Römer 8, 1-11

Römer 8, 1-11

Verstrickt ins Leben | Pfingstsonntag| 05.06. 2022 | Röm 8, 1-11| Kira Busch-Wagner |

Als ich bei der badischen Kirchenzeitung gelernt habe, da hieß die erste journalistische Regel bei Nachrichten: das Wichtigste an den Anfang. Das Wichtigste nach vorn!

Das Neue, das Ungewohnte, das Außergewöhnliche, das Erstaunliche, das, was elektrisiert!

Die Regel „das Wichtigste zuerst“ entstand, weil früher bei Zeitungsartikeln eben nach Bedarf wortwörtlich gekürzt wurde: wenn der Platz eng wurde, schnitt der Redakteur oder der Setzer das, was zu viel geschrieben war, einfach um ein Stück kürzer. Weg wars, unbekannt für immer, verloren, vergessen, verzichtbar. Je weiter oben ein Satz stand, desto größer die Chance, auch unter Platznot und Nachrichtenkonkurrenz doch noch ein Plätzchen zu finden.

Ganz anders verhält es sich, wenn ich zuhöre. Auf eine Geschichte höre, eine Predigt, eine biblische Lesung. Da bleibt möglicherweise genau das letzte, was gesagt wurde, ganz besonders im Ohr und im Herzen. Nach 5 Minuten Predigt – wer kann sich noch an den Anfang erinnern?

Heute haben Sie ein Stück aus dem Brief des Apostels Paulus nach Rom gehört. Ein Stichwort am Anfang: Verdammnis. Die dürfen Sie wirklich vergessen. Schließlich schreibt Paulus: es gibt nun KEINE Verdammnis. Doch was nicht ist, kann man sich nur schwer zu Herzen nehmen. Und nur die wenigsten unter uns dürften die grandiose Bearbeitung des Komponisten Johann Sebastian Bach im Ohr haben, wo genau das „keine“ in wunderbare Töne umgesetzt wird.

So halten wir uns vielleicht als Zuhörerinnen und Zuhörer des Wortes an das Ende unserer Abschnitts, das zuletzthörbare. Und Sie erinnern sich vielleicht sogar noch. Denn die letzten Sätze konnten einem doch wirklich das Herz höher schlagen lassen. Geist! Wie er zu Pfingsten gehört. Leben und Lebendigkeit. Auch ihr wie Christus! Auferweckt von den Toten. Ihr seids, die nicht geistlos daher kommen, sondern in denen der Geist Gottes wohnt. Ein jubelndes „Grüß Gott“ des Paulus also. Gegrüßt seid ihr und Gottes Geist in euch.- Was für ein Vertrauen des Paulus auf Gott und auf uns.

Dabei hängt die Lebendigkeit am Ende des Abschnitts mit dem Anfang durchaus zusammen. So wie  bei einem Wollknäuel der Faden, den man außen aufnehmen kann, und der letzte Zipfel tief im Innern des Knäuels schließlich auch zusammenhängen. Aber mit dem Knäuel arbeiten – das macht man von außen nach innen, vom Faden her, der oben heraushängt; durch das ganze Knäuel hindurch zum letzten Stück am Anfang, innen drin. Und wenn es richtig zugegangen ist mit dem Durcharbeiten, mit dem Stricken oder Häkeln oder Sticken, dann hat sich inzwischen das Knäuel zwischen Anfang und Ende verwandelt. Ist immer noch der ursprüngliche Faden, und doch gänzlich anders: ist ein Schal geworden oder wenigstens ein Stück davon, ein Ärmel vom Pullover oder ein hilfreicher Topflappen. Wer jemals gestrickt oder gehäkelt oder gestickt hat, kann das bezeugen. Die Frauen unseres Handarbeitskreises sind Expertinnen. Anfang und Ende hängen zusammen und dazwischen liegen Arbeit und Verwandlung in einem.

Paulus hat ja auch irgendwas mit Textilien gemacht, als Zeltmacher irgendwas mit Seilen und Stricken und Bändern. Der kann bestimmt gut nachvollziehen, dass man seinen Brief nimmt wie ein großes Knäuel, das er uns aufgewickelt hat, mit dem er arbeitete, und wir nun sorgsam alles noch mal aufribbeln und von neuem was draus machen.

So ist es hilfreich, dass wir den letzten, den zuoberst liegenden Faden in die Hand nehmen. Dass wir anfangen mit dem, was wir zuletzt gehört haben. Und wenn vielleicht auch kein ganzes Taufkleid draus wird, aus dem Faden, dann doch ein Stück davon.

