Philipper 2,5-11

Philipper 2,5-11

Glaube, Trost und Mut aus dem Gefängnis – Paulus und das älteste Christuslied | Sonntag Palmarum | 24.03.2024 | Phil 2,5-11 | Johannes Lähnemann |

Liebe Gemeinde!

Wir feiern in diesem Jahr 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Wir feiern es mit Recht, denn die Kirchenlieder, die Choräle sind ein großer Schatz gerade in den evangelischen Kirchen. Mit ihnen hat sich die frohe Botschaft von der in Jesus Christus geschenkten Liebe und Gnade Gottes in die Herzen der Menschen hineingesungen. Die vielen hundert Lieder, die sich zwischen den Buchdeckeln des Gesangbuches finden, stärken den Glauben, spenden Trost und machen Mut.

Glaube – Trost – Mut: Wie sehr brauchen wir das gerade gegenwärtig: Glaube und Zuversicht angesichts der Bedrohung des Lebens auf der Erde durch die Klimaveränderung und den Raubbau in Wäldern und Meeren, Trost angesichts des Leidens so vieler Menschen in Kriegs- und Hungergebieten, Mut, um immer wieder Gutes zu tun, um gegen die Nöte anzugehen, die uns umgeben.

Glaube – Trost – Mut: Davon wird nicht erst seit Martin Luthers Reformation gesungen. Glaubenslieder gibt es so lange, wie es Menschen gibt, die Jesus nachgefolgt sind, also seit 2000 Jahren.

Das älteste Christuslied, das uns erhalten ist, steht in dem Brief, den der Apostel Paulus an die Gemeinde in Philippi in Mazedonien geschrieben hat. Mit ihm ruft er die Gemeinde auf, dem Weg Jesu zu folgen. Damit stärkt er den Glauben der kleinen Gemeinde in Philippi, er tröstet sie und macht ihr Mut.

Im 2. Kapitel seines Briefes zitiert Paulus dieses Lied; das ist unser heutiger Predigttext. Es schildert zuerst Jesu Weg in die Niedrigkeit menschlichen Lebens, im zweiten Teil dann das Gegenteil: wie Jesus nach Ostern ganz zu Gott erhoben ist. Der Text lautet:

(5) Richtet euer Leben nach dem aus, was euch in Christus Jesus begegnet,

(6) der, obwohl er in der Gestalt Gottes war, sich nicht daran festhielt, Gott gleich zu sein, (7) sondern nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde Mensch.

In der Gestalt eines Menschen ist er erschienen, (8) er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

(9) Deswegen hat ihn auch Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, (10) damit in seinem Namen sich beugen sollen alle Knie im Himmel und auf Erden und unter der Erde, (11) und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist – zur Ehre Gottes des Vaters. 

Paulus schreibt dieses Lied aus dem Gefängnis, wahrscheinlich aus der Stadt Ephesus in Kleinasien, wo er wegen seiner unerschrockenen Predigt von der Liebe Gottes in Jesus Christus inhaftiert ist. Er schreibt es an die Gemeinde in Philippi, mit der er sich besonders eng und herzlich verbunden sieht. Er lobt sie, weil sie ganz nach der frohen Botschaft lebt, die er gepredigt hat. Es ist die einzige Gemeinde, von der er finanzielle Unterstützung angenommen hat, wofür er ihr dankt. Gegenwärtig hat sie wie er unter Anfeindungen zu leiden. Er will sie stärken, sie trösten und ihr Mut machen. Dabei hilft ihm dieses Lied, weil es der Gemeinde vor Augen stellt, was Jesus Christus für sie getan hat und was er für sie bedeutet. Es ist die Grundlage christlichen Glaubens, die hier in wenigen Sätzen entfaltet wird, und sie gilt uns heute ebenso wie den Gläubigen damals in Philippi. In drei Schritten will ich das für uns verdeutlichen:

