Philipper 1,15-21

Philipper 1,15-21

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag der
Passionszeit, Laetare

2.4.2000
Philipper 1,15-21


Andreas Lindemann


Exegetische Vorentscheidungen

Liebe Gemeinde!

„Laetare“ – Freut euch! So heißt dieser
Sonntag im traditionellen Kirchenjahr. Viele von uns werden dieser Aufforderung
nachkommen können, gerade in dieser Jahreszeit. Man freut sich
darüber, daß es abends länger hell bleibt. Man freut sich
über das Wiedererwachen der Natur, das an Bäumen und Sträuchern
täglich deutlicher zu erkennen ist. Aber viele werden vielleicht abwinken:
„Laetare. Freut euch“? Nein danke. Für mich gilt das nicht. Ich
stecke mitten in beruflichen oder familiären Problemen. Ich bin
gesundheitlich angeschlagen. Und überhaupt – man braucht doch nur die
Zeitung aufzuschlagen oder die Tagesschau einzuschalten mit all den Meldungen
über Krieg und Verbrechen oder auch nur über all die
Betrügereien. Nein: Grund zur Freude habe ich wahrhaftig nicht.

Tatsächlich: Die Welt, in der wir leben gibt uns wenig
Anlaß zur Freude. Wohin wir auch blicken: Überall Not, Elend
Gefahren. Täglich erfahren wir von neuen Katastrophen: Von der
Hochwasserkatastrophe in Mocambique. Von den immer wieder neuen Schwierigkeiten
beim Zusammenleben der Menschen im Kosovo. Vom Krieg in Tschetschenien. Wir
hören, vor kurzem erst, von dem schrecklichen Massenselbstmord in Uganda:
Da waren Menschen, die beanspruchten, die Zehn Gebote Gottes wieder zur Geltung
zu bringen; und nun haben sie ihr Leben weggeworfen. Ihr eigenes, und auch das
Leben ihrer Kinder. Vielleicht gab es manche unter ihnen, die im letzten
Augenblick ihren Wahn erkannten. Aber nun war es für sie zu spät.
„Freut euch!“ Das können wir doch wohl nur, wenn wir die Augen
verschließen vor der Wirklichkeit.

Ein Zeitsprung. Wir verlassen das beginnende 21. Jahrhundert und
gehen zurück ins 1. Jahrhundert. Wir verlassen Mitteleuropa und gehen nach
Kleinasien. Wir machen einen Besuch in Ephesus. Eine glänzende, eine
reiche Stadt. Handel und Wandel blühen, und auch der Torusimus.
Allerdings: Unser Ziel ist nicht der wunderbare Tempel, der für die
Göttin Artemis errichtet worden war, nicht das schöne Theater, auch
nicht das berühmte Stadion. Nein, unser Weg führt uns in das
Gefängnis von Ephesus. Wir besuchen einen Häftling. Wir besuchen
einen Mann namens Paulus.

Schon vor geraumer Zeit war er festgenommen worden. Nun wartete er
auf seinen Prozeß. Dabei wurde er nicht schlecht behandelt.
Möglicherweise besaß er das römische Bürgerrecht, war also
ein Mensch, dem gerade in solchen Situationen gewisse Privilegien zustanden.
Den Namen Paulus trugen immerhin auch etliche vornehme römische Politiker
und Armeeführer. Da war es schon besser, wenn die Behörden sich
streng an die Vorschriften hielten.

Warum hatte man Paulus verhaftet? Weil er ein Ruhestörer war,
weil er die Stadt in Aufruhr versetzt hatte. Eine der
Hauptsehenswürdigkeiten von Ephesus war der gewaltige Artemistempel. Das
war nicht nur ein architektonisches Wunderwerk, das seinesgleichen suchte. Der
Tempel war auch in wirtschaftlicher Hinsicht ein wichtiges Zentrum, der
entscheidende Finanzplatz in Asien. Eines Tages war dieser Paulus nach Ephesus
gekommen. Er hatte den Tempel und seinen Kult heftig kritisiert. Ja, er hatte
sogar bestritten, daß es die Göttin Artemis überhaupt gab. Er
hatte behauptet, die Götter seien eigentlich Nichtse, nicht der Rede und
jedenfalls nicht der Verehrung wert.

