschlagen haben. Ihre Namen kennen wir. Aber die Sieger von
gestern und vorgestern, die haben wir doch schon längst vergessen. Und die
Sieger von morgen kennen wir natürlich noch nicht: Das muß sich erst
heraus stellen, wer da vorne dran sein wird. Doch vor allem wissen wir: Es ist
gut, zu den Siegern zu gehören. Wir selbst sollen solche Sieger werden:
Das Power-Seminar verspricht jedem von uns den Weg zum Erfolg – es kostet
natürlich auch eine Menge Geld. Doch bei uns – wie überall und
immer – sind ja die Erfolgsmenschen gefragt, die „winner“ wie
man so sagt, nicht die „loser“, die Verlierertypen.

Die im Augenblick oben dran sind, die kennen wir.
Aber was ist mit den Siegern von gestern und vorgestern? Längst sind sie
vergessen. Vielleicht wollen sie auch vergessen, wollen nicht mehr wahr haben,
wie wir seinerzeit zu ihnen aufgeschaut haben: zu jenen beispielsweise, die uns
von Sieg zu Sieg führten, bis hin zur endgültigen Niederlage. Die uns
nationale Größe vorgegaukelt haben und unsere Opfer forderten. Und
die erst recht die Menschen geopfert haben, die dem Wahl von der eigenen
nationalen Größe im Weg standen. Ich schäme mich, wenn ich
daran denke. Ihre Namen wollen mir nicht von den Lippen. Aber wir sollen uns ja
erinnern, gerade am heutigen Volkstrauertag. Wie schnell ist es vorbei mit
solchen Siegern und mit ihren Siegen. Und ich finde es schrecklich und doppelt
beschämend, daß solch ein Traum vom deutschen Sieg
weitergeträumt wird. Daß sich junge Leute einreden lassen, sie seien
Sieger, wenn sie auf einem jüdischen Friedhof Grabsteine umstoßen,
wenn sie auf ein Erinnerungsmal Hakenkreuze schmieren, wenn sie einen Brandsatz
in eine Synagoge werfen, wenn sie Menschen, die anders aussehen, durch die
Straßen jagen, prügeln, zu Tod trampeln. Sieger auch nur für
einen kurzen Moment? So gewiß nicht!

Der hier zu uns redet, der bleibt „der Erste
und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden.“ Warum das so ist?
Eine Antwort will ich versuchen: Seinen Siegesweg säumen nicht die Opfer
der Verlierer, derer, die nicht mitgekommen sind, derer, die aus dem Weg
geräumt wurden, derer, die man verheizt hat, damit das Siegesfeuer desto
kräftiger brennen konnte. Ihr könnt das nun auf alle beziehen, die
Sieger und Verlierer im sportlichen, im wirtschaftlichen, erst recht im
politischen Kampf. Da kann es ja nicht nur die Sieger geben. Da sind die Opfer,
die Verlierer, die Ausgebeuteten, die Zurückgebliebenen, die ihr Leben
verloren haben, damit die Sieger sich eine kurze Zeit im Ruhm ihres Sieges
sonnen können. Bei ihm, der da zu uns redet, ist es anders. Sicher, auch
sein Name, auch seine Lehre, auch unser christlicher Glaube ist viel zu oft
mißbraucht worden, um kurze Siege zu feiern und Opfer zu rechtfertigen.
Auf Kriegerdenkmälern habe ich das Wort eingraviert gesehen, das hier in
unserem Textabschnitt steht: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir
die Krone des Lebens geben.“ Damit haben sich doch andere an den Platz
dessen gedrängt, der hier redet, haben seine Verheißung für
sich reklamiert, ihn beiseite gedrängt. Nur er selbst, der tot war und
lebendig geworden ist, nur er selbst kann so Treue fordern und so den Lohn
versprechen. Darum ist es ja gut, daß er sich so deutlich vorgestellt
hat.

Seinen Siegesweg säumen nicht die Opfer, wie
wir das sonst nur zu gut kennen. Die hat er angenommen, die hat er mitgenommen,
die man sonst zu den Verlierern, den Opfern zählt. Nur dies sein Wort
nenne ich: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid;
ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich
bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden
für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“
Wir kennen ihn, der zu uns redet, nicht nur als die Lichtgestalt, wie sie der
Seher der Offenbarung im Eingangskapitel seines Buches schildert. Wir kennen
ihn aus Erzählungen und Bildern, wir kennen ihn als den Helfer und
Heiland, wir kennen ihn als den Gekreuzigten mit der Dornenkrone. Bei ihm
sollen, bei ihm können wir bleiben. Dazu werden wir aufgefordert. Das ist
der Sinn dieses Spruches: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die
Krone des Lebens geben.“ Bei ihm zu bleiben, das heißt dann auch,
sich im Zweifelsfall gegen die zu stellen, die in der Mehrheit sind, gegen die
Meinungsführer, gegen die, die das große Wort führen und oft
genug auch die Macht haben. Hier in unserem Text wird als Beispiel für
solche Leute eine jüdische Gruppierung in Smyrna genannt, Leute, die die
Macht hatten, die kleine Christengemeinde an diesem Ort zu bedrängen. Mit
dem bösen Wort „Synagoge des Satans“ werden sie beschrieben. Das
ist lange her; immer wieder sind es andere, die sich gegen die stellen, die bei
dem Sieger Jesus Christus bleiben wollen.

