Predigt zu Eph 2, 4–10

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Predigt zu Eph 2, 4–10

Gerettet, auferweckt, eingesetzt im Himmel: Mit Christus lebendig gemacht | 11. Sonntag nach Trinitatis | 15.08.2021 | Predigt zu Eph 2, 4 – 10| verfasst von Gert-Axel Reuß |

Liebe Gemeinde,

 es gibt keinen Plan B.

Zu Beginn dieser Woche erschreckte uns die Nachricht, dass die (menschengemachte) Erwärmung des Planeten rasant voranschreitet. Das Klima verändert sich. Waldbrände wie in Griechenland und der Türkei werden zunehmen, Starkregenereignisse wie im Ahrtal auch. Was können wir tun? Können wir etwas tun?

Die pessimistische Seite in mir raunt: ‚Es ist zwecklos. Die Fakten sind alle bekannt, aber die Menschen wollen nicht hören. Statt jetzt vernünftige Entscheidungen zu treffen, verschieben sie alles auf später. Aber dann ist es zu spät.‘ 

Eine andere Stimme in mir mahnt: ‚Mit düsteren Zukunftsprognosen ist niemandem gedient und nichts gewonnen. Drohkulissen – und seien sie noch so realistisch – helfen nicht weiter. Verhaltensänderungen sind nur möglich, wenn man positiv über die Zukunft spricht.‘

Ich frage mich: ‚Wie macht das der Apostel im Epheserbrief?‘

I.

Natürlich bearbeitet der Epheserbrief nicht die heutigen drängenden Probleme. Kann dies ja gar nicht. Aber auch, wenn undeutlich bleibt, wozu der Apostel konkret ermutigen will, lohnt ein Blick in seine pädagogische Trickkiste.

Trickkiste? Ich gebrauche diesen Begriff keineswegs negativ im Sinne der Werbung, die Menschen zum Erwerb von Sachen überredet, die sie nicht brauchen. Vielleicht sollte ich lieber von pädagogischer Erfahrung sprechen, von der Weisheit einer alten Lehrerin, die von ihren Schülerinnen und Schülern geliebt wird, weil sie ihnen neue Welten erschließt und ihre Handlungsmöglichkeiten erweitert.

Ja, manchmal komme ich mir vor wie ein Nachhilfe-Schüler, der in der Fülle des Stoffs den Überblick verloren hat und nicht weiß, an welchen Stellen er anfangen soll, um die Wissenslücken zu schließen. Dann bin ich angewiesen auf eine(n), die/der meine Gedanken ordnet, mich ins Bild setzt und Wege aufzeigt.

Genau so jemand scheint diejenige zu sein, die den Epheserbrief geschrieben hat. Genau dies ist die Absicht des Apostels: Die Augen zu öffnen für die Wirklichkeit Gottes und die Gläubigen ins rechte Licht zu setzen.

II.

4Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, 5auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht.

Die wir tot waren in den Sünden – wenn wir alle innere Abwehr aufgeben könnten und beim Wort ‚Sünde‘ nicht sofort an moralische Verfehlungen und Schuld denken müssten, sondern dieses Begriffspaar ‚tot in den Sünden – lebendig gemacht mit Christus‘ auf uns wirken lassen, was fällt Ihnen dann ein?

Ich bin sofort bei Begriffspaaren wie ‚resigniert – hoffnungsfroh‘, ‚gelähmt – geistesgegenwärtig‘, ‚aktionistisch – überlegt‘, ‚in sich selbst verkrümmt – aufgerichtet‘ gelandet.

Könnte es sein, dass diese Zuschreibung „die wir tot waren in den Sünden“ unsere heutige Situation ziemlich gut trifft?

Auf jeden Fall lohnt es sich, die andere Seite dieses Gegensatzpaares genauer anzuschauen: mit Christus lebendig gemacht.

III.

Aus Gnade seid ihr gerettet –; 

6und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus.

Gerettet – auferweckt – eingesetzt. Was zunächst wie eine Kaskade von Partizipien auf uns einprasselt, bekommt eine unerwartete Bilderkraft, wenn wir uns die Flutwellen und die Feuerwalzen der letzten Wochen vor Augen führen. Bilder von Menschen, die dem Inferno gerade so entkommen sind. Der Schrecken steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Aber die Gesichter der Menschen, die ich meine sind nicht hinter Händen und Tüchern verborgen – das vielleicht auch, zunächst, im Schmerz und der Trauer über das, was verloren ist.

Nein, die Szenen, die ich vor Augen habe, spiegeln eine spätere Phase. Menschen, die erkennen, was jetzt zu tun ist – nämlich: anderen zu helfen, andere zu warnen, andere zu retten. Nicht zuerst an sich selbst denkend im zweifelhaften Versuch, Hab und Gut in Sicherheit zu bringen, obwohl es längst verloren ist. Sondern umsichtig schauend, wo ihre Hilfe jetzt gebraucht wird, nützlich ist. 

