Predigt über Johannes 3,1-8

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Predigt über Johannes 3,1-8

Trinitatis und die ganz andere Lebenswirklichkeit Gottes. | Predigt über Joh 3,1-8 am Sonntag Trinitatis den 30.05.2021 | von Andreas Pawlas |

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, einer von den Oberen der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist. Liebe Gemeinde!

Liebe Gemeinde!

Wenn man ein Fest feiern will, dann muss man doch wissen warum. Das ist doch ganz banal. Und heute, da feiern wir das Fest der Hl. Dreieinigkeit – aber wissen wir eigentlich wirklich warum?

Es scheint alles sehr kompliziert zu sein. Nein, kompliziert ist gar nicht der richtige Ausdruck. Denn vielmehr erscheint alles, was in der christlichen Tradition über die Dreieinigkeit von Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligem Geist gesagt wird, für viele kluge Leute auf dieser Welt damals wie heute und genauso für Juden oder Muslime völlig absurd oder anstößig. Das ist der gegenwärtige Stand der Diskussion.

Und genauso unbegreiflich und verworren scheint es auch in dieser Szene zu gehen, in die uns dieses Gotteswort hineinzieht, also in diesem Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus. Allein, wie dieses Gespräch beginnt! Denn da fragt der eine zunächst überhaupt nichts, und dann scheint der andere ohne Beziehung auf das Gesagte zu antworten. Was ist das für ein Austausch?! Aber vielleicht klingt das nur für uns heutige so merkwürdig. Warum?

Weil es doch ein Gespräch unter Fachleuten ist: Denn Nikodemus, dieser „Obere der Juden“, der nennt Jesus einen Lehrer, also nach heutigem Verständnis einen Weisen. Und Nikodemus selbst wird an anderer Stelle (Joh 3,10) von Jesus ebenfalls als Lehrer Israels bezeichnet. Und womit beschäftigen sich nun tagaus tagein die hochgeschätzten Lehrer des Volkes? Doch mit der Zukunft und der Hoffnung des Volkes, eben mit dem Reich Gottes.

Oh nein, das darf nicht mit irgendeiner religiös abgehobenen Spekulation verwechselt werden, sondern es geht ganz konkret um die Frage nach den Lebensmöglichkeiten in jenem besetzten, gedemütigten und hoffnungslos gewordenen Landstrich im östlichen Mittelmeer, diesem Spielball politischer Regionalinteressen. Es geht ganz konkret um die Vision für die jetzt als Knechte von den Römern niedergedrückten Menschen, die sich doch vielleicht noch erinnern, dass es irgendwann für sie einmal eine Verheißung als Gottes auserwähltes Volk gab, mit David und seinen Nachkommen an der Spitze. Es geht also ganz konkret darum, wer denn nun wann endlich, endlich als bevollmächtigter Führer das Heft ergreift und dem Volk wieder Macht und Perspektive gibt, wie damals zu Davids Zeiten. Ja, es sind diese ganz konkreten Fragen, die damals die Lehrer Israels bewegten.

Und wie bezieht Jesus da Position? Da sagt er doch mit einem Male irgendetwas über Wiedergeburt und Geist! Aber was sollte das denn mit den alle bewegenden Fragen zu tun haben?

Oder kann etwa die Frage nach dem Wiedergeborenwerden, nach der Seelenwanderung, dennoch eine Lösung für alle aktuellen und vorangegangenen Probleme sein? Wenn die Gegenwart zu schlimm ist, dann warte ich eben die nächste Wiedergeburt ab und dann wird alles besser. Oder wenn ich in der Gegenwart üble Dinge getan habe, dann war es eben nicht ich, sondern nur der schlimme alte Raubritter, der in mir nun mal so wiedergeboren ist. Was wäre das entlastend – für mich und für viele andere!

Sicherlich kannte Nikodemus als erfahrener Lehrer im alten Gottesvolk solche Überlegungen – und auch ihre Probleme. Denn wenn man sich so mit Seelenwanderung aus der Gegenwart verabschiedet, dann ist es aus mit dem, was Volk heißt. Dann ist die Zukunft des Volkes als Volk verloren. Aber vor allem ist dann die eigene Gegenwart verloren.

