Verwalter der Ungerechtigkeit

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Verwalter der Ungerechtigkeit

Predigt zu Lukas 16,1-8 | verfasst von Cornelia Coenen-Marx |

Was für ein Krimi! Fast 13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer haben am vergangenen Sonntag „Limbus“ gesehen. Den Tatort aus Münster mit Prof. Börne, dem etwas arroganten und selbstverliebten Pathologen, der immer zusammen mit dem bodenständigen Kommissar Thiel ermittelt. Diesmal allerdings liegt er gleich zu Beginn nach einem schweren Verkehrsunfall im Koma. Und alles, was er jetzt noch sieht und erlebt, spielt außerhalb seines schwer verletzten Körpers. Er nimmt also wahr, was geschieht – aber er kann nicht mehr eingreifen. Er sieht, was schief läuft – aber er kann es nicht mehr ändern. Da ist der Hochstapler, der sich als Arzt ausgibt, ihn in der Pathologie vertritt, nicht der angekündigte Bekannte, sondern ein Fremder. Er weiß es und kann ihn doch nicht überführen – nicht einmal, als er seine Assistentin fast ermordet. Es führt kein Weg aus dem Limbus, der Vorhölle, wo der Börne noch um sein Leben kämpft, in den Alltag der anderen. Dass er mit dem Teufel sprechen kann, der aussieht wie Kommissar Thiel, das nutzt ihm nicht viel. Denn der ist auch nur der Geschäftsführer einer bürokratischen Verwaltung. Mit allen Unvollkommenheiten, Fehlern und kleinen Fluchten.

Beim Zusehen dachte ich an Jesu Gleichnis von Lazarus, dem obdachlosen Bettler und dem reichen Mann, der ihn immer übersehen hatte und schließlich selbst in der Hölle landet – mit Schmerzen, Angst und furchtbarem Durst. Als er endlich begreift, wohin sein Lebensstil führt, ist es zu spät. Am Ende möchte er wenigstens seine Verwandten warnen, damit sie ihr Leben ändern. Aber die Zeit ist abgelaufen, die Tür ist zu. Es gibt kein Hinüber und Herüber zwischen den Lebenden und den Toten.

Der Tatort über die Vorhölle hat viel positive Resonanz bekommen. Und ich glaube, das ist kein Zufall.  Denn auch heute fühlen sich viele wie ohnmächtige Zuschauer einer bösen Geschichte. Wir ahnen, was da geschieht, hat mit uns und unserem Lebensstil zu tun – aber wir wissen nicht,  ob sich noch etwas drehen lässt. Klar ist nur:  So kann es nicht weiter gehen. Ich denke an den Klimawandel, die stetige Erwärmung, Stürme und Orkane, die Überflutung der Küsten. An die Politik von Donald Trump, der aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen ist und viele Gesetze rückgängig gemacht hat. Viele haben aufgeatmet am letzten Wochenende: So konnte es nicht weitergehen – aber lässt sich das alles noch aufhalten? Die Zerstörung der Erde, die korrupte Politik?

Um Korruption geht es auch in dem Gleichnis aus Lukas 16, das heute Predigttext ist. Manche kennen es unter der Überschrift: „Vom ungerechten Verwalter“. Ich lese Lukas 16, 1- 8.

1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3

Da sprach der Verwalter bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und sprach zu dem ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Der sprach: Hundert Fass Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach sprach er zu dem zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Der sprach: Hundert Sack Weizen. Er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.

8 Und der Herr lobte den ungerechten Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.

Was für ein Krimi – auch das. Es geht um die drohende Kündigung. Von heute auf morgen steht der Vermögensverwalter, um den es hier geht, vor dem Nichts. Er sieht sich schon auf der Straße – ohne Einkommen, ohne Wohnung, ohne irgendwelche Sicherheiten. Was ihm noch bliebe: betteln oder graben, Hartz IV oder Arbeit auf dem Bau, das kann er sich nicht vorstellen. Diese Angst vor dem Absturz kennen nicht wenige. Es ist die Angst vor dem Nichts, dem sozialen Tod. Das ist er selbst schuld, sagen Sie vielleicht. Er hat doch offenbar nicht sauber gespielt!  Ich fürchte, so einfach ist es nicht.  Denn es ist gar nicht klar, ob er Unrecht getan hat – oder ob er nur von anderen angeschwärzt wurde. Klar ist nur: Das Vertrauensverhältnis zu seinem Chef ist zerstört. Er wird gehen müssen, auch wenn er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Denn das Geschäft lebt von der engen Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Großgrundbesitzer, der weit entfernt lebt. Seine Aufgabe ist die gewinnbringende Verpachtung des Landes. Zinsen durfte man im alten Israel nicht nehmen – und so rechnete man die Rendite in Naturalien um. Meist in Weizen und Öl. Eigentlich war das illegal – aber das kümmerte niemanden. Niemanden außer den Pächtern, die am Ende die Schuldlast trugen.

Mich erinnert das die heutigen Immobiliengeschäfte. Auch da sind die Eigentümer oft weit weg – irgendwo in Russland oder in Belgien, in Skandinavien oder China. Sie verdienen an steigenden Wohnungspreisen. Die Altmieter, die nicht mehr zahlungskräftig sind, werden nach und nach herausgedrängt. Und die Manager bei den Wohnungsbauunternehmen treiben die Prozesse voran. Entmieten, Renovieren, teurer vermieten. Es ist ein Elend – und viele empfinden es als großes Unrecht. Damals wie heute.  Wenn man sich die griechische Überschrift zu unserem Gleichnis genauer anschaut, kommt ins Nachdenken. Denn da steht nicht:  „ Der ungerechte Verwalter“, sondern „ Der Verwalter der Ungerechtigkeit“. Denn nichts an dieser Landverpachtung war gerecht. Korrupt war auch der Eigentümer. Nur wusch bislang eine Hand die andere; jetzt aber lässt er den Verwalter fallen.

