Weihnachtsgottesdienst

Weihnachtsgottesdienst

Liebe Gemeinde!

In Bonn, wo ich 12 Weihnachten meines Lebens verbracht habe,
gibt es eine Krippentour, die auch die Krippen der romanischen Kirchen
in Köln mit einbezieht. Wenn man jeden Tag zwischen Heilig Abend
und Epiphanias sich auf den Weg macht, an den Tagen der 12 weißen
Nächte, dann kommt man vielleicht durch alle Kirchen mit Krippenausstellungen
durch. Ich habe diese Krippentour nie vollständig absolviert, immer
nur teilweise. Auf so einer Teilstrecke der Krippentour fanden wir die
merkwürdigsten Darstellungen der Weihnachtsgeschichte. In der Kapelle
der Universitätskliniken z.B. hatte der Stall die Gestalt des Verwaltungsgebäudes
der Klinik, und es gab Überlegungen, das Christkind ganz Krankenhausgemäß in
einen Brutkasten zu legen, es sei ja schließlich für die Welt
zu früh gekommen. Weihnachten im modernen Krankenhaus wörtlich
genommen. In einer anderen Kirche kamen die ganzen Berufsgruppen zum
Stall, die an Heilig Abend arbeiten: Polizisten, Krankenschwestern, Feuerwehr,
Schaffner und Busfahrer. In einer riesigen Krippenlandschaft in der Heilandkirche
schließlich kam das ganze alte Testament heran, Adam und Eva, Abraham,
Isaak und Jakob, die Propheten und Psalmsänger.

Das war eine Heilsgeschichtliche
Zusammenschau aller Zeiten. Und indem wir uns einreihten in die Krippenbesucher,
fanden wir uns plötzlich gleichzeitig mit denen, die die Geburt
Jesu vorausgesagt hatten, obwohl sie ihn rein historisch betrachtet nicht
mehr erlebt haben. Wir befanden uns in der Wolke der Zeugen, die Gott
und Mensch zusammen sehen durch die Zeiten und Generationen. In dieser
riesigen Krippenlandschaft fand ich auch die beiden Gestalten Simeon
und die Prophetin Hanna, von denen das heutige Evangelium des Lukas erzählt.

Lukas, der Historiker unter den Evangelisten, erzählt hier von Zeitgenossen
Jesu, die die alte prophetische vorchristliche Tradition verkörpern
und bestätigen. Simeon und Hanna, das sind die uralten Zeugen, die
aus zweier Zeugen Mund, die Zeitenwende und die heilsgeschichtliche Zusammenschau
bezeugen. Jesus der lange Erwartete, der Heiland, Licht der Völker
und Zeichen Israels, das Widerspruch hervorrufen wird. Ich lese aus dem
2.Kap. die Verse 22-40 und bitte Sie im Gesangbuch die rote Nr 764 aufzuschlagen.
Unter der Nr 764 finden Sie den Lobgesang des Simeon, das Nunc dimittis,
einen der neutestamentlichen Psalmen, den wir in der Lesung gemeinsam
sprechen wollen….

Weihnachten ist durchaus nicht nur ein Fest für
Kinder. Hier ist es ein Fest für zwei ganz alte Menschen. Sie schauen
nicht nostalgisch zurück sondern nach vorne. Und so werden sie Zeugen
des Neuanfangs und der Zukunft mit Gott: Von Simeon hören wir, dass
er ein Alter erreicht hat, in dem er schon den Tod erwartet, und wenn
wir das Alter der Hanna rekonstruieren, 84 Jahre Witwenschaft + 7 Jahre
Ehe + sagen wir 15 Jahre vor der Ehe – dann kommen wir auf mindestens
105 Jahre! Wir hören also von zwei wirklich sehr alten Menschen,
die das erste Mal in ihrem Leben Weihnachten erleben.

