Predigt zu Prediger 12, 1-8

Home / Kasus / 20. So. n. Trinitatis / Predigt zu Prediger 12, 1-8
Predigt zu Prediger 12, 1-8

Alt werden – aber nicht ohne Hoffnung! |20. Sonntag nach Trinitatis | 17. 10. 2021 |Predigt zu Prediger (Kohelet) 12, 1-8 | verfasst von Winfried Klotz |

Kohelet 12, 1-8 (Züricher Bibel)

12,1 Und denke an deinen Schöpfer in deinen Jugendtagen, bevor die schlechten Tage sich nahen und Jahre kommen, von denen du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht.

2 Bevor sich die Sonne verfinstert und das Licht und der Mond und die Sterne, und die Wolken wiederkehren nach dem Regen.

3 Wenn die Wächter des Hauses zittern und die starken Männer sich krümmen, die Müllerinnen ruhen, weil sie nur noch wenige sind, und dunkel werden, die aus den Fenstern schauen,

4 die Türen zur Straße hin geschlossen werden. Wenn das Geräusch der Mühle leise wird und hoch wie das Zwitschern der Vögel und alle Lieder still verklingen.

5 Selbst vor einer Anhöhe fürchtet man sich, und Schrecknisse sind auf dem Weg, und der Mandelbaum blüht, und die Heuschrecke wird schwer, und die Kaper bricht auf. Denn der Mensch geht in sein ewiges Haus, und durch die Straße ziehen die Klagenden.

6 Bevor der silberne Faden zerreißt und die goldene Schale zerspringt und der Krug an der Quelle zerschellt und das Schöpfrad zerbrochen in die Zisterne fällt

7 und der Staub zurückkehrt zur Erde, wie es gewesen ist, und der Lebensgeist zurückkehrt zu Gott, der ihn gegeben hat.

 

Kohelet 12, 1-8 (Gute Nachricht Bibel)

1 Denk an deinen Schöpfer, solange du noch jung bist, ehe die schlechten Tage kommen und die Jahre, die dir nicht gefallen werden.

2 Dann verdunkeln sich dir Sonne, Mond und Sterne und nach jedem Regen kommen wieder neue Wolken.

3 Dann werden deine Arme, die dich beschützt haben, zittern und deine Beine, die dich getragen haben, werden schwach. Die Zähne fallen dir aus, einer nach dem anderen; deine Augen werden trüb

4 und deine Ohren taub. Deine Stimme wird dünn und zittrig.

Die Verse 3-4 lauten wörtlich: an dem Tag, wenn die Wächter des Hauses zittern und die starken Männer sich krümmen und die Müllerinnen nicht mehr arbeiten, weil sie zu wenige sind, und die durch die Fenster Sehenden sich verdunkeln 4 und die Türen zur Straße geschlossen werden, während das Geräusch der Mühle dünner wird und sich zur Vogelstimme erhebt und alle Töchter des Gesangs gedämpft werden.

5 Das Steigen fällt dir schwer und bei jedem Schritt bist du in Gefahr, zu stürzen. Draußen blüht der Mandelbaum, die Heuschrecke frisst sich voll und die Kaperfrucht bricht auf; aber dich trägt man zu deiner letzten Wohnung. Auf der Straße stimmen sie die Totenklage für dich an.

6 Genieße dein Leben, bevor es zu Ende geht, wie eine silberne Schnur zerreißt oder eine goldene Schale zerbricht, wie ein Krug an der Quelle in Scherben geht oder das Schöpfrad zerbrochen in den Brunnen stürzt.

7 Dann kehrt der Leib zur Erde zurück, aus der er entstanden ist, und der Lebensgeist geht zu Gott, der ihn gegeben hat.

 

Liebe Gemeinde,

sehr einseitig begegnet uns unser Predigtabschnitt; der Ton liegt auf der Beschreibung des Alterns und der Vergänglichkeit des Lebens. Angeredet sind die jungen Leute, aber welchen Gewinn sollen die von solch einem Klagelied über den Abbauprozess im Alter haben? Mithören und mitbedenken sollten wir deshalb auch das in den Versen vor unserem Abschnitt zur Jugend Gesagte: „Freue dich, junger Mann, in deiner Jugend, und dein Herz erfreue dich in deinen Jugendtagen. Geh deinen Weg mit Verstand und mit offenen Augen.“ (Kap. 11, 9) Solche Aufrufe zur Freude finden sich im Weisheitsbuch „Prediger – Kohelet“ immer wieder. Kap. 9, 7-10 heißt es: „Auf, iss dein Brot mit Freude, und trink deinen Wein mit frohem Herzen; denn längst schon hat Gott dieses Tun gebilligt. Jederzeit seien deine Kleider weiß, und an Öl auf deinem Haupt soll es nicht fehlen. Genieße das Leben mit einer Frau, die du liebst, all die Tage deines flüchtigen Lebens, die er dir gegeben hat unter der Sonne, all deine flüchtigen Tage. Das ist dein Teil im Leben, bei deiner Mühe und Arbeit unter der Sonne. Was immer du zu tun vermagst, das tu. Denn weder Tun noch Planen, weder Wissen noch Weisheit gibt es im Totenreich, dahin du gehst.“