Es war merkwürdig: Die einheimischen, die von allen
anerkannten Götter lehnte Paulus ab. Stattdessen behauptete er, ein vor
einigen Jahren in Jerusalem gekreuzigter Jude namens Jesus sei der Retter der
Welt. Er behauptete: Wenn man sich zu diesem Jesus bekennt, dann wird man von
Gott angenommen. Dann gewinnt man den Mut zu einem neuen, ehrlichen Leben. Und
man erhält ein ewiges Leben, ein Leben über den Tod hinaus. Seltsam!
Und was noch seltsamer war: Dieser Paulus hatte Zustimmung bekommen. Die Zahl
der Leute, die ihm folgten, wuchs langsam, aber stetig. Da konnten die
Behörden nicht länger so tun, als wäre nichts. Da war es schon
besser, wenn dieser Paulus für eine Weile hinter Gefängnismauern
verschwand. Paulus war nicht verurteilt. Freiheitsstrafen gab es damals nicht.
Paulus befand sich in Untersuchungshaft. Die Behörden wollten Zeit haben
um zu prüfen, ob er wirklich eine Gefahr darstellte. Genügte es
vielleicht schon, wenn man ihn aus der Stadt auswies? Oder war es am besten,
wenn man ihn zum Tode verurteilte? Vielleicht war das der einfachste Weg,
seinem Treiben ein für allemal ein Ende zu machen. Die Freunde des Paulus,
die von dem gekreuzigten Jesus als von dem „Gesalbten“, dem
‘Christus’ sprachen und die man deshalb der Einfachheit halber
‘Christen’ nannte, ließ man vorläufig unbehelligt. Man
wußte, daß Paulus früher selber heftig gegen diese Christen
gekämpft, sie sogar regelrecht verfolgt hatte. Nun blieb abzuwarten, wie
sich die Dinge entwickeln würden, nachdem er im Gefängnis saß.

Paulus ist im Gefängnis nicht von der Außenwelt
abgeschnitten. Als wir uns am Gefängnistor anmelden, erfahren wir,
daß wir heute nicht die ersten Besucher sind. Ohnehin bekommt Paulus
häufig Besuch. Das ist allerdings auch nötig. Denn so etwas wie eine
Gefängnisküche gibt es nicht. Die Inhaftierten sind darauf
angewiesen, daß jemand ihnen zu essen bringt. Daß jemand ihre
Wäsche mitnimmt. Manchmal, so hören wir, kommen Besucher aus fremden
Städten, vor allem aus Philippi, der Hauptstadt der Provinz Makedonien.
Auch dort gibt es Menschen, die durch Paulus auf die Idee gebracht worden sind,
jenen gekreuzigten Jesus als ihren Retter zu verehren. Sie kommen mit dem
Schiff, quer über das ägäische Meer. Bei günstigem Wetter
ist das eine Reise von nur wenigen Tagen. Arm sind diese Christen in Philippi
übrigens nicht; einer von ihnen, Epaphroditus, hat schon gelegentlich Geld
mitgebracht. Keine Riesensumme natürlich, die womöglich gereicht
hätten, um die Gefängnisleitung zu bestechen. Aber doch mehr als nur
ein Almosen.

Als wir die Zelle des Paulus betreten, treffen wir just auf diesen
Epaphroditus. Beide Männer nehmen kaum von uns Notiz. Denn Paulus ist
gerade dabei, einen Brief zu diktieren. Epaphroditus soll diesen Brief dann
mitnehmen nach Philippi. Gerade ist davon die Rede, daß Paulus um seines
Glaubens an Jesus Christus willen im Gefängnis sitzt; Paulus erwähnt
dabei auch, daß die Verkündigung in der Stadt Ephesus trotzdem nicht
ruht, sondern weitergeht.

„Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht,
einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, daß
ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen
Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal
bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut’s aber? Wenn nur Christus
verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit,
so freue ich mich darüber.“

Begreifen wir das, was Paulus da gerade sagt und aufschreiben
läßt? Da ist doch wahrhaftig von Freude die Rede. Ist Paulus
verrückt geworden? Er hat doch wahrlich keinen Grund, sich zu freuen. Das
Gefängnis von Ephesus ist alles andere als ein Sanatorium. Worüber,
um alles in der Welt, freut sich Paulus? Er freut sich darüber, daß
Christus nach wie vor in Ephesus verkündigt wird. Daß es Christinnen
und Christen in der Stadt gibt, die seine Arbeit fortsetzen. Wir merken: Paulus
hält sich nicht für unersetzlich. Er könnte ja insgeheim
darüber enttäuscht sein, daß ohne ihn nicht alles
zusammenbricht. Nein, Paulus ist darüber glücklich. Er freut sich.

Aber macht er es sich nicht doch zu leicht? Es gibt Streit unter
denen, die nun ohne ihn in Ephesus agieren. Erheblichen Streit. Kennen wir das
nicht auch? Streit unter Christen. Streit in der Kirche. Vielleicht sogar eine
Kirchenspaltung. Ja, uns Besuchern aus der Neuzeit ist das etwas ganz
Vertrautes. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein Kirchenmensch diese
Spaltungen beklagt. Doch jetzt erfahren wir: So etwas ist beileibe nichts
Neues. Spaltungen in der christlichen Kirche gibt es offenbar von Anfang an.
Und dennoch: Erfreulich sind sie nicht. Sie sind eher ein Ärgernis.
Worüber also freut sich Paulus? Er freut sich einfach darüber,
daß die Christusverkündigung in Ephesus weitergeht, auch wenn er
nicht aktiv dabei sein kann.

Aber noch einmal: Hat Paulus wirklich Grund zur Freude?
„Einige predigen Christus aus Neid und aus Streitsucht“, schreibt der
Apostel den Philippern Sie predigen aus Eigennutz. Sie predigen nicht aus
reinem, lauterem Herzen. Ja, Paulus behauptet sogar, daß sie predigen,
weil sie ihm Trübsal bereiten möchten in seiner Gefangenschaft. Denkt
Paulus an Gegner, die die Gunst der Stunde nutzen wollen und die nun ein ganz
anderes Christusevangelium predigen als das, das Paulus selber verkündigt
hatte? Denkt er an Leute, die auf den Missionserfolg des Paulus immer schon
neidisch waren und die jetzt eine Chance sehen, seine Leistung in den Schatten
zu stellen? Paulus schreibt ausdrücklich: Sie wollen mir
Trübsal bereiten. Sie haben es geradezu darauf angelegt, mich in Trauer zu
versetzen. Und trotzdem sagt er: Ich werde nicht traurig. Im Gegenteil: Ich
freue mich. Wenn nur Christus verkündigt wird, auf welche Weise auch immer
– dann ist es gut.

Was genau da in Ephesus abläuft, erfahren wir nicht. Paulus
schreibt nichts Näheres. Vielleicht sind die Leserinnen und Leser in
Philippi über die Einzelheiten bereits informiert. Außerdem kann
Epaphroditus, wenn er den Brief nach Philippi bringt, mündlich weitere
Erläuterungen geben. So viel ist aber klar: Während Paulus im
Gefängnis sitzt, hat sich in der Kirche von Ephesus eine Spaltung
vollzogen. Vielleicht gab es schon vorher solche Tendenzen: Jetzt jedenfalls
sind sie offen zutagegetreten. Die einen verkündigen Christus in guter
Absicht und aus Liebe. Die anderen – so sieht es Paulus – tun es aus
Streitsucht; sie tun es letztlich in der Absicht, ihm zu schaden.

Setzt Paulus alles daran, die kirchliche Einheit
wiederherzustellen? Schlägt er Kompromißlösungen vor, mit denen
beide Seiten leben könnten? Oder hegt er den Wunsch, daß sich die
eine Seite durchsetzen und die andere klein beigeben möchte? Nichts
dergleichen. „Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, so
freue ich mich darüber.“ Paulus besteht nicht darauf, daß die
Verkündigung der Kirche einheitlich zu sein hat. Paulus verlangt nicht,
daß alle dasselbe sagen müssen. Paulus will offenbar nicht so etwas
wie eine Einheitskirche durchsetzen.

