Trau dich, schau nicht weg, greif ein

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Trau dich, schau nicht weg, greif ein

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Buß- und
Bettag, 22. November 2000

Schulgottesdienst über das Thema „Trau dich, schau nicht
weg, greif ein“
von Dieter Schultz-Seitz


Schulgottesdienst des Gymnasiums Salgitter-Bad am Buß- und
Bettag 2000 in der Kirche der Ev.-luth. Nikolai Gemeinde in Salzgitter-Bad zum
Thema Gewalt und Ausländerfeindlichkeit.

Thema: Trau dich, schau nicht weg, greif ein

Vorbereitet wurde der Gottesdienst von den Fachgruppen Ev. und
kath. Religion mit der Schülerarbeitsgemeinschaft Gottesdienst.

Eingesetztes Medium ist der Videofilm: Dienstag – Gewalt in
der U-Bahn, Hessischer Rundfunk, Deutschland 1994 (BzpB)

Begrüßung

Videoszene: Nichtstun
Gezeigt wird
eine kurze Szene, in der ein schwarzer Mitbürger von zwei wie Skinheads
aussehenden Jugendlichen in einer Frankfurter U-Bahn angepöbelt wird. Die
Fahrgäste reagieren mit Wegschauen oder Aussteigen.

Dass die
Szene gestellt ist und die Jugendlichen Schauspieler, stellt sich erst
hinterher heraus. Das anschließende Interview mit den Fahrgästen
wird nicht gezeigt.

Lied: Sonne der Gerechtigkeit EG 262

Reflexion: Was hindert mich daran zu helfen?

Wer oder was hindert mich eigentlich daran, den
schwarzen Mann in der U- Bahn von den Skinheads weg zu holen? Den grausamen
Wörtern und Sticheleien ein Ende zu bereiten? Den Skinheads zu zeigen,
dass sie Unrecht tun?

Ich selbst hindere mich daran!

Bei dieser Frage fällt mir besonders meine
eigene Angst ein! Vielleicht könnte mir auch etwas passieren, wenn ich
mich einmische.

„Könnt ihr euch noch an den Mann erinnern, den mit dem
schwarzen Mantel und der Brille? Er hatte auch große Angst und
fühlte sich unwohl“ Vielleicht haben diese Männer ein Messer oder
sogar eine Pistole dabei. „Der könnte doch schließlich seine Waffe
gegen mich ziehen.“

Ich stehe, trotz der vielen Menschen um mich
herum, eigentlich alleine da. Genau aus diesem Grund habe ich auch große
Angst. „Der Mann aus dem Film ist genauso allein. Er schaut sich auch
ständig um und versucht mit den Skinheads zu reden. Doch was soll er noch
tun? Vielleicht denkt er: „Was ist wenn mir etwas passiert, würden mir die
anderen Leute dann helfen. Ich weiß es nicht!“ (Pause)

Ich bin unsicher, weil ich keine Mittel kenne, mit
denen ich gegen die Skinheads vorgehen könnte genau wie dieser Mann. Es
gibt auch kein konkretes Rezept das ich anwenden könnte! Und bringt es
überhaupt was, wenn ich noch mehr sagen würde.

Wieder hänge ich an der Frage, was ist wenn
er gegen mich Gewalt anwendet.

Ich fühle mich hilflos, mittellos und meine
große Angst vor dieser Situation lähmt mich völlig. Fühlt
sich der Mann aus der Straßenbahn nicht genauso?

Aber müsste ich mich nicht eigentlich auf
meine Erziehung zurückbesinnen. Habe ich nicht gelernt, dass jegliche Form
von Gewalt falsch ist? Und das man etwas gegen sie tun muss?

Das bedeutet doch, dass ich nur über meinen
eigenen Schatten springen müsste, mich nur überwinden müsste
meine Angst zu vergessen und aufzustehen. Zu den Skinheads hinzugehen. Was
dann aber
tun? Aber gerade dieses winzig kleine Wort „nur“ macht die ganze
Angelegenheit so schwer.

Und schließlich sitze ich auf meinem Platz
in der U-Bahn und habe ein schreckliches Gefühl von Bauchschmerzen, ein
Gefühl der Unzulänglichkeit und des Versagens.

Lied: Dann trau dich

Biblische Besinnung

Micha 6,8

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und
Kollegen, liebe Gemeinde,

Diese Szene in der U-Bahn ist bedrückend
anzusehen. Der schwarze Mitbürger, der von zwei Skinheadtypen
angepöbelt und bedroht wird. Die Fahrgäste ringsherum, die auf ihre
Weise reagieren, voller Angst und mit dem Gedanken, was kann ich schon tun, ich
ganz alleine. Soll ich mich einmischen, soll ich das Risiko eingehen, selbst
zum Opfer von Gewalt zu werden?

