Offenbarung 3,7-13 | Geduld…

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Offenbarung 3,7-13 | Geduld…

Geduld frißt den Teufel | Zweiter Advent| 5.12.2021 | Predigt zu Offenbarung / Apk 3,7-13| verfasst von Wolfgang Vögele|

Segensgruß

Der Predigttext für den zweiten Advent steht Apk 3,7-13:

„Dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, der zuschließt, und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, und niemand kann sie zuschließen; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde schicken einige aus der Synagoge des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen; siehe, ich will sie dazu bringen, daß sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, daß ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Siehe, ich komme bald; halte, was du hast, daß niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen des neuen Jerusalem, der Stadt meines Gottes, die vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“

 

Liebe Gemeinde, dieser kurze Brief aus der Offenbarung des Johannes feiert nicht Advent, sondern den Weltuntergang. Johannes von Patmos, der das geschrieben hat, zündet keine dicken roten Kerzen an, sondern redet vom Weltenbrand. Niemand ißt Weihnachtsplätzchen, sondern allerhöchstens das Brot des Himmels. Johannes schreibt an eine Gemeinde, die verfolgt wird; wir dagegen freuen uns auf das Christkind und halten mit Masken und Impfungen das Corona-Virus fern.  Die Verzweiflung der Verfolgten und die Freude derer, die trotzdem auf Weihnachten warten, sollten auseinander gehalten werden. Der Brief an die Gemeinde von Philadelphia benötigt ein wenig Deutungsarbeit, bis er in der Gegenwart dieses Gottesdienstes als Evangelium ankommt. Nicht, daß uns Johannes von Patmos deshalb gar nichts zu sagen hätte. Aber es gilt, die Unterschiede zu bedenken, um das Gewichtige und Tröstende der Briefzeilen zum Leuchten zu bringen.

Nicht eingehen will ich in dieser Predigt auf die antijudaistische Passage über die „Synagoge des Satans“. Ohne die Selbstkritik, die daran fällig wäre, zu vernachlässigen, kann man sagen, daß in diesem Brief eine andere, wichtigere, vor allem barmherzigere Theologie lebt. Diese Spur will ich verfolgen und darum aus diesem schwierigen Brief nur weniges herausgreifen, zunächst einen einzigen Vers: „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung (…).“

Liebe Schwestern und Brüder, über das Geduldigsein will ich mit Ihnen nachdenken. Es scheint, die verfolgten und verzweifelten Gemeindeglieder in Philadelphia haben Geduld gebraucht und Geduld geübt.

Was aber ist Geduld? Geduld braucht das kleine Kind, das jeden Tag ein Fenster im Adventskalender öffnet und sehnsüchtig wartet, daß endlich die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen. Geduld brauchen die Menschen, die sich in die Schlange vor dem Impfzentrum einreihen und langsam vorrücken, bis sie die erste, zweite oder dritte Impfung mit Biontec oder Johnson erhalten. Geduld braucht der Kunde, der sich als letzter in die Schlange vor der Kasse einreiht, um kurz vor Ladenschluß ein halbes Roggenbrot und einen Liter fettarme Milch zu kaufen. Die Beispiele kommen klitzeklein daher. Im Impfzentrum, vor der Kasse und am Adventskalender scheint beides möglich: Ich kann geduldig warten. Ich kann aber auch ungeduldig werden und drängen und drängeln und drängeln. Geduld stimmt mich ruhig, friedlich und gelassen. Ungeduldige Menschen verbreiten Nervosität und Unfrieden. Selten sind Menschen gar nicht aus der Ruhe zu bringen. Jeder Mensch wird von anderen Triggern aus der Komfortzone der Gelassenheit hinein in die Ungeduld geholt. Es kommt auf den Anlaß an, sei er auch noch so klein.

