Offenbarung 3,7-13

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Offenbarung 3,7-13

2.Advent | 10.12.2023 | Offb 3,7-13 | Hansjörg Biener |

Haben Sie schon einmal eine Whatsapp, SMS, E-Mail oder einen Brief geschrieben, wo Sie hinterher dachten, das wäre besser nicht geschehen? Wenn nein, Sie Glücklicher, Sie Glückliche. Tausende von Teenagern sind anders dran. Sie müssen mit Nachrichten leben, die sie besser nicht geschickt hätten, oder mit Fotos, die sie besser nicht verschickt, gesehen oder geteilt hätten. Es geht um böse Worte, die schneller verschickt waren, als man denken konnte. Es geht um Mobbing (https://www.klicksafe.de/cybermobbing). Es geht um Nudes (https://www.safer-sexting.de/). Es geht um Sextortion (Erpressung mit tatsächlichen oder gefakten Nacktbildern). Wenn Ihnen diese Begriffe nichts sagen, Sie Glücklicher, Sie Glückliche. Man muss diese Dinge nicht kennen, außer man ist Teenie, Jugendlicher oder Junger Erwachsener. Aber vielleicht haben Sie, zu anderen Zeiten, auch mal den einen oder anderen Brief geschrieben, wo sie sich heute denken, wie peinlich. Oder es sind in der Einsamkeit der Corona-Zeit Erinnerungen aufgestiegen, die eigentlich geklärt werden wollten, die man richtigstellen oder für die man sich entschuldigen wollte. Und irgendwie kamen die Worte nicht richtig raus oder wurden auf der anderen Seite nicht mehr verstanden.

Warum diese Einleitung? Zum ersten, weil es in unserem heutigen Predigttext um einen von sieben Briefen aus der Offenbarung an Johannes geht. Zum zweiten, weil es in diesem Brief Formulierungen gibt, die Johannes besser nicht geschrieben hätte. Zum dritten aber auch, weil wir dem Grundanliegen dieser Briefe nicht ausweichen sollten.

Offb 3,7-13 – der Brief des Apokalyptikers Johannes an die Gemeinde in Philadelphia

7 Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf: 8 Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.

9 Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.

10 Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. 11 Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!

12 Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. 13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Die sieben Sendschreiben und die Offenbarung

Lob und/oder Tadel und Verheißung – umgeben von einer religiösen Bildersprache, die wir so nicht mehr sprechen und verstehen. Das zeichnet alle sieben Sendschreiben der Offenbarung aus. Sie sind an Gemeinden in Kleinasien gerichtet und kommen von einem Seher Johannes, der im Exil lebt und trotzdem für diese Gemeinden da sein will. Ich habe vorhin angesprochen, dass in der Einsamkeit der Corona-Zeit oder auch eines Krankenhauses oder einer Kur manches in uns zum Brodeln kommt. Noch mehr, wenn man visionär veranlagt ist und sich das innere Brodeln nicht nur in Traumbildern äußert. So ist die Offenbarung des Johannes insgesamt ein wilder, assoziativer Mix von Gedanken und Bildern, gedacht zum Trost einer kleinen Gemeinde, aber schon bald nicht mehr verstanden. Darum wurde die Offenbarung des Johannes auch erst sehr spät in die Sammlung des Neuen Testaments aufgenommen. Über die Jahrhunderte hinweg ist sie das Buch der Phantasten und Spekulanten geblieben.

Um es klar zu sagen: Die Endzeitvisionen der Offenbarung sind gewaltig, beeindruckend, verstörend, aber falsch verstanden, wenn man sie zu einem Endzeitfahrplan auswalzt. Sie sind eher so zu lesen, wie wir heutigen manche Videos sehen: Schnelle Schnitte, Wendungen und Änderungen der Perspektiven, Zusammenfließen von Bildern und Geschichten, wie wir es in dem bahnbrechenden Achtziger-Jahre-Video von A-ha zu Take on me (remastered https://www.youtube.com/watch?v=djV11Xbc914) haben. Es geht darum, die Wucht der Bilder zu spüren, in ihnen womöglich sogar unterzugehen, und doch nach der Hand dessen zu greifen, der am Ende der Geschichte steht: Jesus. Das hat sehr viel mit der Welt der sieben kleinasiatischen Gemeinden zu tun, aber sehr wenig mit der Welt europäischer oder US-amerikanischer Mitternachtsrufer, Endzeitautoren und Verschwörungstheoretiker.