Aber wäre das nicht gerade gut? Denn wie häufig ist unsere Gegenwart übel geprägt durch Krankheit und Demütigung, Enttäuschungen und Sorgen, Hoffnungslosigkeit und Leere! Wäre es da nicht perfekt, dem allen durch Seelenwanderung, durch Wiedergeburt in bessere Welten zu entfliehen zu können? Ein Druck auf den „Exit-Knopf“ und wir sind heraus aus dem Spiel? So läuft das doch in unseren Computer-Spielen.

Und Jesus? Was macht denn nun eigentlich Jesus angesichts unserer Leiden, Sehnsüchte und Erwartungen? Jesus lässt sich eben nicht auf solche von uns ausgedachten Spiele ein. Nein, er lässt sich nicht in so einer Art Wunscherfüllungs-Game in unser Wohnzimmer stellen oder in die Staatskanzlei von Nikodemus. Nein, Jesus macht unser Denken nicht mit. Aber er macht etwas ganz anderes. Etwas ganz Entscheidendes! Was denn?

Er zerreißt einen Vorhang vor unseren Blicken: Denn Gottes Wirklichkeit ist ganz anders als unsere Gedankenwelt. Und sie betrifft uns nicht erst irgendwann am Ende unseres Lebens oder nach irgendeinem von Wiedergeburtsfanatikern möglicherweise errechneten hunderttausendsten Leben, sondern Gottes Wirklichkeit will uns in ihrer geistlichen Andersartigkeit schon jetzt und hier in unserem gegenwärtigen Gottesdienst berühren.

Allerdings heißt das gleichzeitig auch etwas anderes, nämlich dass unser normales Alltagsdenken und Fühlen, das die Bibel immer wieder als „Fleisch“ bezeichnet, diese andere Wirklichkeit Gottes nicht wirklich erkennen kann, ebenso wenig wie etwa ein Regenwurm etwas vom Flug der Schmetterlinge wissen kann. Denn was Fleisch ist, das bleibt Fleisch, alles was Alltagsdenken ist, das bleibt Alltagsdenken und das muss auch wie alles Fleisch vergehen. Aber alles, was aus Gottes ganz anderer Lebenswelt kommt, alles was Geist ist und aus Gottes Geist geboren ist, das lebt und bleibt in Ewigkeit.

So hat es Gott geordnet, ob wir das wollen oder nicht, und egal ob von klugen Leuten oder anderen Religionen etwas anderes gesagt wird. Und auch egal, was es dazu für Computerspiele gibt. Das Alltagsdenken des Fleisches und der vergänglichen Welt das kann eben nur so etwas wie das Sausen des Windes, das Sausen des Geistes hören. Es kann aber nicht begreifen, woher er kommt und wohin er fährt.

Das soll es nun nicht geben, dass zwei Wirklichkeiten so aneinanderstoßen und ein nüchterner Mensch das nicht begreift? Doch, das passiert andauernd. Hier einmal ein einfaches weltliches Beispiel:

Da sitzen zwei Konfirmanden im Klassenzimmer im Parterre bei offenem Fenster: Lukas und Marcel. Es ist Pause, es ist Sommer und ein Radio dudelt. Dabei hören beide von einer Sängerin gesungen den altbekannten Satz „Ich liebe Dich“! Und der Satz geht den beiden in das eine Ohr hinein und aus dem anderen wieder hinaus.

Aber da erscheint plötzlich draußen vorm Fenster und so, dass nur Lukas es sehen kann, seine schon lange verehrte Mitkonfirmandin Marit, und die singt ihm leise genau diesen Satz zu, den er und Marcel so nebenbei im Radio hören: Ich liebe Dich“!

