Weihnachtspredigt

Weihnachtspredigt

Man sagt, Weihnachten ist das Fest der Herzen. Wir sind mit den Menschen
zusammen, mit denen wir eng verbunden sind. Unsere Familie, unsere Freunde.
Weihnachten ist wie keines der großen Feste ein Sammlungspunkt
für die Familie. Wir reisen mit Bahn, Auto, Schiff und Flugzeug
weit umher, um dorthin zu kommen, wo wir zu Hause sind, wo wir herkommen,
um mit den Menschen zusammen zu sein, mit denen wir seit unser frühesten
Kindheit verbunden waren. Ob sich nun diese Sehnsucht nach dem Paradies
zu Hause für ein paar Tage erfüllt wird und man deshalb aus
Freude weint, oder ob sie sich nicht erfüllt, weil die Kindheit
unwiderruflich verloren ist und man deshalb aus Trauer weinen muß –
man hat sein Herz mit dabei.

Weihnachten ist der Traum vom verlorenen Paradies. Vom Paradies zu Hause.
Zu Hause bei der Mutter, wo etwas in der Luft liegt, wie es in einem
beliebten dänischen Adventslied heißt. Man weiß nicht
was. Wie ein Frühling, auch wenn der Wald seine Blätter verloren
hat. Deshalb müssen wir Weihnachten nach Hause. Ob wir nur wollen
oder nicht. Auch ein Gemüt, das wie Disteln verstockt ist, wie der
dänische Dichter Brorson in seinem Weihnachtslied sagt, Menschen,
die allen Ernstes am 1. Dezember beteuern, daß diese Rituale und
Traditionen nur zerbrochene Illusionen schaffen und Heulen und Zähneklappern.
Selbst diese Verstockten stehen am Bahnsteig 4 in Kopenhagen und wollen
nach Hause nach Løgumkloster, Ellum und Højst. Die Kindheit,
der „süße Morgentraum des Herzens“ (Grundtvig) treibt
einen weiter als die erwachsene Vernunft, treibt einen nach Hause, ob
nun Weihnachten ein Tanz auf Rosen ist oder man in einer Depression versinkt.

Beides, Freude und Leid, sind Ausdruck der Sehnsucht, so erkannt und
gesehen zu werden, wie man gerne gesehen werden will: als geliebt und
geachtet. Wenn wir einander Weihnachtsgeschenke geben und dabei
oft unser Bankkonto überziehen, so ist das eine Erinnerung an die
Weisen aus dem Morgenlande. So wie sie dem Jesuskinde Geschenke mitbrachten,
so tun es auch wir, um den Bund zwischen uns zu erneuern: Wer das Geschenk
erhält, hat unendliche Bedeutung für uns. Das Geschenk ist
Ausdruck für eine Lebensbestätigung. Eine Bestätigung
unserer Liebe zu einander.

Die Botschaft Jesu handelte von der Liebe, die zu uns hinabstieg. Vom
Wort, das Fleisch wurde und unter uns wohnte. Wie wir das in dem Lied
gesungen haben:

Heute geht aus seiner Kammer
Gottes Held,
der die Welt reißt aus allem jammer.
Gott wird Mensch dir,
Mensch zugute,
Gottes Kind,
das verbindt
sich mit unsrem Blute.
(Paul Gerhardt)

Paulus nannte die Liebe das vollkommene Band. Ein Band, das weiter reicht
als die Bande, die wir sonst kennen und von denen wir uns binden lassen.

Ja ist denn die Liebe, die uns Gott Weihnachten erweist, eine andere
Liebe als die, die wir einander erweisen? Sind wir von zwei Arten von
Liebe gebunden? Die zu Gott und die zu Menschen?

Einiget könnte darauf hindeuten, mit der Geschichte, die wir heute
gehört haben. Denn das ist nicht die Liebe der weihnachtlichen
Gemütlichkeit.

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Ich bin gekommen, um Streit zu bewirken“ (so die dänische Übersetzung).
Das ist ein Mißton in unseren Ohren, wenn der, der das Wort der
Liebe selbst ist, der unter uns wohnt, sagt, daß er nicht gekommen
ist, Frieden zu stiften, sondern das Schwert. Streit zu bewirken zwischen
denen, die miteinadner verbunden sind mit dem Band des Blutes, des Familienlebens.
Weihnachten ist offenbar nach dem Evangelium dieses Tages mehr als Lebensbestätigung,
mehr als Bestätigung der Werte von Familie, Heimat und Tradition.

Neulich konnte man in den Zeitungen von einem Mann lesen, der aus Kopenhagen
in seine Heimat in Westjütland zurückgekehrt war. Als er in
den Weg einbog, der zu seinem Hof führte, kam seine ganze Geschichte
in ihm hoch: seine Urgroßmutter, Großmutter und die
Geschichte der Vorfahren. Sie wurde durch die Landschaft wach, die Bäume,
und die Büsche, die Luft und die Gerüche. Hier gehörte
er hin. Und dennoch war das etwas, was nicht hierhin gehörte. Und
das wurde deutlich in dem Mädchen, das ihn begleitete. Sie war kein
Teil dieser Geschichte. Die hate Arbeit der Urgroßmutter, die man
an den roten und runzeligen Fingern sehen konnte. Die Härte und
der Opferwille der Großmutter. All das kannte sie nicht. Und
wie sie sagte: Sie ist die Liebe, sie ist die Wahl.

