Predigt zu Lk 18, 9-14

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Predigt zu Lk 18, 9-14

Predigt zu Lk 18, 9-14 | verfasst von Pastor Bert Hitzegrad |

„Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.“

Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht bei Lukas im 18. Kapitel:

Der Pharisäer und der Zöllner

9 Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10 Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.11 Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12 Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13 Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14 Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werde.

„Und Gott segne dieses, sein Wort an uns und lass es auch durch uns zu einem Segen werden. Amen!“

 

Liebe Gemeinde!

Wir sind schnell bei der Hand, wenn wir urteilen, beurteilen, verurteilen. Und meistens beginnt die Bewertung schon einem Vorurteil: Frauen können nicht einparken und Männer hören nicht zu. Italiener essen nur Spagetti und vor den Polen sind die Autos nicht sicher. Asylbewerber sind meistens Wirtschaftsflüchtlinge und Firmenmanager bereichern sich an ihren Boni-Zahlungen. Wir wissen meistens, wer richtig handelt und wer nicht, was gut ist und was schlecht. Auch bei der heutigen Beispielgeschichte, die Jesus erzählt. Pharisäer und Zöllner – schon bei der Überschrift wissen wir Bescheid und das Urteil ist klar und die Sympathien zugunsten des Zöllners ungleich verteilt. Gefühlt 100 Mal wurden uns die beiden Zeitgenossen aus dem biblischen Alltag vorgeführt. Und spätestens seid dem Kindergottesdienst wissen wir: der Pharisäer ist ein verlogener, überheblicher Mensch. Der Zöllner dagegen verdient all unseren christlichen Respekt, weil er voller Reue und Demut vor Gott tritt. Wie ein Bettler ruft er aus der Tiefe und findet Gehör. Der Pharisäer dagegen, der nur Verachtung für den Mann vom Zoll hat, erhält diese mit voller Breitseite zurück.

Ist das gerecht? Entspricht das den beiden Menschentypen. Will Jesus uns auf diese Spur des Vorurteils, ja des Verurteilens führen?

Ich würde die beiden gern fragen, wie es ihnen mit unserer Bewertung ihres Glaubenslebens geht. Ich würde sie gern nach ihrer Motivation und den Gründen für den Weg in den Tempel befragen. Und ob die Begegnung sie verändert hat – die Begegnung mit dem anderen – und die Begegnung mit Gott.

Sie sind Zeitgenossen einer fernen Welt.  Anonym, ohne Namen und nähere Beschreibung ihrer Lebensumstände kommen sie daher. Vielleicht gelingt es uns, dass wir uns ihnen nähern. Geben wir ihnen Namen, Jakobus und Elias, verleihen wir ihnen unsere Stimme und hören wir ihre Geschichten (Personen aus der Gemeinde könnten die Sprecherrollen übernehmen.):

Jakobus: „Danke, dass ich zu Wort kommen darf. Endlich darf ich mich verteidigen, meine Beweggründe nennen. Viel zu lange musste ich schweigen. Das Vorurteil gegenüber uns, den Pharisäern, lastet schwer auf uns. Wer nennt uns noch fromm und rechtschaffen? Wer heute einen „Pharisäer“ trinkt,  denkt an Scheinheiligkeit und Heuchelei! Außen hui – so wie der Kaffee serviert wird. Und innen pfui, dem Alkohol und doch der Lebensfreude huldigend.

Das ist ein schiefes Bild von uns und verunglimpft unsere ganze Zunft. Hochanständige, fromme Menschen sind wir, Bauern, Kaufleute, Handwerker. Aber nicht unsere Berufe bestimmen unser Leben, sondern unsere Berufung. Gott hat uns die Regeln und Gebote für unser Leben gegeben. Wir fasten regelmäßig, geben den Zehnten und sind fast täglich im Tempel zu finden, denn wir suchen die Gemeinschaft mit Gott. Was soll daran verkehrt sein? Warum werden wir dafür gescholten? Wir sind tüchtige, aufrechte Leute, wir zahlen unsere Steuern pünktlich, wir leben nicht auf Kosten anderer. Solche wie wir werden von einer Gesellschaft gebraucht. Wir schauen nicht auf unseren Vorteil wie der da – der Zöllner. Womit hat er sich sein großes Haus verdient und den Park darum, der Schatten gibt, soll ich es Ihnen sagen? Aber Sie wissen es doch längst – und trotzdem findet er so viel Achtung bei Ihnen – Achtung und Erbarmen bei Jesus, bei Gott?

