Predigt zum Totensonntag

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Predigt zum Totensonntag

Anmerkungen zu Text und Predigt

1. Ende November – Totensonntag: Ab und an kam es vor, dass gerade
dann unser Vater seinen Geburtstag hatte. Die Erinnerung an die Geburt
und das Gedenken des Todes lagen an diesem Tag ganz eng beieinander,
provozierend eng, furchtbar eng. „Mitten wir im Leben sind mit
dem Tod umfangen“ – das erlebten wir dadurch elementar. Auch dieses
Jahr wäre es wieder so gewesen: Totensonntag und Geburtstag des
Vaters beisammen. Doch ist dieser längst nicht mehr, ist vor Jahren
schon von uns gegangen. Aber das Datum bleibt haften, ist mehr als ein
Zufall und prägt deshalb auch – uns und diesen Tag.

Und so denken wir besonders an diesem einen Tag an den letzten Weg,
den wir damals miteinander auf dem Friedhof hatten. An viele letzte
Wege denken wir an diesem einen Tag, die wir miteinander gegangen sind
– mit dem Arbeitskollegen, mit dem Freund, mit der Mutter und mit den
vielen unmittelbar Betroffenen. Das Herz war uns in Gedanken so schwer,
weil uns diese Lieben so viel bedeutet hatten. So eng waren unsere Beziehungen
gewesen, dass wir uns richtiggehend amputiert gefühlt haben, amputiert
an Geist und an Seele. Mit ihnen ist auch ein Stück unseres Lebens
unwiederbringlich verloren gegangen. Deshalb gehen unsere Gedanken an
diesem einen Tag zurück, versuchen, uns das noch einmal nahe zu
bringen, was in Wirklichkeit längst vorbei ist.

Aber noch etwas kennzeichnet diesen einen Tag: dass unsere Gedanken
an ihm ebenso nach vorne gehen, dass sie nämlich den Tod als unser
aller Zukunft in den Blick nehmen und bedenken. Denn sterben werden
wir alle – das ist gewiss. Und jeder Tag bringt uns, bringt auch mich
persönlich, diesem Grunddatum näher. Wie winzig klein und
unvorhersehbar dieser Schritt sein kann, haben uns die grausamen Ereignisse
im Herbst dieses Jahres vor Augen geführt. Umso mehr gilt: Jeder
neue Tag ist nun einmal der erste Tag vom Rest meines Lebens. Das macht
schon die bloße Existenz dieses einen Sonntags deutlich und unübersehbar.
Deshalb wollen wir bei seinem Thema bleiben.

2. Auch der Bibeltext für diesen Sonntag stimmt bereits mit seinem
ersten Satz diese Melodie an: „Himmel und Erde werden vergehen.“
Also nicht nur meine Lieben und ich selber und darüber hinaus alle
Menschen müssen sterben – das steht fest. Sondern eine ganz andere
Qualität kommt nun noch mit ins Spiel: Himmel und Erde, die vermeintlichen
Grundfesten des Lebens selbst, sind vergänglich und kommen einmal
an ihr Ende. Das entsprach damals durchaus einer tiefen Überzeugung
der Christenheit: Nichts dauert mehr lange. Die jetzige Generation wird
es noch erleben, dass Gott dem allen ein Ende bereiten und den Jüngsten
Tag heraufführen wird. Darauf wartete man förmlich, fieberte
ihm entgegen und sehnte diesen Termin herbei: „Mach End, o Herr,
mach Ende mit aller unsrer Not“. Aber gleichzeitig wusste man tief
im Inneren auch, dass angesichts all dieser Endlichkeit eines Bestand
haben wird: „Meine Worte aber werden nicht vergehen“, nicht
seine Verheißungen und nicht sein großes Ja. Sie würden
Halt geben und durchtragen durch alles, was kommen würde. Wir wissen,
es kam dann doch anders, als man damals meinte, denn Gott hatte es anders
gedacht: Er ließ die Erde sich weiterdrehen, schenkte Saat und
Ernte, schickte Sommer und Winter, behielt den Himmel oben und die Erde
unten – jedenfalls noch, sogar bis in unsere Tage, an denen uns oft
genug der Atem gestockt hat. Daher: Gott sei Dank! Und das hat natürlich
Konsequenzen, Konsequenzen für Glauben und Leben: Wenn Gott selber
Himmel und Erde nicht egal sind, dann können sie es auch den Menschen
nicht mehr sein. Deshalb: Wenn Gott die Fortsetzung will, dann ist auch
unsere Antwort, genauer: Dann ist unsere Ver-Antwortung gefragt. Gottes
Langmut und unser Verhalten, die sollten sich deshalb schon entsprechen,
müssten doch miteinander korrespondieren. Schade und schlimm, wo
diese einander widersprechen – schlimm für den Himmel, schlimmer
für die Erde und noch schlimmer für uns.