Eine merkwürdige
Vorstellung, als alter Mensch Weihnachten zu erleben, das erste Mal:
Schauplatz ist nicht der Stall von Bethlehem sondern der Tempel von Jerusalem,
der Ort, zu dem alle Kinder frommer jüdischer Eltern gebracht wurden.
Es ist der Ort der eigenen religiösen Tradition. Wohl dem, der solch
einen Ort hat und ihn im Alter auch noch kennt. Wir erfahren, dass die
Eltern Jesu alles nach dem Brauch und nach dem Gesetz ihrer Tradition
tun: sie lassen Jesus beschneiden, als 8 Tage um waren, und sie geben
ihm den Namen, der vom Engel genannt war vor seiner Geburt, nach 40 Tagen
bringen sie das Kind mit der Kollektengabe zum Tempel und begegnen Simeon
und Hanna. Ich lese diese liebevolle Darstellung des Brauchtums von Beschneidung
und Darbringung im Tempel zunächst wie eine exemplarische Taufgeschichte:
Setzen wir für Tempel Kirche und für Beschneidung Taufe ein.
Taufe und Beschneidung, das bedeutet das gleiche: Zugehörigkeit
zu Gott. Eingezeichnet sein in seine Hand. Wir taufen die kleinen Kinder
in der Kirche, und zwar wenn die Mutter wieder fit ist, wir taufen nicht
im stillen Kämmerlein, wir bringen die Kinder vor die Öffentlichkeit
der Gemeinde, wir sammeln eine Kollekte, nicht mehr in Naturalien sondern
in Euro, voller Dankbarkeit über die glückliche Geburt und
in dem Wissen, dass unsere Kinder nicht uns gehören sondern Gott.
Wir übergeben und befehlen sie in der Taufe den Händen Gottes
und empfangen sie aus seinen Händen wieder neu. In seine Hände
sind sie eingezeichnet und wir auch. Das Kind selber spielt noch keine
aktive Rolle. Das übernehmen Eltern und Paten. Die Paten kommen
als Zeugen, im Falle Jesu heißen sie Simeon und Hanna. Wir erwarten,
dass die Paten dem Kind ihren Glauben bezeugen, den Segen Gottes für
das Kind erbitten und auch seine Zukunft im Blick behalten, und zwar
unabhängig von den Eltern, also auch, wenn die Zöglinge den
Eltern Kummer bereiten werden. Taufe als Anknüpfung an Brauchtum
und Tradition, Patenschaft als geistliches Amt. Simeon und Hanna, die
exemplarischen Paten, die Paten Jesu Christi.

Liebe Gemeinde, gute Paten können warten. Sie sehen nicht nur,
was vor Augen liegt, ein ganz normales Baby, sie sehen mehr, sie sehen
seine Zukunft. Das richtige Sehen hat Simeon vom Heiligen Geist gelernt
und vom Warten auf den Trost Israels. Er lässt sich nicht nur von
Brauchtum und Gewohnheit leiten, er ist auch nicht Tag und Nacht im Tempel
wie die Prophetin Hanna, sondern er folgt der spontanen Eingebung in
den Tempel zu gehen. Er kommt auf Anregen des Geistes, sagt Lukas. Zwei
Zeugen, zwei Formen des Wartens, zwei Formen der Frömmigkeit, die
sich ergänzen, erleben wir in Simeon und Hanna. Ein Mann und eine
Frau. Die Prophetin Hanna stammt aus einem alten Geschlecht, sie hat
ein Amt im Tempel, der Vater Phanuel hat schon im Namen, was Hannas Aufgabe
ist: Phanuel heißt Angesicht Gottes. Im Angesicht Gottes leben,
in seinem Licht leben, unter dem Segen Gottes, dessen Angesicht über
uns leuchtet, wandeln. Epiphanias ist ihr Lebensprogramm, nämlich
die Zuwendung Gottes im Menschen aufspüren und schützen, seine
Gottesebenbildlichkeit, sein Licht erkennen und preisen. Nicht nur das
sehen, was vor Augen liegt.

