Was hat eine Frucht, was …

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Was hat eine Frucht, was …

Was hat eine Frucht, was ein Geschenk nicht hat? | Predigt über Philipper 4, 10–20 am Neujahrstag 1.1.2021 | Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

in einem Brief lese ich den Satz: „Ich suche nicht das Geschenk, ich suche die Frucht!“ Er steht im Ausklang des Philipperbriefes; Paulus schreibt ihn: „Ich suche nicht das Geschenk, ich suche die Frucht!“ – Bisher kannte ich kaum einen Satz, der beides zusammendenkt, oder ein „Geschenk“ einer „Frucht“ gegenüberstellt. Beide gehören doch auf eher verschiedene Lebensfelder. Was ist denn der Mehrwert eines Geschenks gegenüber einer Frucht? Und was hat eine Frucht, was ein Geschenk nicht hat? Für diese Differenz lohnt sich zuerst eine Rückfrage bei Paulus, dann auch die aktuelle Frage, ob das Begriffspaar unseren Zeitenumbruch deuten und uns zum Handeln anregen kann. – Doch ich habe auch eine persönliche Erfahrung mit der Differenz von Geschenk und Frucht. Als unsere Kinder von der Schule nach Hause kamen, haben sie ab und an gute Zensuren präsentiert. Die haben wir mit einer Süßigkeit belohnt, und mehrmals angedeutet, dass sie damit ja eine Ernte eingefahren hätten im Zusammenhang einer Fruchtfolge. Das Geschenk zerschmolz ihnen im Mund, das Fruchtverständnis motivierte sie – so hofften wir.

Liebe Gemeinde,

nun ist Paulus kein Schulbub mehr, sondern ein Jung-Pensionär. Er schaut zurück auf die Jahrzehnte fruchtbarer Missionsarbeit. Dabei betont er, dass alles Geschenk war: Alles pure Gnade, alles in grenzenloser Freiheit, immer bewahrt in brenzligen Situationen. Selbst seine Macken möge man ihm als Gabe verzeihen, auch wenn er die sich hart erarbeitet hatte. In diesem Sinne schreibt er an die Philipper: „Ich vermag alles in ihm, der mich mächtig macht, Jesus Christus!“ Typisch Paulus: Sehr breite Brust bei sehr ergebenem Augenaufschlag. So möchte er, dass er gesehen wird. Doch seine tatsächliche Situation ist überwiegend ohnmächtig. Nach lebensgefährlichem Gefangentransport quer durchs Mittelmeer sitzt er im Hausarrest in Rom. Der Staatsanwalt sieht in ihm eine Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund dubioser Glaubensnarrative.

Darin spielten auch etwaige Tempelschändungen und Entlastungsspenden noch in Jerusalem eine Rolle. Paulus war von den dortigen Glaubenswächtern zum Abschuss freigegeben, wogegen ihn die römische Obrigkeit in Schutzhaft nahm. Nun verrinnen seine letzten Lebensjahre unter Ausgangssperre. Er nimmt Feder, Tinte und Papyrus und schreibt befreundeten Gemeinden, die ihm Geld geschickt hatten hinein in seine diversen Gefängnisaufenthalte. Einer der Briefe ging nach Philippi, in dessen letztem Absatz lesen wir: „Ich bin hocherfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen … Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide; denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: beides, satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden; ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht. Ich danke euch für eure Solidarität … Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird… Gott aber, unserm Vater, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“ (Philipper 4, 10ff, stark gekürzt)

Liebe Gemeinde,

haben Sie in der Adventszeit auch Spenden-Bittbriefe erhalten? Direkt aufs Handy fürs online-Banking oder als Brief mit angehängter Zahlkarte? Ein Spendenaufruf jedoch mit so viel Eigenlob und so viel Gottesdank würde uns skeptisch machen. Einige Briefzeilen des Paulus gehören also wohl zu seiner Innenbetrachtung, aber seine Außenimpulse sind markant. Er sieht Christus als zentrale Kraftquelle. Von ihm aus schätzt er Mangel und Überfluss ein, von ihm aus unterscheidet er, was Geschenk ist und was Frucht.