Ich fühle mich völlig missverstanden und falsch beurteilt. Wer kann uns  Pharisäer rehabilitieren, wer hat den Mut, für uns zu sprechen?“

Anders ergeht es dem Zöllner – er ist der unangefochtene Sympathieträger dieser Geschichte. Wie geht er mit dieser Welle des Wohlwollens um? Elias hat das Wort:

„Ich muss gestehen: So viel Zuneigung und freundliches Entgegenkommen habe ich selten erlebt. Ich gestehe natürlich: das liegt an mir und meinem Job. Meine Eltern hätten gern gesehen, dass ich einen ehrlichen und anständigen Beruf erlernt hätte – Zimmermann, jemand der sich mit Holz und Statik auskennt, das hätten sie sich gewünscht. Aber die Zimmerleute, die ich kenne, sind arme, kleine Schlucker und das Einkommen reicht gerade um auszukommen. Ich wollte mehr. Und ich bekam mehr. Ein Freund sprach mich an, dass die Römer Mitarbeiter aus unserem Volk suchen, die die Steuern eintreiben – Zöllner! Aber kein Vergleich zu den Beamten, die Sie heute kennen – loyal gegenüber dem Staat und handelnd nach Recht und Gesetz. Wir sind unsere eigenen Herren, wir machen unsere eigenen Gesetze. Die Römer weisen uns Zollbezirke zu. Mir gehörte z.B. das Damaskustor in Jerusalem. Wer dort ein- und ausging, musste bezahlen. Das war lukrativ, denn viele strömten zum Basar. Die Römer hatten einen festen Pachtzins, den ich bezahlen musste. Aber die Tarife für den Eintritt durch das Tor habe ich gemacht. Und natürlich habe ich drauf geachtet, dass da genügend für mich heraussprang. Gefiel mir die Nase eines Händlers nicht, habe ich gleich doppelt so viel genommen. Ihr würdet sagen: eine echte „Abzocke“. Ja, wirklich: ein lukrativer Job, mein Freund hatte recht. Inzwischen habe ich ein ansehnliches Haus gebaut für meine Familie, ein Park ist rundherum mit Bäumen, die viel Schatten spenden. Aber nicht nur der Weg vorbei an meinem Zollhaus hat seinen Preis, auch mein Leben als Zöllner. Als Kollaborateur mit den Römern werde ich überall geschnitten und gemieden. Ich bezahle zwar auch meine Tempelsteuer, aber ich gehöre nicht zu den Kreisen der Frommen und Rechtgläubigen. Ja, sie sprechen mir sogar meinen Glauben ab. Ich könnte mein Leben genießen, aber diese Isolation, die offene und versteckte Ablehnung sind hart. „Mobbing“ würdet Ihr dazu sagen. Dass ich Fehler mache, weiß ich natürlich, dass ich oft zu viel an Steuern eintreibe – dazu ist die Versuchung zu groß. Ich weiß, dass ich ein Sünder bin. Gott weiß es, ich will mich ändern. Danke, dass Ihr auf meiner Seite seid. Danke, dass ihr mich nicht verurteilt, sondern mir eine Chance gebt!“

Zwei Menschen, zwei Lebensentwürfe, die unterschiedlicher nicht sein können. Und beide sind im Tempel, beide sind in Gottes Haus. Der eine schaut auf sein Leben und erlebt es dankbar als gelungen und sinnvoll. Der andere steht für alle, die gescheitert sind in ihrem Leben. Der eine formuliert schöne Dankgebete, der andere schmeißt Gott die Scherben vor die Füße. Und Gott hat ein Ohr für den Schuft mit so viel Dreck am Stecken. Was sagten die, die dieses Gleichnis hörten? Eine ganze Schar versammelte sich um Jesus, um ihn zu hören, vielleicht auch, um ihn zu prüfen: Wie schlägt die Waage aus, wer ist gut, wer ist gerecht vor Gott?  Wem gelten seine Sympathien?

