Predigt zu Gen 50, 15-21

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Predigt zu Gen 50, 15-21

„Nun erkenne ich den Sinn des Ganzen“ | Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis | 27.06.2021 | über Gen 50, 15-21 | verfasst von Peter Schuchardt | Pastor in Bredstedt |

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen!

Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

„Verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“ Das ist für mich ein kluger und tiefsinniger Satz. Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schreibt ihn in seinen Tagebüchern. Er drückt damit eine Erfahrung aus, die wohl viele von uns schon gemacht haben. Wir haben Pläne für unser Leben. Wir erträumen uns einen Weg und eine Zukunft für uns. Oft aber kommt es anders als du es dir geträumt hast. Glück und Niederlage liegen dicht beieinander. So sehr sich jeder und jede ein schönes Leben erträumt, es kommt eben oft doch anders. Niemand wünscht sich schwere Zeiten für sich selber. Doch dem Schweren, den Abgründen, den finsteren Tälern kann ich nicht ausweichen. Ich treffe eine falsche Entscheidung, und das Leben nimmt plötzlich eine Richtung, die ich gar nicht wollte. Menschen, denen ich vertraut habe, nutzen mich aus, hauen mich übers Ohr oder tun mir Böses. Ich kenne es aus den schweren Zeiten in meinem Leben, dass ich mich dann frage: „Ich weiß nicht, wozu das alles gut sein soll. Steckt da jetzt ein Sinn dahinter?“ Aus vielen Gesprächen in der Gemeinde und in der Klinik weiß ich, dass es anderen oft auch so ergeht. In dem Chaos, in dem Leben, das so anders ist als mein Traum, suche ich lange vergeblich nach einem Sinn und einem roten Faden. Und dann erkenne ich im Rückblick doch sinnvolle Zusammenhänge. Ich verstehe meine Leben, indem ich es rückwärts noch einmal angucke. Ich kann sehen: Nach diesem Schweren bin ich gestärkt, klüger und gereifter. Aus manchem, was kaum zu ertragen und verletzend war, ist dann doch Gutes geworden. Doch solange ich in dem Chaos und dem Dunkel drinstecke, hilft es nicht, dass ich mir sage: „Naja, irgendeinen Sinn wird das Ganze wohl haben, auch wenn ich ihn nicht sehe.“ Dann muss ich erst einmal weiter vorwärts leben und darauf hoffen, dass sich mir irgendwann der Sinn erschließt. Ich weiß von mir selbst: Das, was mich durch diese schweren Zeiten hindurchgetragen hat, war mein Vertrauen zu Gott.

Um dieses Gottvertrauen geht es heute in unserem Gottesdienst, um Gottvertrauen in schwerer Zeit – und darüber hinaus in unserem ganzen Leben. (Darum ist es wunderbar, heute diese beiden Kinder taufen zu können. Denn es ist dieses Vertrauen, liebe Eltern, dass ihr euren Kindern mitgeben möchtet.)

