On-off-Beziehung

On-off-Beziehung

Predigt zu Genesis (1. Buch Mose) 3:1-24, verfasst von Ralf Reuter |

 

In dieser berührenden Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies rufen die ersten Menschen nicht zu Gott. Das könnten sie sehr leicht tun. Denn Gott geht neben ihnen spazieren. Eine bessere Gelegenheit kann es gar nicht geben. Hey Gott, was ist mit dem Baum der Erkenntnis? Wir haben gehört von den Früchten. Sie sollen sehr wirkungsvoll sein. Stimmt das?  Doch so kommunizieren sie nicht. Sie wollen von ihm nicht gesehen werden. Sie verstecken sich, als Gott ruft: Adam, wo bist du? Offenbar wollen sie nicht immer mit Gott zusammen sein. Keine eindeutige Beziehung von Mensch zu Gott. Ja, sie ist irgendwie da, wird aber gerade nicht gelebt. Eine On-off-Beziehung also.

Offenbar spielt diese Geschichte auch im realen Leben. On-off, diese Antwort habe ich erhalten, als ich jemanden fragte, ob sie mit ihrem Partner noch zusammen sei. Ja, man ist zusammen, aber jetzt gerade nicht. Also nicht wirklich. Doch das kann wieder werden. Ja, was denn nun? Für Außenstehende ist es manchmal zum Verrücktwerden. Kann man so leben? Vielleicht sagen sie dann, mir ist das gerade zu stark. Ich will mein Innerstes nicht preisgeben. So wie Adam von der Nacktheit spricht. Oder sich vor der Autorität Gottes fürchtet. Der schon wieder mit seinen Nachfragen. So fürchterlich moralisch. Weil ich von den Früchten gegessen habe. Ich kann das selbst verantworten.

Interessanterweise gibt es da von Anfang an die Schlange. Eure Augen werden aufgetan. Ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Ein Schelm, der nicht versteht, welche Erweiterung mit dem neuen Sehen verbunden ist. Die Emanzipation des Menschen von Gott, die Chance eines eigenen Blicks auf die Welt und ihre Möglichkeiten. Ja, wenn Gott einem zusetzt, kann ihm vorgeworfen werden: Du hast doch selber die Schlange geschaffen! Wir entfalten nur das maximal Mögliche deiner Welt. Die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes läuft über die Versuche mit Tieren. Die Entwicklung der Atomkraft steckt in dem Uran deiner Schöpfung, die Batterien laufen mit deinen Seltenen Erden. Klar, uns ist nicht ganz wohl dabei. Daher verstecken wir uns erst einmal.

Doch die Nachgeborenen rufen uns. Was habt ihr mit unserem Klima gemacht? Es wird immer wärmer. Wir spüren irgendetwas von einem schlechten Gewissen. Dabei haben wir nur unsere Möglichkeiten genutzt. Generationen von Wissenschaftlern verdanken wir unseren Fortschritt. Nie konnten mehr Menschen leben als heute, nie eigenständiger reisen, nie kreativer arbeiten, nie sicherer wohnen. Wenn auch nicht alle auf der Erde. Aber es hat sich gelohnt, dieses Augenöffnen, die Chancen zu nutzen. Auch wenn es immer Risiken mit sich bringt. Dann antworten uns andere: Ihr verkauft unsere Zukunft. Richtig moralisch werden sie. Ihr wisst nicht, was Gut und Böse ist. Und wir fragen: Wisst ihr das so genau? Meint ihr, es gäbe ein Paradies auf Erden? Lebt ihr danach?

Ja, gibt es ein Paradies auf Erden? Die Träume an eine gelingende Zukunft, sie stecken in unserer Gesellschaft, in unserer Kirche, in uns selber. Wo jeder nur den verantwortbaren Fußabdruck auf Erden hinterlässt. Wo es gute Arbeit gibt, wo wir Zeit für Kinder und Beziehungen haben. Eine Welt auch ohne Tyrannen und Krieg, frei von Depressionen, Suiziden. Wo keine Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, wo Religionen sich achten, Menschenwürde herrscht. Und zugleich muss dieser Traum in die neue Zeit transformiert werden. Wird eingespeist in unsere digitale Kommunikation. In die Nutzung von künstlicher Intelligenz, in die autonomen Systeme. Doch man kann Gott nicht direkt fragen, was hilft uns, was schadet uns. Was ist mit dieser Beziehung zu dem Schöpfer allen Seins?

Gott selber wirft die ersten Menschen aus dem Paradies. Der Schlange wird es schlecht ergehen. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist ein bleibender Kampf. Kinder aufzuziehen bleibt auch beschwerlich. Der Acker der Arbeit ist steinig. Nie wissen wir, ob unsere Erfolge nachhaltig sind. Über allem droht der Tod, noch ist jedes Leben endlich. Und doch: Aus dem Paradies auf uns selber geworfen, bleibt die Beziehung zu Gott bestehen. Er schenkt den Menschen das Leben, stattet sie als seine Ebenbilder mit Erkenntnis aus, kleidet sie gut ein. Wir können seine Stimme in uns hören. Sie gibt Sicherheit. Wo es um den Auftrag geht, die Erde zu gestalten, die eigene Begrenztheit anzuerkennen, in seinem Arrangement von Zeit und Ewigkeit zu bleiben.