Allerdings – auch für Paulus gibt es Grenzen der
Toleranz. Wenn die Verkündigung nicht mehr Christus zum Inhalt hat; wenn
die Verkündiger anfangen, in Wahrheit nicht mehr von Christus zu sprechen,
sondern von sich selber, von ihren Leistungen, von ihren Erkenntnissen, von
ihren eigenen religiösen Qualitäten – dann ist ein
Trennungsstrich zu ziehen. Wenn jemand Christus als Deckmantel benutzt, unter
dessen Schutz er oder sie die eigenen privaten, politischen oder auch
wirtschaftlichen Interessen verfolgt, dann sagt Paulus: So nicht. Aus der
Geschichte der Kirche, aus der Geschichte des Christentums kennen wir viele
Beispiele für solchen Mißbrauch der Christusverkündigung, bis
in unsere Gegenwart hinein. Jener im Namen Gottes geschehene Massenselbstmord
– oder müßten wir eher sagen: jener Mord? – ging
vermutlich nicht auf eine von allen gemeinsam getroffene Entscheidung
zurück. Es wird ein einzelner gewesen sein, der den Einfluß, den er
auf andere auszuüben vermochte, auf so böse Weise mißbrauchte.

Unterschiedliche Wege in der Christusverkündigung,
Kirchenspaltung, Sektenbildung – dies wird dann zum Skandal, wenn nicht
mehr Christus im Mittelpunkt steht, sondern das eigene Interesse. Sei es das
Interesse einzelner, sei es auch das Interesse einer Gruppe, ja einer ganzen
Kirche. Ansonsten aber gilt: „Wenn nur Christus verkündigt wird auf
jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich
darüber.“

Wir möchten noch ein wenig darüber nachdenken, was dies
für uns bedeuten könnte. Aber Paulus diktiert schon weiter, und wir
müssen uns beeilen, jedes Wort mitzubekommen:

„Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich
weiß, daß mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und
durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe,
daß ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern daß frei und
offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe,
es durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist
mein Gewinn.“

Jetzt kommt nun doch eine ganz andere, eine harte Realität
zur Sprache. Paulus spricht vom Sterben, er spricht vom Tod. Aber
merkwürdig: Auch jetzt erweckt er den Anschein, als sähe er die Dinge
in einem rosaroten Licht. „Ich werde mich auch weiterhin freuen, denn es
wird mir zum Heil ausgehen“, schreibt er. Im Klartext: Es wird schon alles
gut gehen. Aber wahrscheinlich müssen wir hier ein wenig zwischen den
Zeilen lesen. Paulus nimmt hier einen Satz aus dem Buch Hiob auf. Es sind
Worte, die der leidende Hiob spricht: „Es wird mir zum Heil ausgehen“
(Hiob 13,16). Paulus vergleicht sich also mit dem leidenden Hiob. Er
identifiziert sich geradezu mit ihm. Nun wird klar: Paulus weiß,
daß sein Leben auf dem Spiel steht. Er hat das Sterben, er hat den Tod
vor Augen. Und dennoch: Er vertraut auf das Gebet der Christen in Philippi. Er
vertraut auf den Beistand Christi. Er hofft darauf, daß, wie er schreibt,
Christus in ihm, dem leidenden Apostel, verherrlicht werden wird: Sei es durch
sein Leben, wenn es ihm denn erhalten bleibt – sei es durch seinen Tod.
Denn, so schreibt er in der letzten Zeile unseres Briefabschnitts:
„Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“

Es würde sich lohnen, weiter zuzuhören, was Paulus dem
Epaphroditus in seinem Philipperbrief noch weiter diktiert. Aber unsere Zeit
reicht nicht. Wir verlassen das Gefängnis von Ephesus und kehren in unsere
Welt zurück.

„Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“
– das waren die letzten Worte, die wir aus dem Munde des Paulus
gehört haben. Können wir diese Worte nachsprechen? In vielen
Bibelausgaben ist dieser Satz fettgedruckt. Ein frommer und naiver Merksatz, so
möchte man meinen. Geradezu ein Satz fürs christliche Poesiealbum.
Ein frommer Spruch? Ja. Ein naiver Spruch? Nein. Denn der Mensch, der ihn
schreibt, hat wirklich den Tod vor Augen. Einen bitteren, vorzeitigen,
gewaltsamen Tod. Nicht ein „seliges Sterben“. Und dennoch: Dieser
Mensch sieht in dem ihm drohenden Tod nicht das Ende. Denn er hat eine
Hoffnung, die über den Tod hinausreicht. Sein Tod, sein Sterben kann den
Sinn haben, daß Christus verherrlicht wird. Sein Tod, so sieht es Paulus,
wäre keine Niederlage. Im Gegenteil: Sein Tod wäre für ihn
persönlich sogar ein Gewinn.

Sehnt sich Paulus nach dem Sterben? Plant er gar einen Selbstmord?
Hätte er sich womöglich jener Weltuntergangssekte angeschlossen?
Nein, das ganz gewiß nicht. Paulus weiß, daß er von Christus
einen Auftrag bekommen hat. Einen Auftrag, den er in seinem Leben zu
erfüllen hat. Er weiß, daß es Menschen gibt, die ihn brauchen.
Diese Menschen, dieser Auftrag – das ist der Grund dafür, daß
Paulus am Leben bleiben will. Er will trotz aller Gefahr, in der er selber
steht und trotz aller Konflikte, die es in seiner Gemeinde gibt, nicht sterben.
Er will leben. Gerade weil er eine Hoffnung hat, die über das Leben
hinausreicht.

„Laetare, freut euch“, heißt es heute. Offenbar
gehören beide Sätze zusammen: „Wenn nur Christus verkündigt
wird auf jede Weise, so freue ich mich darüber.“ Und dann:
„Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“ Beide
Sätze dürfen wir mitsprechen in unserem Leben. Auch in unserer Zeit.
Auch in unserer Welt. Am Anfang des Heidelberger Katechismus von 1563 wird die
Frage gestellt: „Was ist dein einziger Trost im Leben und im
Sterben?“, und dann wird die Antwort gegeben: „Daß ich mit Leib
und Seele, im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland
Jesus Christus gehöre.“ Darauf kommt also alles an: Daß wir uns
Christus als der Mitte unseres Lebens anvertrauen – niemandem sonst. Wir
sollen wissen, daß wir auch in unserem Sterben Christus gehören
–niemandem sonst. Unser Leben, unser mögliches Leiden, unsere Angst
vor der ungewissen Zukunft – all dem können wir ruhiger und
gelassener begegnen, wenn wir uns von Paulus und vom Katechismus sagen lassen,
daß wir zu Christus gehören. Wir dürfen das Wagnis des Glaubens
eingehen, das Wagnis, auf Christus zu vertrauen. Weil wir das wissen, darum
haben wir, trotz allem Leid und aller Not, die uns begegnet, wahrhaftig Grund
zur Freude.

Amen.

Exegetische Vorentscheidungen:

Es ist die Annahme vorausgesetzt, daß der Philipperbrief
literarisch einheitlich ist, daß also insbesondere die eschatologischen
Aussagen in Phil 3,20.21 und die Aussagen über die Geldspenden in Phil
4,10-20 nicht von Phil 1 getrennt zu werden brauchen. Die Annahme, der Brief
sei in Ephesus verfaßt worden (und nicht in Caesarea oder in Rom), ist
keineswegs sicher, besitzt aber den höchsten Grad an Wahrscheinlichkeit;
der Brief wäre dann in der von Paulus in 1 Kor 15,32 erwähnten
Situation verfaßt worden (die Szene Apg 19,23-40 kann als Illustration
dienen). In der Predigt wird dies jedoch nicht problematisiert, sondern als
gegeben vorausgesetzt.

Der in der Perikopenordnung bestimmte Text 1,15-21 ist wenig
glücklich aus dem Kontext herausgeschnitten; deutlich erkennbar ist,
daß 1,15 den Abschnitt 1,12-14 unmittelbar voraussetzt und daß 1,21
ohne 1,22-26 im Grunde nur mißverstanden werden kann. In der Predigt wird
versucht, diese Einsichten „narrativ“ umzusetzen.

Prof. Dr. Andreas Lindemann, Bethel
E-Mail:
Lindemann.Bethel@t-online.de


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