Römer 1,13-17

Römer 1,13-17

Unverschämt vertrauen. | 3. Sonntag nach Epiphanias | 22.01.2023 | Römer 1,13-17 | Udo Schmitt |

Ich schäme mich nicht, sagt Paulus. Scham ist ein altertümliches Wort. Aber das Gefühl dahinter ist noch älter. Und es ist eines der intensivsten Gefühle, das wir im Laufe unseres Lebens so erleben. Ich behaupte mal: Jeder von uns hat sich im Laufe seiner Kindheit schon mal geschämt, oder ist beschämt worden. Für etwas, das man getan hatte, und das man nicht hätte tun sollen. Oder für etwas das man noch nicht konnte, was man aber hätte können sollen, weil andere Kinder es schon längst konnten. Fällt ihnen dazu etwas ein?

Was all diesen Situationen gemein ist, ist das Auseinanderklaffen von Image und Realität. Ich habe ein Bild von mir im Kopf: So möchte ich sein. So sollen die anderen mich sehen. Das ist mein Image. Natürlich habe ich deinen Geburtstag nicht vergessen, Schatz! Und dann kommt die Realität: und sie ist ganz anders. Ich habe ihn doch vergessen. Und damit habe ich mein Gesicht verloren. Und das läuft dann rot an. So als wollte es den Verlust seiner selbst (des Gesichtes) auch noch mit Warnfarbe markieren.

Manchmal versuchen wir aus Schamgefühl heraus, es zu verheimlichen und zu bedecken. Mit einem Feigenblatt. Vielleicht kennen Sie das auch: Wenn vor einem an der Kasse einer steht, der offensichtlich ein Alkoholproblem hat. Man sieht es, man riecht es, und doch: Zu den vier Bierdosen und den zwei Schnapsfläschchen legt er schnell noch eine Packung Fleischwurst dazu, in Scheiben geschnitten und in Plastik eingeschweißt. Ein Alibikauf, ein Feigenblatt, das den Anschein aufrechterhalten soll, da stünde ein ganz normaler Bürger, der seinen ganz normalen Einkauf tätigt. Oder vielleicht haben sie auch schon einmal von Menschen gehört, die arbeitslos sind. Sie haben den Tag über nicht viel zu tun. Sie könnten den ganzen Tag spazieren gehen. Und doch gehen sie zwischen 9 und 5 Uhr nur selten aus dem Haus – es ist ihnen peinlich, dass jeder sieht, was sie sind. Und ganz sicher kennen sie auch die Szene, wenn sie irgendwo zu Besuch sind und die Gastgeberin sich tausendmal entschuldigt, wie unordentlich es doch wieder aussieht und dass sie nicht zum Aufräumen gekommen sei. Manchmal stimmt das gar nicht und die Wohnung sieht tadellos aus. Und dennoch entsteht ein Gefühl der Verlegenheit, das manchmal dazu führt, dass die Gastgeberin hektisch die Illustrierten vom Sofa räumt und schnell noch mal mit der Hand über den Tisch fährt. Eigentlich bräuchte sie sich nicht schämen. Alles tipptopp. Aber die Peinlichkeit ist fast physisch spürbar. Menschen haben Angst, beschämt zu werden. Nicht auszudenken, was andere Menschen über sie denken oder sagen könnten: Was sollen denn die Leute sagen?!

Gut, dieses Winken mit dem Feigenblatt ist vielleicht auch etwas ungeschickt. Andere Zeitgenossen kriegen das besser hin, die Fassade aufrecht zu erhalten. Das Gesicht zu wahren. Keine Miene zu verziehen. Nach außen ist bei denen immer alles in Ordnung. Sie sind natürlich (!): erfolgreich, gutaussehend, intelligent, verlässlich, ordentlich, wohlhabend, großmütig, fröhlich, gesund, jung, schön und stark. Und wer wäre das nicht auch gerne? Ja, so. So sollen uns die anderen sehen. So sollen sie von uns denken. Und wehe, wenn nicht! Das fürchten wir. Wenn wir anders sind, auffallen, anecken, irgendwie aus der Rolle fallen oder aus der Reihe tanzen und dann von den anderen abgelehnt werden: Wie ist der denn drauf? Wie sieht die denn aus? Und schon ist man draußen. Abgelehnt, ausgestoßen und ausgelacht – du gehörst nicht dazu. Du kommst hier nicht rein.

