2. Korinther 6, 1-10

2. Korinther 6, 1-10

 


Göttinger Predigten im Internet
hg.
von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


1. Sonntag der
Passionszeit, Invokavit

12.3.2000
2. Korinther 6, 1-10


Andrea Bieler


Liebe Schwestern und Brüder!

Die Gemeinde Jesu Christi ist eine
Konfliktgemeinschaft. Wir wollen das oft nicht wahrhaben, decken Spannungen,
die im Raume stehen, zu und flüchten uns in oberflächliche
Höflichkeitsrituale und Harmoniesüchte.

Die Briefe des Paulus an die Gemeinde in Korinth
sind voll von Konflikten. Sie spiegeln allerdings kaum dieses ‚Ich will
gar nicht genau hinsehen, was uns von einander trennt‘ wider.

Kein Wunder, Korinth ist eine Stadt am Meer, eine
Handelsmetropole, die Menschen aus aller Welt zusammen kommen läßt.
Unterschiedlichste Kulturen und Weltanschauungen prallen hier aufeinander. Das
Hafenviertel ist verrufen. Über tausend geweihte Huren dienen am Tempel
der Aphrodite. Die sozialen Gegensätze zwischen Armen und Reichen sind
explosiv.

Auch die Umgangsformen in der Gemeinde waren wohl
nicht besonders sittsam. Paulus sieht sich genötigt, einen
‚Tränenbrief‘ zu verfassen, er schreibt in großer
Trübsal und Angst (2,4). Er müht sich ab mit Gliedern der Gemeinde,
die meinen, den Weg der Erkenntnis für sich gepachtet zu haben. Wie man
z.B. den eigenen irdischen Körper schon jetzt verlassen und den
Begrenzungen der irdischen Welt entfliehen könne; darüber scheinen
sie genau Bescheid zu wissen. Die kosmische Heilsgemeinde der schon jetzt
Erlösten, sie fordert ein Imponiergehabe, in der Schwächlinge keinen
Platz haben.

Paulus kämpft darüber hinaus mit
enttäuschten Erwartungen, mit Mißtrauen über nicht eingehaltene
Versprechen. Auch steht er sich selbst manchmal mit der eigenen Person im Weg:
Dieser kränkelnde Mann, kaum begabt mit rhetorischer Geschicklichkeit, von
seinen Gegnern als Schwächling angesehen. Dieser Mann stimmt ein Loblied
über das an, was sein Herz weit gemacht hat:

2. Kor 6, 1-10:

  1. Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, daß ihr die Gnade
    Gottes nicht vergeblich empfangt.
  2. Denn er spricht (Jesaja 49,8): ‚Ich habe dich zur Zeit der
    Gnade erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.‘ Siehe, jetzt
    ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!
  3. Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit unser
    Amt nicht verlästert werde;
  4. sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes; in
    großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten,
  5. in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in
    Mühen, im Wachen, im Fasten,
  6. in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im
    heiligen Geist, in ungefärbter Liebe,
  7. in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen
    der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken,
  8. in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten
    Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig;
  9. als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und
    siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet;
  10. als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen,
    aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
  11. O ihr Korinther, unser Mund hat sich euch gegenüber
    aufgetan, unser Herz ist weit geworden.

Dies ist ein Loblied darauf, dass EINER das Herz
weit gemacht hat und den Mund geöffnet hat. Ein weites Herz – trotz
all dieser Spannungen und Konflikte, der Verleumdungen, Verfolgungen und auch
trotz der eigenen Begrenzungen und Schwächen. Ein weites Herz zu haben,
trotz böser Gerüchte und Trübsal, trotz Verführungen,
Traurigkeiten, und Schlaflosigkeiten. Wenn es eigentlich eng um einen wird,
weil die Angriffe gegen die eigene Person und die Sache, um die es geht,
miteinander vermischt werden und der Herzmuskel, dieses verletzliche Organ,
sich verkrampfen müßte.

Ein weites Herz, das überfließt, das
den Feinden nicht ausweicht und trotzdem nicht dicht macht. Ein weites Herz,
das die Nüchternheit gegenüber den eigenen Schwächen
zuläßt und keine Illusionen über die selbst erarbeitete
Leistungsfähigkeit mehr benötigt.

Wie ist das möglich?

Paulus sagt: „Siehe, jetzt ist die Zeit der
Gnade, siehe jetzt ist der Tag des Heils‘. Immer wieder übersetzt er
diese Worte der Verwandlung – nicht als ein bloßes Dogma, sondern als
einen Satz, der ihn leben läßt. Es ist diese Kraft Gottes, die in
sein Herz einströmt. Es ist die gnädige Liebe Gottes, die ihn
bedrängt, die Gegner nicht aufzugeben und auch den Zorn nicht zu
verdrängen im Hinblick auf die schier unerträglichen Konflikte.
‚Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber …. und
hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung (2 Kor 5,
19).“

Aus diesem Wort strömt eine unbändige
Kraft, die selbst aus dem Gefängnis heraus, die Welt mit anderen Augen
ansehen läßt. Und dies ist möglich, obwohl wir erst im Glauben
leben und noch nicht im Schauen. Das Wort von der Versöhnung macht das
Herz weit, es ist eine Kraft, die auch uns die Welt mit neuen Augen sehen
läßt.

Vor zwei Jahren lief im Kino der Film ‚Das
Leben ist schön‘ des italienischen Regisseurs und Schauspielers
Roberto Benigni. Dieser gewagte Film hat mich sehr bewegt. Er erzählt auch
eine Geschichte vom Umdeuten dessen, was wir sehen, von der Kraft des Glaubens,
die Leben ermöglicht, vom Sterben, und siehe, wir leben, von den
Gezüchtigten und doch nicht Getöteten. Die Geschichte geht so:

Italien, es ist das Jahr 1939. Guido ist Halbjude
und lebt mit Frau und Kind in einem kleinen Dorf. Er ist ein Witzbold, eine
tragisch-komische Gestalt, der das Leben seiner Frau und seines Sohnes durch
seine Clownereien versüßt. Doch dann werden er und seine Familie in
ein Konzentrationslager deportiert. Um dem Kind zu helfen, am Ort des
Todesschreckens weiter leben zu können, erzählt er ihm, es
‚handele sich nur um ein Spiel‘. Die Regeln dieses gewagten Spieles
sind sehr streng: So befiehlt der Vater dem Sohn: „Du kannst alle deine
Punkte verlieren, wenn du folgendes tust:

1. Wenn du weinst.
2. Wenn du fragst,
daß du deine Mutter sehen willst.
3. Wenn du hungrig bist und
nach Essen fragst.

Vergiss es !“

Der Gewinn dieses Spiels, so verspricht der Vater
dem Sohn, sei ein echter Panzer, und man müsse dafür Punkte sammeln,
dadurch das er den Anweisungen der ‚Spielleiter‘ gehorche. So
verhilft der Vater dem Sohn, die Situation zu meistern. Der Sohn
läßt sich auf das Spiel ein und lernt im Inferno des
Konzentrationslagers eine neue Möglichkeit, das Leben zu sehen, so
daß durch den Schrecken der Vernichtung sogar der grotesk anmutende Satz
möglich wird: ‚Das Leben ist schön.‘

Und der Friede Gottes, der höher ist als
alleVernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen

Dr. Andrea Bieler
Theologisches
Stift
Geiststr. 9
37073 Göttingen
e-mail: abieler@gwdg.de

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