3. Es tut gut zu erleben, dass Gott die Fortsetzung seiner Schöpfung
will. Das bringt Kontinuität und Verlässlichkeit ins Leben.
Und es ist noch besser zu erfahren, dass seine Worte nie vergehen sollen,
sondern für immer und ewig Bestand – haben. Auf sein großes
Ja ist nämlich Verlass. Und trotzdem stellt unser Bibelwort ganz
deutlich die Einmaligkeit jedes einzelnen Lebens und Sterbens heraus:
Die eigene Stunde – und das ist doch dereinst der eigene Tod, die kennt
keiner. Die kann niemand errechnen, niemand vorhersagen, denn sie kommt
plötzlich und ohne irgendeine Ankündigung. Deshalb ist unser
ganzes Leben gewissermaßen eine einzige große Wartezeit,
unser Lebensraum ein riesiger Wartesaal. Wer aber wartet, der ist hellwach
– wehe, wenn er nicht mehr wach ist, weil er sonst das Wichtigste versäumen
kann. Auch hier gilt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.
Selbst Sekundenschlaf kann lebensgefährlich sein. Von daher ist
es nur konsequent, wenn die Bibel so nachhaltig betont: Bleibt um alles
in der Welt wach, denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt.

Und doch gibt es auch das andere: In einer permanenten Wartehaltung
kann niemand leben. Nur auf diesen Moment zu warten, dass der Tod an
meine Türe klopft, das wäre kein Leben mehr. Richtig, so räume
ich ohne Zögern ein. Darum kann und darf es nicht gehen. Denn dann
hätte der Tod eine Macht über uns, die ihm schlicht und einfach
nicht zusteht. Ich bin davon überzeugt: So ist das gar nicht gemeint.
Wie aber dann? Vielleicht hilft uns da das alte Psalmwort weiter: „Lehre
uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Das heißt dann aber: Wichtig ist, dass wir den Tod als diese jederzeit
mögliche Wirklichkeit nicht verdrängen, nicht den Tod unserer
Mitmenschen und auch nicht den eigenen. Wichtig, lebenswichtig ist,
dass wir nicht so tun, als ginge der uns nichts an. Denn nur solange
wir atmen, sind wir in der Lage, den Tod wahrzunehmen, über ihn
zu sprechen und ihn deshalb auch zu „bedenken“. Unser Wissen
um unser Sterben, das bestimmt und prägt nun einmal unser Leben.
Und erst das Bewusstsein unseres Endes macht uns mitfühlend für
das Leben von anderen, lässt uns auch den unendlichen Wert erkennen,
den unser eigener Lebensweg hat. Dieser Sachverhalt entlarvt den berühmten
Satz des griechischen Philosophen Epikur als eine riesige Selbsttäuschung:
„Das schauerlichste Übel, der Tod, geht uns nichts an. Denn
solange wir sind, ist der Tod nicht da; wenn er da ist, sind wir nicht
da.“ Das genaue Gegenteil macht Sinn: Solange wir sind, geht uns
der Tod etwas an – vom ersten bis zum letzten Atemzug. Deshalb gilt
es, dem nachzudenken.