Jeder kennt diese Angst. Auch Paulus. Denn er hat das meiste davon selbst erlebt. Aber es ist ihm egal. Ein wenig Trotz schwingt in seiner Stimme mit, wenn er sagt: Ich schäme mich nicht. Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes. Nicht schamlos aber unverschämt. Unverschämt mutig – freimütig steht Paulus da. Und freimütig bekennt er: Ja – ich glaube an Gott!  Ja – ich glaube an die Liebe Gottes zu uns Menschen, wie sie sich in Christus gezeigt hat. Ja, Ja und nochmals Ja! Denn dazu stehe ich, und nichts daran ist mir peinlich. Denn hier stehe ich nicht als nacktes und bloßes Ich. Gottes Liebe umhüllt mich, umgibt und umkleidet mich. Und Gottes Kraft erfüllt mich, so dass ich stehen bleiben und stark sein kann, auch da, wo ich kleiner schwacher Paulus, niemals allein den Mut zu gehabt hätte. Und Gottes heiliger und guter Geist ist mein Manager und Trainer, er berät mich und hilft mir. Ich schaffe es, denn ich bin nicht allein.

Und hier ist ein deutlicher Unterschied zu dem, was man uns heute so erzählt. Es wird gesagt, man solle sich selbst annehmen, sich selbst verwirklichen, aus sich selbst etwas machen. Bleib du selbst, bleib so wie du bist, bleib dir selber treu, vertraue auf deine Stärken, vertrau dir selbst, trau dir etwas zu, du bist dein eigener Chef, eine Ich-AG, ein Künstler, der sich selbst erschafft, bist dein eigener Manager, eine one-man-show, non je ne regrette rien, nein, es tut mir nicht leid, denn so bin ich eben, I did it my way – und Schwamm drüber!

Und was, wenn es nicht klappt? Wenn ich daran scheitere, mein Selbst zu verwirklichen und ewig jung, schön und attraktiv zu bleiben. Schäme ich mich dann? Verstecke ich mich dann? Kaschiere den Makel, spritze die Falten mit Botox weg, bedecke die unschönen Stellen meines Körpers mit Abdeckstift, lass den Wohlstandsspeck absaugen oder hülle des Leibes Fülle in weit wallende Gewänder und Wolken aus Wohlgerüchen? In einen ganzen Wald von Feigenblättern. Oder gehe gar nicht mehr aus. Verberge mich. Tue nichts mehr.

Nein, ich schäme mich nicht. Sagt Paulus. Denn ihm geht es nicht um sich, nicht um die Verwirklichung seines kleinen, unbedeutenden Ichs. Es geht ihm um viel mehr. Es geht um die befreiende Botschaft von der Liebe Gottes. Nicht das Seine sucht er, nicht Selbstverwirklichung, sondern Gott und Gottes Gerechtigkeit. Es geht ihm um die Wahrheit und die Bewährtheit, welche kommt aus Glauben in Glauben, oder anders gesagt:
Vertrauen gegen Vertrauen.

Vertrauen gegen Vertrauen. Paulus selbst ist kein starker Mann, kein Held und kein Superstar. Und doch: Gott setzt sein Vertrauen in diesen kleinen, schwachen Menschen und sagt: ich vertraue dir. Dir traue ich das zu. Du kannst das, du schaffst das und ich helfe dir auch dabei.

Vertrauen gegen Vertrauen. Auch Paulus vertraut – er vertraut dem, was Gott ihm sagt. Auch wenn er es sich selbst nicht zutrauen würde, er geht diesen Weg um Gottes Willen. In Athen auf dem Marktplatz lachen sie ihn aus – und es ist ihm nicht peinlich. In Ephesus wirft man ihn ins Gefängnis – und er schämt sich nicht. In Rom trachten sie ihm nach dem Leben – und er sagt: Egal. Egal, denn es geht hier nicht um mich. Gott vertraut mir und ich vertraue ihm.

Wäre Paulus so geblieben wie er ist, – hätten wir nie von ihm gehört. Wäre er nur sich selber treu geblieben, – dann wäre er ein frommer Jude gewesen, einer von vielen, kein schlechter Mann – aber keiner würde sich heute noch an ihn erinnern. Doch Paulus vertraute Gott und dies war der Anfang einer wunderbaren Geschichte. Die Begegnung mit Gott hat ihn verändert. Paulus ist ein anderer geworden, er ist über sich hinausgewachsen.

Und das können auch wir erleben. Dass wir nicht so bleiben müssen wie wir sind. Wir können die befreiende Kraft am eigenen Körper spüren. Die befreiende Kraft des Evangeliums von der Liebe Gottes. Hier die Bibel, die ich in der Hand halte – sie ist ein echter Powerriegel. Darin steht, dass Gott uns vertraut – dass er seine Liebe und sein Vertrauen in uns setzt. Gott sagt: Du kannst das! Du musst dich nicht verstecken. Du kannst dich ruhig zeigen. Ich zeige dir den richtigen Weg und gebe dir die Kraft darauf zu gehen.

Liedvorschläge:

                  Die Gott lieben werden sein wie die Sonne (HuE 223)

                  Vergiss es nie, dass du lebst (HuE 353)

                   Klüger, weiser, leichter, reicher (freitöne 93, #lautstärke 86)

                   Was für ein Vertrauen (#lautstärke 63)

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Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

udo.schmitt@ekir.de

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