Weihnachtsspiel in fünf Akten

Weihnachtsspiel in fünf Akten

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Weihnachten
2000

Weihnachtsspiel in fünf Akten, verfaßt von Elisabet
Mester


Weihnachtsspiel in fünf Akten
1. Auf dem Weg nach
Bethlehem
2. Die Hirten auf dem Feld
3. Die Hirten in Bethlehem
4.
Die Steuererfassungsstelle
5. Auf dem Weg nach Ägypten

Personen:
Maria Josef 3 Hirten Engel Beamter Römerin
Wirtin

1. Auf dem Weg nach Bethlehem

Maria: Daß die aber auch immer mehr Steuern haben
wollen….ich weiß gar nicht, woher sie die noch nehmen wollen.

Josef: Von uns, meine Liebe, von uns wollen sie es nehmen. Sie
nehmen’s von den Lebendigen. Von wem denn sonst?

Maria: Wahrscheinlich werden wir dann auch gleich die Kopfsteuer
für das Kleine bezahlen müssen.

Josef: Das ist doch noch gar nicht auf die Welt gekommen.

Maria: Das dauert aber nicht mehr lange, mein Lieber. Es klopft
schon an und will raus.

Josef: Oh weh. Das kann ja heiter werden. Wenn das vor der
Steuererfassung geboren wird, kommt uns das teuer zu stehen.

Maria: Guck, das sind schon die ersten Häuser von Bethlehem!
Ach, wie ich mich darauf freue, endlich ein dach über dem Kopf zu haben!
Bei dem Wetter draußen übernachten, das ist wirklich kein
Vergnügen – erst recht nicht in meinem Zustand.

Josef: Das soll sich nun alles ändern.

Maria: Das mit dem Zustand oder mit dem Dach über dem Kopf?

Josef: Beides, Maria. Beides.

Maria: (hält sich den Bauch) Hoffentlich ändert sich das
mit dem Dach zuerst. Das andere hat nämlich leider nicht mehr viel Zeit.

Josef: Was sagst du da?

Maria: Das Baby kommt bald.

Josef: Woher willst du das wissen? Du hast doch noch nie ein Baby
gekriegt!

Maria: Das wäre ja auch noch schöner. Ich bin
schließlich erst sechzehn. Aber es fühlt sich so komisch an. Ich hab
so ein Ziehen im Leib.

Josef: Dann versuch ich’s mal hier. (Klopf, klopf) Haben Sie
vielleicht ein Zimmer frei? Meine Verlobte…

Wirtin: Was, Verlobte? Noch nicht mal verheiratet? Und dann sowas?
Ich glaube, Sie sind nicht ganz richtig im Kopf! Dies ist ein anständiges
Haus! (Wendet sich ab) Ein Zimmer! Und nicht verheiratet! Na, man sieht ja, was
dabei rauskommt! Eine Schande, sag ich. Eine Schande!

Maria: Laß es, Josef! Das hat keinen Sinn. In Bethlehem sind
viele Häuser. Wir versuchen es woanders. Hier zum Beispiel.

Josef: (Klopf, klopf) Haben Sie vielleicht ein Zimmer frei? Meine
Frau ist schwanger, und…

Wirtin: Das sehe ich. In so einem Zustand geht man ja wohl auch
nicht auf die Reise. Wir haben hier doch keine Entbindungsstation. (Tür
zu)

Maria: Sei nicht so bedrückt, Josef. Du machst das schon ganz
gut. Paß auf, beim nächsten Mal klappt es. Es muß einfach
sein. (Sie bleibt stehen und hält sich den Bauch fest.)

Josef: (Klopf, klopf) Haben Sie vielleicht…

Wirtin: Haben Sie vielleicht, haben Sie vielleicht… Den ganzen
Tag geht das schon so. Wissen Sie, was wir haben? Wir haben Volkszählung!
Das ganze Land ist auf den Beinen, und jede Herberge ist voll! Wir haben hier
genug, sage ich Ihnen, das haben wir, und sonst gar nichts! (Will die Tür
zumachen)

Josef: Hören sie, gute Frau! Meine Frau ist hochschwanger!
Bald kommt das Baby, und wir wissen nicht, wohin! Wir brauchen ja gar kein
Zimmer! Wir brauchen nur ein Dach über dem Kopf!