Ein kleines Zeitfenster bleibt noch – und das nutzt der Mann, um sich zu retten. Wenn er am Ende nicht auf der Straße sitzen will, braucht er Menschen, die ihm wohlgesonnen sind. Und so kommt der Verwalter auf eine clevere Idee: Er wechselt die Fronten und erlässt den Pächtern die ohnehin verbotene Zinslast. Sie sollen nicht mehr zahlen, als jüdisches Recht ist. Vielleicht erinnern sie sich daran, wenn er Hilfe braucht. So lässt er die Pächter ihre Schuldscheine neu ausstellen – niemand wird ihm etwas nachweisen können. Aber der Eigentümer wird keinen Gewinn machen. Eine Hand wäscht eben die andere – nur diesmal sind es die Schuldner, mit denen er paktiert. Respekt, möchte man denken, für so viel kriminelle Energie. Wenn es ein Krimi wäre jedenfalls.

Im normalen Leben fänden wir den Mann wahrscheinlich nicht sympathisch – schließlich hat er wieder nur seinen Vorteil gesucht. Aber erstaunlicherweise lobt ihn auch der Herr für seine Chuzpe. Für die Entschlossenheit, mit der er handelt, dafür, wie er die Dinge dreht. Oder ist es sogar Jesus, der ihn lobt? Der Herr, der die ganze Geschichte erzählt? Ein moralisches Vorbild ist der Mann nicht, oder? Aber er versucht, in einer ungerechten Welt das Beste herauszuholen, ehe alles zugrunde geht. Für sich und für seine Schuldner. Er nutzt die Zeit, die ihm bleibt, um zu ändern, was in seiner Macht steht.

Vielleicht erinnern Sie sich an Oskar Schindler, den Fabrikbesitzer, der im Dritten Reich viele seiner jüdischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor dem KZ gerettet hat. Er hat dabei kräftig mit den Nazis paktiert; eine reine Weste hatte er nicht. Trotzdem nennt ihn Yad Vashem einen Gerechten unter den Völkern. Weil er die Schlupflöcher gesucht hat, die Handlungsspielräume, die es noch gab in diesem zutiefst menschenverachtenden System. Es geht nicht darum, eine Lichtgestalt zu werden – mit weißer Weste und ohne Fehl und Tadel. Es geht darum, mitten in dieser Welt zu tun, was möglich ist. Nicht perfekt, aber entschlossen. Die Chance zum Handeln zu ergreifen, trotz allem.

Das gilt auch für den Klimawandel. Oder im Blick auf Corona. Auch da müssen wir Prioritäten setzen, selbst wenn wir uns über den Erfolg nicht sicher sind. „Wir werden einander am Ende viel zu verzeihen haben“. Der viel zitierte Satz von Gesundheitsminister Spahn, zeigt die Spur: Da ist keiner mit weißer Weste, keiner, der nicht auf Erbarmen angewiesen ist. Aber gerade deshalb gilt: Wir sind nicht nur Opfer der Geschichte – wir können etwas tun.

Heute, am Volkstrauertag, denken wir an die, die tatsächlich Opfer der Geschichte wurden. Die Toten der beiden  Weltkriege, die Opfer der Diktaturen, die Toten der Pandemie. All die bekannten und unbekannten Namen. Viele von ihnen hätten nicht so früh sterben müssen, wenn andere den Mut gehabt hätten, zu handeln. Statt einfach nur mitzumachen.

Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. „Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt.“

Mit diesen Worten beginnt der jüdische Philosoph Walter Benjamin einen seiner berühmtesten Texte. Das Bild, von dem er spricht, eine kleine aquarellierte Ölzeichnung auf bräunlichem Papier, hing in seinem Berliner Arbeitszimmer und begleitete ihn später auch ins Exil. „Der Engel hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft“, schreibt Benjamin. „Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst.“[1]

Was für ein Bild. Da muss einer hilflos zusehen, wie die Welt zerstört wird. Wie eine traumwandelnde Politik den ersten Weltkrieg auslöst. Wie die Demokraten die Weimarer Republik zerstören lassen. Wie Nazis Menschen in die Flucht schlagen, Leben vernichten. Wie unser Klima umkippt, wie die Artenvielfalt schwindet – eine einzige Katastrophe nennt Benjamin die Geschichte. Sein Engel kann nur zusehen, kann nichts tun- und das schmerzt. Er lebt in einer anderen Dimension, so wie Prof. Börne im Limbus – in einem Zwischenreich zwischen Himmel und Erde.

Wir aber sind noch auf der Erde. Wir leben noch. Deswegen spricht Jesus uns direkt an. Selbst dieser korrupte Verwalter kann noch etwas ändern, er kann etwas tun. Noch ist Zeit; keinem von uns sind die Hände gebunden, keiner ist zu verwickelt, um ein Zeichen der Freundschaft zu setzen, ein Zeichen des Lebens. Der Verwalter tut das alles, damit die anderen ihn in ihre Häuser aufnehmen. In die ewigen Hütten, heißt es in älteren Übersetzungen. Das ist ein schönes Bild für eine Welt, in der wir einander nicht ausbeuten und übers Ohr hauen, sondern freundlich zusammenleben. Wo wir wirklich gute Haushalter sind. Keine Angst, noch ist es nicht zu spät.

Amen.

Cornelia Coenen-Marx zum 15.11.2020

[1] Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte

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