Predigten zur EKD-Initiative

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Woran
denken Sie bei Ostern?
Warum gibt es zu Ostern Ostereier? von Thies Gundlach

Gnade sei mit uns
und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.
Amen

Warum gibt es zu
Ostern Ostereier? Die staatstragende Bildungsantwort heißt: Eier
sind seit vorchristlichen Zeiten Symbol der Fruchtbarkeit und diesen
Volksglauben hat das Christentum aufgenommen und vertieft hin zum Auferstehungsglauben.
Aber dass wir alle fruchtbar sind wie Hase und Kaninchen, das ist ja
vielleicht doch noch nicht die ganze Wahrheit unseres Osterglaubens.
Deswegen eine zweite Antwort, warum es Ostereier gibt, eine Deutung
allerdings, zu der ich etwas ausholen und Ihre Phantasie beanspruchen
muss.

Was meinen Sie,
liebe Gemeinde: Was hat Christus in den letzten drei Tagen seit Karfreitag
gemacht? War er nur tot, lag er still im Grabe, war er – im wahrsten
Sinne des Wortes – kaltgestellt, mund- und mausetot? Wie stellen Sie
sich diese drei Tage vor?

Die klassische
Vorstellung ist in etwa die: Nach seinem Todeskampf am Kreuz tritt eine
große Stille ein, die Gaffer verlaufen sich, die Soldaten gehen
nach Haus, Josef von Arithmatia – so wird erzählt – erbarmt sich
des Leichnams Jesu, er wird vom Kreuz abgenommen, in ein Grab gelegt,
mit Tüchern bedeckt, ein Stein kommt vor das Grab wegen der wilden
Tiere und dann herrscht Ruhe, drei Tage lang. Die Jünger, geflüchtet
nach Galiläa zu Haus und Hof, Frau und Kind; die Freunde in Jerusalem,
verzweifelt, weinend und bemüht, ja nicht aufzufallen. Die Pharisäer
und Schriftgelehrten geniessen still ihren scheinbaren Sieg auf ganzer
Linie. Es lag eine unendliche, fast unheimliche Stille auf dem Land,
ein Innehalten der ganzen Schöpfung, ja das Universum wird stumm,
die Vögel unter dem Himmel schweigen drei Tage lang, kein Zwitschern
am Morgen, kein Summen am Abend, die Winde vergessen zu wehen, die Fische
lassen das Schwimmen, Gott selbst wendet sich ab von seiner Welt, um
zu weinen um seinen Sohn. Die ganze Schöpfung wird stumm und leer
ob dieses Einen am Kreuz.

Doch dann, nach
drei Tagen, irgendwie, nichts genaues ist bekannt, entsteht neues Leben,
entsteht neue Bewegung: Zuerst dort im Grab hinter dem Stein, dann in
den Seelen der Freunde und Jünger, dann überall: Die Bäume
schlagen aus, die Natur wächst mit Macht, die Felder jubilieren
in Farben und die Vögel singen wieder. Er lebt und wir sollen auch
leben, der Herr ist auferstanden, sein ist der Sieg, anders als erwartet,
unauslotbar, uneinholbar, aber er lebt und mit ihm alle Schöpfung.
Ein gewaltiges Bild, eine Phantasie der Extraklasse und wunderbar eingefangen
in diesem alten Osterlied:

„Jesu unser
Trost und Leben, der dem Tode war ergeben, der hat herrlich und mit
Macht, Sieg und Leben wiederbracht.“

Doch gerade in
dieser klassischen Vorstellung bleibt die Frage unbeantwortet:
Was hat Christus in den drei Tagen gemacht? Nur gelegen? Nur dem Tode
ergeben gewesen? Es kamen sehr bald ganz andere Bilder, Geschichten
und Legenden auf. Die nächste Strophe des eben zitierten Liedes
zeigt das: „Er hat ritterlich gerungen, Höll und Teufel überzwungen,
kein Feind kann uns schaden mehr, ob er tobet noch so sehr.“