Maria: Wir sind von Nazareth gekommen, zu Fuß, weil mein
Mann aus Bethlehem stammt. Und haben wir schon mehrere Nächte
draußen geschlafen, im Gebirge…

Wirtin: Das ist ja furchtbar. Armes Mädchen. Wie alt sind Sie
denn?

Maria: Sechzehn.

Wirtin: Und dies ist Ihr Vater?

Maria: Nein, mein Verlobter.

Wirtin: Und von dem haben Sie nun das Kind?

Maria: Nein, nicht direkt…

Wirtin: Was heißt hier „nicht direkt“?

Maria: Also, nein. Ich hab das Kind von Gott.

Wirtin: Na, von dem kommen natürlich alle Kinder, irgendwie.
Also, wolln wir doch mal sehn, was sich da machen läßt. Sind ja
wirklich erbärmliche Verhältnisse. So ein süßes junges
Mädchen und dann schon schwanger und dann dieser alte Mann und dann nicht
verheiratet und dann ist das Kind noch nicht mal von ihm… Also, wolln wir
doch mal sehn, was sich da machen läßt. Wissen Sie, wir haben da
hinten einen Stall, da könnten Sie vielleicht … ich meine,
vorübergehend … es soll auch nichts kosten…

2. Die Hirten auf dem Felde

Ahab: He, Baruch, hast du dich schon registrieren lassen?

Baruch: Was, regi-wie?

Cadesch: Na, eintragen, meint er. In die Steuerlisten.

Baruch: In die Steuerlisten? Ich bin doch nicht blöd. Dann
muß ich ja bezahlen. Den Römern.

Cadesch: Das müssen nun alle.

Baruch: Wenns aber zum Leben zu wenig ist, was wir haben, und zum
Sterben zuviel?

Cadesch: Dann müssen wir trotzdem zahlen.

Ahab: Und verhungern.

Baruch: Genau. Oder gar nicht erst hingehen. Also, ich geh einfach
nicht hin.

Cadesch: Und wenn sie zu uns kommen?

Ahab: Zu uns kommt keiner.

Baruch: Zu uns ist noch nie einer gekommen.

Ahab: Kein Jude und kein Heide.

Baruch: Das kommt, weil wir der letzte Dreck sind.

Cadesch: In deren Augen vielleicht.

Ahab: In wessen Augen denn nicht?

Baruch: Komm, mach das Feuer wieder an. Sonst kommen noch die
Wölfe und fressen uns die Schafe weg.

Cadesch: Ich denke, zu uns kommt keiner.

Ahab: Weil wir auch nicht lesen und nicht schreiben können.
Unsere verachten uns, weil wir nicht die Bibel lesen, und die anderen verachten
uns, weil wir nicht schreiben können.

Baruch: Die Römer werden nicht zu uns aufs Feld kommen. Wir
haben auch genug zu tun mit den anderen Wölfen.

Cadesch: Vielleicht kommt ja der Messias.

Ahab: Der kommt nicht. Und wenn, dann kommt er in Jerusalem an.

Cadesch: Das weiß man nicht. Der König David ist auch
hier geboren.

Baruch: Aber nicht bei den armen Leuten.

Ahab: Dann wird’s wohl mal Zeit.

Baruch: Was?

Ahab: Zeit. Daß einer kommt und uns hier rausholt aus dem
ganzen Elend.

Baruch: Oder wir gehen zu den Partisanen.

Cadesch: Die holen uns hier auch nicht raus.

Ahab: Du kannst das Feuer ausmachen. Es wird schon hell.

Baruch: Du spinnst. Es ist erst zwei Uhr in der Nacht.

Cadesch: Legt euch schlafen. Ich wecke euch um drei.

Ahab: Nein. Da hinten wird es hell. Guckt doch mal hin!

Baruch: Um Himmels willen! Der Himmel brennt!

Ahab: Oder die Welt geht unter.

Cadesch: Oder zu uns kommt einer.

Baruch: Wird ja auch Zeit.

Ahab: Was klappert denn da so?

Cadesch: Meine Zähne. Ich hab Angst.

