Wer bin ich, dass ich glaube?

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Wer bin ich, dass ich glaube?

5. Sonntag nach Trinitatis, 12. Juli 2020 | Zu Lukas 5, 1 – 11 | verfasst von Reiner Kalmbach |

 

Die Gnade Gottes, unseres Vaters, die Liebe Jesu, unseres Herrn und die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes seien mit uns allen. Amen.

 

Warum sind Sie heute hier? Was hat Sie dazu bewogen sich auf den Weg in die Kirche zu begeben? Sind Sie bewusst Mitglied der Kirche und dieser Gemeinde? Keine Sorge, hier hat sich keine Umfrage der Kirchenleitung in unseren Gottesdienst eingeschlichen. Aber ich denke, ab und zu sollten wir uns diesen Fragen stellen.

Ist mein sonntäglicher Gottesdienstbesuch Teil einer wöchentlichen Routine, wie arbeiten, einkaufen, das allabendliche Fernsehprogramm? Oder steckt etwas anderes dahinter?

Warum glaube ich? Oder wer bin ich? Ja, ich denke, alle diese Fragen lassen sich auf die eine reduzieren: Wer bin ich, dass ich glaube? Das klingt vielleicht etwas schräg, aber darum soll es heute gehen: wenn Gott uns anspricht, dann geht es um unsere eigene Existenz.

 

Hören wir aus dem 5. Kapitel des Lukasevangeliums, die Verse 1 bis 11

 

Textlesung

 

„Menschenfischer oder Bauernfänger?“

 

Martin Luther spricht von dem „leichten Evangelium“, wohl weil die Geschichte vom Fischzug des Petrus so populär ist. Aber so einfach ist es dann doch nicht, denn Lukas führt uns in die Tiefe unserer eigenen Glaubensexistenz.

Doch zunächst: der Vergleich „Menschenfischer oder Bauernfänger“ ist gar nicht so weit hergeholt. Zumindest hier bei uns in Argentinien, wie auch in anderen lateinamerikanischen Ländern, sind viele Bauerfänger als Menschenfischer verkleidet. Da sind landauf – landab Politiker unterwegs, um mit billigen und populären Versprechungen, die sie nie halten werden, die Massen für ihre Zwecke einzuspannen. Der brasilianische Präsident Bolsonaro ist nur ein Beispiel und sein grosser Lehrer im Norden ist durchaus in der Lage nicht nur sein eigenes Land in den Abgrund zu stürzen. Manchmal frage ich mich, von wem unsere Politiker ihre Lügen und leere Versprechungen gelernt haben… Da gibt es verdächtige Parallelen zu den Methoden vieler evangelikalen und neo-pfingstlerischen Kirchen. Alle „fischen“ sie nach dem gleichen Schema.

 

In unserer kleinen Stadt in den patagonischen Anden, mit knapp 40.000 Einwohnern, gibt es über 30 Kirchen die sich alle „evangelisch“ nennen. Mehrmals in der Woche füllen sie grosse Säle, manche dieser Gruppen bauen in Rekordzeit riesige Tempel, ausgestattet mit der neuesten Technologie und den teuersten Kinosesseln. Klar, je mehr ein Mitglied „investiert“, desto mehr himmlischer Segen regnet auf ihn herab. Menschenfischer? Bauernfänger! Da wird dann ein Fläschchen „echtes“ Öl vom Ölberg in Jerusalem für umgerechnet 100 Dollar verkauft, geheiligtes Salz vom Toten Meer, das vor Ansteckung mit dem Corona-Virus schützt.

Wenn Menschen in Not sind, wenn der Staat auf allen Ebenen versagt, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, dann klingt die Kasse der Bauernfänger, selbst und gerade im Namen Jesu.

 

Petrus: Wer bin ich?

 

Ja, es ist wahr, eine Zeit lang wirkt Jesus wie ein Magnet, er ist „populär“ im besten Sinne des Wortes. Die Menschen spüren, dass dieser Heiler und Prediger kein Bauernfänger ist, dass er sie ernst nimmt, Zeit für sie hat. Er sucht gerade ihre Nähe, er will bei ihnen sein, bei denen die von Gott und der Welt verlassen sind. Das Land ist von den verhassten Römern besetzt und die „Amtskirche“ hat mit der „pax romana“ schon längst ihren Frieden gemacht. Das Volk, vor allem in der Provinz, ist auf sich allein gestellt. Jesus meint es ernst mit ihnen, den Armen, den Kranken, den einfachen Handwerkern und Tagelöhnern, den Fischern…, die gerade frustriert und müde ihr „Nachtwerk“ beenden.

Und hier wird die Menge plötzlich ausgeblendet. Jesus wendet sich einem einzelnen Menschen zu: Simon Petrus. Ab jetzt nur noch Jesus und Petrus, ein einfacher Fischer, Besitzer eines der Boote. Petrus ist Realist, er weiss, wenn eine Sache aussichtlos ist. Nach einer Nacht ohne Fang will er und seine Freunde und Nachbarn nur noch nach Hause und schlafen. Frust und Mutlosigkeit, das hat keinen Sinn mehr, das sagt einem die Erfahrung und der gesunde Menschenverstand. Diese Situation gehört zum Leben, die Fischer erleben sie hin und wieder, „…das wird schon wieder, morgen vielleicht…“, hören sie zu Hause, reden sie sich selbst ein. Aber jetzt gleich, müde wie wir sind und schlecht gelaunt…? „Der hat ja keine Ahnung!“.