Denen also gilt es zu widerstehen, die von uns
verlangen, daß wir ihnen folgen, womöglich bedingungslos gehorchen.
Denen gilt es zu widerstehen, die für ihre Siege unser Opfer fordern.
Denen gilt es zu widerstehen, die uns ihre Sache, ihre Werte, ihr Anliegen als
das aufdrängen wollen, das wichtiger ist als alles andere, die es ausgeben
für das, was unbedingt siegen muß, egal, was da für Opfer
gefordert sind. Vielleicht ist es da sogar besser, zu den Verlierern zu
gehören. So, wie das hier der Christengemeinde in Smyrna gesagt wird:
„Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber
reich.“ Gerade die Verlierer gewinnen da. „Fürchte dich nicht
vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins
Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in
Bedrängnis sein zehn Tage“ – eine kurze, begrenzte Zeit ist
damit gemeint. Es muß nicht diese äußere Bedrängnis sein,
wie sie die Christengemeinde in Smyrna getroffen hat. Aber es wird nicht
abgehen ohne die Unterscheidung von dem, was allgemein gilt, von den Siegern,
die uns als Vorbilder hingestellt werden. Wer zu diesem Sieger Christus
gehören will, der braucht Kraft, um der Verführung dessen zu
widerstehen, was alle als gut, als richtig, als erstrebenswert ansehen.

Mein jüngster Sohn – das ist schon viele
Jahre her – kam einmal recht aufgeregt von der Schule heim. Das war zu der
Zeit, als sie sich in der Pause herumgeprügelt haben, um ihre Rangordnung
festzulegen. Er meinte: „Gelt, wir Deutschen haben es gut. Wir brauchen
keinen Krieg mehr zu machen. Wir haben schon gegen alle anderen verloren.“
So hat er sich das ausgedacht: daß die Verlierer doch auch die Gewinner
sein könnten, wenn man genauer zusieht. Schön wäre das, so habe
ich damals gedacht, und denke heute erst recht so. Aber Ihr wißt so gut
wie ich, daß es so einfach doch nicht geht. Wir sind ja alle, ob wir das
wollen oder nicht, ob wir das gut finden oder nicht, hineingebunden in eine
Dynamik des gesellschaftlichen Lebens, die Sieger macht und Sieger feiert,
nicht bloß im Sport, sondern erst recht in den Auseinandersetzungen der
Wirtschaft wie der Politik. Wir können uns daraus nicht zurückziehen.
Wir müssen mitmachen. Freilich, wie wir dann mitmachen, das liegt doch
auch an uns. Unsere Verantwortlichkeit ist gefragt, der Einsatz dafür,
daß Anstand und Fairneß und Recht und Moral nicht ganz verkommen,
wenn jeder nur noch daran denkt, wie er Sieger werden und Sieger bleiben kann.
Doch wir sehen auch über Kampf und Sieg hinaus, wie sie uns in ihren Bann
ziehen wollen. Wir sehen darüber hinaus, wenn wir auf den sehen, der hier
zu uns redet. Darum wissen wir ja, wie fragwürdig es ist, immer und
überall bloß auf den Sieg auszugehen. Wir sehen dann auch die Opfer.
Wir können uns zu ihnen stellen, können uns vor sie stellen.
Vielleicht ist das sogar ein ehrenvollerer Platz als der auf dem
Siegertreppchen, nach dem sie sich alle drängen.

Der Sieger jedenfalls, der hier zu uns redet, der
fordert und auf, bei ihm zu bleiben. Gerade dann will er selbst bei uns sein:
„Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer
überwindet“ – wer siegt, indem er bei dem Christus bleibt, so
ist das gemeint – „dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten
Tod.“ Da ist es nicht rasch zu Ende, wie bei unseren Siegern, die eben
einmal Schlagzeilen machen. Da bleibt vielmehr das Leben mit dem, der sich uns
verspricht: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des
Lebens geben.“

Amen.

Prof. Dr. Friedrich Mildenberger

Rehweiherstr. 7
91056 Erlangen


de_DEDeutsch