Predigt zu 1. Korinther 14,1–12

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Predigt zu 1. Korinther 14,1–12

Integrativ charismatisch – charismatisch integrativ | 2. Sonntag nach Trinitatis | 13. Juni 2021 | Predigt zu 1. Korinther 14,1–12.23–25 | verfasst von Paul Wellauer |

Lesung Altes Testament | Joel 3,1-5 | Ankündigung zur Ausgiessung des Geistes | Zürcher Bibel, 2007*)

1 Und danach werde ich meinen Geist ausgiessen über alles Fleisch, und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, eure Alten werden Träume, eure jungen Männer werden Schauungen haben. 2 Und auch über die Diener und die Dienerinnen giesse ich in jenen Tagen meinen Geist aus. 3 Und ich werde Wunderzeichen wirken am Himmel und auf der Erde: Blut und Feuer und Rauchsäulen. 4 Die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut, bevor der Tag des HERRN kommt, der grosse und furchtbare. 5 Jeder aber, der den Namen des HERRN anruft, wird gerettet, denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Rettung sein, wie der HERR es gesagt hat, und bei den Entronnenen, die der HERR ruft.

 

Psalmgebet Psalm 13 | Hilferuf eines Angefochtenen| Luther 2017**) | 1 Ein Psalm Davids, vorzusingen

I    2 HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?

II   3 Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?

I    4 Schaue doch und erhöre mich, HERR, mein Gott! Erleuchte meine Augen, dass ich nicht im Tode entschlafe,

II   5 dass nicht mein Feind sich rühme, er sei meiner mächtig geworden, und meine Widersacher sich freuen, dass ich wanke.

I    6 Ich traue aber darauf, dass du so gnädig bist; mein Herz freut sich, dass du so gerne hilfst. Ich will dem HERRN singen, dass er so wohl an mir tut.

I+II Amen

 

Predigttext: 1. Korinther 14,1–12.23–25| Zürcher Bibel, 2007*)

Zungenrede und prophetisches Reden

1 Bleibt auf dem Weg der Liebe! Strebt nach den Geistesgaben, vor allem aber danach, prophetisch zu reden. 2 Wer in Zungen redet, spricht nicht zu Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn: Er redet im Geist von Geheimnissen. 3 Wer dagegen prophetisch redet, spricht zu Menschen: Er erbaut, ermutigt, tröstet. 4 Wer in Zungen redet, baut sich selbst auf; wer aber prophetisch redet, baut die Gemeinde auf. 5 Ich möchte, dass ihr alle in Zungen redet, vor allem aber möchte ich, dass ihr prophetisch redet. Wer prophetisch redet, ist grösser, als wer in Zungen redet, es sei denn, er übersetze es, damit der Gemeinde Erbauung zuteil werde. 6 Komme ich jetzt zu euch, liebe Brüder und Schwestern, und rede in Zungen, was nützt es euch, wenn ich nicht mit einer Offenbarung, einer Erkenntnis, einer Prophetie oder einer Lehre komme und zu euch rede? 7 Wenn die leblosen Instrumente, Flöte oder Leier, zwar Töne von sich geben, Töne aber, die sich nicht unterscheiden lassen, wie soll dann erkannt werden, was auf der Flöte oder auf der Leier gespielt wird? 8 Und wenn die Posaune ein undeutliches Signal gibt, wer wird sich dann zum Kampf bereitmachen? 9 So ist es auch mit euch: Wenn ihr mit eurer Zunge kein deutliches Wort hervorbringt, wie soll man da verstehen, wovon die Rede ist? Ihr werdet in den Wind reden. 10 Es gibt wer weiss wie viele Arten von Sprachen in der Welt, nichts ist ohne Sprache. 11 Wenn ich aber die Bedeutung eines Lautes nicht erkenne, werde ich für den, der spricht, ein Fremder sein, und der, der spricht, ein Fremder für mich. 12 So auch ihr: Wenn ihr schon um die Geistkräfte wetteifert, dann trachtet nach dem, was der Erbauung der Gemeinde dient, damit ihr alles im Überfluss habt.