Neben dieser kleinen Geduld sind leider zu wenige Menschen mit dem ausgestattet, was ich Gelassenheit als Lebenseinstellung nennen würde. Was das ist, lernt man am besten an ihrem Gegenteil. Die Ungeduld schreit, stets in Großbuchstaben: Ich will ALLES SOFORT! Ich will ALLES SELBST machen! Ich will NICHT warten! Ich muß meine Geschenke für Weihnachten JETZT UND SOFORT kaufen! ALLES muß mir gelingen. Ich kann NICHTS AUSLASSEN! Ich muß immer den geraden, den direkten Weg gehen. Ich muß schnell leben, jeden Tag ausnutzen, nichts verschwenden, nichts verzögern, nichts verlieren. Ungeduld ist die Schwester der Hektik und der Unruhe. Sie lebt von der Verlustangst und rennt auf der Überholspur. Es gibt so etwas wie einen Lebenslauf der Ungeduld: Als er im Kindergarten spielt, konnte er es nicht erwarten, zur Schule zu gehen. Als er größer war, konnte er es nicht erwarten, erwachsen zu werden. Als er Karriere machte, konnte er es nicht erwarten, in Rente zu gehen. Als er alt war, konnte er es nicht erwarten zu sterben.

Die Geduld dagegen sagt: Ich kann warten! Ich kann Dinge auf mich zukommen lassen. Ich muß nicht alles pünktlich erledigen. Ich kann auch einmal vom Weg abkommen. Ich muß nicht alles haben und nicht alles verwirklichen. Ich kann damit leben, wenn ich einen Fehler begehe. Ein Mißerfolg wirft mich nicht aus der Bahn. Gelegentlich führen mich der Umwege zum Ziel. Die Geduld ist die Schwester der Gelassenheit. Sie lebt von einem unbestimmten Lebensvertrauen. Geduld setzt sich zusammen aus Ruhe, gründlichem Überlegen und Gelassenheit.

Ein Mißverständnis ist allerdings auszuräumen. Es könnte den Anschein haben, als lasse der Geduldige alles mit sich geschehen und als sei der Ungeduldige derjenige, der sein Leben selbst in die Hand nimmt. Als sei der Ungeduldige der Aktive, der Handelnde und der Geduldige der Passive, der alles mit sich geschehen läßt. Das wäre zu einfach. Es gibt Dinge im Leben eines jeden Menschen, die müssen sie selbst in die Hand nehmen, wenn sie gelingen sollen. Und es gibt Dinge im Leben eines jeden, die müssen sie geschehen lassen, weil sie nicht zu ändern sind. Ungeduldige wollen aber auch das selbst in die Hand nehmen, was zu ändern gar nicht in ihrer Macht steht. Geduld aber sagt nicht: Laß alles geschehen, du kannst nichts ändern. Ergebe dich in dein Schicksal. Sondern Geduld sagt: Laß nur das geschehen, was du nicht ändern kannst.

Das führt zu einem nächsten Gedanken. Auch vor und gegenüber Gott fallen Menschen in Haltungen der Geduld oder Ungeduld. Der Ungeduldige brüllt Gott an: HILF mir! SOFORT! ZEIGE mir, daß es dich gibt! Gib mir ein Zeichen deiner Nähe! Ungeduld zeigen die eifrigen Jünger Jesu, denen es nicht schnell genug gehen kann mit dem Reich Gottes. Und Jesus holt sie wiederholt aus ihrer Unruhe heraus.

Der Geduldige dagegen wird ebenso beten wie der Ungeduldige: Hilf mir! Zeige mir, daß es dich gibt. Aber am Ende seines Gebets wird er wie im Vaterunser sprechen: Barmherziger Gott, nicht mein, sondern dein Wille geschehe. Geduldig, auf eine kämpferische Weise geduldig, ist der Hiob der Bibel. Er besteht gegenüber seinen Freunden und gegenüber Gott darauf, nichts Fehlbares getan oder begangen zu haben. Geduld vor Gott – das heißt auch anzuerkennen, daß Gott nicht alle meine Wünsche erfüllt. Ich erkenne an, daß ich Gott nicht immer verstehe. Ich akzeptiere, daß ich nicht immer seine Nähe spüre.