4. Bei diesem Nachdenken nun kann unser Bibelwort uns ein gutes Stück
weiterhelfen. Da wird nämlich weder verdrängt noch um den
heißen Brei herumgeredet, sondern ganz klar und deutlich konfrontieren
uns diese Worte mit unserem Ende – und eröffnen uns zugleich eine
wichtige Perspektive: „So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann
der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den
Hahnenschrei oder am Morgen.“ Wohl gemerkt: Wenn er, der Herr des
Hauses, wenn Gott also höchstpersönlich kommt!

An dieser Stelle geschieht etwas ganz Wesentliches, und darin liegt
die eigentliche, die tiefste Botschaft für den Totensonntag: Der
Tod wird mit Gott selber gleichgesetzt und damit auf einen Schlag entmachtet.
Das ist doch die letzte Konsequenz des Sieges von Jesus Christus an
Ostern über den Tod. Deshalb kann später der Apostel Paulus
selbstbewusst dem Tod ins Angesicht sehen und ihn spöttisch fragen:
„Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“

Sicher ist das ein hartes Wort, vielleicht auch ein paradoxes: Gott
als der Tod, Gott im Mantel des Todes. Aber genau darin liegt doch die
schärfste Zuspitzung der christlichen Einstellung zum Tode und
zugleich ihr umfassender Trost: Nicht der Tod und nicht das Ende, sondern
der Herr des Hauses, der Herr des Lebens kommt. Und seine Worte werden
nie vergehen. Kein blindes Schicksal, kein Zufall, sondern sein großes
Ja bestimmt haargenau so das Ende des Lebens, wie es schon vor Zeiten
seinen Anfang markiert hat. Das ist wahrlich oft nur schwer, manchmal
vielleicht unmöglich zu glauben. Auch ist der eine Tod ganz gewiss
schwerer zu verstehen als der andere. Aber es kommt doch letztlich darauf
an: Der, der uns einst im Mutterleib ins Leben rief, der ruft uns auch
wieder zu sich in sein Haus, in sein ewiges Reich. Gebe er es, dass
wir dazu unser Amen sagen können: Amen – genau so möge es
sein und werden!

 

Anmerkungen zu Text und Predigt:

Der Predigttext nimmt im Markusevangelium eine markante Stellung ein.
Er bildet den Abschluss der Geschehnisse und der mancherlei Worte in
Jerusalem, bevor bereits im nächsten Kapitel die Leidensgeschichte
Jesu beginnt.

Zunächst geht es darum, dass niemand um die „Stunde“
von Welt- und Lebensende weiß. Auf diesem Hintergrund gewinnt
sodann der Aufruf zum Wachen seinen letzten Ernst und seine universale
Ausweitung: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!“

Damit ist der Grundtenor angeschlagen, der seit alters den Toten- oder
Ewigkeitssonntag prägt. Auf dieses Datum gehe ich zunächst
ein, weil es seinerseits die Gefühlslage der Leser und Hörer
bestimmt.

Ich schildere die urchristliche „Naherwartung“ und ebenso
den Sachverhalt, dass Gott es schließlich anders gedacht hat:
„Fortsetzung folgt.“ Damit ist allerdings die Frage nach dem
individuellen Tod nicht erledigt. Deshalb leite ich über zu der
Kennzeichnung unseres Lebens zwischen dem Wachen auf der einen Seite
und dem Einrichten im Hier und Jetzt auf der anderen. Der Leitgedanke
dabei ist das „Bedenken“ des Todes.

Dieses führt schließlich zu dem Ausblick, dass am Ende nicht
der Tod an sich steht, sondern – selbst in dessen Erscheinung – niemand
anders als „der Herr des Hauses, der Herr des Lebens“.

Oberlandeskirchenrat Jürgen Jüngling
Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck
landeskirchenamt@ekkw.de

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