Philipper 1, 1-6

Philipper 1, 1-6

1 Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an alle Heiligen in Christus
Jesus in Philippi samt den Bischöfen und Diakonen:2 Gnade sei mit
euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!
3 Ich danke meinem Gott, sooft ich euer gedenke 4 was ich allezeit tue
in allen meinen Gebeten für euch alle, und ich tue das Gebet mit
Freuden, 5 für eure Gemeinschaft am Evangelium vom ersten Tage
an bis heute; 6 und ich bin darin guter Zuversicht, daß der in
euch angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an
den Tag Christi Jesu.
Lutherbibel 1984 (Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers
in der revidierten Fassung von 1984)

1. Herbst ist Erntezeit. Die Früchte des Sommers in Gärten
und Feldern sind geerntet. Alles, was in Blumenbeeten und Gemüsegärten
gepflanzt wurde, hat geblüht und Früchte getragen.
Der Landwirt sät im Frühjahr Weizen- und Gerstensamen. Die
Samen wirken leblos. Nichts bewegt sich, nichts wächst. Trotzdem
werden die Samen gesät. Tagelang geschieht nichts. Aber dann treten
die grünen Keime zutage, nach und nach wächst der Halm und
endlich setzen auch Ähren an. Die Samen haben sich entwickelt,
und die Ernte ist reif.

Seit dem Frühjahr hat der Landwirt gewartet. Zuerst wartet er
darauf, ob etwas zutage treten wird, also ob die Saat gelungen ist.
Er beobachtet das Wetter, ob sein Anbau Wasser braucht. Gleichzeitig
denkt er nach – wenn er nicht entschieden hat, naturgemäss anzubauen
– ob er Unkraut vergiften soll. Im Herbst berechnet er die Zeit des
Mähdreschens, wenn das Getreide reif und genügend trocken
ist. Die ganze Zeit muss er warten. Und so tut es auch der Gärtner.

Die Wartezeit des Landwirts bedeutet nicht, auf einem Stuhl zu sitzen
und die Zeit zu vergeuden. Er weiß, dass die Erntezeit kommt und
dass alles dann bereit sein muss. Nach dem Säen muss er sicherstellen,
dass Bewässerungsgeräte sowie evt. Gift für das Unkraut
bereit stehen. Er muss auch prüfen, ob die Scheunen in Ordnung
sind. Wenn man sie nicht hat, muss man sie schon im Frühjahr bauen
oder sonst in Ordnung bringen, so dass die Ernte im Herbst dorthin gebracht
werden kann. Also sein Warten ist keine Bewegungslosigkeit, sondern
es bedeutet einen aktiven Zeitaufwand. Er muss ständig nachdenken.
Hinter diesem aktiven Warten steckt das Vertrauen darauf, dass das Getreide
wächst und geerntet werden kann. Er baut neues für seine kommende
Ernte, und gegebenenfalls muss er sogar Kredit für seine Bauarbeiten
im Blick auf die kommende Ernte nehmen. Auch die Banken vertrauen auf
die Kraft des Wachstums und auf die Ernte, in verschiedenen Zeiten auf
unterschiedliche Weisen, aber dennoch. Das Warten und Vertrauen auf
die Ernte hängen zusammen.

2. Der Glaube des Menschen ist auch ein Samen. Er wird in die Herzen
der Menschen gesät, wenn der Mensch das Evangelium und die gute
Nachricht Gottes über die Versöhnung Jesu Christi und über
die Liebe Gottes hört. Dieser Samen wächst im Inneren des
Menschen. Man kann oft sein Wachstum nicht sehen, aber er lebt und wirkt.
Zuweilen tritt der Glaube deutlich zutage, manchmal aber sehr schwach.
Es ist ja nicht der Mensch, der den Glauben hervorbringt, sondern Gott.

In seinem Brief an die Philipper schreibt der Apostel Paulus: „Ich
bin darin guter Zuversicht, dass der in euch angefangen hat das gute
Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag Christi Jesu.“
In seinem Leben darf der christliche Mensch darauf vertrauen, dass Gott
die Ernte pflegt. Der Christ kann auf das Wachstumswunder warten, aber
diese Wartezeit braucht keine passive Zeit zu sein. Der Christ darf
darauf vertrauen, dass alles in seiner Zeit wächst und dass Gott
den Glauben pflegt und die Früchte des Glaubens gibt. Der Christ
darf in diesem Bewusstsein ausruhen, aber er darf auch aktiv mit dem
Vertrauen handeln, dass die Zeit der Ernte kommen wird.

3. Der vorhin genannte Brief an die Philipper wurde sowohl an die Gemeinde
als auch an deren Leiter gerichtet. Paulus wollte in seinem Brief gleich
mit den Anfangsworten die Gemeindemitglieder in ihrem Leben ermuntern.
Auch die Gemeinde darf darauf bauen, dass einer sät und andere
ernten. In der Tätigkeit der Gemeinde wird oft Samen gelegt. Zuweilen
trägt man Sorge, was für eine Ernte es werden wird. Aber Paulus
schreibt: „Ich bin darin guter Zuversicht, daß der in euch
angefangen hat das gute Werk, der wird’s auch vollenden bis an den Tag
Christi Jesu.“. Es steht nicht in der Macht derer, die säen
und auch nicht derer, die sitzen bleiben. Gott pflegt seinen Anbau,
Er, der Herr, Gott sorgt für das Wachstum.

Dieses bedeutet auch, dass die Gemeinde darauf bauen kann, dass Gott
wirkt. Es lohnt sich, Kinder zu taufen, das Wort zu verkündigen
und Gebetskreise zu organisieren. Gott hört und antwortet. Er aber
antwortet auf seine Weise und in seiner selbst gewählten Zeit,
er wird aber antworten. Das Leben der Gemeinde gründet sich auf
Vertrauen: die Erntezeit kommt, das Leben ist nicht umsonst.

4. Der Brief an die Philipper ist also auch an die Bischöfe und
Diakone gerichtet. Sie machten damals die Leitung der Gemeinde aus.
In der Tat ist der Anfang des Briefes an die Philipper eine von den
seltenen Stellen in der Bibel, an denen die Diakone genannt werden.
Auch hier sind sie keine wertlosen Arbeiter, sondern Leute in der Leitung
der Gemeinde.

Es ist hervorragend, wie Paulus die Gemeinde begrüßt und
ihre Leitung nennt. Die Leiter sind oft erschöpft. Sie sind von
ihrer Verantwortung müde. Sie müssen immer geben, andere beraten
und begleiten. Eben diesen Leuten schreibt Paulus mit guter Zuversicht,
dass der, der in euch das gute Werk angefangen hat, der wird es auch
vollenden.

Wenn du Dich müde und erschöpft fühlst, wenn du fühlst,
dass Du in Dir keinen Funken der Hoffnung findest, eben an Dich schreibt
Paulus: es geht nicht um uns sondern um Gott. In dem Brief an die Hebräer
wird über den Sohn Gottesgesagt (12.2): „Jesus, dem Anfänger
und Vollender des Glaubens.“ Gott ist der Anfänger und Vollender
des Glaubens. Der Brief an die Philipper leitet schon in seinen ersten
Strophen zum Vertrauen auf Gott in der Zeit, wo einem das Leben leer
vorkommen kann.

5. Wenn einem alles leer und bedeutungslos vorkommt, dann darf man
darauf bauen, dass Gott für das Wachstum sorgt. Die Zeit der Ernte
kommt. Darauf kann man warten und darauf darf man vertrauen.

Prof. Dr. Esko Ryökäs
Universität zu Joensuu
Esko.Ryokas@joensuu.fi

 

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