Engel: Ihr sollt keine Angst haben. Ich komme zu euch. Ich komme
zu euch als den ersten. Ich sage euch etwas, was außer euch noch niemand
weiß. Weil es Zeit wird, daß einer kommt und euch hier rausholt aus
dem Elend. Habt keine Angst. Hört zu.

3. Die Hirten in Bethlehem

Baruch: Das ist nun das letzte Hotel, in dem ich gefragt habe.
Andere Hotels haben die hier nicht.

Ahab: Ich versteh das nicht. Irgendwo muß der doch geboren
sein, der Messias.

Cadesch: Nun hört doch endlich mal zu, was ich sage. „In
einer Krippe liegend“, hat der Engel gesagt, in einer Krippe. Und nicht in
einem Hotel. Das erzähl ich euch jetzt schon seit zwei Stunden!

Ahab: Der Messias wird doch nicht in einem Stall geboren. das ist
ja wohl unnmöglich!

Baruch: Hoffentlich passiert den Schafen nichts, während wir
hier durch die Stadt stiefeln…

Ahab: Und hoffen, daß uns die römischen
Steuereintreiber nicht erwischen…

Cadesch: Und doch muß es ein Stall sein! Sonst hätte
der Engel doch nicht gesagt, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend!

Baruch: Na, Engel lügen nicht, da hat er recht.

Ahab: Normalerweise nicht, da hat er recht.

Cadesch: Hier ist zum Beispiel ein Stall.

Ahab: Das ist wohl eher ein Schuppen.

Baruch: Und löchrig noch dazu.

Cadesch: Wenn eine Krippe drin ist, haben wir eine Chance.

Baruch: Eine was?

Ahab: Eine Möglichkeit.

Baruch: Was für eine Möglichkeit?

Ahab: Den Messias zu finden.

Baruch: Dann nichts wie rein!

Cadesch: Ich meine, wenn der Engel zuerst zu uns gekommen ist, zu
den Ärmsten der Armen, dann kann es ja auch sein, daß der Messias
dementsprechend…

Ahab: Arm ist? Meinst du, daß er arm ist?

Baruch: Nichts wie rein, sag ich!

(Alle drei wenden sich um und stehen vor Maria, Josef, und dem
Kind)

Baruch: Ist der schön!

Ahab: Wer, der Esel?

Baruch: Oh, ist der schön!

Ahab: Was, der Ochse?

Baruch: Sowas Schönes!

Cadesch: Hier sind zwei Menschen und zwei Tiere.

Baruch: Und ein Baby. (Kniet nieder)

Ahab: Ein Baby. Und ist arm. Wirklich.

Baruch: Aber schön, und wie!

Cadesch: Ich nehme an, daß es der Messias ist. (kniet
nieder)

Ahab. Ja. Hört ihr denn nicht die Engel singen? Sie
müssen hier direkt über dem Stall sein. (Kniet nieder)

Cadesch: Schön ist das, was sie singen. Von Frieden und
Gerechtigkeit. Von dem, worauf wir gewartet haben. Die ganze Zeit.

Baruch: Daß endlich mal einer kommt. Zu uns.

4. Die Steuerfassungsstelle

Beamter: Der Nächste, bitte!

(Maria und Josef kommen rein, Kind auf dem Arm)

Beamter: Name, Beruf, Wohnort?

Josef: Josef, Zimmermann, aus Nazareth

Beamter: (schreibend:) Josef, Zimmermann, Nazareth… und warum
melden Sie sich dann hier in Bethlehem?

Josef: Meine Vorfahren stammen hierher, und meine Familie hat hier
noch ein Haus…

Beamter: Soso, Grundsteuer also auch…warten Sie mal…wer ist
denn der älteste Ihnen bekannte Vorfahr aus Bethlehem?

Josef: König David.

Beamter: So, Vorname König, Nachname David … was? Der
König David? Und dann sind Sie nur Zimmermann?

Josef: Was heißt hier nur? Das ist doch ein guter Beruf! Wir
haben eine kleine Werkstatt in Nazareth…

Beamter: Wieviele Angestellte?

Josef: Keine.