Der Verfasser des Buches Prediger versucht eine seiner Erfahrung entsprechende Beschreibung menschlichen Lebens, er weiß um Mühe und Arbeit, er betont, wie flüchtig, wie vergänglich, wie unberechenbar Leben ist, aber er denkt nicht nihilistisch; er weiß um Gott, den er zu Beginn unseres Abschnitts als den Schöpfer anspricht. Nicht zu leugnen ist aber, dass das Buch Prediger menschliches Leben mit der Brille „es ist flüchtig und unberechenbar“ sieht. Wer in einer Krise steckt, wer einen Verlust erlebt hat, wer spürt, wie die Schwermut nach seinem Herzen greift, soll wissen, das Buch Prediger ist nur eine Stimme im Chor der Bücher der Bibel; er ist nur ein Zeuge, der die Wirklichkeit menschlichen Lebens vor Gott beschreibt. Und noch etwas ist wichtig: im Unterschied zu den Propheten redet der Prediger nicht im Auftrag Gottes, im Unterschied zu den Psalmen redet er nicht zu Gott; er redet aber als Weiser (Kap. 12, 9), als Philosoph über Gott; er ist nur indirekt ein Zeuge für Gott.

„Und denke an deinen Schöpfer in deinen Jugendtagen, bevor die schlechten Tage sich nahen und Jahre kommen, von denen du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht.“

Es ist keineswegs nebensächlich, dass der Prediger an den Schöpfer erinnert, bevor er von Alter und Tod redet. Bezugsrahmen des Lebens ist nicht: „Ich komme aus dem Nichts und gehe in das Nichts“, sondern ich bin gewollt von Gott, dem Schöpfer. Die Erinnerung an den Schöpfer ist Vergewisserung, dass es ein stabiles, wenn auch von mir nicht zu beweisendes Fundament für mein irdisches Leben gibt. Ich denke an den Satz aus Jesaja 43, 1: „Und nun, so spricht der HERR, dein Schöpfer, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.“ Üblicherweise überlesen wir, dass Gott hier vorgestellt wird als „dein Schöpfer“, der die befreit und zu seinem Eigentum erklärt, die er geschaffen hat. Das, gerade weil sein Volk verschleppt wurde und fremden Herren unterworfen ist. Im zweiten Teil des Jesajabuches redet ein Prophet zu Menschen, die durch eine Katastrophe hindurchgegangen und schwer traumatisiert sind.

Gott, der Schöpfer, den Lesern und Hörern des Buches Prediger war die Schöpfungsgeschichte bekannt, hat das Leben geschaffen, in dem Jugendzeit und Alter Raum haben. Nach dem Aufruf zur Freude an die jungen Leute kommt nun die Vorbereitung auf die schwere Zeit des Alterns. In einer Art Gedicht, das vielleicht sprichwörtliche Redensarten aufnimmt, werden die Beschwernisse geschildert, die im Alter erfahren werden. Im Raum der Schöpfung leben bedeutet begrenzt sein; das wird im Alter überdeutlich. Ich zitiere noch einmal:

„Bevor sich die Sonne verfinstert und das Licht und der Mond und die Sterne, und die Wolken wiederkehren nach dem Regen. Wenn die Wächter des Hauses zittern und die starken Männer sich krümmen, die Müllerinnen ruhen, weil sie nur noch wenige sind, und dunkel werden, die aus den Fenstern schauen, die Türen zur Straße hin geschlossen werden. Wenn das Geräusch der Mühle leise wird und hoch wie das Zwitschern der Vögel und alle Lieder still verklingen.“ (Verse 2-4)

Die Tage des Alters sind wie schlechtes Wetter, sie bringen wiederkehrende Beschwernisse. Arme und Beine werden schwach; die Zähne fallen aus, so dass essen keine Freude mehr bereitet; die Augen werden trüb und die Ohren taub; die Stimme wird dünn und zittrig. (Ich orientiere mich hier an der auslegenden Übersetzung der Gute Nachricht Bibel.) Der nächste Vers beschreibt jedenfalls zur Hälfte ohne Bild die Abnahme der Kräfte im Alter: „Selbst vor einer Anhöhe fürchtet man sich, und Schrecknisse sind auf dem Weg.“ Das ist Klartext und leicht zu verstehen.