23 Wenn nun die ganze Gemeinde zusammenkommt und alle in Zungen reden, es kommen aber Aussenstehende oder Ungläubige herein, werden sie dann nicht sagen: Ihr seid von Sinnen? 24 Wenn aber alle prophetisch reden und es kommt ein Ungläubiger oder Aussenstehender herein, dann wird er von allen ins Verhör genommen, von allen geprüft; 25 das Verborgene seines Herzens wird offenbar, und so fällt er auf sein Angesicht, wird zu Gott beten und bekennen: In der Tat, Gott ist in eurer Mitte.

Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach handelt. Amen

 

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern, verbunden durch Gottes Geist und Gnade,

 

normalerweise vermeide ich in meinen Predigten und Gottesdiensten Fremdwörter: Fremdwörter wirken rasch abgehoben, elitär (schon wieder ein Fremdwort!) und damit ausgrenzend. Fremdwörter wecken bei denen, die sie nicht auf Anhieb verstehen, Argwohn, Frustration oder Minderwertigkeitsgefühle. Bei den anderen, die sich darin sicher fühlen, können sie Hochmut, Besserwisserei und das falsche Gefühl auslösen, damit alles im Griff zu haben. Ein Fremdwort kann hilfreich sein, wenn es in einem kurzen Begriff einen komplizierten Sachverhalt zusammenfasst, eine Sache auf den Punkt bringt, für die man sonst viele Worte brauchen würde.

Es gibt wunderbare Fremdwörter, die so kraftvoll und konzentriert wirken wie ein Bouillonwürfel in einer Suppe: Würzig, nährend und stärkend. «Resilienz» ist eines meiner Lieblingsfremdwörter: Es beschreibt in einem Wort das vielschichtige Phänomen, dass einige Personen gerade in schwierigsten Herausforderungen über sich hinauswachsen, Kräfte und Möglichkeiten entwickeln, die gemessen am Umfeld unmöglich oder wenigstens unwahrscheinlich erscheinen.

Im Zusammenhang mit der Covid-19-Krise gibt es eine ganze Reihe von schillernden Fremdwörtern, die komplizierte Sachverhalte kurz und knapp beschreiben, aber dennoch viele Fragen offen lassen. Schon das Wort «Pandemie» ist ein umstrittener Begriff, «Herdenimmunität» und «Long-Covid» sind weitere.  Und eines der neuesten Fremdwörter im Zusammenhang mit Corona ist «Vakzin», das Fachwort für eine besondere Art von Impfstoffen. Und spätestens bei diesem Fremdwort gehen die Wogen hoch, wenn es ausgesprochen wird: Die einen wittern darin eine weltumfassende Verschwörung, andere sehen darin die Erlösung, welche unser Zusammenleben, unsere Wirtschaft und unsere Bewegungsfreiheit wieder normalisiert. Und wieder andere lässt es fragen: Was ist denn normal? Wie sieht die «neue Normalität» aus? Welche Wirkungen und Nebenwirkungen hat dieses Vakzin: Für den einzelnen geimpften Menschen, die Gesellschaft, unser Sicherheitsgefühl und Konsumverhalten, die Weltpolitik?

Stichwort Wirkungen und Nebenwirkungen: Jedes noch so gute Medikament hat neben den erwünschten Wirkungen auch weniger erwünschte Nebenwirkungen. Und was es noch komplizierter macht: Jeder Mensch reagiert anders darauf. Der menschliche Organismus ist ein so hochkomplexer Mechanismus, dass es immer nur Wahrscheinlichkeiten für dessen Heilkraft gibt und keine absoluten Sicherheiten, wenn wir ein Medikament einnehmen.

Wirkungen und Nebenwirkungen: Auch Fremdwörter haben meist diese zweifache Ausstrahlung. Sie können hilfreich, klärend, weiterführend, verbindend und aufbauend wirken, doch ebenso können sie verwirren, spalten, bremsen und Aggressionen auslösen. Unsere Herausforderung ist es, den Nutzen, die Wirkung immer neu zu entdecken und die Nebenwirkungen im Auge zu behalten und einzudämmen.

