1. Korinther 9, 16-23

1. Korinther 9, 16-23

 

Göttinger

Predigten im Internet

hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


2. Sonntag nach
Trinitatis, 9. Juni 2002
Predigt über 1. Korinther 9, 16-23, verfaßt von Andreas Pawlas


„Dass ich das Evangelium predige, dessen darf ich mich nicht rühmen;
denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte!
Täte ich’s aus eigenem Willen, so erhielte ich Lohn. Tue ich’s aber
nicht aus eigenem Willen, so ist mir doch das Amt anvertraut.
Was ist denn nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium predige ohne Entgelt
und von meinem Recht am Evangelium nicht Gebrauch mache. Denn obwohl ich
frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht
gemacht, damit ich möglichst viele gewinne.
Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne.
Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden
– obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin -, damit ich die, die unter
dem Gesetz sind, gewinne. Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie einer
ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott,
sondern bin in dem Gesetz Christi -, damit ich die, die ohne Gesetz sind,
gewinne. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen
gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige
rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, um an ihm teilzuhaben.“

Liebe Gemeinde!

Wen interessiert das heute eigentlich, warum sich damals vor knapp 2000
Jahren irgendein Zeltmacher aus Tarsus mit Namen Paulus genötigt
sieht, öffentlich das Wort zu ergreifen, – und das auch noch, wie
er ja deutlich sagt, ohne Bezahlung? Solche Informationen und Mitteilungen
werfen uns doch heutzutage im Informationszeitalter wahrhaftig nicht um.
Denn Leute, die sich öffentlich äußern in Presse, Funk
und Fernsehen haben wir doch mehr als genug – ob nun bezahlt oder unbezahlt!
Also, warum sollen wir uns an diesem Sonntagmorgen um Gottes Willen dieses
Bibelwort anhören? Und was sollte es darin wohl geben, das Dich und
mich persönlich anginge, Dich und mich, so wie wir heute leben und
was uns heute gut tut oder schmerzt?

Und fällt nicht jedem, der eben nicht schon gleich weggehört
hat, in dem Wort des Apostel spontan etwas Ärgerliches auf, nämlich
dieser Satz: ich habe „mich selbst jedermann zum Knecht gemacht“?
Denn Jedermanns Knecht sein, wer wollte das denn schon gern? Wer möchte
schon gern Jedermann dienstbar sein? Und dann noch – entschuldige, lieber
Apostel Paulus, so muss das bei uns ankommen – und dann noch auf diese
Weise, so würdelos und charakterlos: Nämlich den Juden wie ein
Jude sein, Denen, die unter dem Gesetz der Leistung wie ein Leistungsbereiter,
Leistungsfähiger, den Linken ein Linker, den Rechten ein Rechter,
den Jungen ein Junger, den Alten ein Alter, den Fußballfans ein
Fußballfan, den Pferdefreunden ein Pferdefreund, den Schwachen und
Traurigen ein Schwacher und Trauriger – Wer möchte schon so sein?
Was sagte da jemand spöttisch über einen Menschen, der sich
bei jedem lieb Kind machen wollte? Hieß es da nicht: „Er war
jedermanns Freund, er hatte keinen Charakter“?

Würde deshalb nicht jemand, der sich so allen mit seiner Dienstbereitschaft
anbiedert, würde der nicht am Ende wirklich von allen verachtet werden
und benutzt werden, nicht anders als ein Stiefelknecht, als ein Dosenöffner
oder als ein Fußabtreter? Nein, vielleicht sogar noch geringer,
denn wer so auftritt wie der Apostel, der kostet ja nichts! Unentgeltlich
stellt sich da eben jemand zur Verfügung! Und was kann das schon
sein, was nichts kostet? So fragt man doch heute schnell. Denn man schätzt
und pflegt doch eigentlich nur das, was man teuer bezahlt hat. Und manche
der modernen Sekten setzen doch genau darauf: Wenn man irgendwelche esoterische
Kurse buchen, oder Programme der Scientology Church haben will, dann muss
man erst sehr sehr viel Geld bezahlen. Und das ist auch ganz genau die
Absicht. Denn zu Dingen, für die man dann so viel bezahlt hat, da
steht man dann ja auch!

Aber wie sollte man in solcher Haltung zum christlichen Glauben stehen
und einstehen können, wenn man ihn – wie uns hier der Apostel aufzeigt
– notwendigerweise gebührenfrei serviert bekommt, sei es in den Gottesdiensten,
im Konfirmandenunterricht, bei Beerdigungen, Taufen und Trauungen oder
in der Seelsorge? Wie sollten junge und alte Menschen zum christlichen
Glauben stehen können, wenn man ihn kostenfrei vor die Haustür
gestellt bekommt – eben von Leuten, die sich eben aus irgendwelchem Grunde
dazu verpflichtet fühlen, ihre Kraft und ihre guten Worte derartig
zu verschleudern und dabei sogar offenbar auch irgendwie allen nach dem
Munde zu reden? Muss nicht darum das Christentum zurecht als eine ganz
billige, zwanghafte, profil- und charakterlose Angelegenheit beschimpft
werden, wie so häufig geschieht?

Aber sollte es das denn in Wirklichkeit so sein können? Denn auf
welche Weise kommt denn der Hl. Apostel Paulus dazu, sich so verpflichtet
zu fühlen, das Evangelium weiterzusagen? Also auf welche Weise kommen
denn wohl Christen dazu, Dienste am Nächsten, an der Allgemeinheit,
an Gottes guter Schöpfung kostenfrei zu übernehmen? Wehe, wirklich
wehe, wenn es dabei nur darum ginge, die eigene Tugendhaftigkeit zwanghaft
zu beweisen, oder wenn es dabei nur darum ginge, verborgene oder offenkundige
Schuld abzuarbeiten und vergangenes Unrecht irgendwie wieder ausgleichen
oder abarbeiten zu wollen. Wehe denen, die sich Christen nennen aber letzten
Endes in diesem Sinne in ihren Herzen nur das altbekannte, harte Gesetz
der Vergeltung kennen und durch diese Gesetz getrieben werden. – Ihre
Mühe ist und bleibt vergeblich und sie zerstören sich selbst.

