Sprüche 16,1-9

Sprüche 16,1-9

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Neujahrstag,
1. Januar 2001

Predigt
über Sprüche 16,1-9, verfaßt von Wilhelm
Hüffmeier


Das dreifache göttliche Aber

Liebe Gemeinde,

neun prallvolle Lebensweisheiten auf einmal! Ist das nicht zuviel
des Guten am Neujahrsmorgen? Verlieren wir da nicht die Übersicht, die wir
doch gerade gewinnen möchten? Geht es nicht kürzer und deshalb
gewürzter?

Es geht! Alle neun Verse des Textes lassen sich auf ein kleines
Wort aus vier Buchstaben reduzieren! Obwohl Lebensweisheit in der Bibel allemal
Gottesweisheit ist, meine ich nicht das Wort „Gott“ selber. Das kleine Wort
„aber“ ist vielmehr gemeint. Indem wir ihm nachgehen, mit ihm Lebenskunde
betreiben, erhalten wir freilich Winke Gottes.

Am Ende unseres Abschnittes heißt es „Des Menschen Herz
erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt“. Wir kennen
die Kurzform dieses Verses: „Der Mensch denkt, aber Gott lenkt“. Und wer die
Weihnachtsgeschichte noch im Ohr hat, erinnert sich. Der Kaiser gibt sein Gebot
aus. Er denkt, er sei der Herr der Welt. In Wahrheit muss dieses kaiserliche
Edikt dazu dienen, dass der Heiland in Bethlehem geboren wird.

Der Kaiser denkt, aber Gott lenkt. Doch wie lenkt Gott unser
Leben? Lassen Sie uns am Beginn des neuen Jahres ein wenig darüber
nachdenken, was dieses kleine Wörtchen „Aber“ vom göttlichen Lenken
unseres Lebens zu sagen hat.

Beginnen wir mit einfachen Erfahrungen. Aber – das bedeutet, dass
noch etwas übersehen und vergessen ist, dass noch etwas zu
berücksichtigen ist, dass noch andere, neue Möglichkeiten vorhanden
sind. Aber – das heißt, dass es mit unserem Denken und Reden, Sehen und
Handeln immer nur um ein Vorläufiges geht und dass da an einer bestimmten
Ecke etwas Neues, Unberechenbares und Verwunderliches wartet. Aber – das meint
Differenzen und Klüfte in unserem Leben. Aber – das ist auch Einspruch,
Widerspruch, Kritik. Und dieses Unberechenbare, Verwunderliche, dieser Einbruch
von etwas Anderem, das kann nach der biblischen Botschaft der Weisheit hin auf
den ganz Anderen hinweisen.

Da ist gleich im ersten Vers die schmerzliche Differenz zwischen
den Gedanken und Wünschen unseres Herzens und der nur zu oft erfahrenen
Unfähigkeit, sie in die richtigen Worte zu fassen. „Der Mensch setzt
sich’s wohl vor im Herzen; aber vom Herrn kommt, was die Zunge reden wird.“ Ich
will reden, aber ich kann nicht. Kommt dieser Zwiespalt aus der
Unkonzentriertheit oder ist es Scham? Oder Angst vor der Blamage? Fehlt der
richtige Partner, der zuhören kann und dem ich mein Herz offenbaren kann?

Dabei wissen wir doch: Das rechte Wort im richtigen Moment, darauf
kommt alles an. Können wir lernen, die Gedanken und Pläne des Herzens
zur rechten Zeit richtig auszusprechen? Wer uns dabei hilft, wäre unser
Engel. Hilfe brauchen wir, denn es gibt eine weitere Kluft, eine Kluft zwischen
dem, was wir von uns selbst und unserem Verhalten denken, und dem Urteil, das
andere von uns haben. Ich habe mir nichts vorzuwerfen; mein Gewissen ist rein;
ich wollte ja nur das Beste, hört man allenthalben. „Einen jeglichen
dünken seine Wege rein, aber der Herr prüft die Geister“, sagt die
Weisheit der Sprüche Salomos. Und das heißt: Wahre Selbsterkenntnis
kommt nicht aus mir selbst. Ich verdanke sie einem anderen. Ich will mich
erkennen, aber ich vermag’s nicht.