Beamter: Soso. Kleinbetrieb. Gering zu besteuern. Und das Haus
hier in Bethlehem wird wohl von Ihren Verwandten besteuert?

Josef: Ja. Aber mit denen haben wir keinen Kontakt.

Beamter: Und die junge Frau? Name, Beruf, Wohnort?

Josef: Das ist meine verlobte Freundin, äh, Frau, ich meine,
wir wollen heiraten…

Maria: Ich kann selber sprechen. Ich heiße Maria und bin
Weberin und komme auch aus Nazareth. Zur Zeit bin ich nicht berufstätig,
wegen ihm hier…(Zeigt auf das Kind)

Bemater: Also, Maria, Hausfrau, Nazareth, keine Steuerpflicht, das
Kind… wie heißt das Kind?

Maria: Jesus.

Beamter: Wie alt?

Maria: Ganz neu.

Beamter: Ach so. Gratuliere. Sie zahlen heute drei Taler und dann
jedes Jahr weitere zwei Taler bei der Kommandantur an Ihrem Wohnort. Es sei
denn, daß Ihre Vermögensverhältnisse sich bessern sollten
(guckt an Maria und Josef rauf und runter), was ich natürlich hoffe.

Maria: was, drei Taler? Soviel verdienen wir nicht mal in einem
Monat!

Beamter: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, das ist ein altes
Sprichwort. Ihr Juden könnt froh sein, daß Ihr dem Kaiser nur
bezahlen müßt, und ihn nicht anzubeten braucht.

Josef: Sowas täten wir auch nicht.

Beamter: Ich verbitte mir Ihre Bemerkungen. Das ist ja politisch!

Josef: Hier sind die drei Taler.

Beamter: (nimmt die Taler) Jawohl.

Maria: Wir hätten gern eine Quittung.

Römerin: (kommt reingerauscht) Guten Tag, mein Schatz, ich
bringe dir hier eine kleine Erfrischung, Datteln und Limonen, wie geht’s dir,
Schatz, jaja, schlimm mit diesem Pack, nicht wahr, aber warte nur, wenn du
deinen Dienst hier rum hast, dann gehen wir wieder nach Italien, ich wette, du
wirst nächstes Jahr befördert, und dann kommen wir raus aus diesem
fürchterlichen Israel, meinst du nicht auch, Schatz?

Beamter: Danke, danke, Schatz, daß du mir soviel zutraust,
ach ja, und danke für das Obst.

Römerin: Und weißt du, Schatz, was ich heute früh
gehört habe, nachdem du aus dem Haus gegangen warst? Der König
Herodes läßt alle kleinen Jungen unter zwei Jahre töten, weil
er angeblich Konkurrenz bekommen hat, da soll nämlich einer geboren sein,
der neuer König von Israel werden soll, und übermorgen kommen hier
die Truppen an aus Jerusalem, die das machen sollen…

Beamter: Was machen sollen?

Römerin: Na, die Kinder umbringen, diese kleinen
jüdischen Jungen sollen sie doch töten, und da dachte ich, Schatz, da
kommen bestimmt ein paar interessante Leute in dieses Kaff, Offiziere vor
allem, und da könnten wir doch wieder einmal einen kleinen Empfang
geben…

Beamter: Selbstverständlich, mein Schatz, ein kleiner Empfang
ist immer ganz schön, bereite nur alles vor…

Römerin: Aber Schatz, ich habe doch gar kein Geld! Ich
muß doch das Essen machen lassen und Diener zur Bewirtung bestellen und
Polster mieten und Wein kommen lassen … was glaubst du, was das alles kostet,
Schatz…

Beamter: Hier hast du drei Taler, die habe ich gerade bekommen,
das wird wohl reichen…

(Römerin, hochentzückt, rauscht ab)

Maria: (schüchtern wieder vortretend): Wir hätten gern
eine Quittung…

Beamter: Quittungen gibt‘ hier nicht, der Nächste bitte…

Maria und Josef treten ab.

5. Die Flucht nach Ägypten

(Hinter Maria und Joesf geht, von beiden nicht gesehen, der Engel
in segnender Gebärde)

Maria: Ach, Josef, ich hätte mich so gerne noch etwas
ausgeruht. Meinst du nicht, daß wir noch ein paar Tage Station machen
können, bevor wir weiterziehen nach Süden?