Aber was für ein unbegreifliches Leben und welche unsagbare Freude
ist wirklich mit denen, die eben so wie der Hl. Apostel Paulus tief in
ihrem Herzen etwas von Jesus Christus begriffen und erfahren haben – und
sei es auch nur ein ganz wenig!

Was sie erfahren haben? Was sie erfahren haben, dass sie sich so ohne
eigenen Vorteil für andere einsetzen? Sie haben mit ihrem ganzen
Leben erfahren, wie Jesus Christus durch sein Leiden und Sterben tatsächlich
mit uns getauscht hat. Sie haben erfahren, wie Christus für alle
Irrwege unseres Lebens, für alle Peinlichkeiten und Schuld, für
alle Charakterlosigkeiten und leichtsinnigen und bösen Worte tatsächlich
an unserer Stelle alle Schande auf sich genommen hat und damit vor Gott
wieder gut gemacht hat.

Und das ist doch das Entscheidende, dass vor Gott wieder alles gut gemacht
ist! Sie haben erfahren, wie Christus deshalb auf genau unserem Platz
am Kreuz durchbohrt, gequält und gestorben ist. Ja, dadurch und nur
dadurch sind wir frei, dadurch und nur dadurch sind wir frei von der Last
unseres Lebens. Die Last dessen, was wir in unserem Leben alles angerichtet
haben und was Schlimmes begegnet ist, ist mit Christus ein für alle
Mal am Kreuz gestorben und vergangen und so sind wir – selbst-los geworden
und der auferstandene Christus kann in uns einziehen und uns und unser
ganzes Leben ausfüllen und uns erleichtert und froh machen.-

Natürlich kennen wir nach wie vor diese ganzen Wünsche nach
Selbstbehauptung, Überlegenheit, Anerkennung und den Drang, andere
zu beherrschen. Aber wollen sie nicht ganz von selbst ihre Macht über
uns verlieren, wenn wir so selbstlos Christus Raum in uns geben und ihm
nachfolgen? Und selbst schon die Hoffnung und die sehnsüchtige Bitte
an Gott, uns so selbstlos und von Christus ausgefüllt zu machen,
die stärkt und tröstet doch und befähigt doch zu frohem
Leben und zu vielen guten Diensten.

Wäre man jetzt aber nicht ein schändlicher Egoist, wenn man
solche Erfahrungen und Hoffnungen raffgierig und eifersüchtig nur
für sich behalten und anderen verschweigen wollte, verschweigen den
von Gott mitgeschaffenen menschlichen Mitbrüdern und Mitschwestern,
verschweigen den Schwarzen und Gelben, verschweigen den Freunden und Feinden,
den Linken und Rechten, den Starken und Schwachen, den Alten und Jungen,
den Fußballfans und Pferdefreunden den Freundlichen und Unfreundlichen,
denen, die so sind wie wir und denen, die ganz anders sind?

Nein, denn wem tatsächlich so durch Christus der ganze Lebenshorizont
wunderbar aufgerissen worden ist, etwa wie Stubenfenster an einem sonnigen
Sommertag, wer von Christus her auf soviel Gutes berechtigt hoffen darf,
der trägt doch von selbst diese frohe Botschaft weiter. Der hat ein
Herz für andere, auch für ganz andere, weil Gott ein Herz für
ihn gehabt hat. Der ist frei und keinem Zwang ausgeliefert – und ist doch
durch Dankbarkeit und Liebe gebunden.

Und wie sollte man solche unschätzbaren Erfahrungen verkaufen können?
Nein, diese Botschaft kann und darf nur umsonst, gebührenfrei, kostenlos
weitergegeben werden, weil sie eben einfach unbezahlbar ist, und das ganze
Leben einschließt und wie eine Ansteckung weiter läuft. Denn,
wem tatsächlich so durch Christus der ganze Lebenshorizont wunderbar
aufgerissen worden ist, der wird von ganz selbst Gottes Bote und Gottes
Mitarbeiter.

Und als Gottes Bote und Gottes Mitarbeiter hat man mit einem Mal einen
Blick für die längst fälligen Aufgaben und Dienste am Nächsten
und wird dadurch gefordert. Und Gott sind dabei unsere geringen Kräfte,
unsere schwachen und stammelnden Worte, nicht zu gering, um dadurch seine
Welt mit- und weiterbauen zu lassen. Und Gott ist unser schwacher Glaube
nicht zu gering, um durch unser Leben Zeichen aufrichten zu lassen, damit
offensichtlich wird, wie nahe uns das Reich Gottes ist, jetzt und in Ewigkeit.

Nicht, dass wir uns dann als die großen Welterlöser oder Weltbeglücker
feiern lassen sollten, aber vielleicht so, dass wir bescheiden aber bestimmt,
unaufdringlich aber mit frohem Mut dazu helfen, andere aus Trauer und
Hoffnungslosigkeit zu reißen, dass wir also in unserem engen Lebensbereich
sicherlich nicht mit genau dem gleichen Schwung und genau den gleichen
Geistesgaben wie der Hl. Apostel Paulus aber doch beharrlich und ganz
getrost dazu helfen, dass etliche selig werden. Das schenke Gott ihnen
und uns allen.

Amen.

Andreas Pawlas
E-Mail: Andreas.Pawlas@t-online.de

 

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