Römer 15,4-13

Römer 15,4-13

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


3.
Advent

12. Dezember 1999
Römer 15,4-13

Jan Christian Vaessen, Groningen,
Niederlande


 

Hinweise zu
den Lesungen und zur Exegese:

Lesungen: Römer 15,4-13 und Offenbarung 21,1-5. In Holland
lesen wir auf dem Weg zum neuen Millennium in der Evangelischen Kirche das Buch
Offenbarung. Deshalb habe ich versucht, die Römerlesung für die
Offenbarungslesung fruchtbar zu machen. Ich glaube, wir verstehen die
Offenbarung besser vom Römerbrief aus und umgekehrt. Und dann geht es
besonders um die Beziehung von Juden und Christen. Wenn diese Beziehung geheilt
ist und wir zusammen den Messias erwarten, dann entsteht eine wirklich neue
Liebe, die nur von dem Allerhöchsten, dem Schöpfer von Himmel und
Erde, kommen kann und darum – auch schon in der Gegenwart – als Fundament des
kommenden Reichs Gottes dienen kann.

Liebe Gemeinde,

„Siehe, ich mache alles neu, sprach er, der auf dem Throne
saß“. Das ist die typische Weise, wie Johannes im Buche Offenbarung den
Allerhöchsten andeutet. Er sagt nicht „Gott“, er sagt auch nicht „der Gott
Israels“ oder „der Vater von Jesus“ oder „der Allerhöchste, Schöpfer
von Himmel und Erde“. Nein, ein Wort ist zu wenig und auch ein Ausdruck nur mit
Substantiven genügt nicht. Johannes deutet Gott an mit einem ganzen Satz,
und er benützt dabei Substantiv, Pronomen, Verbum, Präposition,
Artikel und mehr: „der auf dem Throne saß“. Und sogar das genügt
nicht, um den Allerhöchsten zu beschreiben. Johannes versucht das
eigentlich auch gar nicht. Der Allerhöchste ist immer größer,
als wir je mit unseren beschränkten Fähigkeiten verstehen
können. Das ist die typisch jüdische Weise, wie man mit Gott umgeht:
Fixiere ihn nicht in einem Bild, um ihn anzubeten, denn das geht schief. Er ist
immer mehr, als das was wir mit einem Bild festlegen können. Darum verlass
dich auf sein bloßes Dasein und seine Hilfe gerade in den Situationen,
die du selber nicht mehr verstehen kannst und die dich verwirren.

Der Thron, so steht es im Anfang des Buches „Offenbarung“ (4:6),
stand vor – oder in enger Beziehung mit – so etwas wie einem gläsernen
Meer und rings um den Thron waren vierundzwanzig Älteste und vier Tiere.
Die vierundzwanzig Ältesten sind die zwölf Stämme Israels und
die zwölf Apostel Jesu. Die vier Tiere sind die vier Evangelisten. Das
Meer verweist auf den Anfang der Schöpfung, als die Erde noch wüst
und leer war und der Geist Gottes über den Wassern schwebte. Der Thron
steht vor einem gläsernem Meer, das heißt einem Wasser, worin
man nicht ertrinken kann, das Urwasser, worin kein Zeichen von Chaos und Tod zu
entdecken ist, die Bestimmung, die Gott seiner guten Schöpfung mitgegeben
hat. Wenn dann am Ende sich alle Plagen vollzogen haben, wenn aller Streit
zwischen Gutem und Schlechtem beendet ist, dann erscheinen der neue Himmel und
die neue Erde. Das Fundament des Königreichs Gottes ist nur Freude und
Friede, Liebe ohne Angst. Und dieses Reich meint nicht nur den Thron des
Allerhöchsten und die Überwindung von Chaos und Tod (15:2), sondern
das ganze Universum mit allen Kreaturen, die sich darin befinden. „Siehe, ich
mache alles neu“.

