Predigt zu Invokavit

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Predigt zu Invokavit

Liebe Gemeinde,

der Sonntag Invokavit, mit ihm ist nach Fastnacht und Aschermittwoch
das Ende der Karnevalszeit da und das Ende der Zeit der Masken.
Ich will heute morgen mit Ihnen auf eine vierte Versuchung hören
und nach ihr fragen, eine vierte Versuchung, die im Predigttext für
diesen Sonntag nicht steht.
Die Verse der Versuchungsgeschichte Jesu haben wir in der Evangelienlesung
bei Matthäus gehört, Kapitel vier, eins bis elf.

Jesus in der Wüste, dort hingeführt vom heiligen Geist, vierzig
Tage und Nächte Fasten, er wird vom Teufel – wer immer das sein
mag -, versucht.
Wir kennen die Geschichte. Wir kennen ihre Dramaturgie und das fast zu
gut, um sie noch neu und damit wirklich hören zu können.

Vierzig Tage fasten, alle Symbolik einmal weggelassen, ein Bild, das
deutlich macht, hier wird jemand bis an die Grenzen der höchsten
Sensibilität geführt. Bis dahin, – wir kennen das meist nur
ansatzweise und aus Beschreibungen – , wo alle Eigenschwere des Körpers
sich auflöst und mein Ich nur noch aus Sinnen besteht, die wahrnehmen,
– überdimensioniert, überklar, losgelöst von allem Beiwerk.

Matthäus stellt diese Geschichte an den Beginn seines Evangeliums.
Er stellt sie an den Anfang, gleich nach Stammbaum, Geburtsgeschichte,
Kindermord, Ägyptenflucht, der Täufergestalt des Johannes und
der Geschichte von Jesu eigener Taufe.
Er stellt sie an den Anfang dessen, was es von Jesus zu erzählen
gilt und lohnt.
Was am Anfang steht, hat aufschließenden Charakter, ist Lese-,
Hör- und Verstehenshilfe. Manchmal fragt es sich natürlich
nur: Wozu und wofür?

Ich möchte zwei Dinge versuchen: Einmal so zu tun, als würden
wir die Geschichte nicht kennen, und zum Anderen auch nicht gleich fragen,
warum sie eigentlich und warum sie so von Matthäus erzählt
wird.

Jesus ist also in der Wüste. Für Masken ist das kein Ort und
auch nicht für Verkleidungen. Erstens sieht es hier niemand und
zweitens halten Masken und Verkleidungen vor mir selbst
nicht Stand und ich vor ihnen im Ernstfall wirklicher Klarheit auch nicht.
Wo man ganz allein ist, steht man vor sich selbst.
Zugegeben, ein wenig Gesellschaft hat Jesu denn doch, eben den Teufel,
den Versucher, den, der verwirrt, oder wie immer man ihn benennen oder
umschreiben will.
Und der entspricht präzise seiner Aufgabe. Denn dazu war Jesus ja
in die Wüste versetzt worden, „um vom Teufel versucht zu werden“.
Jesus zwischen Versuchung und Verführung. Drei führt Matthäus
vor. Die Spitze bei allen Dreien liegt darin, selbst ohne alle Grenze
sein zu können, –
kurz vor der Möglichkeit, alles das aufzuheben, was mich einschränkt
und begrenzt, –
kurz vor der Möglichkeit, sein zu können wie Gott unter dem
Schirm eines anderen.

Das sind die drei Versuchungen, die ihn verführen sollen, kunstvoll
gesteigert, – Brot, Turm, Erde.
Aber gibt es auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen nicht noch Versuchungen,
die darüber hinausgehen? Müßte die Geschichte nicht noch
weiter vorangetrieben werden? Ist das, was Matthäus erzählt,
wirklich die maximale Versuchung und Verführung damals und heute?
Wo ich nicht sein will wie jemand oder wo ich sein will wie jemand, der
mehr ist, weit mehr als ich es jetzt bin, da ist mit diesem Jemand, positiv
oder negativ – ja schon immer eine neue Begrenzung mitgesetzt in der
Gestalt dieses Anderen. Dort, wo ich mich einlasse auf ein Gegenüber,
– ich will sein wie oder nicht sein wie – , bin ich durch ihn begrenzt.
Freiheit
von aller Einschränkung ist das noch nicht.
Müsste der Geschichte der Versuchung von Jesu nicht noch eine weitere,
eine vierte angehängt werden, damit sie unseren Hintergrund von
Freiheit und Selbstbestimmung trifft oder ihn so mit einbezieht, dass
er voll mit da ist?