Von diesem Gottvertrauen erzählt auch die Geschichte von Josef aus dem Alten Testament. Manch einer von euch kennt sie. Sie steht im 1. Buch Mose. Thomas Mann hat einen wunderbaren (und dicken!) Roman dazu geschrieben, „Josef und seine Brüder“, Andrew Lloyd Webber hat ein Musical dazu gemacht („Joseph and the amazing technicolor dreamcoat“).  Josef wächst mit seinen 11 Brüdern auf. Er ist der Lieblingssohn seines Vaters Jakob, was natürlich die Eifersucht seiner anderen Brüder weckt. Dass sein Vater ihm einen besonderen Mantel schenkt, verstärkt die Eifersucht und die Wut der Brüder auf Josef noch mehr. Dazu kommt, dass Josef ihnen von seinen Träumen erzählt, in denen sich die Brüder vor ihm verneigen. „Was,“ so schimpfen sie, „willst du dich etwa über uns stellen?!“ Sie sind so wütend, dass sie ihn nur noch loswerden wollen. Bei einer günstigen Gelegenheit verkaufen sie ihn an eine Karawane, die nach Ägypten will. Dem Vater Jakob erzählen die Brüder, ein wildes Tier habe Josef getötet. Josef kommt in Ägypten in das Haus von Potiphar, einem hohen Beamten am Hof des ägyptischen Pharaos. Dessen Frau findet Gefallen an Josef. Als er sie abweist, beschuldigt die Frau ihn der versuchten Vergewaltigung. Josef kommt ins Gefängnis. Nun besitzt er die Gabe, Träume deuten zu können. Damit hilft er einem Gefangenen, dem Mundschenk des Königs. Doch der vergisst ihn, sobald er freigelassen ist. Erst Jahre später, als der Pharao seltsame Träume hat, fällt diesem ehemaligen Mithäftling ein: Da war doch dieser Josef. Josef deutet die Träume des Pharaos. Auf das Land kommen sieben fette, gute Jahre zu, dann aber sieben magere Hungerjahre. Er rät dem Pharao, sich auf diese Dürre vorzubereiten und Vorratsspeicher anzulegen. Der Pharao ist so beeindruckt von Josefs Klugheit und Weisheit, dass er ihn zum 2. Mann im Staate macht. Und Josef organisiert mit Geschick und Weitsicht die Vorbereitung für die kommende Hungerzeit. Die Katastrophe für Ägypten ist abgewendet. Doch auch in den umliegenden Ländern herrscht Hunger, so auch bei der Familie von Josef, in Kanaan. Josefs Brüder erfahren, dass es in Ägypten noch Getreide gibt und machen sich auf den Weg dahin. Sie treffen mit Josef zusammen, erkennen ihn aber nach all den Jahren nicht. Nach vielen Verwicklungen gibt sich Josef aber als ihr Bruder zu erkennen. Jakob, der alte Vater, ist überglücklich, dass sein Sohn noch lebt. Auch er darf nachkommen, damit nun die ganze Familie in Sicherheit ist. Doch als Jakob stirbt, haben die Brüder Angst: Wird sich Josef nun an ihnen rächen? Grund genug hätte er ja. Denn schließlich waren die Brüder Schuld an seinem Unglück, an der Sklaverei, an dem Gefängnis, in dem Josef jahrelang hockte. Was dann geschieht, davon lesen wir im 1. Mose 50, 15-21: 15Als Josefs Brüder begriffen, dass ihr Vater tot war, bekamen sie Angst. Sie dachten: »Hoffentlich ist Josef uns gegenüber nicht nachtragend. Sonst wird er uns all das Böse heimzahlen, das wir ihm angetan haben.«16Darum ließen sie ihm mitteilen: »Dein Vater hat uns vor seinem Tod aufgetragen,17dir zu sagen: ›Vergib deinen Brüdern das Unrecht und ihre Schuld! Ja, sie haben dir Böses angetan. Nun vergib ihnen dieses Unrecht. Sie dienen doch dem Gott deines Vaters!‹« Als Josef das hörte, fing er an zu weinen.18Da gingen seine Brüder zu ihm hin, warfen sich vor ihm nieder und sagten: »Wir sind deine Knechte.«19Aber Josef sagte zu ihnen: »Fürchtet euch nicht! Bin ich etwa Gott?20Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet. Er wollte tun, was heute Wirklichkeit wird: ein großes Volk am Leben erhalten.21Deshalb fürchtet euch nicht! Ich werde für euch und für eure Kinder sorgen.« Er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen. (1 Mose 50, 15-21 BasisBibel)

Liebe Schwestern und Brüder, ich kann die Angst der Brüder sehr gut verstehen. Ihr Vater, das Oberhaupt und Bindeglied der Familie, ist tot. Seine schützende Hand fehlt nun. Sind sie jetzt dem Zorn und der Wut Josefs ausgeliefert? Sie fürchten, dass Josef sich rächt. Rache, liebe Schwestern und Brüder, ist immer eine Verlockung und Versuchung. Vor allem dann, wenn ich plötzlich in einer stärkeren Position bin als vorher. Dann kann ich ja endlich all die Verletzungen, die Enttäuschung, alles, was ich aushalten musste, voller Wut dem anderen heimzahlen. Rache ist süßt, sagt das Sprichwort. Aber Rache bringt nicht weiter, so verständlich das Gefühl auch oft ist. Die Brüder haben Angst vor Josefs Rache. Darum erzählen sie von einem angeblichen Auftrag, einem letzten Willen ihres Vaters, den sie Josef weitersagen sollen: Vergib doch deinen Brüdern! Nirgendwo ist von so einem letzten Willen Jakobs etwas zu lesen. Haben die Brüder sich das bloß ausgedacht, um sich mit einer Lüge vor Josefs Zorn zu schützen? Ich kann mir das gut vorstellen, so groß ist ihre Angst. Aber als Josef davon hört, fängt er an zu weinen, wohl auch, weil er die Angst seiner Brüder mit Händen greifen kann. Doch er sagt: Fürchtet euch nicht! Habt keine Angst. Denn ich stehe doch nicht an Gottes Stelle. Und nun ist mir klar geworden: Ja, ihr hattet Böses für mich geplant, und ihr habt mir Böses angetan. Aber jetzt erkenne ich: Gott hat aus all dem Dunklen und dem, was kaum auszuhalten war, Gutes werden lassen. Denn Gott kann das, kann das Böse und Dunkle verwandeln in Gutes und in Licht. Es war überhaupt nicht leicht, mein Leben zu leben. Aber nun, wo ich auf mein Leben zurückblicke, verstehe ich, wozu das alles passiert ist. Und es geht gar nicht darum, dass es mir nun gut geht. Nein, seht doch:  Gott wollte, dass das große Volk der Ägypter am Leben bleibt. Ja, und auch unserer Familie soll doch am Leben bleiben. Es geht um viel mehr als um eure Bosheit und meine Rachegefühle. Es geht darum, dass Gott viel stärker ist als das, was wir Menschen alles Böses tun. Und weil das so ist, kann Josef nun auch die Sorgen und sogar die Schuld seiner Brüder aushalten. „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, wird viele Jahre später der Apostel Paulus schreiben. Auch die Last der Schuld und der Angst ist damit gemeint.

