Philipper 2,5-11

Philipper 2,5-11

Widerstehen gehört sich | Palmarum | 24.03.2024 | Phil 2,5-11 | Rudolf Rengstorf |

Liebe Leserin, lieber Leser!

Seid so unter euch gesinnt – so beginnt der Predigttext – wie es sich für die Gemeinde Jesu Christi gehört. Offenbar bestanden Zweifel daran, dass die Leute in Philippi wie eine christliche Gemeinde dachten und handelten. Zweifel, die Christen bis heute auch bei uns häufig zu hören bekommen. Gerade kürzlich sagte mir ein Paar: Was uns hindert, zur Kirche zu gehen und zur Kirche zu gehören – das ist nicht der Glaube an Gott und an Christus; es ist noch nicht einmal die Kirchensteuer. Was uns hindert, sind die Menschen, die sich nicht richten nach dem, was sie da predigen und hören. Und diese Kritiker wären bestimmt froh über den Anfang dieses Paulustextes. Endlich wird es denen mal richtig gegeben, höre ich sie triumphieren.

Doch schon fällt Paulus sich selbst ins Wort. Statt dass er seinen Lesern mal ordentlich die Leviten liest und sagt, was sie alles falsch machen, stimmt er ein Lied an; ein Lied, das sich ganz auf Christus konzentriert und bei dem bleibt, was er uns zugutegetan hat. Leider kennen wir die Melodie dieses Liedes nicht. Aber der Rhythmus im ursprünglich griechischen Text zeigt: Paulus nimmt hier ein Lied auf, das in der Gemeinde bekannt war. Und das ist inzwischen auch unter den biblischen Liedern in unserem Gesangbuch zu finden. Und zwar unter der Nummer 760 – hinten nach den Psalmen, den Liedern Israels, die wir, wenn schon nicht singen, so doch im Wechsel sprechen.

Seid so unter euch gesinnt,

wie es der Gemeinschaft in Christus Jesus entspricht:

        Er, der in göttlicher Gestalt war,

       hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 

sondern entäußerte sich selbst

und nahm Knechtsgestalt an,

       ward den Menschen gleich

       und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 

Er erniedrigte sich selbst

und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.

       Darum hat ihn auch Gott erhöht

       und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 

dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,

die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,

         Jesus Christus der und alle Zungen bekennen sollen,

        dass Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. 

 Nach der Eingangsmahnung folgen 7 kurze Strophen, in denen allein von Christus die Rede ist. Und zwar von einem Jesus, der im Anfang und erst recht am Ende nicht der ist, den wir so gerne Bruder nennen. Nein, ein Jesus, der uns Menschen himmelhoch überlegen ist. Der immer schon mit Gott auf einer Stufe stand. Davon erzählt ja auch das Evangelium von seinem Einzug in Jerusalem, das dem Sonntag Palmarum seinen Namen gegeben hat. Die Menschen wären in Jerusalem doch nicht jubelnd auf die Straße gegangen, wenn da einer gekommen wäre wie du und ich. „Gelobt sei, der da kommt im Namen – und das heißt in der Vollmacht – des Herrn“ sangen die  Menschen beim Einzug Jesu. Übermenschliche Fähigkeiten hat man in ihm gesehen. Den Messias hat man erwartet. Den Mann Gottes, der die römische Besatzungsmacht aus dem Lande jagt. Der jedermann zu seinem Recht verhilft. Gruppenegoismen und Parteiengezänk ein Ende macht, Gottes Willen überall zur Geltung bringt, sodass auch die Heiden sich zu ihm bekehren. Er muss also etwas gehabt haben, was Menschen unwiderstehlich in seinen Bann gezogen hat. Und so wird in den Evangelien immer wieder von der Vollmacht erzählt, mit der er geredet und gehandelt hat. Die Grenzen und Sachzwänge, die unserem guten Willen in die Quere kommen – für ihn haben sie offenbar nicht gegolten.

Er hielt sich aber nicht dran fest, sah in seinen himmlischen Gaben nicht ein gefundenes Fressen, um den göttlichen Superstar spielen zu können. Als Messias hat er sich nie bezeichnet, des Menschen Sohn wollte er sein. Nicht mit Glanz und Gloria ist er in die Hauptstadt eingezogen. Auf einem Esel, dem Reittier des kleinen Mannes, kam er daher, einem Reittier, das nicht stolz daherprescht und ihn über andere herausragen ließ. Mit dem Esel ging es nur langsam und stockend voran. Hier erscheint Jesus wirklich in der Gestalt und im Geschick des Durchschnittsmenschen, dem immer wieder etwas in die Quere kommt und der nur schrittweise vorankommt.