Wir beziehen diesen
Kampf zumeist auf das Kreuz, aber gemeint ist etwas ganz anderes: Christus
hat nach dem Tode drei Tage lang gerungen, gekämpft, gestritten
und gesiegt, – im Lande der Finsternis. Er hat nicht brav still gelegen
und die drei Tage abgewartet, sondern ist – wie es im Glaubensbekenntnis
heißt – hinabgestiegen in das Reich des Todes. Auch dies eine
gewaltige, österlicher Phantasie, allein dafür sollte man
in meinen Augen den christlichen Glauben hochschätzen. Christus
hat auch das Reich des Todes, die dunklen Seiten des Lebens, die Dimension
der Finsternis besucht. Sein Licht reicht nicht nur bis zu den Jüngern
nach Galiläa, auch nicht nur bis zu uns heute durch die Jahrhunderte,
sondern sein Licht erleuchtet auch die Verstorbenen, die Vergessenen,
die Namenlosen in der Tiefe. Christus macht sich auf den Weg, er steigt
hinab in die Tiefen, in die Vergangenheiten, in die Seelen. Die Toten
hören zuerst vom neuen Leben, die Gefangenen erreicht zuerst die
Freiheit, die Verstorbenen erfüllt zuerst das neue Leben. Die frühen
Christen haben sich die drei Tage zwischen Karfreitag und Ostern mehr
als dramatisch vorgestellt, es ist die Zeit eines unsichtbaren, unterirdischen
Kampfes zwischen Licht und Finsternis. Christus verschließt die
Hölle, nicht nur vorübergehend, sondern für immer und
ewig, weil kein Gestern und kein Vorgestern, keine Tiefe, keine Untiefe
von ihm vergessen wird.

Vielleicht wirkt
das jetzt etwas religiös aufgeregt, etwas zu phantasiebegabt, zu
viele Hollywoodfilme gesehen. Doch im Kern ist es noch viel schlimmer:
Für mich ist der Osterglaube immer ein Denken in Bildern, ein Erkennen
mittels Geschichten, ein Hören und Lernen durch Mythen und Symbole,
und insofern bin ich mitten im Geschäft, wenn ich sie jetzt einlade,
einen Moment mit hinabzusteigen und diese drei Tage auszufüllen:

Auf wen mag Christus
treffen bei seinem Weg in die Tiefen, in die Finsternis?
Zuerst vielleicht, wie das Mittelalter immer behauptet hat, auf die
Seelen aller Kinder, die viel zu früh sterben mussten. Auch sie
werden nicht vergessen, ihnen bringt er Trost und Licht, Segen und Handauflegen,
ohne sie gibt es kein Osterfest, keine Auferstehungsfreude, sie feiern
mit, damals, heute, immer.

Dann vielleicht
trifft er auf all die Menschen, auf all die Seiten in uns, die sich
schämen müssen, die in ihrem Leben Schweres und Schuldiges
auf sich geladen haben, die die Wahrheit tragen müssen mit gekrümmten
Kreuz, die nicht aufrecht und frei, sondern feuerrot vor Scham die Endlosigkeit
ertragen müssen. Ihnen bringt er Kühlung, sein Licht befreit
ihre Herzen, er kann Versöhnen und Freisprechen von Schuld, er
kommt und nimmt die Last, er kommt und macht uns groß, diese Teile
der Seele können plötzlich aufatmen, wieder aufrecht stehen,
die ganze Welt, die ganze Seele wird wieder fähig und würdig,
das Licht des Lebens zu spiegeln. Welch ein Freiheitsgesang mag entstehen
in der Halle der Schuld?

Der nächste
Raum mag alle die beherbergen, die im Leben niemals frei von sich selbst
wurden, die lebenslänglich Gefangene ihres Ichs blieben, rund um
die Uhr, deren Seele aus Angst oder Schwäche immer nur den eigenen
Vorteil lebte und die nun in den Tiefen der Zeiten auf ewig Gefangene
ihrer selbst sind. Menschen, Seiten, Dimensionen, die niemals heraustreten
können aus ihrem Ich, die kein fremdes Lachen berühren, kein
anderes Glück erleuchten kann, die eingesperrt sind in sich selbst
wie eine Schnecke in ihrem Haus. Ihnen schließt er auf, ihre Gitter
zerbricht er, sein Licht zeigt ihnen den Weg hinaus aus sich selbst
hin zu den anderen, er befreit sie von sich selbst und entfacht so einen
weiteren unendlichen Jubel in der Halle der Ich`e!