Noch einmal, Matthäus erzählt das schon kunstvoll gesteigert,
das mit dem Aufheben und Aufbrechen der Grenzen, in denen wir uns selbst
erfahren und vorfinden.
Das zu können, Steine zu Brot und Essen werden zu lassen, unabhängig
zu sein von der Notwendigkeit der Lebenserhaltung, dem Zwang der inneren
Natur, wen reizte und verführte das nicht?
Gesteigert durch den Sprung vom Turm (oder sprachlich schöner in
der Übertragung „sich hinabstürzen zu können von
der äußersten Zinne“).
Das zu können, ohne Schaden zu nehmen, von ganz, ganz oben, – von
allen Folgen des Gesetzes der Schwerkraft entbunden zu sein , nicht gebunden
an Haltbarkeit oder Zerschellen, nicht mehr gefangen in den naturgesetzlich
Gegebenheiten, wen reizte oder verführte das nicht?.
Und dann noch gesteigert so, dass alles mir zu Füßen liegt,
dass ich das Gesetz bin für alles, für alles um mich, was ich
sehe und irgendwo sehen kann und werde.
Ist das nicht die größte Versuchung? Ich werde über allem
und allen sein und alle und alles wie ich es will?

Und doch: Bei alledem fehlt nur noch Eines. Ein Einziges, das wirklich
alle Grenzen sprengt: Eine vierte Steigerungsform, die vierte Versuchung,
an die sich nicht einmal Matthäus heranerzählt.

Das ist die gleiche letzte Geschichte ohne den Versucher. Die, in der
die herangetragenen Wünsche, die eigenen Gedanken erfüllbar
sind ohne den Preis, sich einem, der sie mir sagt und anbietet, dem Teufel,
unterwerfen zu müssen.
Es wäre die Geschichte, in der ich frei bin von allem und jedem,
nur auf mich gestellt auf mein Urteil und mein Wollen, ohne Grenze.

Denn noch einmal, in den drei Versuchungen bei Matthäus bleibt
die eine Grenze immer noch bestehen.
Alles gewaltige Aufbrechen und überwinden der normalerweise erfahrenen
Grenzen bleibt eingebunden in den Preis der Abhängigkeit dem gegenüber,
der dann diese Wünsche und Vorstellungen erfüllt.
Ohne ihn, ohne ihn anerkennen zu müssen und ohne mich ihm unterwerfen
zu müssen, dem Versucher, das haben zu können und zu bekommen,
was er anbietet, wäre das die nicht die noch hinzuzufügende
vierte Versuchung?

Die Geschichte einer solchen vierten Versuchung ist durchaus nicht so
abstrakt, wie das klingen mag.
Was uns alle in den letzten Monaten und Wochen als Befürchtung,
als böse Ahnung und Angst begleitet, liegt dort sehr in der Nähe.
Ein Krieg aus der eigenen, selbst gesetzen Ordnung heraus, die feststellt,
was gut und böse ist, und die dies umsetzt aus der eigenen zu Gebote
stehenden Macht, weil sie kein Gegenüber hat, unterworfen nur dem
eigenen Ziel und nur in ihm begründet.
Das könnte diese vierte Versuchung sein.
Und doch: Ich denke, sieht sie noch ein wenig anders aus.