Paulus bringt zwei grosse Begriffe ins Spiel in seinem Brief an die Korinther, die für einige zunächst wohl wie Fremdwörter wirken und bis heute ähnlich gemischte Gefühle auslösen wie das Wort «Vakzin» in einer Diskussion über Covid-19:

«Glossolalie» und «Prophetie» sind die schillernden Worte, die Paulus den Korinthern zumutet. Ich fände es sehr interessant, eine kurze Umfrage zu diesen beiden Begriffen und den damit zusammenhängenden Themenfeldern in der heutigen Gottesdienstgemeinde durchzuführen: Ich kann mir vorstellen, die Reaktionen fallen ähnlich vielfältig und kontrovers aus wie zum Begriff «Corona-Vakzin.»

[Nehmen wir uns doch 1-2 Minuten Zeit und besprechen mit der Person neben uns, was uns zu diesen beiden Begriffen «Glossolalie» und «Prophetie» einfällt, beschäftigt, an Fragen bewegt! (Gesprächspause) Die Gespräche können gerne nach dem Gottesdienst weitergeführt werden, mit neuen Gedanken und Fragen.]

Wenden wir uns nun den beiden «fremden Wörtern» zu und suchen wir danach, wie sie unseren Glauben vertiefen, unsere Hoffnung erweitern und unsere Liebe stärken können, so dass aus den Fremdwörtern vertraute, hilfreiche und aufbauende Worte werden.

Prophetie ist den meisten von uns als Begriff wohl bekannt, insbesondere als Bezeichnung für die Tätigkeit einer langen Reihe von Personen im Alten Testament. Das Wort Prophet, zusammengesetzt aus dem griechischen Wort «Pro», das «vor» oder «für» bedeutet und dem Verb «phemi» [φημί], das «sagen» heisst, bezeichnet demnach eine Person, die für eine andere spricht. In der Bibel wird damit ein Mensch benannt, der im Auftrag und mit den Worten Gottes zu den Menschen spricht. Paulus geht davon aus, dass alle Christen in Korinth prophetisch reden können und sollen (Verse 5 und 24). Oder in anderen Worten: Wer im christlichen Glauben beheimatet ist, verfügt über die Möglichkeit, göttliche Botschaften zu empfangen, die für ihn, seine Mitmenschen und die christliche Gemeinde bedeutungsvoll sind.

Glossolalie ist ein Fachbegriff für das Phänomen der Zungenrede oder des Sprachengebets: Es wird gebildet aus den beiden griechischen Wörtern für reden, «lalein» [λαλεῖν] und Zunge oder Sprache «glossa» [γλῶσσα]. Auch hier ist es Paulus’ grosser Wunsch, dass alle diese Sprache pflegen, geniessen und nutzen (Vers 5): Eine Sprache, die durch Gottes Geist bewirkt im Gebet zu Gott gesprochen wird, dem Verstand nicht zugänglich ist, aber dennoch innerste Gedanken und Gefühle Gott gegenüber ausdrückt.

Beide Fähigkeiten werden von Paulus als Geistesgaben «Pneumatika» [πνευματικά] eingeführt, nach denen die Christen streben sollen (Verse 1.12).

Das griechische Wort «zeloute» [ζηλοῦτε], das in der Zürcher Bibel mit «strebt nach» und in der Lutherbibel mit «bemüht euch» übersetzt wird, beschreibt eine eifrige und leidenschaftliche Suche und Anstrengung, etwas zu erreichen. Es liegt Paulus viel daran, dass die Christen in Korinth ihre geistlichen Gaben entdecken, wecken und sie einsetzen. Und er stellt fest, dass es in ihren Reihen einen eigentlichen Wettkampf um die Geisteskräfte gibt (Vers 12).

Welche Wettkämpfe finden in unserer Gemeinde, unserer Kirche statt? Geht es da auch um geistliche Gaben und Kräfte oder um weit weltlichere Dinge? Paulus behandelt in seinem Brief auch weltliche Auseinandersetzungen in der Korinthergemeinde und erteilt Ratschläge zu deren Klärung. Ich persönlich würde mir wünschen, es gäbe neben weltlichen Rangeleien vermehrt geistliche Wettkämpfe in unserer Gemeinde und Kirche. Allerdings sollte es am Ende nicht Sieger und Verlierer geben wie in einem Einzelsport, sondern wir sollten als Kirchenteam gemeinsam Fortschritte feststellen können in unserer Teamleistung.

