Predigt zu Prediger 12, 1-8

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Predigt zu Prediger 12, 1-8

Kohelet lächelt| 20. So. n. Trinitatis | 17.10.2021 | Prediger 12, 1-8 | verfasst von Thomas-M. Robscheit |

 

Hinweis: der Text sollte m. E. Pred. 11, 9-12,8 umfassen.

 

 

Der Friede Gottes sei mit Euch!

 

Liebe Gemeinde,

 

mögen Sie Rätsel? Ich meine nicht Kreuzworträtsel oder Sudoku, sondern diese kleinen Rätselfragen: Ich habe einen Rücken, aber ich kann nicht liegen, ich habe Flügel, aber ich kann nicht fliegen, ich kann laufen, doch habe ich keine Beine. Wer bin ich?

Wissen sie´s?

Nun etwas schwieriger:

Die Hüter des Hauses zittern und die Starken krümmen sich und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind. Finster werden, die durch die Fenster sehen, die Türen an der Gasse schließen sich, die Stimme der Mühle wird leise, wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt.

Dieses Rätsel steht in unserem Alten Testament, im Buch Kohelet, oder wie wir es in der Lutherbibel nennen: Prediger. Wahrscheinlich wird es jetzt in Ihrem Kopf rumoren: Prediger, Prediger, da war doch was! – Richtig! „Alles hat seine Zeit!“

Vielleicht entsteht in ihrem Kopf eine Melodie aus dem Jahr 1950 von Pete Seeger „Turn, turn, turn“ oder „Wenn ein Mensch lebt“ von den Phudys (letzteres sicherlich nur, wenn Sie in der DDR aufgewachsen sind).

Ach, ja, das Buch Kohelet. Alles hat seine Zeit, alles kommt immer wieder und letztlich ist alles menschliche Tun und Lassen nur eitel und Haschen nach Wind. Irgendwie war das für mich immer genial an der Grenze zwischen Tiefsinnigkeit und Banalität. Es ist um das Jahr 220 v. Chr. in Jerusalem. Kohelet beobachtet die Welt. Wie andere Verfasser der sogenannten Weisheitsliteratur bemüht er sich um das Erfassen der Zusammenhänge. Kohelet sieht die Widersprüchlichkeit der Welt, das scheinbar Immerwiederkehrende und fragt, ob nicht alles menschliche Tun letztlich vergeblich ist. Selbst die Suche nach Weisheit, dem höchsten Gut. Alles nur eitel und haschen nach Wind.

Ich habe dieses biblische Buch in meiner Jugend geliebt und unzählige Male gelesen.

Das ist ja interessant, was Sie in Ihrer Jugend gelesen haben, aber was hat das mit unserem Rätsel zu tun?, werden Sie vielleicht fragen. Inzwischen sind Sie über 50!

Ja, was ist mit dem Rätsel?

Die Hüter des Hauses zittern und die Starken krümmen sich und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind. Finster werden, die durch die Fenster sehen, die Türen an der Gasse schließen sich, die Stimme der Mühle wird leise, wenn sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt.

Die Hüter des Hauses, das sind die Arme; die Starken sind unsere Beine; die Müllerinnen, die müßig stehen, weil schon viele fehlen, sind unsere Zähne. Die finster werdenden Fenster: die Augen, die sich schließenden Türen: die Ohren, der weiß blühende Mandelbaum unsere Haare, die beladene Heuschrecke: der schwere Gang und schon ist des Rätsel Lösung klar: das Alter!

 

Dieses Rätsel steht natürlich nicht für sich alleine. Es geht nicht nur um das Alter, sondern auch um die Jugend! Der Lehrer Kohelet schreibt seinen jungen Schülern:

So freue dich, Jüngling, in deiner Jugend und lass dein Herz guter Dinge sein in deinen jungen Tagen. Tu, was dein Herz gelüstet und deinen Augen gefällt, und wisse, dass dich Gott um das alles vor Gericht ziehen wird. Lass Unmut fern sein von deinem Herzen und halte das Übel fern von deinem Leibe; denn Jugend und dunkles Haar sind eitel.

Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre nahen, da du wirst sagen: »Sie gefallen mir nicht«; ehe die Sonne und das Licht, der Mond und die Sterne finster werden und die Wolken wiederkommen nach dem Regen, – zur Zeit, wenn die Hüter des Hauses zittern und die Starken sich krümmen und müßig stehen die Müllerinnen, weil es so wenige geworden sind, wenn finster werden, die durch die Fenster sehen, wenn die Türen an der Gasse sich schließen, dass die Stimme der Mühle leise wird und sie sich hebt, wie wenn ein Vogel singt, und alle Töchter des Gesanges sich neigen; wenn man vor Höhen sich fürchtet und sich ängstigt auf dem Wege, wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht; denn der Mensch fährt dahin, wo er ewig bleibt, und die Klageleute gehen umher auf der Gasse; – ehe der silberne Strick zerreißt und die goldene Schale zerbricht und der Eimer zerschellt an der Quelle und das Rad zerbrochen in den Brunnen fällt. Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.

Er ist alt geworden, der Prediger Kohelet. Er blickt auf das Leben und die Jugend zurück. Wehmütig vielleicht, aber nicht resigniert, sarkastisch oder gar zynisch. Letztlich ist alles vergänglich und vieles vergeblich. Man mühe sich ab, wie man will, am Ende hat man keinen Gewinn davon. Und doch erahnt der Mensch die Weite. Gott hat die Ewigkeit in unser Herz gelegt, eine Sehnsucht, die wir spüren können. So wie wir im herbstlichen Nebel ein Gefühl für die strahlende Sonne am blauen Himmel haben. Nur wenige Meter über uns, auch wenn uns graue Tristesse gefangen hält. Es gibt mehr als unser tägliches Einerlei.

Kohelet erahnt das; deutlich. Oberflächlich scheint alles nur Haschen nach Wind. Doch da ist mehr! Während er das schreibt, alt und lebenssatt, spürt Kohelet, dass er kurz vor der Erkenntnis steht. So wie wir manchmal spüren, dass jeden Moment der Nebel schlagartig verschwinden wird und wir im Licht stehen werden. Alles dreht sich im Kreis und dennoch sind die Mühen nicht belanglos: genieße Deine Jugend lehrt er, aber bedenke dabei, dass alles Konsequenzen hat und Du Rechenschaft ablegen musst. Das Leben besteht aus unzähligen vergeblichen Freuden und Sorgen. Es wird aufgebaut und abgerissen, geliebt und gehasst, geweint und gelacht, genäht und zerrissen. Man kann sich darüber ärgern, man kann es verdrängen. Man kann aber auch Essen, Trinken und guten Muts sein bei all den Mühen und anderen zur Gabe Gottes werden: der Lichtblick, der Sonnenstrahl oberhalb des Nebels, das Versprechen, das eben doch nicht alles nur Haschen nach Wind ist.

Kohelet schreibt die letzten Zeilen seines Buches und gönnt sich dabei die kleine Eitelkeit, den Schülern ein Rätsel mit auf den Weg zugeben: Die Hüter des Hauses zittern und die Starken krümmen sich und müßig stehen die Müllerinnen,…

Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, ganz eitel. Er lächelt. Kohelet schließt die Augen, sieht das Licht und er spürt den Frieden Gottes, der größer ist als all unsere menschliche Vernunft und Vorstellungskraft.

Amen.

PS: Das Rätsel vom Anfang: es ist die Nase.

de_DEDeutsch