„Ihr hattet Böses für mich geplant. Aber Gott hat es zum Guten gewendet.“ Diese Sätze sind der leuchtende Abschluss der Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Sie hüllen das, was vorher war, auch die Angst und Sorgen, in das helle Licht der Fügungen und Lenkungen Gottes. Ich denke dabei auch an Dietrich Bonhoeffer. Er hat das Dunkel und den Terror der Naziherrschaft am eigenen Leib erfahren müssen. Aber er schreibt dazu ein ganz persönliches Glaubensbekenntnis: Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Um Gottvertrauen geht es in der Geschichte von Josef und seinen Brüdern. Um Josefs Gottvertrauen! Er gehört zu den Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. In der ganzen Geschichte lesen wir nichts davon, dass Josef mit Gott ringt, zu Gott betet oder mit ihm hadert. Sein Gottvertrauen ist einfach da. Und auch Gott ist einfach da. Immer wieder ist zu lesen: Gott war mit Josef, und darum veränderte sich das Schwere in Gutes. Das ist kennzeichnend für die Weisheitsliteratur, zu der die Josefserzählung gehört. Gott ist da als allumfassende Wirklichkeit und Grund des Lebens. Und so können wir in diese Geschichte hineinsteigen und mit Josef gehen. Josef fühlt sich am Ende der Geschichte nicht als Sieger, sondern als dankbares Teil der Geschichte Gottes. Der Erzähler möchte, dass auch wir miteinstimmen in Josefs Erkenntnis: Ihr wolltet mir Böses, aber Gott hat es zum Guten gewendet.

Liebe Schwestern und Brüder, „verstehen kann man das Leben nur rückwärts, leben muss man es vorwärts.“ Es mag sein, wir verstehen in den Bruchstücken unseres Lebens nicht immer den Sinn des Ganzen. Aber es kann diese leuchtenden Momente wie bei Josef geben, dass auch wir sagen: Ich blicke zurück auf mein Leben. Nicht alles war leicht, vieles war kaum zu tragen. Aber nun erkenne ich, dass Gott es zu einem guten Ganzen zusammengefügt hat. Und er kann sogar aus dem Bösen, das andere Menschen mir angetan haben, Gutes entstehen lassen. Dieses Vertrauen kann uns helfen, auch schwierige und dunkle Zeiten zu überstehen. Dieses Vertrauen zu unserem Gott wünsche ich euch von Herzen (– und heute vor allem unseren beiden Taufkindern).

Amen

 

 

Lieder:

EG 428 Komm in unsre stolze Welt (Wochenlied)

EG 620 Ins Wasser fällt ein Stein

HuT (Durch Hohes und Tiefes, Gesangbuch der Evangelischen Studierendengemeinden) 347 Wo ein Mensch Vertrauen gibt

HuT 298 Wir haben Gottes Spuren festgestellt

 

Fürbittgebet

Barmherziger Vater,

dein Sohn Jesus Christus hat unsere Schuld und unsere Fehler am Kreuz getragen.

Alle Lasten unseres Lebens willst du in deine liebevollen Hände nehmen.

 

So bitten wir dich nun für alle,

die unter ihrer Schuld zusammenbrechen.

Zeige ihnen, dass du ihnen vergeben willst.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir bitten dich für alle, die Verantwortung tragen,

in Politik und Wirtshaft, in den Schulen, Universitäten und Kindergärten.

Gib ihnen Kraft für ihr Tun, und lass sie gute Entscheidungen treffen.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir bitten dich für deine Kirche.

Du hast uns dein Wort anvertraut.

Lass uns dies Wort zu den Menschen bringen, die sich nach Trost und Hilfe sehnen.

Hilf uns, dass es sie auch erreicht.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir bitten für unser Kinder und Jugendlichen.

Durch die Pandemie müssen sie Lasten tragen,

die ganz neu für sie sind.

Stärke sie.

Und lass sie bei aller Belastung nicht vergessen,

wie schön das Leben ist.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir denken an alle, die krank sind, verzweifelt, die sich verrannt haben im Leben,

in der Sucht, in der Verzweiflung.

Hilf ihnen.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir bitten für uns selbst.

Du weißt, Herr, wo wir uns zu viel zumuten,

wo wir unsere Grenzen nicht anerkenne wollen.

Schenke uns Barmherzigkeit für uns selbst und für die Menschen, die mit uns leben.

Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich!

 

Wir danken dir Herr,

dass du unserer Gebete erhörst.

Dir vertrauen wir uns an, heute und an allen Tagen, die du uns schenken wirst.

Amen

 

Anmerkung:

Gute Anregungen fand ich bei

Gottfried Voigt, Die geliebte Welt, Homiletische Auslegung der Predigttexte. Neue Folge: Reihe III, Göttingen 1980

Nico ter Linden, Es wird erzählt Bd.1, Von der Schöpfung zum Gelobten Land, Gütersloh 1998,

 

 

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

 

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

 

 

 

 

 

 

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