Leitfragen könnte hier sein: Wie entdecken, entwickeln und fördern wir gegenseitig unsere geistlichen Gaben? Wie entfalten sie im Gemeindeleben und in die Gesellschaft hinein die beste Wirkung?

Im 12. Kapitel des 1. Korintherbriefs beschreibt Paulus ausführlich eine Reihe von Geistesgaben. Dort werden sie auch mit dem bekannteren Wort «Charismata» [χαρίσματα] bezeichnet. Paulus betont, dass Gottes einer Heiliger Geist die Quelle für alle diese vielfältigen geistlichen Gaben ist und die Gaben einander ergänzen, unterstützen und zur vollen Wirkung verhelfen, so wie die einzelnen Körperteile an einem menschlichen Körper sich gegenseitig ergänzen und nur gemeinsam einen lebensfähigen Körper bilden. Und im 13. Kapitel beschreibt Paulus in wunderbaren poetischen Worten, was die Messgrösse für alle Geisteskräfte und jedes christliche Engagement darstellt: Die Liebe. Ohne Liebe sind auch die wunderbarsten Geistesgaben Schall und Rauch, ohne Wirkung und leer.

Auch die Ausführungen zu Prophetie und Glossolalie in unserem heutigen Predigttext führt er nochmals mit Nachdruck mit dem Hinweis auf die Liebe ein: «Bleibt auf dem Weg der Liebe!» (14,1a) All unser Nachdenken, Diskutieren, Üben und Bemühen rund um Prophetie und Glossolalie soll auf der Grundlage und mit dem Ziel der Liebe geschehen. Wie bei allen weiteren Geistesgaben steht auch hier die Frage am Anfang: Dient unser Streben und Bemühen der Liebe? Ist es aus Gottes Liebe genährt und fördert es die Liebe zu unseren Mitmenschen? Aus den Ausführungen von Paulus an die Korinther wird deutlich, dass diese Fragen schon damals immer neu gestellt werden mussten. Und wir tun gut daran, diese Frage immer und immer wieder zu stellen: Bewegen wir uns noch auf dem Weg der Liebe?

Im letzten Vers unseres Bibeltextes (Vers 25) nennt Paulus ein zweites Kriterium für die Wirkung der Geistesgaben in unseren Gottesdiensten und unserem Gemeindeleben: Menschen, die unsere Anlässe besuchen und ins Gespräch mit Christen kommen, sollen danach feststellen: «In der Tat, Gott ist in eurer Mitte.»

Diese beiden Kriterien umfassen unsere Bemühungen um die besonderen Geistesgaben von Sprachengebet und Prophetie wie eine Klammer: 1.) Bewegen wir uns in der Liebe? Und 2.) Erleben Menschen in unserer Gemeinschaft: «Gott ist mitten unter euch.»?

Wären wir als Gemeinde eine Sportmannschaft und Paulus unser Trainer oder Coach, würde er uns in der Kabine zurufen: «Kämpft für die Liebe! Zeigt denen da draussen: Gott ist mitten unter euch! Und nun auf in den Kampf, ins Ringen um Glossolalie und Prophetie!»

Zunächst ein paar Sätze zu den Gemeinsamkeiten: Beide Arten des Redens wirken geheimnisvoll und nicht alltäglich, in beiden wirkt Gottes Geist und beide Sprachformen wirken aufbauend.

Aber damit hat es sich mit den Überschneidungen und Ähnlichkeiten. Weit mehr fallen die Unterschiede ins Auge:

  • Wer in Zungen redet, spricht mit Gott, wer prophetische Aussagen macht, spricht zu den Menschen. (Verse 2-3)
  • Glossolalie baut den Einzelnen auf, Prophetie baut die Gemeinde auf (Vers 4).
  • Sprachengebet ist für die Mehrheit der Gemeinde unverständlich (Verse 6-11), prophetische Aussagen dagegen ermutigen, erbauen und trösten Menschen unmittelbar (Vers 3). Für die Zungenrede wäre eine Übersetzung nötig, damit neben dem Einzelnen auch die Gemeinde etwas davon hat.
  • Glossolalie kann neue Gottesdienstbesucher verwirren und verstören (Vers 23), prophetische Worte dagegen überführen und überzeugen den Gast und führen ihn zur Einsicht: «In der Tat, Gott ist in eurer Mitte.»

