Predigt am Ostersonntag 2021

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Predigt am Ostersonntag 2021

Predigt am Ostersonntag, 4. April 2021, in der Dreieinigkeitskirche Schweinfurt | von Rainer Oechslen |

Am Ostersonntag legt uns die Kirche die Geschichte vom Durchzug der Israeliten durch das Schilfmeer vor. Ich lese einige Verse aus dieser Geschichte im 2. Buch Mose, Kapitel 13 und 14.

Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen und sie könnten wieder nach Ägypten umkehren. Darum ließ er das Volk einen Umweg machen, den Weg durch die Wüste zum Schilfmeer.

Und der HERR verstockte das Herz des Pharao, des Königs von Ägypten, dass er den Israeliten nachjagte. Aber die Israeliten waren mit erhobener Hand ausgezogen. Und die Ägypter jagten ihnen nach, alle Rosse und Wagen des Pharao und seine Reiter und das ganze Heer des Pharao, und sie holten sie ein, als sie am Meer bei Pi-Hahirot vor Baal-Zefon lagerten.

Da erhob sich der Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, und stellte sich hinter sie. Und die Wolkensäule vor ihnen erhob sich und trat hinter sie und kam zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels. Und dort war die Wolke finster und hier erleuchtete sie die Nacht, und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher. Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der Herr zurückweichen durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und machte das Meer trocken und die Wasser teilten sich. Und die Israeliten gingen hinein mitten ins Meer auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken. Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen nach, alle Rosse des Pharao, seine Wagen und Reiter, mitten ins Meer.

Exodus 13,17-18a+14,8-9+19-23

Liebe Schwestern und Brüder,

einen Durchzug feiern wir heute, einen glücklichen Durchgang durch Gefahr und Angst und Tod.

„Unsere Geschichte handelt von dem Gang des Glaubens aller Zeiten, von einer Reise, die immer wieder von Menschen unternommen werden muss, sie handelt von dem Weg, der aus Ägypten in die Freiheit führt. Es ist ein langer Weg, und er führt durch eine unwirtliche Gegend.

Erst braucht es ein Weilchen, bis man den ersten Schritt wagt, dann dauert es einige Zeit, bis man endlich seine Bestimmung gefunden hat. Man verhandelt mit dem Pharao, denn man kann ja nicht einfach so verschwinden. Und will man es denn überhaupt? Man fragt brav um Erlaubnis, doch man bekommt sie natürlich nicht. Die Last des Lebens wird immer schwerer, doch die Angst lähmt. Man weiß, was man hat; doch man weiß nicht, was man bekommen wird …

Endlich kann man gehen. Erleichtert atmet man auf, und mit dankbarem Herzen reist man dahin, entlang den Wegen des Herrn. Endlich vom Pharao erlöst, ist es wie eine Gnade Gottes. Man fühlt sich getragen. Eine Wolkensäule leitet des Tags, eine Feuersäule des Nachts.

Bis man eine fürchterliche Entdeckung macht. Denn man ist den Pharao und seine Helfershelfer nicht los! Sie geben keine Ruhe, sie setzen zur Verfolgung an. Kaum hat man die ersten Schritte in die Steppe gewagt, da finden sie einen schon. Sie wollen einen mit aller Gewalt zurück.“ (Nico ter Linden) „Und die Ägypter jagten ihnen nach, alle Rosse und Wagen des Pharao und seiner Reiter und das ganze Heer des Pharao, und holten sie ein, als sie am Meer lagerten.“

Einen Durchzug feiern wir heute, einen glücklichen Durchgang durch Gefahr und Angst und Tod.

Hinter den Israeliten liegt die Wüste und vor ihnen auch. Aber dazwischen geschieht das Wunder des Durchgangs, des Durchzugs durch das Meer, das Wunder, dass die Israeliten der Verfolgung entrinnen.

Die Wüste hinter den Israeliten, das ist die Sklaverei, die Ausbeutung, die Knute der Aufseher. Und dann die ersten Schritte in die Freiheit. Das erste Stück Weg ohne die Sicherheit der gefüllten Lagerhäuser in Ägypten, das erste Stück Weg ohne Befehlston. ohne scharfe Kommandos, das erste Stück Weg von Brunnen zu Brunnen, von Rastplatz zu Rastplatz.

Die Wüste vor den Israeliten – das wird ein Weg von vierzig Jahren werden. Da wird einmal das Essen knapp werden, ein anderes Mal das Wasser. Dann wird Gott das Manna schicken, eine Speise, die schmeckt „wie Semmel mit Honig“ (16,31) – und nach einiger Zeit werden die Israeliten auch dieser Speise überdrüssig werden. Giftige Schlangen wird es geben und Aufstände im Lager der Israeliten.

Und doch wird der zweite, der lange Weg durch die Wüste ein anderer Weg sein als der erste. Denn zwischen dem ersten Weg und dem zweiten geschah die Rettung, der Durchzug durchs Schilfmeer. Danach ist die Wüste immer noch Wüste, Hunger ist immer noch Hunger und Durst immer noch Durst. Aber die Verfolger sind verschwunden, spurlos. Der Weg der Israeliten, mag er auch noch so lang sein, ist nun ein Weg in die Freiheit. Sie haben nun den Wind im Rücken, den Osterwind. Denn es ist Ostern, was die Israeliten am Schilfmeer erlebt haben, ihre Rettung aus dem Tod. Pessach werden die Juden von nun an feiern, auch in der Wüste. Pessach – Luther übersetzt: „der Juden Ostern“ (Johannes 2,13). Die schönste Übersetzung aber ist für mich die englische: Pessach heißt auf Englisch: „passover“ – Durchzug, Durchgang, vorbei an der Angst, vorbei am Untergang, hinaus in die Freiheit, hinaus ins Leben.