Doch der Weg Jesu geht noch weiter nach unten. Er bleibt nicht stehen dabei, Mensch zu sein wie wir oder auch bedeutsam wie Mohammed oder Buddha. Ihn als Religionsstifter zu bezeichnen, ist daneben, denn er wandelte nicht auf den Höhen von Religion und Kultur. Dazu stieg er aus freien Stücken zu tief hinab, lieferte sich den Mächtigen aus wie ein Knecht, wie ein Sklave. Als solcher gehörte er in die unterste Schublade, die unterste soziale Schicht. Nach dem Verständnis der Oberschicht waren Sklaven gar keine richtigen Menschen, sondern wie der griechische Philosoph Aristoteles es ausdrückte, ein Besitzstück mit Seele. Jesus tut das aus Gehorsam. Auch andere Menschen – gerade in unseren Tagen – sind zum Selbstopfer aus Gehorsam bereit. Doch der Gehorsam Jesu war nicht gegen andere gerichtet, die er mit in den Tod riss. Sein Gehorsam brachte den lebendigen Gott zu den Menschen, die ihn lange verloren und aufgegeben hatten. Sein Gehorsam zeigt, dass Gott nicht sein will ohne die hoffnungslosen Fälle, nicht sein will ohne die Opfer, nicht sein will ohne die zur Hölle Fahrenden.

Und weil Christus einer von ihnen geworden ist – dürfen Christen nicht die Augen verschließen und sich vorbeidrücken an Benachteiligten und Entwürdigten – und mögen die noch so sehr selber schuld sein. Von Jesus bekommen sie ihre gottgegebene Würde unwiderruflich zurück. Sie dürfen nicht länger als Abschaum oder wie Ware angesehen und behandelt werden, weil der Christus gehorsam war bis zum Tode, ja bis zum Tod am Kreuz, dem Foltertod für Sklaven.

„Darum hat ihn auch Gott erhöht, dass alle Zungen bekennen sollen: dass Jesus Christus der Herr ist.“ Solche Worte waren damals eine politische Provokation ohne gleichen. Dem Gekreuzigten, dem Entsorgten wurde mit der Benennung Kyrios, Herr, der Titel des Kaisers beigelegt, Der Caesar in Rom hat sich als Herr der Welt so nennen lassen. Wenn der Gekreuzigte – das Opfer – der Herr ist, dann haben die Herren der Welt ausgespielt. Und das ist auch heute noch eine unerhörte Provokation. Denn unsere Zeit übt wie keine vor ihr den Kniefall vor dem großen Geld, vor wirtschaftlicher und politischer Macht und vor dem sichtbaren Erfolg. Und Kirche hat sich – wie man meint – aus diesen Dingen herauszuhalten und sich auf die Innerlichkeit und natürlich die Nächstenliebe zu beschränken. Doch wo Jesus der Herr ist über alle Herren, da wird seiner Kirche zugemutet, nicht in die Knie zu gehen vor dem Mammon, der sich an die Stelle Gottes gesetzt hat und alle Lebensbereiche nur noch nach wirtschaftlichem Kalkül formen will. Das letzte Wort aber hat er nicht. Denn die eigentliche Herrschaft hat schon jetzt der erhöhte Jesus. Dieser scheinbar Ohnmächtige hat sich bisher immer stärker erwiesen als alle seine Widersacher. Seine Lebenskraft stellt er unter Beweis, wo immer den Gesetzen des Marktes Menschlichkeit und Solidarität mit den Benachteiligten geübt wird. Und Gott wird dafür sorgen, dass das Bekenntnis zu ihm nicht verstummt. Allen Widerständen zum Trotz wird es am Ende zu einem gewaltigen Chor anschwellen, in den alle Kreatur einstimmt.

Wer diesem Ziel entgegensieht, der wird frei sein in seinem Denken und Tun. Er wird es wagen zu widersprechen und nicht zu kuschen. Er wird Zivilcourage zeigen und ein bisschen Kühnheit im Alltag. Und er wird seine Straße nicht mit gesenktem, sondern mit erhobenem Haupt ziehen. Das ist die Gesinnung, die sich in der Gemeinde Jesu gehört. Amen.


Rudolf Rengstorf

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