Jesaja 65, 17-19. 23-25

Home / Bibel / Altes Testament / 23) Jesaja / Isaiah / Jesaja 65, 17-19. 23-25
Jesaja 65, 17-19. 23-25

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Letzter
Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 26. November 2000

Predigt über Jesaja 65,
17-19. 23-25, verfaßt von Hans Werner Dannowski


Verheißung eines neuen Himmels
und
einer neuen Erde

17 Denn „siehe, ich will einen neuen Himmel und
eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie
nicht mehr zu Herzen nehmen wird.“ 18 Freuet euch und seid
fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will
Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, 19 und ich will
fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man
soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des
Klagens.

23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder
für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der
Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen. 24Und es
soll geschehen: „ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden,
will ich hören. 25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden;
der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muß Erde
fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen
Berge, spricht der HERR.

Liebe Gemeinde!

Das ist die Sprache der Sehnsucht. Daß sie hier laut wird,
am Totensonntag, im November, in der trüben Jahreszeit, in der die Tage
immer kürzer und die Nächte länger werden: daß hier die
Sprache der Sehnsucht ihren Ort hat, das ist die eigentliche Prägung und
Bedeutung dieses Tages.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde
schaffen.“ Die Sehnsucht nach einer grundlegenden Verwandlung aller Dinge.
Die Stimme des Klagens und des Weinens wird aufhören. Das
Kinderkrankenhaus in der Stadt, von dem soviel Segen ausgegangen ist, das aber
auch so viel Leid gesehen hat, kann geschlossen werden. Die Kinder werden nicht
mehr für einen frühen Tod gezeugt. Die Todfeinde der Natur, Wolf und
Schaf, werden nebeneinander weiden. Der Löwe wird Stroh fressen; nun, wenn
der Löwe Stroh frist, so ist er kein Löwe mehr. Aber wir verstehen
schon, was gemeint ist: das gefährlichste der Raubtiere wird der
Gefährte des Menschen sein. Gerechten Lohn für gute Arbeit, Arbeit
für alle wird es geben. Die Gebete werden nicht mehr gegen die
geschlossene Tür des Himmels prallen. Die Welt ist das, wozu sie
geschaffen ist: eine Welt der Gerechtigkeit, der Schönheit und des
Friedens. Und der Himmel wölbt sich schützend über diese Erde.
Überschwenglich ist die Sprache der Sehnsucht. Sie geht aufs Ganze.
„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde
schaffen.“

Die Erde und der Himmel sind alt geworden, liebe Gemeinde.
Jahrmillionen stehen sie da, und einige Jahrtausende an Geschichte des Menschen
und der Erde überblicken wir. Die alte Mutter Erde, der alte Vater Himmel.
Zärtlichkeit schwingt mit, es ist ja unsere Erde, unser Himmel. Das Alter
geht mit der Ehrfurcht Hand in Hand. So viel an Schönem und Bedeutendem
hat sich abgespielt auf dieser Erde, unter diesem Himmel, und wir leben voll
davon. Die Humanisierung der Arbeit: was muß das für ein
Sklavendasein gewesen sein in früheren Zeiten. Die Fortschritte der
Technik und der Medizin: wie hilflos sind die Menschen früher den
einfachsten Krankheiten ausgeliefert gewesen, wie mühsam war das Leben
insgesamt. Die Geschichte der Künste allemal. Was wäre unsere Welt
ohne Bach und Mozart, ohne Michelangelo und Picasso, ohne Chartres und Charly
Chaplin. Alt ist die Erde geworden und der Himmel über ihr, den die
Flugzeuge rund um die Erde durchflügen. Alt und ehrwürdig und reich
ist sie geworden, und wir fahren ihre Geschichte als Ernte ein in unsere
Scheunen.