`Heiter Raum um
Raum durchschreitend, Stuf` um Stufe heben, weiten` (H.Hesse), Licht
um Licht ansteckend, sind diese drei Tage voller Begegnung, voller Offenbarung,
voller Trost und Leben und wir alle können uns frei ausmalen, wie
weit sein Licht geworfen wird. Reicht es auch bis in die hintersten
Ecken der Finsternis? Dürfen auch die Mörder und Totschläger,
die Kinderschänder und Vergewaltiger Christi Licht sehen? Was sagt
Ihre Seele, wie weit reicht der Lichtkegel diesen Einen? Wer darf sein
barmherziges Wort hören? Wer darf von seinem Glauben ein Stück
abbekommen? Alle? Die meisten? Nur die Erwählten und Frommen? Sehen
auch Hitler, Himmler, Stalin, Pol Pot und all die anderen großen
Verbrecher der Jahrhunderte seinen Glanz? Dürfen sie mit ins Licht
treten oder bleiben sie fern der Barmherzigkeit auf ewig? Wie weit würden
Sie den Barmherzigkeitsball werfen?

Gott sei Dank,
wir müssen nicht entscheiden, wir sind nicht Richter, sondern Gäste!
Und wie weit auch immer unsere Phantasie reicht, am Ende stehen Teufel,
Tod und Hölle nackt da? Sie haben keine Truppen mehr, niemand ist
mehr da, den sie drangsalieren können, seit Ostern sind das drei
zusätzliche Arbeitslose, die ausnahmslos Freude machen. Oder wie
es so wunderbar im Lied heißt:

„Nunmehr liegt
der Tod gebunden, von dem Leben überwunden, wir sind seiner Tyrannei,
seines Stachels quitt und frei.“

Christus hatte
drei Tage lang intensiv zu tun und sein Weg zurück ins Leben gleicht
einem Krönungsgang, ein Freudentanz, ein Jubelfest. Christi Auferstehung
und das leere Grab sind nicht der Anfang, sondern das Ende eines langen
Erlösungsweges, den er in den Tiefen schon hinter sich hat. Und
eben das ist es, was er seinen Jüngern und Freunden erzählt:

Nicht nur dass
er lebt, sondern dass alle leben sollen, wirklich alle, auch die Gestrigen
und Vorgestrigen, die Kleinen und Großen, die Finsteren und Gequälten,
die Dunklen und Habgierigen, Ostern heißt: „Nunmehr steht
der Himmel offen, wahrer Friede ist getroffen, Halleluja!“.

Liebe Gemeinde,
warum gibt es zu Ostern Ostereier?
Weil sich auch bei Eiern von außen gar nichts sehen lässt,
aber innen drin, in der Tiefe entsteht neues Leben, verborgen vor unseren
Augen, aber deutlich sichtbar an den Folgen: Das Ei ist zerbrochen,
die Schalen liegen herum, das Kücken ist frei! Das Osterei ist
ein Symbol für dieses unsichtbare Leben hinter dem Augenschein,
Symbol für die drei Tage zwischen Karfreitag und Ostern, in denen
scheinbar gar nichts passiert, aber in denen in Wirklichkeit alles neu
wird. Allerdings: Dass wir in der Regel die Ostereier aufessen statt
ausbrüten, das ist ein Systemfehler, der wohl nur dadurch zu erklären
ist, dass Ostereier wunderbar schmecken. Und das ist ja auch etwas wert.
In diesem Sinne: Fröhliche Ostern und guten Appetit. Amen

Oberkirchenrat
Dr. Thies Gundlach
Leiter der Abteilung „Verkündigung, Kirchliche Dienste und
Werke“ im Kirchenamt der EKD

 

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