  1. Grund unseres Glaubens ist: Gott wird Mensch
  2. Grund unseres Trostes ist: Jesus geht unseren Weg
  3. Grund unseres Mutes ist: Jesu Name steht über allen Namen

1. Grund unseres Glaubens: Gott wird Mensch

Paulus möchte erreichen, dass die Gläubigen in Philippi sich in ihrem Leben an dem orientieren, was mit Jesus in die Welt gekommen ist. „Richtet euer Leben nach dem aus, was euch in Christus Jesus begegnet“, damit beginnt er, und dann folgen die ersten Zeilen des Christusliedes: „Obwohl Christus in der Gestalt Gottes war, hielt er sich nicht daran fest, Gott gleich zu sein, (7) sondern nahm die Gestalt eines Knechtes an und wurde Mensch.“

Was heißt das? Es bedeutet, dass Jesus ein Mensch wurde wie du und ich, mit guten Erfahrungen und mit schlechten Erfahrungen, mit freudigen Erlebnissen und mit bedrückenden Erlebnissen, mit Liebe und Freundschaft und auch mit enttäuschter Freundschaft. Er wuchs auf als jüdischer Junge in dem Städtchen Nazareth in der Landschaft von Galiläa, die wie ganz Palästina damals unter der römischen Besatzungsmacht litt. Er lernte das Handwerk seines Vaters, wurde Zimmermann. Und er besuchte regelmäßig die Synagoge. Sie war gleichzeitig die Schule, in der er lernte. Er lernte und lernte, wurde mit den heiligen Schriften seines Volkes vertraut: der Torah, also den 5 Büchern Mose, den Büchern der Propheten, den Psalmen, die ja auch schon Lieder waren. Er kannte die heiligen Schriften so gut, dass er sie später als Lehrer, als Rabbi, souverän zitieren und auslegen konnte. Er ergründete den tieferen Sinn der Gebote Gottes, entdeckte, dass das Gebot der Nächstenliebe auch die Feindesliebe einschließen sollte. Er war erfüllt von der Hoffnung und Erwartung des Reiches Gottes, von Gottes guter neuer Welt, die keine Zwangsherrschaft ist, sondern in der Liebe und Menschenwürde regieren. Er wollte nicht herrschen, sondern dienen. So kam in ihm Gott den Menschen nahe.

Es ist das, was wir auch gegenwärtig dringend nötig haben: Menschenwürde achten, gegen Unmenschlichkeit angehen, solidarisch sein besonders mit denen, die keine Macht haben, die unterdrückt werden, die an den Rand geschoben werden. Der katholische Bischof Franz Kamphaus, der selbst ganz bewusst ein bescheidenes Leben geführt hat – so zog er aus dem Bischofspalais in Limburg aus und stellte das gesparte Geld Bedürftigen zur Verfügung –,  hat das in eine einprägsame Formel gebracht: „Mach es wie Gott: werde Mensch!“

Das wird vertieft in der nächsten Aussage unseres Textes: In der Gestalt eines Menschen ist Jesus erschienen, (8) er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

2. Grund unseres Trostes: Jesus geht unseren Weg

Das ist der zweite große Schritt: Jesus bringt uns als Mensch nicht nur Gott nahe. Er wird in allem unser Bruder, lebt mit uns, empfindet mit uns und wirkt für uns. Er geht zu den Aussätzigen, er befreit die, die von Dämonen besessen sind, er beruft Zöllner, die für die römische Besatzungsmacht gearbeitet haben, zu seinen Nachfolgern, er macht aus Habgierigen Wohltäter.

