Römer 12, 17-21

Römer 12, 17-21

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


4. Sonntag nach
Trinitatis, 23. Juni 2002
Predigt über Römer 12, 17-21, verfaßt von Paul Kluge


(Als Antitext statt der Epistel oder unmittelbar vor dem Predigttext
zu lesen:)

Einst haben die Kerls auf Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt
bis zur dreißigsten Etage.

Da sitzen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen
(Erich Kästner)

Liebe Geschwister,

Sie kennen die Faustregel „Wie du mir, so ich dir.“ Zur Durchsetzung
dieser Regel werden oft Fäuste eingesetzt, Wortfäuste, Panzerfäuste.
Schlag auf Schlag, Schlag und Gegenschlag. Doch jeder Faustschlag ist
ein Rückschlag für die Menschlichkeit. Der Apostel Paulus beschreibt
Rm 12, 17 – 21 ein alternatives Verhalten:

17 [a] Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. [b] Seid auf Gutes
bedacht gegenüber jedermann.
a) Spr 20,22; 1. Thess 5,15; b) 2. Kor 8,21

18 Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so [a] habt mit allen Menschen
Frieden.
a) Mk 9,50; Hebr 12,14

19 [a] Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum
dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32,35): „Die
Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.“
a) (19-21) 3. Mose 19,18; Mt 5,38-44

20 Vielmehr, [a] „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige
Kohlen auf sein Haupt sammeln“ (Sprüche 25,21-22).
a) 2. Kön 6,22

21 Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde
das Böse mit Gutem.

Dazu möchte ich Ihnen eine frei erfundene Geschichte erzählen:

Paulus begann zum dritten mal, einen Stapel nach dem anderen zu durchsuchen.
„Wo hab ich das denn nur gelassen!“ schimpfte er vor sich hin,
doch das half auch nicht weiter. Die Notizen, die er suchte, blieben verschwunden.
Dabei war er mit seinem Brief an die Römer nun an einen Punkt gelangt,
an dem er einige Hinweise zum Alltagsverhalten von Christen untereinander
und im Umgang mit anderen geben wollte. Denn die alten Verhaltensweisen
saßen bei allen Christen noch tief und fest. Das war weiter nicht
verwunderlich, denn es waren „normale,“ sozusagen natürliche
Verhaltensweisen. Christen aber konnten sich anders verhalten. Denn sie
waren von Gesetz und Sünde erlöst. Es war nur nötig, sie
immer wieder daran zu erinnern, damit sie nicht in ihr altes Verhalten
zurückfielen, in die Normalität ihres Lebens vor der Lebenswende.

Weil alles Suchen nicht half, er auch immer hektischer wurde, goss Paulus
erst einmal Wasser in einen Becher, ein wenig Wein dazu, setzte sich hin
und trank einen langen Schluck. Dann begann er zu überlegen: Ausführlich
hatte er dargelegt, daß es vor Gott und in der christlichen Gemeinde
keinen Unterschied zwischen ehemaligen Juden und ehemaligen Heiden geben
kann und darf. Das war ein massives Problem in Rom, darüber hatte
es Streit gegeben. Und den wollte Paulus geschlichtet haben, bevor er
nach Rom kommen würde. Denn er mochte keinen Streit, obwohl es in
fast allen Gemeinden Streitereien gab.

Dann hatte er sich eine Liste mit Stichpunkten gemacht, die er als nächstes
abhandeln wollte, hatte die Schiefertafel eingesteckt und war gegen Abend
zum Hafen spaziert. Das tat er gerne: Das rege Treiben der Menschen aus
aller Herren Länder, ihr Sprachengewirr empfand er als Verbindung
mit der ganzen Welt; An- und Ablegemanöver faszinierten ihn, denn
von den bunt zusammengewürfelten Mannschaften sprachen nur wenige
gut Latein. Doch alle verstanden die Kommandos, die Seeleute verstanden
sich untereinander und verließen sich aufeinander. „Eigentlich
ein gutes Bild für eine gute Gemeinde,“ dachte Paulus oft.

An jenem Abend hatte er dann einen Bekannten getroffen, Ältester
der Christengemeinde, und sie hatten in einem Lokal einen Wein getrunken.
Dabei hatte Paulus von seinem Schreiben an die Römer erzählt,
hatte seine Tafel mit den Stichworten hervorgeholt und gehört, was
seinem gegenüber jeweils dazu einfiel. Schließlich war noch
ein weiteres Gemeindeglied zu ihnen gestoßen und sie hatten noch
einen Wein getrunken.

Als Paulus schließlich nach Hause gegangen war, schien die Sonne
nicht mehr, und irgendwie war er in eine enge Nebengasse geraten. Das
war nicht gerade die Umgebung, in der er sich wohl fühlte: Betrunkene
Matrosen mit ihren Mädchen zogen an ihm vorbei, manches anzügliche
Wort wurde ihm zugerufen. Meistens reagierte er darauf nicht, das konnte
er einfach nicht, doch manchmal lag ihm eine passende Entgegnung auf der
Zunge. Er schwieg aber lieber, denn er wollte keinen Streit provozieren.

In der Hoffnung, bald eine größere und vor allem ihm bekannte
Straße zu finden, war er um eine Ecke gebogen und erstarrt: Zwei
große Kerle hatten ihm den Weg versperrt. Sie waren zerlumpt und
schmutzig, offensichtlich auch angetrunken, und einer hielt ein Messer
in der Hand. Der andere hatte ihn angesprochen, doch Paulus kannte die
Sprache nicht. Hilflos hatte er dagestanden und hilflos mit den Schultern
gezuckt. Mit einer Geste hatte der andere dann zu verstehen gegeben, daß
sie essen wollten. Als Paulus ihnen den Weg zur nächsten Kneipe gezeigt
hatte, hatte er plötzlich das Messer am Hals gespürt, und blitzschnell
hatten die beiden ihm abgenommen, was er bei sich trug, sogar die Toga.
Dann hatte einer ihm einen Schlag in den Magen versetzt und Paulus war
zu Boden gegangen.