Daraus folgt dann ganz von selbst die Warnung vor dem stolzen Herz
(Vers 5). Es ist zwar eine bittere Erfahrung des Lebens, dass Hochmut
längst nicht immer zu Fall kommt. Aber darin sind wir uns doch einig, dass
die Hochmütigen, denen wir begegnen, einen Denkzettel verdienten.
Hoffentlich lassen wir diese Überzeugung dann auch für uns selber
gelten und wissen mit unserem eigenen stolzen Herzen umzugehen.

Wenn nicht, werden Gegnerschaften, ja sogar Feindschaften
unversöhnt bleiben (Vers 6). Es sei so schwer, um Verzeihung zu bitten,
schrieb mir neulich jemand, der einem anderen Menschen bitter Unrecht getan
hatte und das auch einsah, aber es nicht fertig brachte, es klar und deutlich
und mit dem Ausdruck einer tiefen Beschämung auszusprechen. Unser stolzes
Herz macht vieles so unendlich schwer. Viele wollen Versöhnung, aber sie
können es nicht.

Die Not mit der Sprache, die Schwierigkeit der Selbsterkenntnis,
die Feindschaften und das Unrecht, das stolze Herz: Alle diese Ereignisse
unseres Lebens enthalten schmerzliche Differenzen. Doch diese Kluft, dieser
Zwiespalt, diese Differenzen können einen positiven Sinn gewinnen. In
ihnen meldet sich Gott zu Wort: „Der Herr hat alles gemacht, um ihm Antwort zu
geben, auch den Gottlosen für den bösen Tag“, sagt der Text (Vers 4,
gemäß den Kommentaren anders als von Luther übersetzt).

Der Mensch ist den Differenzen, in denen er lebt, nicht einfach
ausgeliefert. Wir sind nicht ihr Spielball oder ihr Opfer. Menschsein
heißt: Du bist nach dem Willen des Schöpfers auf Verantwortung hin
geschaffen. Das ist sozusagen das erste, das grundlegende Aber: das Aber
unseres Schöpfers. Ihm entspricht ein letztes Aber, das unseres Richters:
„aber der Herr prüft die Geister“ (Vers 2) und „auch den Gottlosen hat er
für den bösen Tag gemacht“, sagt der Text (Vers 4).

Man kann ja für einen Moment erschrecken. Es sieht so aus,
als ob der Gottlose für immer auf sein Schicksal festgelegt sei bis auf
den Jüngsten Tag. So als gäbe es keine Möglichkeit der Bekehrung
und der Umkehr. Doch zu diesem betrüblichen Ende soll es gerade nicht
kommen. Vielmehr zeigen uns die Sprüche Salomos schon jetzt auch die
positiven Möglichkeiten des Lebens. Das ist ihr tiefster Sinn. Deshalb
steht zwischen dem Aber des Schöpfers und dem des Richters ein
versöhnliches Aber. Ich nenne es das Aber des Versöhners. „Befiehl
dem Herrn deine Werke, so wird dein Vorhaben gelingen“ (Vers 3). „Durch
Güte und Treue wird Missetat gesühnt“ (Vers 6). „Besser wenig mit
Gerechtigkeit als viel Einkommen mit Unrecht“ (Vers 8). Sogar dies: „Wenn eines
Menschen Wege dem Herrn wohlgefallen, so lässt er auch seine Feinde mit
ihm Frieden machen.“

Wie lenkt Gott unser Leben? Wer den großen Schluss-Satz des
Textes hört: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg, aber der Herr
allein lenkt seinen Schritt“, wird ein dreifaches göttliches Aber im Kopfe
haben. Das des Schöpfers und des Richters und das Aber des
Versöhners. Seine Güte hat unsere Missetat und unser Unrecht schon
gesühnt. Er hat mit uns Frieden geschlossen, als wir noch seine Feinde
waren. Wir dürfen’s ihm gleichtun. Und wo wir scheitern, hilft er uns
wieder auf die Beine. Auch das gehört zum göttlichen Lenken unserer
Schritte. Amen.

Dr. Wilhelm Hüffmeier
Evangelische Kirche der Union,
Kirchenkanzlei
Jebensstraße 3, 10623 Berlin


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