Paulus legt daher klare Regeln fest: Die Glossolalie soll im persönlichen Gebet gepflegt werden und in der Gemeinde nur, wenn jemand da ist, der das Unverständliche deuten und für alle Anwesenden verständlich machen kann. Er würdigt die wichtige Bedeutung des Sprachengebets für das Glaubensleben des Einzelnen und sagt über sich selbst: «Ich danke Gott, dass ich mehr als ihr alle in Zungen rede;», fügt aber gleich an: «aber in der Gemeinde will ich, um auch andere zu unterweisen, lieber fünf Worte mit meinem Verstand sagen als tausend Worte in Zungen.» (Verse 18-19)

In unserer Kirchgemeinde sind viele christliche Geschwister, die dies genau so handhaben: In ihrer persönlichen Zeit mit Gott pflegen und geniessen sie die Glossolalie als vertraute «Geheimsprache» mit Gott, gerade so, wie zwei Verliebte sich Worte zuflüstern, die auch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Klingelt aber das Telefon oder die Hausglocke, benötigen sie keinen Aufwachvorgang, sondern können gleich in verständlicher Sprache auf ihr Gegenüber eingehen. Inzwischen gibt es bereits Lehrgänge im Internet, die ins Sprachengebet einführen und Beispiele zeigen. Allerdings erachte ich als weit gewinnbringender, wenn man sich das in einer vertrauensvollen Atmosphäre persönlich erklären und zeigen lassen kann.

Dasselbe gilt auch für die prophetische Rede: Da schwirren wohl den meisten von uns mehr Fragen als Antworten im Kopf umher, unser Herz ist hin und hergerissen zwischen Faszination und Bedenken und unser Bauch sagt uns: «Kann das gut gehen? – Und wenn ja: Was ist nötig, dass Prophetie wirklich «erbaut, ermutigt, tröstet»?»

Die Anweisung, die Paulus für das prophetische Reden in der Gemeinde gibt, wirkt aufs erste Hinhören wenig Vertrauen erweckend: «Wenn aber alle prophetisch reden und es kommt ein Ungläubiger oder Aussenstehender herein, dann wird er von allen ins Verhör genommen, von allen geprüft; das Verborgene seines Herzens wird offenbar, …» (Verse 24-25a)

Das tönt nicht nach einladender Gemeinde: «Wenn du zu uns in die Kirche kommst, wirst du von allen ins Verhör genommen und geprüft, das Verborgene deines Herzens wird offenbar.» Das erinnert eher an eine Polizeibefragung oder eine totalitäre Sekte als an eine liebevolle Kirchengemeinschaft!

Wie kann Paulus allen Ernstes eine derartige Methode aufs höchste Podest der Geistesgaben heben? (Verse 1&5)

Wir müssen uns wohl nochmals die Worte unseres «Trainers und Coaches» in Erinnerung rufen: «Geht den Weg der Liebe!» und «Gott wirkt mitten unter euch!»

Prophetische Aussagen werden in der Gemeinschaft von Christen wohl nur eine positive Wirkung entfalten können, wenn deutlich wird: Es geht um die Liebe. Die Liebe soll wachsen, im einzelnen Herzen, in der Gemeinschaft untereinander, in der Beziehung zu Gott. Liebe ist es, die erbaut, ermutigt und tröstet, Gottes Liebe, wie sie in 1. Korinther 13 beschrieben wird.

Und das zweite: Gott ist es, der wirkt, spricht, Licht in dunkle Herzen und Lebensgeschichten hineinleuchten lässt. Sein Licht ist kein grelles, polizeiliches Scheinwerferlicht, sondern gleicht dem Kerzenschein bei einem vertrauensvollen Gespräch unter Freunden.