Schwierig und gefährlich hören sich diese Sätze an, denn sie legen Mißverständnisse nahe: Geduld meint nicht, sich demütig vor demjenigen zu beugen, der Größe, Allmacht und Stärke ausspielt. Noch einmal: Der Geduldige ergibt sich nicht willenlos und feige in sein Schicksal. Glaubende Geduld heißt: Ich erkenne an, daß Gott seinen und nicht unseren Willen durchsetzen wird. Es heißt aber auch – und das ist mindestens genau so wichtig – zu wissen, daß sich Gottes Wille und Handeln ändern läßt – durch Klage, Bitte und Gebet.

Ich will nun auf die Christen und Christinnen in Philadelphia zurückkommen. Ihnen hat Johannes von Patmos geschrieben. Er hat ihnen gesagt: Ich lobe euch dafür, daß ihr so geduldig gewesen seid. Die Gemeinde von Philadelphia war Verfolgungen und Anfeindungen ausgesetzt. Ich will hier nicht die Einzelheiten ausbreiten. Es genügt zu sagen, daß es für die Gemeindeglieder ein großes Risiko war, sich zum Christentum zu bekennen. Ja, es konnte sogar ihr Leben kosten. Wenn es zu Verfolgungen kam, hätten die philadelphischen Christen auch sagen können: Ich halte es nicht aus, ich verlasse die christliche Gemeinschaft wieder. Das haben sie aber nicht getan, sondern statt dessen Geduld bewiesen. Und dafür werden sie gelobt. „Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast“, sagt der Schreiber des Briefes, „will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung (…).“

Es wäre nun einfach, das ganz schlicht so zu übertragen: Liebe Schwestern und Brüder, ihr seht die Geduld der Christen in Philadelphia, also seid auch ihr nun geduldig. Übt es in der nächsten Woche, wenn ihr auf den Weihnachtsmarkt geht und in der Schlange vor dem Impfzentrum warten müßt. Aber das wäre zu kurz geschlossen. Und ich würde Ihnen in diesem Fall einen besonders moralisierenden und unangemessenen Rat geben.

Wichtig ist etwas ganz anderes: Johannes lobt die Gemeinde in Philadelphia für ihre Geduld; er schreibt aber auch davon, die Christinnen und Christen hätten nur eine „kleine Kraft“ besessen. Ein Freund, mit dem ich über diese Bibelstelle sprach, sagte mir: „Weißt du, darin finde ich mich wieder. Ich glaube, ich habe auch nur kleine Kräfte. Ich fühle mich oft schwach. Ich erreiche nicht das, was ich mir vorgenommen habe. Ich bleibe hinter dem zurück, was ich mir als ideales Bild von mir gemalt habe.“ Und wir sprachen weiter darüber, daß trotzdem, trotz dieser kleinen Kraft, trotz dieser Schwäche die Christen in Philadelphia für ihre Geduld gelobt werden.

Das führt zu einer weiteren Frage, die ich bisher ausgespart habe: Warum sind die Christen in Philadelphia so geduldig? Warum bleiben sie geduldig, obwohl sie verfolgt werden? Und allgemeiner: Was gibt Menschen die psychologische Kraft, geduldig zu werden und es zu bleiben?

Auf diese Fragen lassen sich verschiedene Antworten geben. Man könnte sagen: Geduld ist eine Eigenschaft des Charakters. Entweder man hat sie, oder man hat sie nicht. Und jeder muß damit leben, der eine mit seiner Geduld, die andere mit ihrer Ungeduld. Man könnte auch sagen: Geduld ist eine Sache des Willens. Man muß sich dazu nur auffordern lassen und sich dann dazu zwingen. Aber wer mit Absicht geduldig sein will, führt sich selbst nur um so sicherer in die verkrampfte, erzwungene Ungeduld.