„Jesus sprach zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern …“– was sagten sie? Auch ihnen wollen wir eine Stimme geben:

„Es ist nicht auszuhalten mit diesem selbsternannten Meister! Er wirft alle unsere guten Regeln und Sitten über Bord. Er lästert Gott, der uns nach unseren Werken beurteilt. Wie kann er einem Zöllner bescheinigen, gerecht zu sein? Zöllner, Freunde der Römer, Freunde der Heiden, der Unbeschnittenen, der Unreinen … Vor Gericht hat er nichts zu sagen, er hat alle seine Rechte verspielt. Aber vor Gott sei er gerechtfertigt? Er gehört zu den Ausgeschlossenen, den Gemiedenen. Wenn Gott gerecht ist, dann steht er auf unserer Seite, dann hört er unsere dankbaren Gebete. Unser tadelloser Lebenswandel ist wie ein Weihrauchopfer, das zu ihm aufsteigt. Wir prassen nicht, wir bringen unsere Opfer, und wir fasten und verzichten, wir nehmen nicht, wir geben reichlich, den Zehnten und wenn Not ist noch mehr. Warum erzählt dieser Jesus solche Geschichten. Sein Gott ist nicht unser Gott und seine Gerechtigkeit ist nicht unsere Gerechtigkeit.“

Stimmt! Zumindest darin haben sie Recht, die Frommen und Gerechten und die, die andere verachten. Soweit haben sie die Geschichte verstanden, die Jesus erzählt, aber nicht das Neue, was mit Jesus in diese Welt gekommen ist. Sie möchten in ihren eingefahrenen Gleisen und Denkweisen verharren und nicht den Hochmut ablegen, der Menschen verachtet, um sie neu mit Gottes Augen, mit seiner Liebe zu sehen. Und die ist offen für „die anderen“  die „übrigen Menschen, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher …“ Der Arzt ist für die Kranken da. Die Freude ist groß über einen der umkehrt, größer als über 99, die der Umkehr nicht bedürfen ….

Wie haben die „anderen Menschen“ diese Zuwendung Gottes erlebt?

Der Räuber: „Ja, ich habe die letzten Momente seines Lebens erlebt. Ich bin einer der Räuber, ein Übeltäter, der neben ihm am Kreuz hingerichtet wurde. Wir haben gelitten an diesem teuflischen Kreuz. Und die Schmähungen der Umherstehenden haben uns getroffen wie die Hammerschläge der Römer. Sogar mein Kumpane, der mit mir verurteilt wurde und der ebenso am Kreuz hingerichtet wurde, lästerte noch in seiner heillosen Situation: „Bist Du  nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!“ Ich habe ihn gleich zurecht gewiesen, denn ich habe gespürt, da ist jemand zu Unrecht verurteilt worden. Da ist jemand in die Mühlen der vermeintlich Frommen und Tadellosen geraten, die seine Worte und Wahrheiten nicht ausstehen konnten. Er hat die Welt auf den Kopf gestellt: Gott am Kreuz, an der Seite der Verbrecher. Gott auf der Seite der Rechtlosen, der Sünder, der von allen Ausgeschlossenen. Dort am Kreuz habe ich es gespürt, dass er anders ist als die anderen. Und dann hat er mir Hoffnung gemacht in aller Hoffnungslosigkeit. Leben, auch wenn alles Leben vertan, verpfuscht, verloren war: ‚Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.‘ Ich bin ihm ewig dankbar!“

Ein Ungerechter – Petrus: „Dass man so tief sinken kann im Leben. Ich habe mich so geschämt. Ich dachte ich könnte ihm nie wieder in die Augen sehen – und ich dachte, ich würde ihm nie wieder in die Augen sehen können, weil er gefangen war, verurteilt wurde und … Ich habe ihn verleugnet nach Strich und Faden. Habe abgestritten, ihn zu kennen, ihn, der für mich wie ein Bruder war, ein Lehrer, Rabbi, Meister. Wie konnte ich nur? Ich wusste gar nicht wohin vor Scham.  Und trotzdem hat er mir die Hand gereicht und mich wieder aufgerichtet wie damals, als ich fast m See ertrunken bin. Und trotzdem hat mir nicht die Schlüssel für das Himmelreich aus der Hand genommen. Ich war nicht „Petrus der starke Fels“, butterweich bin ich dahin geschmolzen als es Gegenwind gab. Aber er hat mich stark gemacht. Er steht zu mir. Manchmal frage ich mich: Warum?“