Jeder kann sich vorstellen, wie der Lukas fast durchdreht! Wie es ihn nicht mehr auf seinem Sitz hält. Und was macht da Marcel, der um diese Liebe nicht weiß? Der kann das alles gar nicht begreifen. Aber offenkundig stoßen da unübersehbar in diesem ganz innerweltlichen Beispiel zwei Wirklichkeiten aneinander.

Wie viel mehr muss es im Gegenüber von unserer Alltagswelt und Gottes ganz anderer Wirklichkeit zu Unverständnis kommen, wo niemand etwas erkennen und erfahren kann, der nicht aus dem Geiste Gottes wiedergeboren ist!

Ja, und wozu gehören wir nun? Gehören wir zu denen, die es wie dieser Lukas am Fenster nicht mehr auf dem Sitz hält? Gehören wir zu denen, die Gottes Geist so berührt und bewegt hat, dass sie darüber ganz erfüllt und dankbar sind, dass sie nun aus der Liebe Gottes leben dürfen jetzt und ewig? Die darum singen und tanzen mögen und die ganze Welt umarmen und darum Gott preisen als Vater, Sohn und Heiligen Geist zum Fest der Heiligen Dreieinigkeit?

Oder gehören wir zu solchen Menschen wie Nikodemus, die fragend und suchend zu Jesus kommen, mit manchen Schmerzen und Enttäuschungen, mit Sorge und Trauer? Und die nur irgendwie etwas vage verspürt haben, in denen sich aber ein Keim von Hoffnung rührt.

Natürlich ist es von unseren Alltagserfahrungen her völlig unverständlich, warum man ausgerechnet zu diesem Jesus kommen sollte. Aber beobachten kann doch jedermann, dass es in dieser unserer Welt Menschen gibt, die anders sind, die offensichtlich von einer anderen Hoffnung leben als jedermann, Menschen, in denen das ganz andere Reich Gottes schon seine ersten Spuren hinterlassen hat.

Nein, das sind keine besonders mutigen, oder besonders erfolgreichen oder besonders gesunde Menschen. Es sind Menschen wie Du und ich. Es sind Zeugen Jesu Christi, weil sie ihre Lebensfreude und ihr Lebensleid geistlich erfahren, fest halten in der ganz anderen Lebenswirklichkeit Gottes, Menschen, die sich deshalb von Gott reich beschenkt wissen und darum gern für ihren Nächsten da sind.

Es sind Menschen, die ernst machen mit ihrer in der Taufe, also der durch Wasser und Geist verbürgten Zugehörigkeit zum Lebensraum Gottes. Es sind Menschen, die leben und sterben in der Gewissheit, durch Gott, den Vater, geschaffen, durch Gott den Sohn erlöst zu sein, und von Gottes Geist geführt, gereinigt und vollendet zu werden.

Ja, aber noch einmal, was ist mit uns? Bleiben wir nun wie Nikodemus nur mit offenem Munde stehen? Oder packt uns übermächtig die Sehnsucht, genauso wie die anderen Zeugen Jesu Christi endlich genau so von Gottes Geist erfüllt, geheilt und getröstet zu werden, endlich in Gottes ganz anderem Lebensraum fest und unverlierbar gehalten und getragen zu werden?

Aber wenn uns so übermächtig diese Sehnsucht packt und wir dann tatsächlich die Hände falten und unseren Gott von Herzen bitten, dann will er ganz bestimmt unser Bitten erhören. Vielleicht nicht immer so, wie wir es uns ausmalen, aber bestimmt so, wie es am besten für uns ist.

Überhaupt, dass wir überhaupt so beten können, das ist doch bereits ein Zeichen dafür, dass Gottes guter Geist uns erfüllen und verwandeln und neu machen will! Dann brauchen wir nur noch fest und begeistert darauf vertrauen, dass Gott das auch so tun will, was er uns an Trost und Erlösung durch Jesus Christus versprochen hat. Und dann gehören wir bereits zu Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist jetzt und in Ewigkeit. Gott sei Dank.

Amen.

Pastor i. R. Prof. Dr. Andreas Pawlas

Eichenweg 24

25365 Kl. Offenseth-Sparrieshoop

Andreas.Pawlas@web.de

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