Ich höre Sie richtig, wenn Sie denken: „Es wird Zeit, dass
alles neu wird. Ich frage mich oft, wann, o Gott? Das Warten dauert schon so
lange. Es gibt Leiden, Unsicherheit, Verwirrung in und um uns herum. So hast Du
Deine Schöpfung doch nicht gemeint und gewollt! So viele Menschen,
Völker, Kirchen, die bis auf den Tod Kriege führen und einander nicht
das Brot zum täglichen Leben gönnen, so viele Religionen, die ihren
eigenen Platz statt Deinen Frieden verteidigen mit Mord und Totschlag. Was ist
denn dies für eine Welt, worin wir Dein Reich von Frieden und Liebe bauen
müssen. Das geht doch gar nicht!“

Ich schlage vor, wir sollten wieder einmal Paulus, ja, den alten
Paulus, um Rat fragen. Der Brief, den Paulus an die Römer geschrieben hat,
will eigentlich nur eines: die Versöhnung zwischen Juden und Christen
bearbeiten. Kurz und gut: Jesus ist vor allem gekommen für die Juden.
Keiner kann das leugnen. Und wie Gott immer in den unmöglichsten
Situationen sein Volk bewahrt hat, so wird Er das auch immer tun. Dabei ist es
gar nicht wichtig, ob das Volk sein Heil vom Allerhöchsten erwartete oder
nicht. Wie viel goldene Kälber sind von dem Volk verehrt worden im Laufe
der Jahrhunderte? Wie oft haben sie Gott für ihre eigenen Zwecke benutzt
und vergessen, dass man Gott nicht in irgend einem Bild oder auf irgend einen
Zweck festlegen kann? Hat Er darum das Volk fallen gelassen? Nein! Sehr oft war
es nur ein kleiner Rest, der überblieb, aber immer wieder ließ der
Gott Israels sein Volk wachsen, neue Lebensfähigkeit gewinnen. Auch,
selbst das Faktum, dass sie Jesus nicht als ihren Messias annehmen, ändert
nichts an der Liebe Gottes für sein eigenstes Volk: Israel. Diese Liebe
wird immer bleiben, wie sie auch immer gewesen ist. Das ist die Botschaft des
Paulus an die Nicht-Juden, die Christen geworden sind: seid Euch bewusst des
Platzes in Euerer Beziehung zu dem Volk Gottes und versucht nie, aber auch
wirklich nie, diesen Platz einzunehmen! Gönnt es den Juden, Gott ganz nah
zu sein! Gönnt es ihnen, anders zu sein! Das ist das Evangelium Christi.

Und zu den Juden sagt Paulus, erinnert euch an das goldene Kalb!
Bindet den Allerhöchsten nicht fest an alte Gesetze, die heute vielleicht
nicht mehr so viel nützen. Seid weitherzig zu Andersdenkenden, wie der
Herr lange zu euch weitherzig gewesen ist. Ist Er nicht der Schöpfer von
Himmel und Erde, der allerhöchste Gott von allen Völkern? Also
gönnt dann auch den Anderen seine Nähe und traut es eurem Gott zu,
dass Er seine sonderbaren Wege gehen wird, um Sein Reich zu bauen – in unserem
ganzen Universum und für alle Kreaturen, denen er darin das Leben gegeben
hat. Auch das ist das Evangelium Christi.

Wie lange noch o Gott? Was sind die Bedingungen? Wie können
wir Dein Reich hier auf Erden ein bisschen vorbereiten und ihm Gestalt geben?
Paulus sagt: ich bete zu Gott, der unser aller Hoffnung ist, dass er euch
erfüllt mit aller Freude und mit Frieden im Glauben und dass Ihr
überströmt an Hoffnung in der Kraft des heiligen Geistes. Was ist die
Bedingung in dem Römerbrief, um die Freude und Frieden des
Allerhöchsten zu empfangen? Dass Juden und Christen einander akzeptieren
zu Ehren Gottes wie Christus uns alle – Juden und Christen – angenommen hat.
Ja, und so kommen wir zurück zum Buch der Offenbarung, denn da finden wir
vierundzwanzig Älteste rings um den Thron. Die zwölf Stamme Israels
und die zwölf Apostel Jesu singen einig den Lobgesang für ihn, der
auf dem Thron sitzt. Die Freude und der Frieden des Königreichs Gottes
finden eine Gestalt in der wechselhaften und liebevollen Annahme von Juden und
Christen, die zusammen den Allerhöchsten, den Gott von Himmel und Erde,
ehren und den Messias erwarten. Das ist es, was die vier Tiere – die vier
Evangelisten – uns berichten als Evangelium Christi. Das Evangelium, das durch
die Kraft des heiligen Geistes realisiert werden wird, bevor der neue Himmel
und die neue Erde kommen werden.