Josef: Du hast doch gehört, was die Frau des Beamten gestern
gesagt hat,

Maria: morgen kommen die römischen Soldaten nach Bethlehem.
Und diesmal nicht zum Zählen und Steuereintreiben.

Maria: Nein. Um die Kinder umzubringen.

Josef: Ja. Die kleinen Jungen.

Maria: Weil der Herodes meint, er hätte Konkurrenz bekommen.

Josef: Wen die wohl meinen?

Maria: Ich fürchte, sie meinen unseren.

Josef: Unseren was?

Maria: Unseren Jungen.

Josef: Was, den kleinen Jesus?

Maria: Ja. Hast du vergessen, daß wir ihn von Gott haben?

Josef: Das ist doch mein Sohn!

Maria: Hast du vergessen, daß du mich verlassen wolltest,
als ich schwanger war, und daß der Engel dir im Traum erschienen ist, um
dir zu sagen, daß das Kind von Gott ist?

Josef: Kann sein, daß das so war, jaja…

Maria: Und hast du vergessen, daß der Engel zu mir gekommen
ist und mich gefragt hat, ob ich dieses Kind bekommen will? Ich hab’s dir doch
alles erzählt, damals…

Josef: Ja, stimmt, ich erinnere mich, da war was mit ’nem Engel…

Maria: Und hast du vergessen, daß die Hirten zu uns gekommen
sind, in der Nacht, als er geboren war, und haben uns Schaffelle und Brot
geschenkt, weil der Engel ihnen gesagt hatte, daß der Messias geboren
ist?

Josef: Von dem Brot essen wir heute noch.

Maria: Und hast du vergessen, was die Engel gesungen haben,
über dem Stall, in der Nacht der Geburt – von Gottes Ehre und Friede den
Menschen?

Josef: Das werd‘ ich nie vergessen, so schön war dieser
Gesang.

Maria: Na, und was meinst du, welches Kind die Soldaten suchen?

Josef: Ich weiß nicht. Die spinnen, die Römer.

Maria: Vergiß es.

Josef: Ich hoffe, daß ich Arbeit finden werde in
Ägypten. Ich fürchte nämlich, wir werden ein paar Jahre dort
bleiben müssen.

Maria: Arbeit haben sie schon dort. Ägypten ist ja ein
reiches Land. Aber sie wollen keine Ausländer da.

Josef: Dann müssen wir eben Asyl beantragen.

Maria: Dann dürfen wir aber nicht arbeiten.

Josef: Warum denn das nicht?

Maria: Damit nicht so viele Asylanten kommen.

Josef: Aber wir wollen doch nicht auf andrer Leute Kosten leben.

Maria: Es wird uns wohl nicht viel anderes übrigbleiben.

Josef: Vielleicht verstehen sie’s, daß kein Mensch ohne Not
seine Heimat verläßt. Vielleicht begreifen sie es ja, daß wir
dorthin gehen, weil wir um das Leben unseres Kindes xfürchten. Vielleicht
haben sie ja ein Herz, die Menschen in Ägypten. (Maria uns Josef wandern
langsam von der Bühne, während der Engel sich an die
Gottesdienstbesucher wendet)

Engel: Hört, ihr Leut, und laßt euch sagen, unsre Uhr
hat zwölf geschlagen, fünf nach zwölfe ist es schon, um Asyl
fragt Gottes Sohn. Wandert in ein fernes Land, wird dort Ausländer
genannt, ist sich dafür nicht zu schade, daß er Hohn und Spott
ertrage, wächst auf als ein Flüchtlingskind, wie es heute viele sind.
Hier bei uns sind viele Kinder, und aus aller Herren Länder wohnen welche
in Baracken, andre nennen sie Kanacken. Wenn ihr solche Reden hört, denkt
an das, was Gott uns lehrt, der in seinem eignen Sohn Asylant gewesen schon.
Hätt‘ Ägypten ihm verwehrt das Asyl, das er begehrt, wäre heut‘
nicht heil’ge Nacht. Denkt dran, Leute, und habt Acht!

Verfasserin: Elisabet Mester
E-Mail: E.Mester@gmx.de

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