Den einen mag es kitschig oder komisch erscheinen, dass jeweils Kerzen angezündet werden, wenn unser prophetisches Team in Gottesdiensten seinen Dienst anbietet. Der Kerzenschein soll zum Ausdruck bringen: Wir sind uns bewusst, dass es um ganz persönliche Herzensanliegen gehen kann, die Gott dir zeigen möchte. Und die Bezeichnung für diesen Dienst, «prophetisch-hörendes Gebet» macht deutlich: Wir bemühen uns mit allen unseren geistigen und geistlichen Fähigkeiten und Sensoren, Gottes reden zu hören oder Eindrücke zu deuten, die er uns schenkt. Wir sind im Gespräch mit Gott und ermutigen jene, die diesen Dienst in Anspruch nehmen, ihrerseits im Gespräch mit Gott «alles zu prüfen, und das Gute zu behalten.» (1. Thessalonicher 5,21)

 

Liebe Gemeinde,

möglicherweise tönt einiges des Gesagten wie unverständliche Fremdwörter in euren Ohren. Deshalb fasse ich das Gesagte nochmals zusammen: Paulus ermutigt die Gemeinde in Korinth, die Vielfalt und das Potential der Geistesgaben zu nutzen. Die Liebe und das Vertrauen darauf, dass Gott in diesen Gaben und durch diese Gaben wirkt, soll für die Christen Motivation und Ziel sein. Auch Prophetie und Glossolalie spielen dabei eine massgebliche Rolle: Die eine baut die Gemeinde auf, die andere bereichert und vertieft das persönliche Gebet. Nur mit Mut und beständigem Üben werden aus den beiden «Fremdwörtern» mit der Zeit starke Leitworte ihrer Glaubenssprache. Aussenstehende, welche die Gemeinde in Korinth besuchen, werden staunen und zum Schluss kommen: «In der Tat, Gott ist in eurer Mitte.»

 

Ich habe meine Predigt mit dem Hinweis auf die zweifache Wirkung von Fremdwörtern eingeführt: Fremdwörter können ebenso klärend wie verwirrend, aufbauend wie trennend wirken. Wie ein Medikament können sie eine hilfreiche Wirkung entfalten, leider oft verbunden mit unerwünschten Nebenwirkungen. Daher schliesse ich meine Gedanken mit zwei weiteren Fremdwörtern, die das Gesagte zusammenfassen und unser weiteres Nachdenken herausfordern: Integrativ charismatisch – charismatisch integrativ.

Ich wünsche Gottes Geist und Fantasie beim Weiterdenken, -forschen und -üben!

Amen

 

 

Weiterführende Fragen für die persönliche Zwiesprache mit Gott oder Gruppengespräche:

  • Fremdwörter: Wie ist mein Verhältnis zu ihnen; spielerisch, verkrampft, entspannt, ablehnend, …?
  • Welche Gedanken und Gefühle lösen die Begriffe «Glossolalie» und «Prophetie» in mir aus?
  • Geistliche Wettkämpfe: In welcher Form finden sie bereits statt, wie wären sie zu fördern und zu gestalten? Wie werden geistliche Gaben in unserer Gemeinde geweckt, gefördert und eingesetzt?
  • Wenn ich mein Glaubens- und Gemeindeleben betrachte: Bewege ich mich auf dem Weg der Liebe?
  • Wo in unserem Gemeindeleben wird spür- und erlebbar, dass Gott in unsrer Mitte ist?
  • In welchem Bereich der Geistesgaben möchte ich mir neue «Sprachkenntnisse» aneignen? – Wer könnte mich darin anleiten, unterstützen, herausfordern?
  • Integrativ charismatisch – charismatisch integrativ: Inwiefern fordern mich diese «fremden Worte» zum Weiterdenken an? Wie können sie zu Leitwörtern auf meinem Glaubensweg werden?

 

 

Alternative Psalmgebete

Psalm 98

Psalm 148

 

Liedvorschläge

ERG 163 Jesus, Herr und Haupt der Deinen

ERG 504 O Heilger Geist, kehr bei uns ein

ERG 514 Veni Sancte Spiritus

ERG 728 O dass ich tausend Zungen hätte

ERG 803 Die Kirche steht gegründet

ERG 843 Vertraut den neuen Wegen

RW 89 Wer bittet, dem wird gegeben

RW 93 Lass die Worte, die ich sag

 

ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998

RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017

*) Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich

**) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

 

Pfr. Paul Wellauer, Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Web: www.paulwellauer.ch |www.internetkirche.ch | www.livestream.com/internetkirche

 

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich

 

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