Die Offenbarung als Lernraum

Martin Luther hat an der Offenbarung nichts gefunden: „Ich sage, was ich fühle. Mir mangelt an diesem Buch nicht nur, dass ich’s weder für apostolisch noch für prophetisch halte. Aufs erste und allermeiste, daß die Apostel nicht mit Gesichten umgehen, sondern mit klaren und dürren Worten weissagen, wie Petrus, Paulus, Christus im Evangelium auch tun. Denn es gebührt auch dem apostolischen Amt, klar verständlich und ohne Bild oder Gesicht von Christus und seinem Tun zu reden. […] Darum bleib ich bei den Büchern, die mir Christus hell und rein dargeben.“ (sprachlich angepasst nach Bornkamm, Heinrich (Hg.): Luthers Vorreden zur Bibel, Frankfurt (Main) 1983, S. 218-219)

Ich kann Martin Luthers Kritik an der mangelnden Klarheit der Johannes-Offenbarung nachvollziehen. Aber die Offenbarung steht nun einmal im Neuen Testament und wartet auf Verstehen. Ich bin in meinem Leben nicht vielen, aber doch einigen Menschen begegnet, die mehr in Bildern leben als in geordneten Worten denken. Ihnen helfen die Gedanken eines Paulus eher weniger, vielleicht die Geschichten aus den Evangelien. Vor allem aber könnte es helfen, in der Vielfalt der eigenen Bilder, nach der Hand dessen zu greifen, der der Fels in der Bilderbrandung der Johannes-Offenbarung ist.

Die anderen, „wir anderen“ (?), denen die Johannes-Offenbarung wie ein wilder Videoclip erscheint, bleibt das Beobachten und das Lernen aus der Distanz. Zuallererst muss ich eine anti-jüdische Polemik in diesem Sendschreiben ansprechen. Dann erst kann ich auf die Frage kommen, was man unseren Gemeinden schreiben würde, was da zu tadeln oder zu loben wäre.

Lernaufgabe 1: Das Problem des biblischen Anti-Judaismus

Wie schon gesagt: Der Seher Johannes ist eine brodelnde Seele. Bilderreich, wuchtig, gewaltig. Dabei will er doch nur seinen Gemeinden helfen, im Glauben treu zu bleiben und zu wachsen.

In Vers 9 haben wir allerdings eine Bemerkung, die eine genau gegenteilige Wirkungsgeschichte gehabt hat. Johannes hätte sie besser nicht gemacht. Johannes lässt Jesus sagen:

„Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen.

Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe.“

Dieser Vers hat ein doppeltes Problem: (1) die Bezeichnung „Versammlung des Satans“ für die Juden und (2) die Verheißung, dass diese sich vor der christlichen Gemeinde niederwerfen müssen. Johannes verwendet hier innerjüdische Polemik seiner Zeit, in der man sich auch noch anderes an den Kopf zu werfen pflegte. Es ist aber ein Unterschied, ob sich zwei jüdische Parteien ineinander verbeißen, oder ob man sich solche Begriffe von außen als Christ zu eigen macht. Der brodelnde Johannes in der Einsamkeit des Exils hat ihn sich zu eigen gemacht, aber nichts zwingt uns, ihm da zu folgen. Es handelt sich auch nach Johannes nicht um einen Glaubensinhalt, der für den Glauben an Jesus Christus zentral ist. Er will ja nur, dass die Gemeinde in Philadelphia in allem dem Glauben treu bleibt, auch in Anfeindungen durch Angehörige einer anderen Religion. Das zweite Problem ist die Verheißung, dass sich die Feinde der Gemeinde in Philadelphia am Ende niederwerfen müssen. Auch das meint Johannes erst einmal nur im Blick auf Philadelphia damals. Es ist unsere Entscheidung bzw. wäre unser Fehler, wenn wir es heute auf das Verhältnis von Christen- und Judentum insgesamt anwenden.

Lernaufgabe 2: Blicke von außen aushalten und annehmen

Es ist offensichtlich, dass die sieben Sendschreiben jeweils auch von den anderen Gemeinden gelesen werden sollten. Jede bekommt ihre Stärken und/oder Schwächen vorgehalten, und wird durch das Beispiel der anderen Gemeinden im Guten herausgefordert und im Schlechten gewarnt. Neudeutsch: Sie benchmarken sich gegenseitig und bekommen Potenziale aufgezeigt. So wie in Sonntagsblättern unserer Kirchen immer wieder Serien über besondere Projekte und Gemeinden zu finden sind. Man liest die dann, ist beeindruckt, wünscht sich das auch oder denkt sich, „Was sollen wir sonst noch alles leisten.“. Johannes, der Seher, redete sich da leichter: In seinen Sendschreiben blieb die Hauptforderung Treue zu Jesus.