Ja, er setzt sich selbst der Schwachheit aus. Er bleibt dabei, den Geboten Gottes radikal gehorsam zu sein, auch wenn er damit die Feindschaft der Mächtigen auf sich zieht, auch wenn er diffamiert wird, verraten wird, verleumdet wird. Gehorsam bleibt er auch unter der Folter, als er geschlagen und mit einer Dornenkrone gekrönt wird. Gehorsam ist er bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. Er erleidet den schändlichsten und schlimmsten Tod, gequält von Schmerzen, mitten zwischen Verbrechern. Er verzagt, er erfährt selbst die Gottverlassenheit. Er ruft „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Er wehrt sich nicht, aber er betet noch für seine Feinde. Und damit wird sein Weg zum Trostweg; denn keine Not, keine Ausweglosigkeit ist Jesus fremd.

Besonders unmittelbar hat das Dietrich Bonhoeffer erfahren, als er wie Paulus im Gefängnis saß, inhaftiert im Nazi-Gefängnis der Gestapo, der Geheimen Staatspolizei. Da ist ihm der Weg Jesu ganz nahe. Das spüren wir an den Gebeten, die Bonhoeffer für seine Mitgefangenen schrieb. Darin spricht er Jesus direkt an: „Herr Jesus Christus, Du warst arm und elend, gefangen und verlassen wie ich. Du kennst alle Not der Menschen. Du bleibst bei mir, wenn kein Mensch mir beisteht, Du vergisst mich nicht, Du willst, dass ich Dich erkenne und mich zu Dir kehre. Herr, ich höre Deinen Ruf und folge, hilf mir!“[1]

Was das für uns bedeutet, haben wir im Lied vor der Predigt gesungen: „Damit aus Fremden Freunde werden, lebst du die Liebe bis zum Tod. Du zeigst den neuen Weg des Friedens, das sei uns Auftrag und Gebot.“ Gegenwärtig ist es oft nicht einfach, Wege des Friedens zu gehen. Im Blick auf die große Politik könnten wir verzagen. Was richtet ein Putin an mit seinem brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine!? Was richtet die Hamas an mit ihrem Terror!? Was richtet ein Netanjahu an mit den ungebremsten Angriffen im Gaza-Krieg!?

Und doch gibt es auch in Israel und Palästina viele Menschen, die solidarisch handeln, die an Leid und Trauer teilnehmen und helfen, wo es nur geht. Da ist zum Beispiel die Bewegung der Rabbis for Human Rights in Israel, der Rabbis für Menschenrechte. Sie fahren auf die Westbank und helfen palästinensischen Bauern bei der Olivenernte und schützen sie vor aggressiven jüdischen Siedlern. Sie fordern unmittelbare Hilfe für die Menschen in Gaza und lassen sich nicht von rechtsradikalen Gegendemonstranten einschüchtern. Sie liefern Hilfsgüter auf die Westbank, gerade jetzt, wo die Muslime den Fastenmonat Ramadan feiern.

Und bei uns? Bei uns heißt die Friedensarbeit: gegen die Spaltungen und Feindschaften in unserem Land vorzugehen, die von ganz links und besonders von ganz Rechts gefördert werden – anzutreten gegen den Antisemitismus, der leider wieder stärker geworden ist trotz der Erinnerung an all das Unrecht, das Juden bei uns in der Geschichte und besonders im Holocaust in Deutschland angetan worden ist; anzutreten ebenso gegen Islamfeindlichkeit, die um sich gegriffen hat, obwohl sich alle maßgeblichen Vertreterinnen und Vertreter des Islam immer wieder gegen jeden Terrorismus abgrenzen; anzutreten gegen Fremdenfeindlichkeit überhaupt und besonders gegenüber Flüchtlingen. Aber auch positiv: Wie wichtig ist es, dass wir uns unübersehbar für den Schutz unserer Demokratie einzusetzen, für eine offene Gesellschaft, für Dialog und Toleranz!

Aber nun hat das Christuslied im Philipperbrief noch eine entscheidende Fortsetzung. Und damit sind wir bei dem dritten Punkt.

