So geht Advent

Home / Kasus / 2. Advent / So geht Advent
So geht Advent

Predigt zu Jakobus 5,7-11| verfasst von Katharina Wiefel-Jenner |

 

So seid nun geduldig, Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen. Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe. Seufzt nicht widereinander, damit ihr nicht gerichtet werdet. Siehe, der Richter steht vor der Tür. Nehmt zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn. Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer.

 

 

Die Kanzlerin mahnt.

Der Erste Bürgermeister[1] fordert Haltung.

Sinken die Zahlen schon? Ach, es sind die vom Wochenende.

Sie mahnen. Sie erinnern an die AHA-Regel.

Wir fahren auf Sicht. Wir halten Abstand.

 

Der Apostel macht Mut.

Die Propheten lieben die Barmherzigkeit.

Kommt der Herr schon? Ach, es ist erst Advent.

Sie trösten. Sie zeigen uns die Adventsregeln.

Wir hören ihre Worte. Wir üben uns im Glauben.

 

Es gab eine Zeit, da waren die Apostel noch ganz beseelt. Die Gemeinde erlebte täglich, dass das Alte vergangen war. Es war zwar noch nicht erschienen, wie es sein würde. Aber es war so unzweifelhaft: Christus kommt bald. Der Herr ist nahe. Diese Welt mit ihren Schmerzen wird ein Ende haben. Bald. Nicht mehr lange. Die Krankheiten werden aufhören. Das Virus wird verschwunden sein. Niemand wird sich anstecken. Die Tränen werden getrocknet sein. Niemand wird nach Atem ringen. Es wird keine Kühlhallen mehr geben, in denen sich die Särge stapeln. Niemand wird ertrinken. Die ganze elende Angst wird verflogen sein. Der Tod wird nicht mehr sein. Bald. Nicht mehr lange. Dann ist es geschafft. Christus kommt.

Welcher Apostel ruft da noch zur Ausdauer auf, wenn Christus schon vor der Tür steht? Welche Gemeinde hält noch Abstand, wenn die Hoffnung schon zum Greifen nah ist?

 

Wie anders ist es heute. Die Kanzlerin mahnt und der Apostel erinnert an die nötige Geduld. Der Sommer war lang und warm. Fast hatten wir es vergessen. Und jetzt ist Advent. Die Zeit hat sich gedehnt. Jeden Morgen rückt der Tag, an dem dies alles geschafft sein wird, in weitere Ferne. Bald, ja bald ist wirklich Advent. „Bald“ ist ein Zukunftswort, eine Schwester der Geduld.

Es gab diese Zeit, da waren die Apostel noch ganz beseelt.

Und dann kam die Zeit, da hatte die Gemeinde fast vergessen, dass Christus kommt.

Und trotzdem spricht der Apostel immer noch von Geduld.

Und trotzdem wissen wir es noch immer nicht, wann er kommt.

Das ist die neue Normalität. Der Advent ist das neue Normal – gibt uns der Apostel zu verstehen und so leben wir mit diesem fernen „Bald“, zu dem Christus ganz gewiss kommt.

Immerhin macht uns der Apostel fit für diesem neuen, normalen Advent. Er flößt uns tröpfchenweise Geduld für die neue Normalität ein. Er ermutigt uns mit einer Advents-Regel. Die soll über die Zeit hinweghelfen, bis aus dem „Bald“ ein „Jetzt“ geworden ist – bis wir es geschafft haben und alles gut ist. Nach dieser Adventsregel gilt es Geduld, Barmherzigkeit und Vertrauen einzuüben. Drei Vorbilder und Beispiele gibt uns der Apostel auch mit an die Hand.

 

Vom klugen Bauern sollen wir die Geduld übernehmen. Der Bauer weiß, dass er auf den Regen angewiesen ist. Aber er handelt auch professionell. Was nützt der Regen, wenn der Bauer den Boden nicht vorbereitet hat. Andererseits bleibt seine ganze Sorgfalt sinnlos, wenn er nicht darauf vertraut, dass der Regen kommt. Entsprechend ist der Bauer aktiv und geduldig zugleich. Er wartet, arbeitet, sucht den Himmel ab und lebt sein Leben.

So geht Advent: Den Himmel Gottes niemals aus den Augen verlieren und täglich das Nötige tun, damit Brot und Wein auf den Tisch kommen.

 

Von den Propheten sollen wir die Barmherzigkeit übernehmen. Die Propheten wussten, wie schwer es ist, miteinander auszukommen. Sie kannten die Sorglosigkeit der Reichen und deren Verachtung für die Schwachen. Sie haben sich den Spielchen der Verantwortungslosen verweigert und haben es ertragen, wenn man sie demütigte. Sie haben gelitten und blieben barmherzig, weil Gottes Barmherzigkeit sie stärkte.

So geht Advent: Das Herz offen halten für die Spuren von Gottes Barmherzigkeit in dieser Welt, und denen, die verantwortungslos handeln, nicht die Macht über die eigenen Gedanken und Taten einräumen.

 

Von Hiob sollen wir schließlich das unerschütterliche Vertrauen zu Gott übernehmen. Hiob hat sich standhaft geweigert, an Gottes Treue zu zweifeln. Er hat vor den Trümmern seines Lebens gestanden, mit Geschwüren und zerrissenen Kleidern im Dreck gehockt. Er hat sich nicht auf den Zynismus seiner Freunde eingelassen. Undenkbar war es ihm, dass Gott ihn preisgeben würde. Er hat das Leiden ertragen, weil er gewiss war, dass sein Erlöser lebt.

So geht Advent: Die Ohren vor den verächtlichen Stimmen verschließen. Denen widersprechen, die die Liebe und Treue verspotten, von Gott nicht lassen und Gott alles zutrauen.

 

Die Kanzlerin mahnt.

Der Erste Bürgermeister fordert Haltung.

Kommt der Herr schon? Es ist erst Advent.

Aber der Apostel macht Mut, den Advent so lange auszuhalten, bis aus dem „Bald“ ein „Jetzt“ wird.

So geht also Advent: Wir üben mit den Worten der Apostel und Propheten. Wir üben uns im Glauben. Wir üben die Geduld.

Amen.

 

Dr. Katharina Wiefel-Jenner

Berlin

wiefel_jenner@hotmail.com

 

Katharina Wiefel-Jenner, geb.1958, Pfarrerin i.R., bildet als Dozentin für Liturgik und Homiletik Ehrenamtliche für den Verkündigungsdienst aus.

 

 

[1] Diese Predigt wurde in Hamburg gehalten, wo der Ministerpräsident Erster Bürgermeister heisst. (Anm. d. Red.)

de_DEDeutsch