Diese Sichtweise können wir ausprobieren. Zum Beispiel in Bezug auf den Jahreswechsel. Er ist diesmal ein Einschnitt, der uns die Lust zur dankbaren Rückschau nimmt und den Zweifel an eine offene Zukunft stärkt. Unser Ministerpräsident unterließ in seiner Adventsansprache den klassischen Jahresrückblick und moderierte anstelle dessen warmherzig ein klassisches Konzert. (1) Die Musizierenden bekamen dafür eine gute Gage, die außerhalb bekommen nur Almosen auf Antrag.

Dieser Jahreswechsel deckt die Brüchigkeit unseres Wertesystems auf. Wir können versuchen, ihr mit der Radikalität des Jesus Christus zu begegnen. Also mit Feindesliebe, Hingabe und Auferstehung. Wir brauchen allen Grips und allen Glauben, um darin praktisch zu werden. Reicht uns dazu das Zutrauen, dass Gott in uns setzt? Paulus meint: Ja.

Ein weiteres Beispiel ist die Pandemie. Wir ahnen voller Sarkasmus, dass wir mit ihr gleich mehrere schlechte Ernten einfahren. Wir ernten die Pandemie wie eine böse, verbotene Frucht. Dagegen werden wir verleitet, fast infantil dem Geschenk eines Impfstoffs zu vertrauen. Die Bedrohung ist die neue Normalität, und jedes Geschenk könnte ein vergifteter Apfel sein. Es sind diese vertauschten Vorzeichen, die uns überfordern. Wir können versuchen, ihnen mit der Radikalität des Jesus Christus zu begegnen. Also mit Wahrhaftigkeit, Lebensmut und Gottesbindung. Wir brauchen alle Courage und Kreativität, um darin praktisch zu werden. Reichen uns dafür die Zusagen, für die Gott sich verbürgt? Paulus meint: Ja. Denn er unterscheidet auch, was von Gott kommt, von dem, was von uns ausgeht, wenn er schreibt: „Ich suchte nicht das Geschenk, ich suche weiterhin die Frucht!“

So bleibt der Geschenk-Charakter zentral. Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen uns von Gott zu als kreatives Geschenk. Und wie das bei einem Geschenk ist: Verpackung und Inhalt können widersprüchlich sein. Gottes pure Gnade kam zu uns mittels einer gnadenlosen Kreuzigung. Von daher vermögen wir, dass Gute im Anschein des Schlechten zu erkennen. Dafür müssen wir das Schlechte zerreißen und entsorgen, wie wir das Packpapier zerreißen bei einem wertvollen Geschenk.

Ebenso ist der Fruchtgedanke zentral. Jede Frucht ist eingebettet in Saat und Ernte, Mutterboden und Wolkenhimmel. Die alttestamentlichen Propheten sagen: „Ein jeder braucht sein Brot, sein Wein, und Friede ohne Furcht soll sein.“ Dafür braucht Mutter Natur viele Monate der Ruhe, dafür brauchen alle Bewohner jahrelang Frieden, und dafür braucht die Weltgemeinschaft eine neue Verteilgerechtigkeit. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen bezog sich auf die Impfstoffe gegen Covid-19, als er sagte: sie müssten „als globales öffentliches Gut betrachtet werden – sie müssen überall und für alle Menschen zugänglich und bezahlbar sein.“ (2) Wozu alle Kommentatoren sagten: Der Mann hat recht, aber so wird’s nicht kommen.

Liebe Gemeinde,

aber was haben wir Christen auf Vorrat, ja sogar in Überfluss, das wir beisteuern können, damit diese Vision Wirklichkeit wird? Wie werden aus angesagten Verheißungen machbare Vorgänge, und zwar mittels unserer aktiven Beteiligung? Zur Beantwortung dieser Frage möchte ich auf etwas hinweisen, das sich m.E. durch die Weihnachtsgeschichte hindurchzieht. Es ist der Wille zum Konsens, zur Einigkeit, zur Übereinkunft. In der Weihnachtsgeschichte haben Menschen sich geeinigt, Sterne haben sich verbündet, Weltfremdes passte in den Stall. Dazu ein paar Gedankensplitter:

