Predigt zu Lk 15,11-32 – vom verlorenen Sohn

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Predigt zu Lk 15,11-32 – vom verlorenen Sohn

Predigt zu Lk 15,11-32 – vom verlorenen Sohn, verfasst von Hilmar Menke, Superintendent in Cadenberge


Vorbemerkung:

Ein gutes Beispiel für eine verfremdete Nacherzählung
der Geschichte vom „Verlorenen Sohn“ bietet Rudolf Otto Wiemer
in : Jesusgeschichten – Kindern erzählt, Gütersloh 1985, ISBN
3-579 – 00811 – 0 Der Zusatz „Kindern erzählt“ täuscht
insofern als die Geschichten durchaus auch für Erwachsene geeignet
sind.

Predigt:

Es gehört wohl zum Menschsein dazu: Das Empfinden des
Mangels, das Gefühl, etwas nicht zu haben; die Erkenntnis, daß mir
etwas fehlt – und die Sehnsucht nach mehr, nach der „Fülle“,
nach allem, was fehlt; der Wunsch, alles zu haben und das möglichst
sofort…. Für junge Menschen heißt das oft: Die Sehnsucht
nach mehr Freiheit von den Einschränkungen des Elternhauses und
der Schule – von den Grenzen, die das immer zu gering geratene Taschengeld
setzt – von der Enge der Heimat; von der Ereignislosigkeit des Alltags
– ach, so vieles würde mir da noch einfallen.

So ähnlich jedenfalls
– scheint mir – denkt auch der junge Mann in der bekannten Geschichte,
die wir hörten: Er will alles, was ihm zusteht – und das auf der
Stelle; er will fort aus der Vormundschaft des Vaters, fort von der Überlegenheit
des älteren Bruders – in die große weite Welt. Endlich leben
in Fülle…

Ja, und das tut er dann wohl auch: Mit vollen Händen
gibt er das Geld aus zusammen mit den vielen „guten Freunden“ die
den Großzügigen immer umgeben – und mit Freundinnen auch,
so weiß es später sein Bruder zu berichten… Nur zu bald
aber spürt er wieder den Mangel: Nur zu schnell ist das Geld aufgebraucht,
nur zu schnell wird klar, wessen Freunde die Kumpel waren – die seines
Geldes nämlich – nur zu schnell muß er erkennen, daß man
Liebe nicht kaufen kann.

Aus der Fülle wird schnell Mangel: Alles
verliert er und mit seiner Arbeit verliert er auch seine Bindung an seinen
Glauben: Kein Israelit hütet Schweine, die Tiere, die ihm als unrein gelten
– keiner sehnt sich nach dem Schweinefraß…

Als der Mangel am
größten ist; als er fühlt, daß alles fehlt – da „geht
er in sich“ – und das heißt: Da sucht er den Grund für
seine Lage nicht mehr hier oder dort – bei den anderen oder bei den Verhältnissen
oder beim Schicksal – da sucht er den Grund bei sich, in sich selber.
Und dort findet er ihn!

Er findet ihn bei dem, was er „Sünde“ nennt
– Sünde gegenüber dem Vater und gegenüber Gott: Daß er
sich losgesagt hat von seinem Vater und Gott los geworden ist – das kann
man klein und zusammen und groß und auseinander schreiben – „Gott
los werden“ und „gottlos werden“ – und beides paßt!
Und er will umkehren. Seine Sehnsucht ist so klein geworden und seine
Wünsche so bescheiden. Nur genug zu Essen und nur bei den Menschen
sein, zu denen er gehört – und bei Gott! Und dann erlebt er die
Fülle – die Fülle der Liebe des Vaters, in der die Liebe Gottes
ausstrahlt auf ihn – ausgebreitete Arme, die ihn willkommen heißen,
Umarmung und Kuß; die Fülle der Vergebung, die einen neuen
Anfang macht – das Gewand des Sohnes, der Ring des Erben; die Fülle
der Freude, die alle einlädt, mit zu feiern.