Der Himmel? Der kann warten.

Was jetzt zählt, ist der Augenblick. Was jetzt gebraucht wird, ist Geistesgegenwart.

Wobei ich hinzufügen möchte: das bedeutet keinesfalls, dass das Bild des Himmels, das der Apostel den Menschen in die Herzen schreibt, nutzlos wäre – im Gegenteil: Der weite Horizont eröffnet überhaupt erst die Perspektiven, um überlegt handeln zu können. Um hier, auf der Erde, überlegt handeln zu können.

Ich stelle mir das beinahe wie eine Rückkehr vor, die Rückkehr Jesu Christi auf die Erde. Nicht erst am Jüngsten Tag, nicht in irgendeiner fernen Zukunft – sondern heute. Jetzt!

IV.

10Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus 

zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat,  dass wir darin wandeln sollen.

Geschaffen in Christus Jesus – Er ist sozusagen das Kleid, das wir anziehen sollen.

Gewiss – es erscheint uns ein paar Nummern zu groß, wenn wir die Berichte seines Lebens lesen.

‚Wie ER sein? Das kann ich nicht.‘ Ich komme mir eher vor, wie der wankelmütige Petrus, die großsprecherischen Brüder Jakobus und Johannes, der ungläubige Thomas oder wie sie auch heißen mögen, die menschlich-allzu menschlichen Anhängerinnen und Anhänger Jesu.

‚Aber‘, so ruft uns doch der Apostel zu, ‚das müsst Ihr doch auch gar nicht: Über-Menschen sein, über–heblich, alles alleine schaffen wollen. Habt Ihr denn das ‚Wir‘ nicht gehört, nicht gelesen? Es geht hier nicht um irgendwelche Rekorde und herausragende Einzelleistungen wie bei den olympischen Spielen. Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

An dieser Stelle kommt der Himmel ins Spiel!

Gott hat alles längst bereitet. Er hat uns – in Christus Jesus – längst alle Handlungsoptionen eröffnet. Ja, dieses Kleid mag zu groß wirken – aber die Ursache liegt nicht in unserem Unvermögen, sondern – wenn überhaupt – in unserer Untätigkeit. ‚Ihr werdet das schon ausfüllen. – Wir werden das schon ausfüllen. Das lasst getrost Gottes Sorge sein.‘ so höre ich den Apostel predigen.

Die kommenden Zeiten, der überschwängliche Reichtum der Gnade Gottes – sie wirken hinein in die Gegenwart. Der Himmel – das ist keine dieser Erde entgegengesetzte Wirklichkeit, sondern viel mehr eine alles umfassende, um vieles größere Wirklichkeit, die dem, was wir jetzt erfahren, nicht diametral entgegengesetzt ist, sondern die hineinwirkt in diese Welt.

Halt. Ein kleiner Einwand noch, aber keine grundsätzliche Infragestellung. Manchmal kommt es uns vor, als sei das, was wir jetzt erleben, ja doch das Gegenteil dessen, was wir Himmel nennen. Manchmal zweifeln wir an Gottes Nähe und Güte. Deshalb: Jesus Christus! Deshalb sein Weg in die Abgründe menschlicher Existenz und ins Leiden.

Aber er wurde doch auferweckt! Nicht im Sinne einer Bagatellisierung dessen, was uns schwer und schrecklich erscheint. Sondern doch in dem Sinn, dass Gott durch ihn überwinden will, was uns von ihm trennt. Doch in dem Sinn, dass uns Gott auf seine Seite ziehen will. Dass Gott uns nicht nur gerettet, sondern auch auferweckt, ja eingesetzt hat im Himmel in Christus Jesus. Oder – in einem Wort: lebendig gemacht hat mit Christus.

V:

Wir waren tot in den Sünden. – Nein, dahin wollen wir nicht zurück, in die Sackgassen der Teilnahmslosigkeit, der Ohnmacht und Feigheit.

Gott, gib uns die Kraft, zu widerstehen, wenn Hass und Gewalt sich um uns herum ausbreiten.

Gott, gib uns den Mut, denen entgegenzutreten, die andere verächtlich machen, die sie bedrohen und bedrängen.

Gott, erfülle uns mit deinem Geist, dass wir nach deinem Willen handeln.

Amen.

Nachtrag:

Wer mag, der kann das Gedicht von Hans-Werner Hüsch anschließen: Ich bin vergnügt, erlöst, befreit … – ein wunderbarer Kommentar auch zum Evangelium des 11. Sonntags nach Trinitatis (Lk 18, 9 – 14). Oder es auch singen (lassen): https://2017.ekir.de/Downloads/ich_bin_vergnuegt_erloest_befreit_lied.pdf

Gert-Axel Reuß

Domprobst

Domhof 35

23909 Ratzeburg

Mail: reuss@ratzeburgerdom.de

Gert-Axel Reuß, geb. 1958, Pastor in der Nordkirche, seit 2001 Domprobst zu Ratzeburg.

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