Dann doch lieber wegsehen oder weggehen. Es wird
schon vielleicht ein anderer helfen, der stärker ist, aber ich, ich doch
lieber nicht.

Und was würde ich tun? Die Szene, obwohl sie
eine gestellte Szene ist, drängt uns diese Frage schonungslos auf.

Was kann ich, was können wir tun?

Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was
der Herr von der fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben
und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott. (Mi. 6,8)
Dieser Satz steht im
Alten Testament beim Propheten Micha.

Uns Menschen wird gesagt, was gut und richtig ist.
Es werden Kriterien, Richtlinien für unser Handeln aufgezeigt. Es wird uns
aber nicht das eigene Nachdenken oder das eigene Entscheiden in konkreten
Situationen abgenommen.

Es ist ein Prophetenwort, das sich bewusst an alle
Menschen richtet, nicht nur an bestimmte ausgewählte Personengruppen.

Und ich denke, hier ist der erste Hinweis für
uns. Das Thema Gewalt geht uns alle gemeinsam an. Es ist nicht nur ein Problem
in bestimmten Teilen Deutschlands, während wir hier in einer Oase der
Friedfertigkeit leben. Nicht bestimmte Berufsgruppen, wie die Polizei, allein
sind aufgefordert zu helfen.

Vereinzelung ist ein Grund, der Gewalt erst
möglich macht. Im Film wird deutlich: Die Gewalttäter können nur
Macht und Gewalt ausüben, weil die vielen anderen, die auch da sind, sich
passiv verhalten.

Die Menschen in der U-Bahn werden durch die
Gewalt, die sie beobachten, eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht.

Eigentlich werden auch sie damit zu Opfern
gemacht, sie lassen sich manipulieren, schauen weg, laufen weg.

Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist und was
der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben
und aufmerksam mitgehen mit deinem Gott. (Mi. 6,8)

Gott sucht bei uns ein anderes Verhalten als Wegschauen oder
Weglaufen.

Wir sind aufgefordert daran zu denken, dass alle
Menschen ein Ebenbild Gottes sind, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe,
von Religion und Geschlecht. Alle haben sie eine unverletzliche Würde, wie
es auch unser Grundgesetz sagt.

Rassistische Anschauungen von Mehrwert und
Minderwert bei Menschen dürfen bei uns keinen Platz einnehmen und nicht
unsere Gedanken vergiften. Die tolerierbare Meinungsvielfalt hat da ihre
Grenze, wo Menschen aufgrund bestimmter Anschauungen verletzt werden,
körperlich und seelisch.

Und weil wir das wissen, können und
müssen wir uns dann auch fragen: Was müssen wir tun? Unser Tun darf
nicht erst in Situationen anfangen, wie wir sie im Film gesehen haben. Gewalt
fängt schon früher an, auch schon da, wo einzelne Menschen und
Personengruppen ausgegrenzt und stellvertretend für alle möglichen
Probleme verantwortlich gemacht werden. Wir, die wir das wissen, für die
Grundwerte von friedfertigem Zusammenleben wichtig sind, müssen
öffentlich deutlich machen, dass wir Gewalt und Ausgrenzung und Rassismus
nicht hinnehmen.

Gottes Wort halten und Liebe üben, das sucht
Gott bei uns und das gehört zusammen. Und Liebe üben wird in
Situationen, wie wir sie im Film gesehen haben, zu der ganz konkreten Frage:

Werde ich bereit sein, ein Risiko einzugehen und
einem Einzelnen zu helfen, der angepöbelt und bedroht wird?

Das ist in dieser Situation keine theoretische
Frage mehr.

Ich kann mir viele Gedanken machen über die
Ebenbildlichkeit des Menschen, über seine Würde, aber was kann ich
tun, um diesen Grundsatz auch aktiv zu schützen?

Nicht wegschauen, so lautet die Forderung auf
unseren Plakaten. Aufmerksam und hellhörig werden aufmerksam mitgehen mit
unserem Gott, der uns in solchen Situationen für unseren Nächsten
braucht, das sucht Gott bei uns.

Auf die Situation im Film bezogen heißt das
Folgendes:
Mit anderen gemeinsam können wir etwas tun:

Amen.

Videoszene: Helfen durch Solidarisierung

In dieser Szene nun greift eine Frau in das Geschehen ein. Sie
konfrontiert die Jugendlichen mit ihrem Verhalten und zieht die Aufmerksamkeit
der anderen Fahrgäste auf sich. Durch das gemeinsame Einschreiten der
Fahrgäste geraten die beiden jugendlichen Skinheads sichtbar in die
Defensive.

Lied : Da berühren sich Himmel und Erde

Reflexion: Gemeinsam können wir etwas tun.

„Solidarität“ – natürlich wollen
das alle. Wir alle schätzen Solidarität – besonders, wenn wir
die Schwachen und Hilfsbedürftigen sind, mit denen sich andere
solidarisieren und uns so wieder stark machen.