Simeon und Hanna, ihre Namen bedeuten Gott
hat erhört und Gott hat sich erbarmt. Die beiden Krippenfiguren
in der Heilandkirche, die wir auf der Krippentour gefunden haben, sehen
aus, als wären sie blind. Man hat den Eindruck, der Simeon nimmt
das Kind in die Arme, um es zu ertasten und ganz zu umfangen. Er hätte
auch sagen können: meine Hände haben den Heiland gesehen oder
mein Herz. So wie wir es nachher singen werden: Eins aber hoff ich, wirst
du mir, mein Heiland nicht versagen, dass ich dich möchte für
und für, in, bei und an mir tragen.

Liebe Gemeinde, auch das, was
Simeon zu Maria sagt, kann man mit bloßem Auge nicht erkennen.
Er segnet sie, indem er ihr große Leiden voraussagt. Dass ihr Leiden
ein Segen sein soll, mag uns erstaunen. Denn der Segen Gottes, den Simeon
ihr weitergibt, bedeutet für Maria nicht, dass alles glatt, friedlich
und freundlich in ihrem Leben laufen wird, sondern dass sie zu Jesus
Christus stehen wird in guten und in bösen Tagen. Maria wird mit
Jesus leiden, weil ihr Sohn Ablehnung und Widerspruch erfahren wird.
Die gleiche Ablehnung, die auch seine Nachfolger erfahren werden. Sie
steht an der Krippe und wird auch am Kreuz stehen. Maria, die alles in
ihrem Herzen bewegt, wird in der Wolke der Zeugen für Geduld und
Mitleid stehen, für Ausdauer, Gehorsam und Treue. So – nur so –
wird sie auch nach dem Tod ihres Sohnes eine der ersten Zeugen der Christengemeinde
sein. Maria steht für das, was wir im Advent gesungen haben: Und
wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will, muß vorher
mit ihm leiden groß Pein und Marter viel, danach mit ihm auch sterben
und geistlich auferstehn, das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.
Wir erleben an Simeon und an Hanna, eine Weitsicht des Glaubens, die
das ganze Leben des Christkindes und seiner Mutter erfasst. Ob ihre leiblichen
Augen schon trüb waren, wie es die Krippenfiguren in der Heilandkirche
bei Bonn wollen, oder nicht, macht da keinen großen Unterschied.
Diese Weitsicht erfordert eine innere Schau.

Diese Weitsicht des Glaubens – und das ist der letzte Punkt – hat seinen
Ort nicht nur in der Taufe und am Anfang des Lebens, sie schließt
auch das eigene Sterben und das Ende unseres Lebens mit ein: Herr, nun
lässest du deinen Diener in Frieden fahren. Wenn ich einmal soll
scheiden, so scheide nicht von mir, erscheine mir zum Schilde, zum Trost
in meinem Tod, und laß mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot.
Diese friedliche Aussicht auf das eigene Sterben ist die beste Grundlage
für ein Leben bis zuletzt. Kreuz und Krippe aus dem gleichen Holz,
Windel und Lendentuch aus dem gleichen Stoff, Jesus Christus der einzige
Trost im Leben und im Sterben, das ist im Munde von Hanna und Simeon,
den Paten des Christkindes, die Weihnachtsbotschaft für die ganze
Welt und nicht nur für Weihnachten sondern auch für das neue
Jahr.

Liebe Gemeinde, auf dieser Grundlage können auch wir das ganze
Jahr über viele neue lebendige Krippenlandschaften bauen, Hospizpflegedienst
und Obdachlosenfrühstück, in unseren beiden reformierten Kirchen,
Freizeiten auf Amrum und in Ratzeburg, alte und junge Menschen gemeinsam,
Amen.

Dorothee Löhr, Hamburg

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