Jedes Fest, das wir
feiern, ist ein Versuch, etwas von dem zu spüren, zu erleben, von
der Fülle des Lebens; ein Versuch, den Mangel zu überwinden:
Den Mangel an Freude und an Freunden, den Mangel an Gemeinschaft und
Geborgenheit. Es ist ja die Jahreszeit der Feste – hier bei uns der Schützenfeste
im Besonderen, die immer noch gerade in den kleinen Dörfern sehr
viele Menschen zusammenführen zum gemeinsamen feiern. Daß es
aber immer nur ein Versuch bleiben wird, ein Versuch, der sich eben dem
Ziel nur annähern kann – nur für einige Augenblicke im Leben,
das gehört zu unserer Erfahrung. Bei vielen dieser Feste im Dorf
feiern wir auch Gottesdienst, Zeichen dafür, daß wir das,
was wir uns wirklich ersehen, das, was wir wirklich brauchen, das, was
den Mangel beseitigt von Gott erwarten. Und ein großes Fest hat
unsere Kirche vor Kurzem gefeiert – den Kirchentag mit vielen Tausend
Teilnehmern, diesmal zusammen mit den Schwestern und Brüdern der
römisch katholischen Kirche – ein Gottesdienst besonderer Art mit
Vorträgen und Diskussionen,

Andachten und Bibelarbeiten, mit Streitgesprächen und Demonstrationen
– ein Fest für so viele, die in ihren Gemeinden oft meinen, wir
wären nur so wenige. Der ganze Kirchentag ein Gottesdienst? „Gottes-Dienst“ heißt
das Fest des Lebens – so hat Martin Luther es gesagt – weil dabei Gott
uns dient, weil er uns dies Fest bereitet, so wie der Vater in der Geschichte
es tut – für seinen wiedergefundenen Sohn und für alle, die
zu ihm gehören.

Einer freilich, so geht die Geschichte weiter –
einer will nicht mitfeiern. Ich lese die Verse 25 bis 32 Der ältere
Bruder hat – so glaubt er – allen Grund, bei diesem Fest nicht dabei
zu sein: Wieder wird der kleine Bruder vorgezogen, so scheint es ihm.
Er, der Ältere ist es doch gewesen, der dem Vater nie Kummer gemacht
hat, der nicht forderte, was ihm nicht zustand, der ohne Murren die Arbeit
tat, die zu tun war. Ihn hat man nie gefeiert – er war einfach da, gehörte
dazu. Der ältere Bruder merkt gar nicht, daß sein Fest gerade
darin bestanden hat: Immer beim Vater zu sein, von ihm nicht weniger
geliebt als der verlorengegangene, zu Hause sein zu dürfen, geborgen,
versorgt, gebraucht.

„In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig,
und an dieser Fülle habt ihr teil in ihm, der das Haupt aller Mächte
und Gewalten ist.“ so heißt es im Kolosserbrief – in ihm ist
die ganze Fülle Gottes „leibhaftig“, in ihm, in seinen
Worten und Taten lebt sie, konnten Menschen sie sehen, ja anfassen –
in seinem Leiden und seinem Tod lebt die Fülle der Liebe Gottes
– in seiner Auferstehung die Fülle des Lebens. Daran, so steht es
im Kolosserbrief, daran haben wir teil – davon können, sollen wir
ein, unser Teil bekommen – von dieser Fülle Gottes. Wir brauchen
dazu nicht den Weg – den weiten Umweg – zu gehen, den der sogenannte „Verlorene
Sohn“ geht – weder den in die Gottferne, noch den so mühsamen
Weg zurück. Wie der ältere Bruder dürfen wir immer bei
Gott bleiben. Wir brauchen uns nur an Jesus Christus zu halten, der uns
den richtigen Weg gezeigt hat.


Hilmar Menke, Superintendent in Cadenberge
E-Mail: HHFJMenke@aol.com

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