Wie lange noch? Das weißt keiner. Den Tag, wann er kommen
wird, weiß nur der, der auf dem Throne sitzt, und auf ihn kann keiner
auch nur den geringsten Einfluss ausüben. Selbst Jesus vermag das nicht.

Die Bedingungen? Weit denkende Weitherzigkeit, die die Liebe des
Allerhöchsten jedem gönnt, der sie empfangen will. Und da haben wir
ein bisschen Einfluss, ja, da können wir etwas Wichtiges tun.

Das erste, was wir als Christen mitten im Streit zwischen Gut und
Böse tun können, ist, dass wir unser Heil von dem erwarten, der auf
dem Thron sitzt. Er, der allen unseren Verstand übersteigt, wird uns
Freude und Frieden geben, die allen Verstand übersteigen wird. Keiner
fordert uns auf, Jude zu werden, aber weil wir den Juden ihr eigenen Platz bei
Gott gönnen, dürfen auch wir unser eigenen Platz bei Gott einnehmen
und gönnen jedem Anderem seinen eigenen Platz bei Gott. Als Christen
dürfen wir uns den jüdischen Glauben und sein Vertrauen zu eigen
machen, dass Gott seine Schöpfung gut gemacht hat und auch zu ihrer
Bestimmung bringen wird, trotz allem Bösen, das hinein gekrochen ist. Er
hat sogar den Tod überwunden, als er Jesus nach dem Kreuz zum Leben
bestimmt hat. Das gibt Dir und mir eine herrliche Entspannung, das Leben ruhig
anzugehen, mit gutem Mut anzupacken. Dann streitest Du auch nicht um Dein
eigenes Recht oder um die Existenz Deiner eigenen Kirche. Nein, du wirst leben
aufgrund des Vertrauens, ja eben des Urvertrauens, das stärker ist als
jedes Chaos, als der Tod und das Böse zusammen. Ich erfahre das selber so,
dass ein Muslim oder Buddhist mein Glaubensvertrauen nicht mehr
erschüttert, sondern im Gegenteil mich auf seinen Glauben neugieriger
macht. Und dann entdecke ich auch da Sachen, die ich gebrauchen kann und
Sachen, die nicht mit meinem Glauben übereinstimmen und die ich liegen
lasse. Das alles aufgrund des Kontaktes statt des Vorurteils.

Was Paulus und Johannes mir gegeben haben, ist dieses entspannte
Gefühl, mit dem man im Vertrauen zu dem Allerhöchsten, zu dem Gott
von Himmel und Erde zusammen mit seinem Mitmenschen – wer das auch sein mag –
im Leben stehen kann. Und das ist es genau, was die Freude und den Frieden
gibt, die alle Verstand übersteigen, das Fundament des Königreichs
Gottes, das kommt.

Hast du es verloren? Bist Du mehr beschäftigt mit dem
ekelhaften Zustand der Welt oder mit der Unruhe und der Verwirrung, die das
neue Millennium herbei rufen, oder mehr mit Deinem eigenen Zweifel und
erschüttertem Glaubensleben, als mit Deiner Arbeit an der schönen
Zukunft, die Gott uns versprochen hat? Öffne Dein Herz für den Herrn
und bitte ihn, dir das Vertrauen zu schenken, womit du Christ sein kannst, wie
Jesus das gemeint hat, nämlich weit zu denken und ein weites Herz zu
haben. Und der Gott der Hoffnung wird dich erfüllen mit aller Freude und
Frieden im Glauben. Denn so wirkt der Heilige Geist. In Deinem
persönlichen Leben und im Leben der Gemeinde. Ich finde das herrlich und
weißt Du, es lohnt die Mühe, die es dich kosten kann, in einer
überfüllenden Weise.

Amen.

Dozent Dr. Jan Christian Vaessen, Groningen, Niederlande,

E-Mail-Adresse: jcvaessen@wxs.nl

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