Psalm 46 – Jahrestag 9/11

Home / Bibel / Altes Testament / 19) Psalmen / Psalms / Psalm 46 – Jahrestag 9/11
Psalm 46 – Jahrestag 9/11

Göttinger Predigten im Internet hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Jahrestag des Terroranschlags auf das WTC in New York
11. September 2002
Predigt über Psalm 46
verfaßt von Paul Kluge

Liebe Geschwister,

in der Not zu wissen, woher mir Hilfe kommt: Das lässt in Not nicht verzagen, das nimmt die Angst, das gibt Hoffnung, dass die Errettung naht.

Die Passagiere aber in den Flugzeugen, die am 11. September vorigen Jahres ins Welthandelszentrum rasten, konnten nicht auf Rettung hoffen. Sie flogen direkt in den Tod, und sie wussten das. Auch die Menschen in den beiden anderen Maschinen. Manche von ihnen werden gebetet haben, sich vielleicht an den 46. Psalm erinnert. Da heißt es zu Beginn (VV 2 bis 4):

Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

Über drei tausend Tote, über drei Tausend trauernde Familien, Väter und Mütter, Ehepartner, Kinder, dazu Freunde und Verwandte. Trauer, die in kurzer Zeit über viele tausend Menschen kam. Manche von ihnen werden gebetet und im Gebet Trost und Zuversicht gewonnen haben.
Andere werden ihre Verzweiflung, ihre Wut vor Gott gebracht haben, noch andere in Trauer und Verzweiflung versunken sein.

Angst hat sich ausgebreitet seit dem, Angst vor weiteren Anschlägen ähnlicher Brutalität und Skrupellosigkeit. Angst auch vor dem, wozu Fanatismus, zumal religiöser, Menschen bringen kann. Wer für eine Idee, eine Ideologie bereit ist, sich selbst zu opfern, ist auch bereit, andere mit in den Tod zu reißen – rücksichtslos wie jeder Egoist.

Mit der Angst ist die Erinnerung an das gekommen, wozu Menschen fähig sein können. Die sich in Sicherheit wiegten, sich vielleicht gar unangreifbar wähnten, mussten ihren Irrtum einsehen; die an einen Fortschritt des Menschen zum Besseren, gar zum Guten glaubten, mussten ihren Irrglauben eingestehen: Wie in alten Zeiten und Welten sind auch in neuen Zeiten und Welten Menschen zum Bösen bereit. Mag das Böse auch ab und an schlafen oder schlummern: Wenn es geweckt wird, wenn es erwacht, schlägt es zu. Gnadenlos und unbarmherzig.

Das Böse ruft, ja, schreit nach Vergeltung – mit seines gleichen. Vermehrt sich dadurch, gewinnt an Macht und Einfluss. Vergiftet, die sich für gut halten, auch die sich um das Gute bemühen, und macht sie sich untertan. Wer Böses mit Bösem vergilt, stärkt das Böse und gibt ihm Recht. Wird zum Knecht des Bösen, zu seinem Handlanger. Macht sich ihm gleich.

Nein, die Welt ist nicht anders geworden vor einem Jahr. Sie hat nur daran erinnert, wie sie auch sein kann, und was Menschen dieser Welt tun können. Die Gefahr lauert auf den, der sie ignoriert, der nicht mit ihr rechnet und sich trügerisch in Sicherheit glaubt. Wer sich für
unangreifbar stark und gut hält, fordert heraus, die das Gleiche von sich glauben. Und die unter solcher Stärke leiden.

Was vor einem Jahr in New York geschah oder vor einem halben in Erfurt, kann überall und immer geschehen, plötzlich und unerwartet. Kann wie ein Blitz aus heiterem Himmel einschlagen, Tod und Verwüstung bringen. Menschen in Trauer und Verzweiflung stürzen, ihnen Mut und Zuversicht nehmen, jede Hoffnung rauben. Und Angst verbreiten, die lähmen
kann. Aber nicht lähmen muss. Ja, den nicht lähmen kann, der weiß, woher ihm in der Not Hilfe kommt. Der zuversichtlich bleibt trotzt seiner Angst, der auch in der Schwachheit seine Stärke kennt. Der es nicht nötig hat, Böses mit Bösem zu vergelten. Der vielmehr weiß, dass Böses sich mit Gutem überwinden lässt, Ungerechtigkeit mit Gerechtigkeit, Gewalt mit Güte, Hass mit Liebe. Der hat auch die Größe, andere anders sein zu lassen, sie nicht mit seinem Maßstab zu messen.

Wen die Angst nicht lähmen soll, kann nicht aus sich heraus leben. Er braucht die Quelle seiner Kraft und Stärke außerhalb seiner selbst. Denn in der Angst versiegt die eigene Quelle. Wer Angst hat, braucht Rückbindung an die Zuversicht, wer schwach ist, an die Stärke, und wer zum Bösen fähig ist, an das Gute.

Angst und Schwachheit, die Versuchung des Bösen bleiben ihm reale Erfahrungen. Doch er wird ihnen nicht erliegen, in ihnen nicht untergehen. Sondern wie der Psalmdichter singen können:

Gott ist uns Zuflucht in Bedrängnis
und Hilfe gegen das Verhängnis.
Wenn unter uns der Boden bebt,
wir bangen nicht, da er uns hebt.
Wenn rings umher die Berge sinken
und Felsen in der Flut ertrinken:
Der HERR ist mit uns. Er gibt Halt.
Gewaltig birgt er vor Gewalt.
(EG ERK Reimpsalm 46, 1; Melodie: 1543 / Genf 1551, Text: Jürgen
Henkys 1990)

Amen


Paul Kluge
Provinzialpfarrer im Diakonischen Werk
In der Kirchenprovinz Sachsen e. V.
Magdeburg
Paul.Kluge@t-online.de

de_DEDeutsch