Als er wieder zu sich kam, hatte er sich wieder zwei Männern gegenüber
gesehen. Doch diesmal waren es Polizisten. Nachdem sie bemerkt hatten,
daß Paulus nicht betrunken war, wollten sie wissen, was passiert
war. Paulus hatte kurz erzählt, aber keine Personenbeschreibung gegeben.
Vielleicht hatten die beiden Räuber ja wirklich Hunger gehabt, vielleicht
auch Durst auf noch mehr Wein – wie auch immer, offensichtlich waren sie
arm. Er wollte keine Polizei auf sie hetzen. Obwohl – Paulus hatte es
sich eingestehen müssen – das für ihn durchaus befriedigend
gewesen wäre.

Das fühlte er auch jetzt, als er so saß und in seiner Erinnerung
nach dem Verbleib der Tafel suchte. Denn am Tag nach dem Überfall
war er in die Gemeinde gerufen worden, um Streit zu schlichten. Es war
um die richtige Form des Abendmahls gegangen, und das hatte gedauert.
Dann hatte er sich um seine für bald geplante Reise nach Jerusalem
gekümmert, und nun endlich saß er wieder an seinem Brief an
die Römer. An die Tefel mit den Notizen konnte er sich noch immer
nicht erinnern.

Der Gemeindeälteste von neulich trat ins Zimmer und grüßte.
Nach den üblichen Hoflichkeitsformeln fragte Paulus, was ihn herführe,
und erfuhr, daß der Älteste und das andere Gemeindglied an
jenem Abend noch ein wenig Durst gehabt und den in einer – zuegeben nicht
ganz feinen – Hafenkneipe gestillt. hätten Dort seien zwei ziemlich
heruntergekommene Männer aufgetaucht, einer davon mit einer sauberen
Toga unter dem Arm. Die hätten sie dem Wirt gegen Essen und Trinken
zum Kauf angeboten. Der habe den beiden Wein hingestellt, dann die Toga
genommen und durchsucht. Dabei sei eine beschriebene Schiefertafel zum
Vorschein gekommen, und der Wirt habe gefragt, ob von den Gästen
jemand lesen könne. Er, der Älteste, habe sich gemeldet und
gleich die Notizen des Paulus erkannt, über die sie zuvor geredet
hatten. Er habe dem Wirt gesagt, daß er den Besitzer der Toga kenne,
worauf der Wirt den beiden Räubern Wein eingeschenkt und dann heimlich
nach der Polizei geschickt habe. Die sei auch bald gekommen, hätte
die beiden Räuber wie alte Bekannte begrüßt und gleich
verhaftet. – „Und hier, Paulus, sind deine Notizen,“ sagte der
Besucher und legte Paulus die Tafel vor. „Doch nun erzähl mal,
was passiert ist!“ Während Paulus berichtete, zog der Besucher
die Toga aus einem Beutel und gab sie ihrem Eigentümer. „Ich
hab die Zeche der beiden Ganoven bezahlt,“ erzählte der Gast,
„da gab der Wirt mir deine Toga, und hier hast du sie wieder. Und
nun will ich dich nicht länger stören; ich weiß, du willst
deinen Brief an die Römer zu Ende brigen. Schreib nicht zu viel,
du weißt ja: Die spinnen, die Römer.“

Damit verabschiedete sich der Gast, und Paulus überflog seine Notizen.
Sie waren etwas verwischt, aber er konnte das Fehlende ergänzen.
„Eigentlich kann ich das so lassen,“ dachte er, „das ist
verständlicher, als wenn ich zu jedem Stichwort noch was schreibe.“
Er nahm den Brief und begann, seine Notizen abzuschreiben, und als er
schrieb: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf
Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist’s möglich, soviel an
euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht
selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht
geschrieben: „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der
Herr.“ Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen;
dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige
Kohlen auf sein Haupt sammeln“ Laß dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
– als er das schrieb, stellte er mit Genugtuung fest: „Genau das
habe ich erlebt. Es geht also, und ich überfordere die Menschen nicht.
Denn was ich kann, können andere auch. Sogar die Römer.“

Amen

Gebet:
Ach Gott, unser Alltag wird beherrscht von der alten Faustregel „Wie
du mir, so ich dir,“ und nach dieser Regel vergelten wir einander
Böses. Würden wir nach dieser Regel einander Gutes vergelten,
sähe die Welt schon freundlicher aus. Doch wir zählen eher Schläge
als Streicheleinheiten, und schütteln manchmal über uns selbst
den Kopf. Und weil du uns kennst, hast du dir vorbehalten, Böses
zu vergelten.
Wir aber wissen es längst: Böses läßt sich erfolgreich
nur durch Gutes überwinden. Das ist, was wir tun sollen, was wir
tun können. Weil das aber schwerer ist als jeder Faustschlag, bitten
wir dich um die nötige Kraft, auch um Phantasie, gegen das Böse
in der Welt Gutes zu setzen. So wird das Böse geschwächt und
am Ende überwunden, wie du es willst, der du die Welt als gute Welt
geschaffen hast.

Liedvorschläge:
Nun singe Lob, EG 265; O Herr, mach mich zum Werkzeug, EG 416; Komm in
unsre gute Welt, EG 428; Gib Frieden, Herr, EG 430

Paul Kluge
Provinzialpfarrer im Diakonischen Werk
in der Kirchenprovinz Sachsen e.V.
Paul.Kluge@t-online.de

 

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