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde
schaffen.“ Alt ist unsere Erde und unser Himmel geworden, ehrwürdig,
aber auch verbraucht. Krank sind sie geworden. Krank sind Erde und Firmament
wahrscheinlich schon lange, aber heute wird einem das immer mehr bewußt.
Der Reichtum der Erde schwillt an, aber zwei Drittel der Menschheit haben nicht
genug zum Leben. Armut und Hunger wachsen selbst in unserem Land, nur wenige
wollen es wissen. Das Zunehmen der Weltbevölkerung droht in diesem
Jahrhundert die Erde zu überfluten. Es ist nicht mehr nur Gutes, was von
oben kommt. Orte der kranken Welt prägen sich ein, sie wechseln, sind
schnell vergessen. Soweso hießen sie gestern und Tschernobyl, heute Kursk
und Kitzsteinhorn, Orte, an denen die Krankheit der Welt wie ein Geschwür
aufbricht. Schnell sind die Namen wieder blankpoliert, Solingen und Mölln,
aber die Krankheit ist überall. Und wer für ein Gemeinwesen mit
verantwortlich ist, der fühlt sich wie eine Feuerwehr auf der Lauer, damit
der Brand nur nicht ausbricht und um sich greift. Das Bewußtsein der
alten Welt als eines Verbrauchtseins, als eines Endes ist – wie das Wissen
um die Ehrwürdigkeit und Schönheit – unablässig da. Tag
für Tag wird uns zugemutet, Probleme zur Kenntnis zu nehmen, die
offensichtlich niemand lösen kann. Das Gefühl der Ohnmacht ist
unausweichlich geworden. Das Gefühl des Verbrauchtseins und des Endes, Ja,
die alte Erde und der alte Himmel.

Den Totensonntag begehen wir heute, liebe Gemeinde. Jeder und jede
von uns hat an Tote und Verstorbene zu denken. Mütter, Väter,
Geschwister, Freunde, Kollegen auf der Arbeit. Jemand ist darunter, dessen
Fehlen besonders schmerzt, dessen Sterben mein Leben verändert hat. Eine
Wunde ist da, die sich nicht mehr schließt. Wir gedenken heute vor allem
derer, die im letzten Jahr heimgerufen sind. Alte Menschen sind darunter und
solche, die noch in der Mitte ihres Lebens standen. Immer wieder sterben auch
Kinder, oft Kinder, deren Namen wir nicht einmal nennen können, weil sie
zu früh oder tot geboren worden sind. Es war ihnen nicht vergönnt zu
leben. Wir wollen die Erinnerung heute in uns zulassen und den Schmerz. So
vieles ist ungesagt geblieben, so vieles unvollendet. Die alte Erde und der
alte Himmel, das ist das Leben, das zu Ende geht und sich verbraucht.

„Aber siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde
schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu
Herzen nehmen wird.“ Mitten in den Symphonien der alten Welt, mitten in
dem Zusammenhang des zu Ende gehenden, des verbrauchten Lebens erhebt der
Glaube seinen Kopf. Tastet die Sehnsucht nach Worten, die Ungeheures ansagen.
Spuckt der Glaube seine Ohnmacht heraus, schluckt sie nicht herunter. Schreit
unter Schmerzen, klammert sich mitten im Weinen und Klagen an eine absolute
Gewißheit. Ja, das gibt es und das wird es geben: den neuen Himmel und
die neue Erde. I have a dream, hat Martin Luther King diese Sehnsucht genannt.
Ich habe den Traum, daß eines Tages ehemalige Sklavenhalter und ehemalige
Sklaven am Tisch der Brüderlichkeit sitzen werden. Und dann ist er
losgezogen mit dieser unbändigen Sehnsucht im Herzen nach der gewaltfreien
Gemeinschaft zwischen weißen und schwarzen Menschen und hat dafür
geredet und dafür gekämpft. Den neuen Himmel und die neue Erde: viel
zu groß ist natürlich diese Sehnsucht für das Herz des
Menschen, die Sprache seiner Wünsche geht über das Vorstellbare weit
hinaus. Das Maßlose seiner Wünsche macht den Glaubenden auch ein
Stück heimatlos, macht ihn zum Unruheherd in der Gesellschaft. Arbeit
für alle und gerechten Lohn, und des Klagens und Weinens soll ein Ende
sein. Aber wer solche Sehnsucht nicht kennt, solch eine maßlose Hoffnung
auf die Verwandlung all dessen, was Menschen niederdrückt: wofür soll
er leben? Welche Sprache wird er reden? Die Sprache des small talk, die das gar
nicht meint, was sie eben sagt? Die Sprache der Banalität, die alles nur
in Mark und Pfennig auszurechnen weiß und zufrieden ist, wenn nur die
eigene Rechnung stimmt? Nein, die Sehnsucht der Glaubenden reicht weiter, zieht
sich nicht auf das Eigene, auch nicht auf die Kirche zurück, behält
den Horizont der ganzen Erde und sogar den Himmel noch im Blick. Weinende,
Verzweifelte, Obdachlose, Hungernde, Serben und Bosnier, Juden und
Palästinenser, Einheimische und Fremde sind vor diesem Radius mit
umfaßt.

„Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde
schaffen.“

Ist das eine Illusion, liebe Gemeinde, eine blödsinnige
Hoffnung, eine theologische Clownerie, über die man nur herzhaft lachen
kann, weil die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit so unendlich ist?
Mag sein, ich kann das alles nicht beweisen. Aber eines weiß ich sicher:
daß genau dies die Sprache des Glaubens ist. Der Glaube kreist um das
Geheimnis Gottes. Nicht um die schöne neue Welt geht es, die kluge
Politiker irgendwann schaffen werden. Nein, „Ich will einen neuen Himmel
und eine neue Erde schaffen.“ Gott ist es, der da sagt: „Ich
will.“ Er ist das souveräne Subjekt dieses Handelns. Wenn ich
überhaupt Gott danken, ahnen, Gott glauben kann: dann ist der
Schöpfergott gemeint. Der Erde und Welten aus dem kreisenden Wirbeln des
Chaos – wahrscheinlich in evolutionären Prozessen – geschaffen
hat. Der mit der Zielgenauigkeit der Liebe die Erde, die Kreaturen, den
Menschen schuf: weder ein Zufalls- noch ein Abfallprodukt ist ja noch der
Mensch. Der über die Welt die Bestimmung einer guten, schönen und
gerechten Ordnung gelegt hat. Der den Schlingenkurs der
schönen/schrecklichen Menscheitsgeschichte mit seinen Mahnungen, vor allem
aber mit unglaublichen Verheißungen begleitet. „Siehe, ich will
einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen.“

Und dann gibt es den einen, genau datierbaren Punkt in der
Geschichte der Menschheit, an dem die Sprache der Sehnsucht zur Sprache der
Erfahrung wird. Selig sind, die Leid tragen, denn sie sollen getröstet
werden“, sagt der Mann aus Nazareth, den seine Jünger den Sohn des
Allerhöchsten nannten. Nicht irgendwann ist der Trost im Leide da, nein,
hier und jetzt. Vergebung, Freiheit, der weite Raum zum Leben: nicht
irgendwann, sondern genau in ihm. Die Mauern abgetragen, die Gräben
zugeschüttet: so ohne Furcht in dieser Welt. Sogar den Tod hat er
durchschritten in seiner unauflösbaren Zugehörigkeit zu Gott. Den
neuen Himmel und die neue Erde hat er hineingeliebt in diese Welt, so
daß, wenn wir uns da anschließen könnten, mit ganzer Seele und
mit ganzem Körper, so wäre das alles da. „Ist jemand in
Christus, wird Paulus sagen, so ist er eine neue Kreatur. Die Alte ist
vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.“ Aus der Erfahrung der
völligen Veränderung des Lebens schreibt dieser Mann.

Liebe Gemeinde, bei den meisten von uns wird das alles wohl doch
stärker die Sprache der Sehnsucht bleiben. Die Erfahrung kommt dann und
wann hinzu. Aber ich will und kann ohne die Sprache des Glaubens, ohne die
Perspektive der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nicht leben.
Du wirst an hundert Gräbern stehen, aber in den zerbrochenen Spiegeln das
Gesicht der Auferstehung ahnen. Du wirst in tausend fremde Gesichter schauen,
aber dich wird die Liebe zu den Menschen nie ganz verlassen. An
Ungerechtigkeit, an Haß werde ich mich nie gewöhnen können. Die
Nähe der Verheißung wird dich aus der Ohnmacht und aus der
Verzweifelung holen. Auf dieser alten, schönen, müden Erde geht der
Horizont des auf uns zukommenden Gottes auf. Das ist die Botschaft des
Totensonntag und des Advent, in den wir schreiten.

Amen

Pastor i.R.
Hans Werner Dannowski
Kaiser-Wilhelm-Str.
18
30559 Hannover
Tel. 0511 / 517 9487
Fax; 0511 /952 6119


de_DEDeutsch