Schwieriger dann der 2. Teil des 5. Verses: „und der Mandelbaum blüht, und die Heuschrecke wird schwer, und die Kaper bricht auf. Denn der Mensch geht in sein ewiges Haus, und durch die Straße ziehen die Klagenden.“ Der Mandelbaum ist in Israel – Palästina der erste Baum, „der vor Ende des Winters zu blühen beginnt – daher stand er als Symbol für Eile und Hast,“ lese ich in einem Buch zu Pflanzen der Bibel. (Michael Zohary, Pflanzen der Bibel, Stuttgart 1986) Vielleicht geht es in den drei Bildern, Mandelbaum, Heuschrecke, Kaper um einen nicht aufzuschiebenden Aufbruch. Wie dem auch sei, das Leben eilt auf den Tod zu; eine Ewigkeitshoffnung liegt noch nicht im Ausdruck ewiges Haus, aber wir wissen durch Jesus, dass im Haus des Vaters viele Wohnungen sind, die er, der Sohn, uns bereitet hat. Aber wir wissen auch, dass die Zurückbleibenden die Last der Klage und Trauer tragen müssen. Wir tragen einen Stachel im Herzen, wenn wir uns erinnern an Verstorbene, die uns eng verbunden waren.

Der Abschluss des Gedichtes redet in Bildern, die aber nicht schwer verständlich sind, da sie alle ein Zerbrechen andeuten: „Bevor der silberne Faden zerreißt und die goldene Schale zerspringt und der Krug an der Quelle zerschellt und das Schöpfrad zerbrochen in die Zisterne fällt und der Staub zurückkehrt zur Erde, wie es gewesen ist, und der Lebensgeist zurückkehrt zu Gott, der ihn gegeben hat.“ (V. 6-7)

Ich sagte schon, die Geschichte von Schöpfung und Sündenfall ist präsent bei denen, die dem Prediger zuhören. Gott, der Schöpfer hat den Menschen aus Erde gemacht und ihm das Leben gegeben. Ihm gehört das Leben, deshalb kehrt es zu ihm zurück. Das ist im Horizont des Buches Prediger nicht im Sinne einer unsterblichen Seele gemeint; auch eine neutestamentliche Auferstehungshoffnung zeichnet sich hier nicht ab. Als Christen aber lesen wir die Bibel als Ganzes und vor allem, wir lesen sie von Jesus Christus her.

Aus einem Gespräch mit den Sadduzäern berichtet Lukas folgende Schlussfolgerung Jesu: „Dass aber die Toten auferweckt werden, darauf hat auch Mose beim Dornbusch hingedeutet, wenn er den Herrn den Gott Abrahams und den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt. Er aber ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebenden, denn für ihn leben alle.“ (Lk. 20, 38-39) Die Vergänglichkeit menschlichen Lebens ist nicht aufgehoben, aber für Gott nicht vorhanden. ER ruft ins ewige Leben. Paulus bezeugt vom Christus Jesus: „Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden: dass er Herr sei über Tote und Lebende.“ (Rö. 14, 9) Das ist wirklicher Trost: Wer zu Jesus Christus gehört steht nicht unter der Herrschaft des Todes.

Ich schließe das Nachdenken über unser Predigtwort mit zwei Feststellungen:

Seien wir uns der Begrenztheit und Vergänglichkeit unseres Lebens bewusst! Es nützt nichts, die dicke Tünche eines erfüllten, guten Lebens drüber zu schmieren. Der Prediger öffnet uns die Augen: „Doch als ich alle meine Werke ansah, die meine Hände vollbracht hatten, und alles, was ich mit Mühe und Arbeit geschaffen hatte, siehe, da war alles nichtig und ein Greifen nach Wind, und es gab keinen Gewinn unter der Sonne.“ (Prediger 2, 11) Unser Predigtwort stellt uns die Unvermeidlichkeit von Altern und Sterben vor Augen. Auch die beste Medizin verhindert das nicht!

Das andere: Es ist offensichtlich, dass ein Lebensstil der Unbegrenztheit uns selbst zerstört. Lernen wir zu schätzen, was uns an kleinen, alltäglichen Freuden zugeteilt ist. (9, 9) Lernen wir das uns hier gegebene Leben zu feiern! Lernen wir aber auch, uns zu begrenzen! Wir folgen einem Mann nach, der die harte Grenze des Kreuzes angenommen hat – uns zugute! Es darf nicht sein, dass unsere Lebenserfüllung das Leben auf unserer Erde zerstört. Amen.

 

Liedvorschläge: EG 528 Ach wie flüchtig; 526 Jesu meine Zuversicht, 516 Christus, der ist mein Leben, 378 Es mag sein, das alles fällt; EG+ 109 Meine Hoffnung und meine Freude, 87 Lobe den Herrn, meine Seele. Meine Zeit steht in deinen Händen, Peter Strauch, 213 Lebenslieder (CVJM)

Winfried Klotz, Pfr. Jg. 1952, verh. 3 erwachsene Kinder, ländlich geprägt, seit 30 Jahren Schafhalter.

winfried.klotz@web.de

de_DEDeutsch