Mit unserem Ostern, mit der Auferstehung unseres Herrn, geht es genauso. Da gibt es zwei Wege, einen Hinweg und einen Rückweg.  Weg eins – das ist der Weg zum Grab. „Es ist der Weg des Menschen, der eine Ahnung von der Wirklichkeit, der Gegenwart Gotts über seinem Leben hat, und der dringlich mit dieser Ahnung zu leben wünscht, und der sich doch im Innersten darauf eingelassen hat, dass diese dreißig, fünfzig, achtzig Jahre das Ganze sind.“ (Albrecht Goes) Weg zwei – das ist der Rückweg vom Grab, der Weg ins Leben. Der mag immer noch voll Mühe sein. Und immer noch müssen wir sterben auf diesem Weg. Aber zwischen Weg eins und Weg zwei ist etwas geschehen, ein Ereignis, das wir nie wirklich begreifen werden, ein Wunder, das niemand von uns nehmen kann. An jedem Grab hören wir nun, dass dieses Grab nur vorläufig ist, nur ein Durchgang, nur eine Station auf dem Weg. Und wenn unser Herz betrübt ist und wenn wir nicht begreifen können, was das heißen soll „Auferstehung“, dann hören wir immer noch die Stimme, die es uns vorsingt: „Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben.“ (EG 115,6)

Einen Durchzug feiern wir heute, einen glücklichen Durchgang durch Gefahr und Angst und Tod.

Alles Leben auf dieser Erde kommt aus dem Wasser, so haben wir es gelernt in der Biologiestunde. Es ist wahr: Wasser ist Leben. Und doch hat das Wasser auch unheimliche Macht. Fluten, Überschwemmungen können das Leben bedrohen. Nicht umsonst heißt es im Psalm: „Es gingen Wasser allzu hoch über unsere Seele.“ (Psalm 124,4) Auch am Schilfmeer ist das Wasser unheimlich. Die Verfolger sind darin versunken. Für die Israeliten aber werden die Wogen des Meeres zur Rettung.

Begonnen hat die Geschichte mit einem „Kästlein aus Rohr“, in das eine Frau ihr Kind legte und es „setzte in das Schilf am Ufer des Nils“ (2,3-4). Sie wollte ihr Kind retten vor mörderischen Befehlen. Es hätte ertrinken können. Die Tochter des Pharao aber kam und ließ das Kästchen holen. Sie hat das Kind gerettet. Den Buben nannte sie Mose, „denn sie sprach: Ich habe ihn aus dem Wasser gezogen“ (2,10).

Nun ist wieder von Schilf und Wasser die Rede. Diesmal aber wird ein ganzes Volk „aus dem Wasser gezogen“.  Es ist durch Enge und Angst gegangen – „Ströme gingen über seine Seele“ (Psalm 124,4). Doch es wurde neu geboren aus dem Wasser – geboren zum Leben.

Seit ältester Zeit haben Christen sich und ihre Erfahrungen in der Geschichte des Volkes Israel wiedergefunden. Das Wasser des Schilfmeeres wurde zum Wasser der Taufe. Man versteht das leichter, wenn man weiß, dass die Menschen bei der Taufe ganz untergetaucht wurden – und in vielen Kirchen heute noch untergetaucht werden. Bis heute betet die katholische Kirche in der Osternacht: „Gott, deine uralten Wunder leuchten noch in unseren Tagen. Was einst dein mächtiger Arm an einem Volk getan hat, das tust du jetzt an allen Völkern: Einst hast du Israel aus der Knechtschaft des Pharao befreit und durch die Fluten des Meeres geführt; nun aber führst du alle Völker durch das Wasser der Taufe zur Freiheit.“

Auch dieses Gebet könnte man missverstehen – so als ob alle Menschen getauft werden müssten, damit sie den Weg in die Freiheit finden. Ich verstehe es anders: Gott hat sein Volk in der Nacht am Schilfmeer auf den Weg in die Freiheit geführt. Durch unsere Taufe sind auch wir Christen Weggenossen der Freiheit geworden. Heute bitten wir Gott, dass durch uns das das Licht der Freiheit in die dunklen Ecken dieser Welt leuchten möge, in die Gefängnisse und Lager, in all die Länder, da den Menschen alle Freiheit geraubt wird. Für unzählige Menschen auf dieser Erde muss ihre Ostergeschichte erst noch beginnen.

Einen Durchzug feiern wir heute, einen glücklichen Durchgang durch Gefahr und Angst und Tod.

Unser Osterweg ist noch nicht zu Ende. Noch ist die Seuche nicht vorüber, noch warten wir darauf, dass wir unsere Lieben wieder in die Arme schließen dürfen. Noch müssen wir sterben, wenn unsere Stunde kommt. Noch ächzen viele Menschen auf dieser Erde unter einem Joch, das ebenso schlimm ist wie das Joch der Israeliten in Ägypten – oder noch schlimmer.

Doch das Wunder am Schilfmeer ist geschehen. Unser Herr ist auferstanden. Der Weg in die Freiheit hat begonnen. Durch alle Bedrängnisse, die noch auf uns warten, wird unser Herr uns hindurchreißen.

Wie hat Paul Gerhardt es uns vorgesungen?

„Ich hang und bleib auch hangen

an Christus als ein Glied;

wo mein Haupt durch ist gangen,

da nimmt er mich auch mit.

Er reißet durch den Tod,

durch Welt, durch Sünd und Not,

er reißet durch die Höll,

ich bin stets sein Gesell.“ (EG 112,6)

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

de_DEDeutsch