Aus dem Brief an die Gemeinde in Philadelphia läßt sich eine ganz andere Antwort auf die gestellte Frage entnehmen. Auf eine kurze Formel gebracht, lautet die Antwort: Die Christinnen und Christen in Philadelphia haben Geduld, weil sie auf Gott vertrauen. Sie vertrauen geduldig auf Gott, weil Gott selbst zuerst Geduld übt. Ich habe vorhin gesagt: Es ist schwer, geduldig zu sein, wenn man sich einfach in die Hände eines anderen geben soll, von dem man nicht weiß, was er vorhat. Ein Gott, der unsere Bitten nicht erfüllt, macht uns ungeduldig. Ein Gott, von dem wir nicht wissen, was er will und was er vorhat, macht uns unruhig und nervös. Nun hat aber die Gemeinde in Philadelphia von Gott etwas verstanden. Dieses Verständnis mündete in einen Glauben und ließ ihre kleinen Kräfte wachsen und gab ihr Geduld. Darauf will ich jetzt zuletzt eingehen.

Dem Gott, wie ihn die Bibel und auch die Offenbarung des Johannes vorstellt, bleiben auch unbekannte, dunkle Seiten, die wir jetzt noch nicht sehen. Aber Gott hat sich auch bekannt gemacht. Er hat gezeigt, was er will und was er mit den Menschen vorhat. Er hat sich darin bekannt gemacht, daß er in Jesus Christus Mensch geworden ist. Ihn, den gesalbten Jesus von Nazareth nennt Johannes den Heiligen, den Wahrhaftigen, der im Besitz der Schlüssel Davids ist. Der Schlüssel Davids öffnet das Tor zur himmlischen Stadt Jerusalem. Jesus schwebt zwischen Himmel und Erde; er steht am Tor zur himmlischen Stadt. Sie ist ein Symbol für das Heil, für die Hoffnung der Menschen, für die gute Zukunft, die Gott den Menschen schenkt. Jesus Christus macht den Menschen Gott bekannt. Er zeigt ihnen durch sein Leben, durch sein Eintreten für die Menschen, durch sein Sterben und Auferstehen wie Gott ist: barmherzig und gnädig und den Menschen zugewandt. An Jesu Geschichte läßt sich ablesen, welches Vertrauen Gott den Menschen entgegenbringt.

Das haben die Christen und Christinnen in Philadelphia gewußt. Daraus haben sie ihr Vertrauen geschöpft. Und weil sie Gott vertrauten, konnten sie auch geduldig sein. Sie schöpften ihre Geduld aus dem Geschenk Gottes, obwohl sie nur eine kleine Kraft besaßen. Dieses Geschenk Gottes bestand darin, daß er sich den Menschen zeigte, daß er bekannt machte, was er vorhatte, daß er barmherzig und gnädig war und ist und sein wird, nicht zornig oder unbarmherzig. Das lernen wir aus dem Leben, der Geburt und dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi.

Heute ist der zweite Advent. Wir warten alle auf das Ende der Pandemie, auf die Zeit, wo wir wieder gemeinsam essen, uns die Hand geben und jedem Passanten und jeder Freundin ins Gesicht blicken können, weil das Gesicht nicht von einer Maske verdeckt ist. Wir warten auf Weihnachten, an dem wir die Geburt des kleines Kindes feiern, in dem sich Gott gezeigt hat wie in keinem anderen Menschen. Daraus läßt sich unendlich viel Kraft schöpfen und Geduld gewinnen, Geduld, die jeder von uns brauchen kann, um seine kleine Kraft weiterzuentwickeln.

Gott will den Menschen barmherzig sein, heute wie damals. Das macht geduldig, auch das heute wie damals. Die Christen von Philadelphia haben das gewußt. Ich höre auf mit einem Sprichwort, das auf den Punkt bringt, was ich über Geduld sagen wollte. Es heißt: Geduld frißt den Teufel. Man könnte auch sagen: Geduld frißt die Angst, die uns am Leben hindert. Geduld ist ein Geschenk Gottes. Geduld atmet den Geist Jesu Christi. Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Privatdozent für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com)

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