Die 3 Weisen einigten sich auf einen Stern. Ihre Einmütigkeit half ihnen auf ihrem Weg durch die Wüste. Sie machten die Krippe zur Schnittstelle des gesamten Weltkreises und umkurvten auf dem Heimweg zu Dritt König Herodes. – Auch die Engel: Schon der erste war umhüllt von der Klarheit Gottes. Dann kombinierten die himmlischen Heerscharen zwei Ideen zu einer Botschaft: „Ehre sei Gott“ – als Frucht des Glaubens; „und Friede auf Erden“ – als Geschenk Gottes. – Joseph und Maria kamen überein für ihr Kind und blieben zusammen. Maria entgeisterte sich nicht, und Joseph entzog sich nicht. Die Flucht nach Ägypten gelang ihnen, weil sie zusammenhielten. – Auch die Hirten einigten sich. Sie bezeugten die Retter-Geburt einmütig und somit glaubwürdig. – So gesehen ist die Weihnachtsgeschichte eine biblische Urgeschichte der Konsensfindung. Nehmen wir noch die Freiheit hinzu, gerade auch im Kontrast zur Situation des Paulus, dann haben wir mit beiden in unserer DNA starke Kräfte, um den Zeitenumbruch und die chaotische Gesamtlage angehen zu können.

Und noch etwas ging an Weihnachten eine Fusion ein: „Gottheit und Menschheit vereinen sich beide!“ Das ist das umfassendste Geschenk Gottes, das auf unserer Seite Früchte zeigen will. Früchte wie Wahrheit, Lebensmut und Gottesbindung, aber auch Feindesliebe, Hingabe und Auferstehung. Diese Vielfalt bringen wir mit ein für eine Zukunft im Schalom Gottes. – Das zitierte Lied hat eine ungewöhnliche Strophe über ihn, der als Gott-Held und Friedens-Fürst ein Erbeben stoppt. Ein Bild, das wir übertragen können. Denn: „Jesus ist kommen, der Fürste des Lebens. Glaubt ihm, so macht er ein Ende des Bebens. Jesus ist kommen, der Fürste des Lebens!“ (3) Das Ende des Bebens wird uns geschenkt, doch schon vorher können wir uns auf Früchte unseres Engagements freuen: „Jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?“ (4) Amen

(1) Armin Laschet (NRW) im WDR 19.12.2020; (2) lt. Bundestag.de/Dokumente/Textarchiv/2020 KW 51 Guterres vom 18.12.20; (3) EG 66,4 von Johann Allendorf 1736; (4) Jesaja 43, 19

Vorschlag für Fürbitten mit Diakon/in, Liturg/in und Gemeinde:

D: Sie einigten sich auf einen Stern.

L: Herre Gott! Gib uns Orientierung in der Dunkelheit.

Stärke unsere Einmütigkeit auf dem langen Weg.

Lass uns ankommen bei Dir. Darum bitten wir Dich:

G: „Eins ist not, ach Herr, dies Eine lehre uns erkennen doch!“

 

D: Sie einigten sich auf eine Botschaft.

L: Herre Gott! Die Engel öffneten gemeinsam den Himmel.

Für das Heil für jeden und den Frieden für alle.

Nimm uns unsere Wankelmütigkeit. Darum bitten wir Dich:

G: „Eins ist not, ach Herr, dies Eine lehre uns erkennen doch!“

 

D: Sie einigten sich auf ihr Kind.

L: Herre Gott! Die Geburt war ärmlich, das Wochenbett gefährdet.

Gib den Eltern Träume, ihre Kinder zu schützen.

Lass die Kinder dieser Welt aufleben. Darum bitten wir Dich:

G: „Eins ist not, ach Herr, dies Eine lehre uns erkennen doch!“

 

D: Sie einigten sich auf einen Auftrag.

L: Herre Gott! Die Hirten wurden für ihre Mitbürger zu Gottesboten.

Sie streuten die Nachricht in der Nacht und gegen den Trend.

Gib jedem Volk einen „Hirten der Gerechtigkeit“. Darum bitten wir Dich:

G: „Eins ist not, ach Herr, dies Eine lehre uns erkennen doch!“

Vorschläge für Lieder:

EG 386 Eins ist not, ach Herr

EG 66 Jesus ist kommen

Tvd 232 Herr, du sprichst zu uns vom Leben (Mel: Alles ist an Gottes Segen)

Tvd 327 Es werde, es werde hell auf der Erde

Thuma mina 25 Wir strecken uns nach dir

Thuma mina 142 Wir bitten, Herr, um deinen Geist

Thuma mina 215 Herr, du hast darum gebeten

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

Mielke, Manfred, Pfarrer i.R.

Manfred.Mielke@ekir.de

Am Bosserhof 13 a

46519 Alpen

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