Ich glaube, es braucht eine Menge an eigenem Engagement, um die Beziehung zu Gott zu leben. Da muss man sich (wie heute Morgen) mitnehmen lassen, mit in die Lebendigkeit von Gottes Wort, in die Erfahrung von Spiritualität. Das gelingt nicht nur in der Kirche. Mir erzählen Manager aus der Wirtschaft, wie heilsam es für sie ist, biblische Geschichten auszulegen. Über die Jahreslosung nachzudenken. Mit hineingenommen zu werden in dieses Balancieren von Autonomie und Bindung, von beruflicher Existenz und Sehnsucht nach dem Paradies. Da liegt plötzlich eine göttliche Hoffnung auf ihrem Leben, ohne die Realität des Alltags zu überspringen. Natürlich bleibt das alles oft unvollständig, wird angefangen und nicht fortgesetzt. Die Beziehung zu Gott ist da und nicht da.

Spannend geht es auch in der Bibel weiter. Es folgen Kain und Abel, die Sintflut, Mose und die Propheten bis zu Jesus von Nazareth und die Folgen für die ersten Gemeinden. Vieles ist längst in unsere säkulare Welt ausgewandert, findet sich dort neben anderen Traditionen. Doch der Traum vom Paradies ist mächtig wie nie. Er dient als Treiber für Fortschritt und Verbesserung. Und steht ständig in der Gefahr menschlicher Hybris. Es ist diese Gier nach „eigenem Ruhm, eigener Macht, eigener Weisheit und eigener Gerechtigkeit“, wie Martin Luther sagt. Der kluge Realismus, der ernüchternde Charme dieser Erzählung verfängt nicht überall. Häufig bleibt das Verstecken, das Nicht-wahr-haben-wollen, das Abwälzen auf andere. Wir tun gut daran, dies zuzugeben.

Das Paradies taucht am Kreuz von Jesus wieder auf. Da hängen zwei Verbrecher links und rechts neben ihm. Der eine verhöhnt ihn, der andere beginnt mit ihm zu sprechen. Da sagt Jesus: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Als Christen verbinden wir mit Jesus Christus die Hoffnung auf das Paradies, auf ein Mitnehmen in seine Ewigkeit. Auch nach einem prekären, vielleicht verfehlten Leben. Mit dem Beginn der Passionszeit eröffnet sich vom Kreuz her die Chance, verstärkt über Gott und die Welt zu reden. Gespräche über Gut und Böse wie Bäume zu pflanzen. Selber beginnen und für alle zu öffnen. Um Wege zu finden in die Zukunft. Um die Transformationen zu starten, um auch weiterhin von dieser Erde zu leben. Trotz allem zuversichtlich zu bleiben, enthusiastisch und realitätsnah, glaubend und ehrlich. In der göttlichen On-off-Beziehung.

 

Pastor für Unternehmensleitungen und Führungskräfte der Wirtschaft in der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und zugleich Pastor an der Friedenskirche Göttingen

 

Bemerkungen zur Predigt:

Wie immer hilfreich war für mich vor allem der klassische Kommentar von Claus Westermann, Genesis 1-11. Gerne gelesen habe ich die sehr anregende Meditation über Gen 3 von Matthias Freudenberg in den Göttinger Predigtmeditationen, 2019, S. 191-196.

Das Beispiel von den Managern bezieht sich auf Erfahrungen in Führungskräfte-Retraiten im Kloster Loccum aus meiner Arbeit von Spiritual Consulting im Haus kirchlicher Dienste der Hannoverschen Landeskirche. Ähnliche außergottesdienstliche Erfahrungen mit biblischen Geschichten im Alltag von Menschen unserer Zeit lassen sich überall finden, bis hin zur kirchlichen Straßensozialarbeit.

Gespräche wie Bäume pflanzen, diese schöne Formulierung, mit der ich an den Paradiesbaum und seine Verwandlung zum Lebensbaum im Kreuzes- und Auferstehungsgeschehen anspiele, habe ich von Peter Huchel übernommen, der sie in seinem Gedicht „Der Garten des Theophrast“ verwendet, das die zunehmenden Schwierigkeiten und seine Absetzung als Chefredakteur von „Sinn und Form“ in der DDR-Herrschaft reflektiert, siehe Peter Huchel, Chausseen, Chausseen, Gedichte, 1963,S. 81.

Das hilfreiche Lutherzitat verdanke ich der Lektüre von Jürgen Habermas, es findet sich in seiner tiefsinnigen Lutherinterpretation in der gerade herausgekommenen Geschichte von Glauben und Wissen, die besonders den christlichen Spuren im Säkularen nachgeht, siehe Jürgen Habermas, Auch eine Geschichte der Philosophie, Band 2, Vernünftige Freiheit. Spuren des Diskurses über Glauben und Wissen, 2019, S. 20. Bei Luther steht sie in De servo arbitrio / Vom unfreien Willensvermögen (1525) und findet sich in Martin Luther, Lateinisch-deutsche Studienausgabe Band 1, Der Mensch vor Gott, 2006, S. 467.

 

Pastor Ralf Reuter
Göttingen, Niedersachsen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de
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