Noch einmal bei Matthäus das Angebot des Versuchers: „Das
alles will ich Dir geben, wenn Du Dich unterwirfst und mich anbetest“.
Und die Antwort des Versuchten: “Du sollst den Herren, Deinen Gott
anbeten und ihm allein dienen“
Was wir erleben in der Irak-Frage, Krieg oder kein Krieg, warum und mit
welcher Begründung, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen,
das geschieht auf breiter Ebene in einer Argumentationsweise, die auf
einen Gott bezug nimmt als den, den ich gerade brauche,
wo -in der Wortwahl des Matthäus- „gedient“ wird mir
selbst.
Diese Versuchung ist so real, wie es ihr zu widerstehen gilt.
Die Reden des offiziellen Amerikas, die des Präsidenten, – so hat
es schon Ende des vergangenen Jahres jemand deutlich analysiert-, sind
durchsetzt mit religiösen Sprachgebrauch, wo es um die Begründung
der Kriegsnotwendigkeit geht. Die beabsichtigte Politik wird zutiefst
legitimiert aus dem ganz persönlichen Glauben heraus, der sich als
Wächter und Richter über eine Welt versteht, die sich dem Willen
einer einzigen Weltmacht zu entziehen versucht. Da redet einer, de sich
seiner Sache sicher ist, der ein gutes Gewissen hat vor Gott und seiner
Nation. Der im Namen des von ihm angerufenen Gottes einen völkerrechts-widrigen
Krieg zu führen bereit ist, wenn die Konstellation es gebietet.
Neu ist diese Versuchung nicht. Im ersten Weltkrieg haben die Töne
bei uns in Deutschland nicht anders geklungen. Der selbstgemachte Nationalgott
hatte zu legitimieren, was eigenes politisches Ziel war. Ihn bat man
um den Sieg und vertraute darauf, dass er die bessere Sache segnete,
und dies war die eigene.
Das Muster dieser Versuchung ist nicht neu.
Und es leuchtet letztlich genauso dort auf, wo man in der Gegenargumentation
den „Gott des Friedens“ anruft und formuliert, “Krieg
soll nach Gottes Willen nicht sein“.
So sehr dem sachlich zuzustimmen ist, dass Krieg kein Mittel zum Frieden,
so sehr ist es die gleiche Versuchung, der man dort erliegt, wo man einen
namenlosen Gott anruft, der begründen soll, was man will.
Die Versuchung liegt darin, nicht anzuerkennen und nicht zu sehen, dass
uns Gottes Geschichtswille mit unserer Welt verborgen ist, – dass wir
ihn nicht herausrufen können als Begründungsargument und für
uns anführen, wo wir ihn brauchen.
Die Freiheit unseres Handelns müssen wir verantworten mit Argumenten,
die benennen, welches politische Ziel sachlich und politisch zu verantworten
ist. Hier kann sich kein Politiker und keine Gruppe hinter einem namenlosen
Gott verschanzen.
Nicht der Rückzug hinter einen namenlosen Gott ,-dies ist die vierte
Versuchung- , sondern im Hören auf das Gebot und das Evangelium
wie Gott es in Jesus Christus offenbart, führt zur Wahrnehmung der
Verantwortung in der Welt, wie sie zum Glauben gehört.
Wo der Glaube nicht vergessen hat, dass Heil und Unheil, Kreuz und Auferstehung,
Gericht und Gnade zur Weltwirklichkeit gehören und zur Rede vom
Menschen wie die Verheißung des Lebens- und Leidensweges Jesu Christi.
Wo der Glaube dies nicht vergessen hat, dort bleibt auch deutlich, dass
ich als Mensch unter den Bedingungen der Welt, wie sie ist,
mich entscheiden muss.
Zu diesen Bedingungen gehört die Gnade, die uns Menschen verheißen
ist und durch Christus bereit,
und es gehört dazu die große Ambivalenz mit den Möglichkeiten
zum Guten wie dem Gefälle zum Inhumanen und Bösen.
Es gehört dazu, dass in chemisch reinem Zustand keine der beiden
Seiten ist, dass aber beide Seiten zu ihr gehören.
Krieg -so dann konkret- kann kein normales Mittel für eine Konfliktlösung
sein.
Was auf keinen Fall sein kann, ist, zur Begründung zurückzugreifen
auf einen Gott ohne Namen.
Dieser, der vierten Versuchung ist nicht zu erliegen.

Matthäus benennt diesen Gott, und so weit erzählt er dann
wieder doch nicht zu kurz, benennt ihn als den Vater Jesu Christi. Er
bleibt die Grenze, und Christus macht diese Grenze durchlebter für
uns. Er nimmt sie im Tod auf sich und öffnet sie in der Auferstehung.

Deswegen erzählt Matthäus von Jesus auch in dieser Weise die
Geschichte von den vierzig Tagen Fasten und Versucht-Werden in der Wüste
und macht damit deutlich, dass alles, was von ihm gilt, dem Menschen
zu Gute gilt.
Und er macht deutlich, dass nur so der Mensch die Grenze, in der er lebt,
aushalten, annehmen, sich zu eigen machen kann, weil sie in Jesus für
ihn überwunden ist. Überwunden in der Anerkennung der guten
Existenz Gottes, die zugleich alles überwindet, was ungelöst
, losgelöst und unbehaust ist, und ich mich deswegen keiner anderen
Argumentation bedienen muss, als der Jesu Christi selbst.
Amen.

Sup.Dr.Detlef Reichert
Gneisenaustr.76
33330 Gütersloh
SuperintendentGT@aol.com

de_DEDeutsch