Ich frage mich, was wohl Seher von außen, vielleicht sogar Jesus an unseren Gemeinden zu loben hätten. Gäste aus Übersee habe ich oft beeindruckt gesehen von den Kirchen, von der Ausstattung der Kindergärten, von den vielen sozialen Einrichtungen. Manchmal und eigentlich dann sehr schnell auch mit einem Fragezeichen, ob nicht baulich mehr dasteht, als wir füllen. Und wenn ich sagen würde, dass viele Hauptamtliche mehr machen als ihre Dienstbeschreibung und noch mehr Ehrenamtliche Lasten tragen, für die sonst die Gesellschaft insgesamt aufkommen müsste – es würde nicht gelten. „Wenn Euch der Nachwuchs fehlt, warum fehlt es Euch an Hingabe. Wenn Euch die Mitarbeitenden fehlen, warum habt Ihr so wenig Augen für die verborgenen Talente?“ Ich höre das natürlich auch mit den Ohren des Gemeindepfarrers, der seufzt, dass das alles leichter gesagt als getan ist.

Lernaufgabe 3: Herausforderungen gemeinsam annehmen

 Nun ist es aber keineswegs so, dass uns kritische Blicke nur von außen treffen. Wenn ich zu Briefen über den Zustand der Kirchen auffordern würde, ich würde viele kriegen. Häufig genug einig in der Kritik, aber divers in den Rezepten. Auf der einen Seite vielleicht: Wir sollten „entschiedener für Christus“ sein oder gar noch mehr „weltweit Einsatz für Christus“ zeigen. Andere wieder wollten, dass die Kirchen entschiedener für „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“ auftreten, vielleicht inzwischen sogar die Menschen zu ihrem Besten zwingen. Eintreten für Minderheiten und gegen das rechte Spektrum und und und. Ich wünschte mir, diejenigen, die es mit dem Gemeindeaufbau so genau wissen, wären in entkirchlichten Gebieten erfolgreicher. Und ich wünschte mir, diejenigen, die so genau wissen, wo es gesellschaftlich lang gehen müsste, wären erfolgreicher im Bündnisse finden.

Ich habe in meinem Kirchenleben so vieles schon so oft gehört, sowohl auf der erwecklichen Seite als auch auf der gesellschaftspolitischen Seite des kirchlichen Spektrums. Als ich jung war, hieß es: Kauft keine Früchte aus Südafrika. Wegen des Apartheid-Regimes. Seit Jahren höre ich ein neues Speisegebot: Kauft keine Früchte aus Israel. Wegen der Siedlergewalt und wegen Apartheid. Es war einmal eine Errungenschaft der Reformation, dass Glauben nicht über bestimmte Werke definiert wird. Weder über ausdrücklich religiöse Werke noch über weltliches Tun. Aus einem persönlichen Glauben an Jesus Christus heraus würden die Gläubigen wie von selber zu ihren guten Werken finden. Und es war eine Errungenschaft, der ganzen Christenheit eine Würde und Herausforderung als priesterliches Volk zu geben. Das Wort Priester hat in den letzten Jahrzehnten einen schlechten Klang bekommen, die Funktion aber bleibt wichtig. Priester stehen zwischen Gott und Welt, und zwar so, dass sie Gott in die Welt tragen und die Welt zu Gott.

In den Sendschreiben, und auch in dem heutigen Predigttext, werden die Gemeinden für ihre Treue trotz der kleinen Kraft gelobt. Die sieben Gemeinden in Kleinasien waren zu klein, um sich der Welt verpflichtet zu fühlen. Deshalb lag es Johannes nahe, sie primär zur Glaubenstreue aufzurufen. Heutzutage ist die Christenheit zu groß, um sich aus der Welt herauszuhalten. Mögen die Erwecklichen erfolgreich Gemeinden bauen und exemplarisch Hoffnung für geplagte Seelen bringen. Mögen die Politischen erfolgreich Bündnisse für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung und exemplarisch zu einer anderen Welt beitragen. Wer in seinem Anliegen ehrlich und in der Umsetzung treu ist, „den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes“ und aufnehmen in das neue Reich Gottes und die neue Stadt Gottes. „So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der Türen auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf. Und die sieben Gemeinden damals und die vielen Gemeinden heute sollen sprechen: Amen.“

Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und als Religionslehrer an Nürnberger Gymnasien tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. (Hansjoerg.Biener (at) fau.de)

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