Eine Ehebrecherin: „Dass ich noch lebe, habe ich ihm zu verdanken. Dass mein Leben sich total geändert, auch! Es war wie ein zweiter Geburtstag, der mir geschenkt wurde. Sie hatten die Steine schon in der Hand. Und nach unseren Geboten wäre alles recht und richtig gewesen. Ich hatte eine Affäre. Als Frau war ich natürlich Schuld. Mein Liebhaber wäre unbehelligt davon gekommen. Aber nun hatten sie wieder eine, die sie als Sünderin beschimpfen konnten. Nun hätten sie mit jedem Stein Gottes Willen getan, um die Sünde aus dieser Welt zu schaffen. Welch ein grausamer Gott, welch ein böses Spiel, denn sie alle hatten Dreck am Stecken und waren froh, einen Sündenbock zu haben. Wenn sie ihr Strafgericht vollendet hätten, hätte ich nichts mehr sagen können … Jesus hat gleich ihre Beweggründe durchschaut. Er hat mich gerettet. Er hat nicht gesagt: ‚Alles ist gut in deinem Leben!‘ Das wusste ich. Er hat gesagt: ‚Alles wird gut, wenn du dich änderst – sündige hinfort nicht mehr!‘ Dass er mir das Leben neu geschenkt hat ….! Ich frage mich immer noch, was er mit dem Finger in den Sand gemalt hat – ein Herz?“

Unsere Herzen schlagen für die, deren Leben aus dem Ruder gelaufen sind. Unsere Sympathien gelten denjenigen, die am Ende sind, die bereuen, die dem Alten entkommen wollen: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Vielleicht gehört der Pharisäer auch deshalb nicht zu unseren Lieblingen, weil wir selbst zu oft Pharisäer sind – erhaben über die anderen, stolz auf unsere Leistungen, zufrieden mit unserem Seelenheil und glücklich über den Blick in die BILD-Zeitung: „Den anderen geht es ja noch schlechter als mir. Und mein Lebenswandel ist doch um einiges besser als deren …“ Der Zöllner in uns mag uns dann erinnern: Nicht ich halte mein Leben in der Hand, sondern Gott tut es. Nicht ich muss mich wieder aufrappeln, wenn ich gefallen bin. Er reicht mir seine Hand.

Ob der Zöllner – wir nennen ihn Elias – sie ergriffen hat? Wie so oft in den Geschichten, die die Bibel erzählt, würden wir gerne wissen, wie es weitergeht. Was macht er aus seinem „gerechtfertigt Sein“? Ist es eine Happy End-Geschichte oder greift der Zöllner-Alltag wieder nach seinem Leben?

Einer seiner Kollegen, Levi, wird nach der Begegnung mit Jesus ein Jünger. Ein anderer, Zachäus, gibt die Hälfte seines Besitzes den Armen und denen, die er betrogen hat, gibt er es vierfach zurück. Nur Vorsicht, dass er nicht meint, die Sympathien kaufen zu müssen. Dann wird sogar aus dem Zöllner ein Pharisäer! Nein, es bleibt Gottes Barmherzigkeit, die uns gerecht macht und uns eine tiefe Zufriedenheit schenkt. Aber davon sollen auch andere etwas spüren! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus zum ewigen Leben. Amen.

Liedvorschlag: Der Gammler (http://www.alterlobpreis.de/Man-sagt,-er-war-ein-Gammler/)

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Pastor Bert Hitzegrad

Der Verfasser ist Pastor in einer ländlichen Region im Norden der Hannoverschen Landeskirche. Er betreut eine klein Dorfgemeinde (140 Mitglieder) und gemeinsam mit einem Kollegen die Kirchengemeinde Cadenberge-Wingst mit knapp 5000 Gemeindegliedern. Er ist z.Zt. Mentor für einen Vikar. Gemeinsam beschäftigen sie sich mit homiletischen Ansätzen (Lit.: L.Charbonnier/K.Merzyn/P.Meyer, Homiletik, Göttingen 2012. ). Die vorliegende Predigt ist ein Versuch, das Konzept der „Predigt bibliologisch gestalten“ nach Uta Pohl-Patalong (ebd., S 166) umzusetzen. Personen aus der Gemeinde können die verschiedenen Sprecherrollen übernehmen.

Kontakt: BHitzegrad@aol.com

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