Aber wo – oder besser gesagt: wie fängt Solidarität
für „andere an? Wie können wir den so wichtigen
ersten Schritt tun?

Die Szene, die wir eben gesehen haben, gibt eine verblüffend
einfache Antwort.

1 Es beginnt im Kopf. Was hat die Frau mitten in der tumultartigen
Auseinandersetzung gesagt? „Unser aller Problem ist das!“
Dieses Bewusstsein ist Voraussetzung für solidarisches Handeln! Nicht
mehr, aber auch nicht weniger. Mit solch einem Bewusstsein wird keiner allein
gelassen mit den Schwierigkeiten, die er hat. Andere nehmen Anteil, sie
beachten ihn, Gleichgültigkeit ist ein Fremdwort, „Unser aller
Problem ist das“ – das Problem der Farbigen, der Aussiedler, der Es
beginnt im Kopf. Was hat die Frau mitten in der tumultartigen
Auseinandersetzung gesagt? „Unser aller Problem ist das!“
Dieses Bewusstsein ist Voraussetzung f&uum

2 Und nun zum zweiten Hinweis, den die Ü-Bahn-Szene gibt. Die
Frau hat es im Nachgespräch selbst gesagt: Mann muss laut und
selbstbewusst Position beziehen
und seine Meinung zum Unrecht sagen. Erst
das laute Reden macht andere aufmerksam und ermutigt sie zur Solidarität,
„Gemeinsam sind wir stark“ – aber die Gemeinsamkeit muss erst
hergestellt werden. Die kann nur hergestellt werden, wenn jemand laut und
eindeutig Position bezieht. Erst wenn andere erkennen: „Oh, der Und nun
zum zweiten Hinweis, den die Ü-Bahn-Szene gibt. Die Frau hat es im
Nachgespräch selbst gesagt: Ma

Wir brauchen also Kopf und Stimme, um etwas für
andere tun zu können. Mit dem Kopf erkennen wir – „Unser aller
Problem ist das!“ – und mit der Stimme ergreifen wir laut
Partein gegen das Unrecht und ermöglichen so eine starke Gemeinsamkeit der
Gleichgesinnten.

Lied 4: Komm Herr segne uns EG 170

Ankündigung Buttonaktion

Fürbittengebet

Gewalt fängt nicht erst mit den Fäusten
an.

Oft ist Gewalt viel subtiler: Worte, die
verletzen, Handlungen, die ausgrenzen, Gedanken des Nichtbeteiligtseins. Lass
uns aufmerksam und sensibel werden auch für versteckte Formen der Gewalt.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Immer wieder erschrecken uns Nachrichten von
gewaltsamen Übergriffen auf Menschen bei uns, auf ausländische
Mitbürger, jüdische Einrichtungen und andere, die zu Opfern von
Gewalt werden. Wir bitten dich für die Betroffenen und ihre
Angehörigen, sei du bei ihnen und stelle ihnen Menschen an die Seite, die
ihnen helfen.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Zunehmend erkennen viele Menschen, dass sie aktiv
werden und ein Zeichen gegen Gewalt setzen müssen.

Wir bitten dich, lass immer mehr
Menschen den Weg des friedlichen Miteinanders verschiedener Menschen und
Kulturen und der Solidarität gehen.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Voller Sorge und Unverständnis sehen wir,
dass rechte Ideologie und Gedanken die Herzen von Menschen vergiften und deren
Sinne verdunkeln.

Ausländerfeindlichkeit, Feindschaft allem
Unbekannten gegenüber und Rassenideologie scheinen wieder um sich zu
greifen.

Wir bitten dich für die Täter, lass sie
den Wahnsinn ihres Denkens, Redens und Tuns erkennen und davon abgehen.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Zu viele Menschen gehen vorbei, wenn sie
Gewalttaten beobachten. Aus Angst, aus Bequemlichkeit, aus Desinteresse. Nicht
nur die Polizei ist dazu da, Unrecht zu verhindern. Lass uns alle im richtigen
Moment das tun, was nötig ist, um den Opfern zu helfen.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Nicht nur in unserem Land beobachten wir Gewalt.

An vielen Orten der Welt meint man, Konflikte mit Waffen, anstatt mit
Worten lösen zu müssen.
Menschen unterschiedlicher Religionen und
Interessen bekämpfen einander.
Besonders bedrückt uns zur Zeit
der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, für den eine
friedliche Lösung nahe schien. Für alle friedensgewillten Menschen.

Wir bitten dich, Herr erbarme dich.

Vaterunser, Segen

Musik

Dieter Schultz-Seitz
Schulpfarrer an Gymnasium
Salzgitter-Bad
Wilhelm-Raabe-Str. 1
38104 Braunschweig
Tel. 0531-271
09 04


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