Er war gebunden durch etwas anderes als seinen Geburtsort, seine Familie,
die Heimat, die Gegend, aus der er stammnte. Das, was unser Schicksal
ist. Seine Gebundenheit war etwas anderes. Seine Liebe zu der Geliebten
war ein anderes Band. Ein Leben muß verloren gehen, damit neues
Leben entstehen kann. Er wußte, daß da etwas war, was man
aufgeben mußte, was er nicht mitnehmen konnte. Gebunden werden
durch die Liebe eines anderen Menschen, Mittelpunkt werden für einen
anderen Menschen, das bedeutet ja nicht, daß man das Erbe von zu
hause aufgibt. Denn dieses Erbe sitzt in einem wie ein Schicksal. Aber
die neue Liebe von einem anderen Menschen kann Konflikt bedeuten und
Streit mit dem Leben, das ich mitbringe.

Es gibt eine Spannung zwischen dem, was ich empfange, und dem, was ich
besitze. Zwischen dem Neuen, was zu mir kommt kommt, und dem Alten, was
ich schon habe. Wer das Letztere retten will – das Erbe, das, was man
schon hat, muß das Erste verlieren, das was zu einem kommt, die
Liebe des geliebten. Und umgekehrt.

Die Liebe der Weihnacht ist auch ein Band. Es band Jesus an die Menschen.
Für ihn war das Leben das geschenkte Leben, und das himmlische Leben
war das Leben, das wir besitzen. Er gab sozusagen das auf, was sein Schicksal
war – seine Gottheit, seinen Himmel. Er verzichtete auf sein göttliches
Erbe – zu dem er bestimmt war, das himmlische Leben. Und gebunden von
der Liebe Gottes zu uns begab er sich in die Macht der Menschen. Er wurde
das geschenkte Leben für uns. Die himmlische Liebe wurde zum neuen
Band. Das Band der Liebe, wo keine Sünde ist, kein Tod, wo alles
Liebe ist.

Das gegebene Leben in Liebe ist Nächstenliebe. Das ist die Liebe,
die allen gilt. Das ist die himmlische Liebe. Während die Liebe
auf Erden, die Liebe, die für uns zu dem Leben gehört, das
wir besitzen, das ist, was man mit Søren Kierkegard die „Vorlie­be“ genannt
hat, sie gilt nicht allen, sondern nur denen, die man ausgewählt
hat.

Wir wollen nach Hause zu Weihnachten – zur Familie, Verwandten, nach
Hause, der Heimat. Wir sind dadurch gebunden Das ist unser Schicksal.
Das ist der Ort unserer Vorliebe. Sie hat uns gesegnet mit Leben, Fürsorge,
Geborgenheit, Erziehung. Sie hat uns auf den Weg gebracht.

Aber durch die Liebe der Weihnacht werden wir gebunden ah an das Herz
Jesu Christi und an das ewige Leben, das dieses Herz besitzt. Dadurch
wird das ewige Leben für uns das gegebene Leben. Wenn ich das Leben,
das ich besitze mit seiner Vorliebe, retten will, dann bin ich nicht
wert, das gegebene Leben zu besitzen, ich muß es verlieren. Das
hat seiner Parallele in dem jungen Mann, der mehr gebunden war durch
seine Bindung an seine Kindheit, so daß wer seine Geliebte verlor,
weil das gegebene Leben von ihr weniger wog als das Leben, das wir haben.
Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verloert
um meinetwillenj, der wird’s finden.

Wir feiern die Taufe heute. Was soll man da denken? Geht es wirklich
darum daß das Kind in Jesus eingepflanzt wird, daß dieses
Leben für die Eltern gefährlich werden kann? Daß es in
einen Konflikt kommen kann? Eine Auseinandersetzung? Das ist ja fast
eine christliche Tyrannei gegenüber den Eltern. Ja, in irgendeinem
Sinne ist dies der Fall. Aber das geschieht, um die Freiheit des Getauften
zu retten. Was aber ist die christliche Freiheit?

Freiheit besteht darin, eine andere Heimat zu haben als die der Familie,
nämlich die Heimat der Kirche. Von dieser Heimat aus werden wir
in die Welt gesandt. Die Heimat ist nämlich dazu da, Freiheit zu
gewähren.

Das Kind in der Taufe hat wie wir gehört, daß wir in erster
Linie Kinder Gottes sind und dann Kind unserer Eltern. Und das verpflichtet
die Eltern, täglich sich klarzumachen, daß sie die Kinder
nicht besitzen, sie sind ihnen nur anvertraut als ein Geschenk.

Darin besteht die christliche Verantwortung: Dein Kind dazu anzuregen,
auf eigenen Füßen zu stehen mit einer Verantwortung, d.h.
Verantwortung zu tragen für das eigene Leben, das Liebe, Gerechtigtkeit
und Barmherzigkeit erfordert.

Wen die Liebe nicht weiter reicht als zur Familie, Verwandten und Bekannten,
dann sind wir uns nur selbst genug. Wir halten uns an das, was wir selbst
besitzen. Die Weihnachtsgeschichte erzählt von dem Leben,
das uns von Gott geschenkt wird, um das zu besiegen, was wir als Menschen
schon besitzen.

Das klingt wie eine tödliche Forderung, Aufgabe aller menschlichen
Freiheit, aber es ist Liebe, denn im Himmel und auf Erden gilt, daß der,
der sein Leben verliert, nicht stirbt, sonder aus der Gnade der Liebe
lebt, und darin ist nicht Weinen, sondern Freude.

Amen

Pfarrer Jørgen Demant
Hjortekærsvej 74
DK-45 88 40 Lyngby
Tel.: ++ 45 – 45 88 40 75
email: j.demant@wanadoo.dk

de_DEDeutsch