Zuletzt, da haben wir gehört: es gibt eine Kraft Gottes, eine Bewegung des Lebens, eine lebendige Macht. So bekommen wir als erstes zu fassen das Versprechen: gegeben ist Geist Gottes, geschenkt, Geist und Lebendigkeit, die jetzt schon in uns stecken. Denn Gottes Geist ist so angelegt, dass er uns immer mit dem Leben verknüpft und verknotet. Jetzt heute und schon in vielen biblischen Geschichten. So ist unser Leben verknüpft und verknotet mit Gottes Leben, dem ewigen, das sich eben jetzt zeigt, in unseren Zeiten. Ohne Verfallsdatum, wie ja auch sonst Woll- oder Baumwollknäuel kein Verfallsdatum tragen.

  • Wie Gottes Geist uns mit dem Leben verknüpft und verstrickt, haben wir früher schon gehört und gelesen und bejubelt. So in der ersten der Schöpfungsgeschichten. Wo Gottes Geist über den Wassern schwebt und dann alles ins Dasein und ins Leben kommt. Sieben Strophen lang webt sich die Schrift durch die Tage der Schöpfung und des Lebens, immer verknüpft mit Gottes Wort und Geist.
  • Wie Gott ins Leben verstrickt, haben wir gesehen bei dem gekreuzigten und begrabenen Jesus, um den Gott neu seinen Lebensknoten schlingt an Ostern.
  • Verknüpft mit Gottes Geist und Leben haben sich die Jesusleute an Pfingsten erfahren. Sieben mal sieben Tage nach Ostern. Sieben mal sieben Tage, wo schon jede Woche an die Schöpfung und Gottes Geist und Leben erinnert. 7×7 Tage plus eins von Ostern bis Pfingsten, das ist also eine Schöpfungs- und Lebensgeschichte im Quadrat.

Solche Verstrickung ins Leben mögen sich die Jesusleute, die Frauen und Männer aus dem Jüngerkreis und Maria, grade da am 50. Tage ins Gedächtnis gerufen haben. Indem sie die Schrift lasen, die Bibel, Lebensgeschichten Gottes. Nichts anderes tun nämlich jüdische Leute in Jerusalem und auf der ganzen Welt heute – und damals wohl auch – am 50. Tag, am „7×7 plus eins-Tage-Fest, dem Wochenfest. 7×7 plus 1 Tage nach Pessach, nach dem Fest, das Jesus kurz vor seinem Tod noch gefeiert hat oder in das er hineinstarb. Ein Fest, das vom Leben und der Freiheit zum Leben erzählt. Wie Gott nämlich sein Volk aus der Sklaverei zum Leben mit ihm befreit. Und Gott bestätigt das Lebens- und Befreiungsfest am 50. Tag danach, mit seinem Wort, mit seinem Geist.

Vielleicht waren an jenem Pfingsten, jenem Wochenfest vor knapp 2000 Jahren, nach der Himmelfahrt Jesu den Schülern Jesu ihre Tage blut- und lebensleer erschienen, voller Angst und Enge, Müdigkeit und Erschöpfung. Und vielleicht doch auch wieder in der Furcht, gescheitert zu sein, verdammt, ausgeliefert dem Sterben.

Aber sie hatten ja bei ihrem Lehrer lebendige Auslegung der Schrift gelernt. Das werden sie es beim Lesen und Hören und gemeinsamen Lernen wieder entdeckt haben, aufs Neue: Dass sie hineinverstrickt sind in Gottes großes Lebensprojekt. Ohne Mindesthaltbarkeitsdatum, sondern immer und ewig. Und sie werden entdeckt haben, dass damit auch ihr Leben jetzt und hier mitverwandelt ist, wie sich ein Faden verwandelt zum Beispiel in die festen Nähe eines Taufkleids. Mit ihrer Entdeckung von Gottes Lebensprojekt sind auch die Jesusschüler dort angekommen, wovon Paulus nach Rom und der ganzen Welt geschrieben hat: Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist der in euch wohnt.

So hat unser Paulusabschnitt aufgehört. Auf mehr müssen wir nicht achten. Am Ende ist uns der Faden in die Hand gelegt, der uns verknüpft und verstrickt mit Gottes ewigem Leben.

Kira Busch-Wagner, geb. 1961, geprägt vom „Studium in Israel“, derzeit Vorsitzende der ACK Karlsruhe, Mitautorin seit Gründung der „Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext“, Mitautorin des „Messbuch. Butzon und Bercker“.

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