3. Grund unseres Mutes ist: Jesu Name steht über allen Namen

Jesu schmählicher Tod am Kreuz ist nicht das Letzte. Es folgt ein unerwarteter Neuanfang, ja eine ganz neue Dimension, in der Jesus lebt und wirkt. In dem Christuslied heißt es weiter:

(9) Deswegen hat ihn auch Gott erhöht und ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, (10) damit in seinem Namen sich beugen sollen alle Knie im Himmel und auf Erden und unter der Erde, (11) und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist – zur Ehre Gottes des Vaters.

Gott hat Jesus in ein neues Leben geholt. Er hat sich zu Jesus, seinem Weg und seinem Wirken, bekannt. Er hat ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist. Er, der nicht als machtvoller Herrscher in Jerusalem eingeritten ist, sondern einfach und bescheiden auf einem Esel, ist jetzt an der Seite Gottes. Vor ihm sollen sich die Knie beugen, nicht vor den Gewaltigen auf dieser Erde, die die Unterwerfung der Menschen fordern. Und es gibt immer wieder solche vermeintlichen Götter, solche vermeintlichen Mächte – dazu kann auch das Geld gehören, das fast wie göttlich angebetet wird, dazu kann eine Ideologie gehören wie der Nationalsozialismus, dazu kann der Erfolg gehören, dem alles geopfert wird, dazu kann nicht zuletzt die egoistische Ausbeutung der Schätze der Erde gehören.

Eine solche Ideologie ist gegenwärtig auch die Lehre von der sogenannten „Russischen Welt“, die aus Russland vermeintlich der westlichen Welt, die als böse eingestuft wird, das Heil bringen soll. Mit ihr wird der russische Angriffskrieg auf die Ukraine gerechtfertigt. Sie wird sogar religiös begründet und vom russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. gestützt. Was wenig bekannt ist, ist, dass sich weltweit orthodoxe Theologen dagegen gewandt haben. Sie haben erklärt:

„Deshalb lehnen wir die Irrlehre von der ‚Russischen Welt‘ und die schändlichen Handlungen der russischen Regierung, die mit Duldung der russisch-orthodoxen Kirche einen Krieg gegen die Ukraine entfesselt hat, der sich aus dieser abscheulichen und unhaltbaren Lehre ergibt, als zutiefst unorthodox, unchristlich und gegen die Menschheit gerichtet ab.“[2]

In Jesu Namen Gott die Ehre geben bedeutet: gemeinsam den Weg der Liebe Jesu Christi gehen: die Menschheit als eine Familie verstehen, Grenzen überwinden, Einstehen füreinander und besonders für die, die diese Liebe besonders brauchen – und dabei an das Wort Jesu denken: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüder und Schwestern, das habt ihr mir getan!“


Prof. em. Dr. Johannes Lähnemann, Goslar, johannes@laehnemann.de

Johannes Lähnemann (geb. 1941) hatte von 1981-2007 den Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Ev. Religionsunterrichts an der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Er lebt im Ruhestand in Goslar. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Interreligiöser Dialog, Interreligiöses Lernen, Religionen und Friedenserziehung. Er ist Mitglied der internationalen Kommission Interreligious Education der Bewegung Religions for Peace (RfP) und im wissenschaftlichen Beirat von Religionen für den Frieden Deutschland.

Seine Autobiografie ist erschienen unter dem Titel „Lernen in der Begegnung. Ein Leben auf dem Weg zur Interreligiosität.“ Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2017.

Die Predigt wird in der St. Johannes-Kirche in Goslar-Ohlhof gehalten.

Liedempfehlungen: EG 391: Jesu geh voran; EG. Ergänzungsheft 25: Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun; EG 619 (Ausgabe Niedersachsen)/657 (Ausgabe Bayern): Damit aus Fremden Freunde werden; EG 425: Gib uns Frieden jeden Tag

[1] D. Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Tb.-Ausgabe München 1964, S. 74.

[2] https://publicorthodoxy.org/a-declaration-on-the-russian-world-russkii-mir-teaching/

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