 

Und nun frage ich mich, frage ich Sie: Warum, wenn es doch sinnlos ist, antwortet Petrus: „…auf dein Wort hin wollen wir die Netze noch einmal auswerfen.“? Will er Jesus zeigen, dass ein Fischer sich auf seine jahrelange Erfahrung verlassen kann? Oder ist da etwas anderes, etwas, das Petrus vielleicht in diesem Moment selbst nicht versteht? „Auf dein Wort hin“, wessen Wort? Das Wort dessen der gerade eben zu der Menge sprach, der Prediger, der bei Lukas ein Kapitel zuvor seine Schwiegermutter heilte? Oder ist dieses Wort ein ganz besonderes Wort, ein „wirkmächtiges“ Wort, wie es Luther formulierte, ein Wort das nicht nur verspricht, sondern wirkt, tut…? Lassen wir diese Fragen einfach vorerst im Raum schweben, in uns wirken.

 

Was jetzt kommt, ist allgemein bekannt. Der Überfluss, nicht nur ein guter Fang, sondern ein einmaliger Fang. Wer möchte es diesen hart arbeitenden und trotzdem armen Menschen nicht von Herzen gönnen?!

Und (Simon) Petrus? „Was bin ich doch für ein Zweifler!“ Angesichts dessen, was Petrus soeben gesehen und erlebt hat, öffnen sich ihm die Augen, er erkennt ganz plötzlich wer er in Wirklichkeit ist: Wer bin ich? Petrus hört dasselbe Wort das am Anfang aller Zeiten die Schöpfung in Gang brachte: Gott sprach „es werde Licht“ (und es ward Licht). „Er, hier…, zu mir?  Wer bin ich denn?“ Ein sündiger Mensch! Er, der jede Nacht mit seinem Boot und den Freunden hinausfährt und nach harter Arbeit und oft genug vergeblich, erschöpft in sein Bett fällt, ein „sündiger Mensch“. Das nennt sich Selbsterkenntnis, er sieht sich quasi im Spiegel und erkennt, wer er vor Gott ist. Denn daran hat er jetzt keine Zweifel mehr: Das Wort aus dem Munde dieses Wanderpredigers ist Gottes Wort!

 

Petrus: der Menschenfischer

 

Was Petrus soeben erlebt hat, haut ihn buchstäblich um. Er „fiel Jesus zu Füssen…“. Aber da hört er schon wieder dieses Wort aus dem Munde des Predigers aus Nazareth: „Fürchte dich nicht!“

Es ist jenes Wort das sagt: „…ich weiss wer du bist, ich kenne dich, hab keine Angst, steh auf, ich habe eine Aufgabe für dich…!“

Die Berufung lässt sich nicht aus den menschlichen Qualitäten ablesen, an einem Titel, der beruflichen Erfahrung, oder der sozialen Stellung in der Gesellschaft, da hätte Petrus wahrlich nicht viel vorzuzeigen. Es ist einzig und allein die liebende Zuneigung Jesu. Und dieses Bild taucht bei Lukas immer wieder auf: Beim reuigen Zöllner, Jesu Salbung durch die Sünderin, immer wieder Jesus mit den Aussenseitern. Und er ruft sie in seine Nachfolge. Zusammen mit diesen einfachen, ungebildeten und sogar zweifelhaften Gestalten baut Jesus das Fundament seiner Kirche.

Der Theologe Helmut Gollwitzer hat einmal über diese Stelle gepredigt: „Mit dieser Geschichte beginnt die Geschichte der Kirche…“

Ja, es stimmt: Die ersten Mitarbeiter die Jesus in seine Nachfolge ruft kommen nicht aus der Oberschicht, auch nicht aus irgendwelchen intellektuellen Kreisen Jerusalems. Er ruft sie buchstäblich von der Strasse weg, holt sie aus der täglichen Arbeit heraus.

Es täte uns gut, darüber einmal nachzudenken.

Glaube entsteht angesichts meiner Selbsterkenntnis: Wer bin ich? Ein sündiger Mensch. Der Macht Gottes zu begegnen heisst, die Grenzen der eigenen Macht zu erkennen. Dass er uns ruft und liebt, ist nicht vorhersehbar, ist nicht zu planen, es passiert einfach! Sein Ruf kann einen Menschen umwerfen und ihn gleichzeitig aufrichten.

 

Und dann gibt es da noch etwas: Der Weg in die Nachfolge oder in der Nachfolge Jesu ist nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, hier geht es nicht um „Investition und Gewinn“, wie es die so erfolgreichen evangelikalen und neopfingstlerischen Kirchen in Lateinamerika und anderswo, landauf, landab, verkünden und versprechen. Wen Jesus ruft, der hofft und lebt oft genug gegen den Augenschein. Gerade das macht der Fischzug des Petrus deutlich. Gegen alle Vernunft und Erfahrung: „auf dein Wort hin…!“

 

„Fürchte dich nicht!“ Es tut mir als Pfarrer gut zu erkennen, dass es in der Verkündigung und im Leben nicht nur um Sündenvermeidung geht, sondern vielmehr um Vergebung: Bei Petrus ist die Erfahrung der Vergebung so stark, dass es ihn umwirft.

Sicher, in jedem Leben spielt sich eine „Berufung“ anders ab. Manchmal ist es ein lebenslanger Prozess. Aber dassetwas geschieht, ist, so sicher wie auf die Nacht der neue Tag folgt. Und deshalb sind Sie heute hier!

Weil jeder von Ihnen, auf die eine oder andere Art dieses Wort gehört hat „Fürchte dich nicht!“

 

Das ist Kirche: Ich bin angesprochen, aufgehoben, angenommen…, mit meiner Geschichte, ohne Wenn und Aber. Weil Er mich liebt, weil Er mich braucht…, um an Seiner Kirche weiterzubauen.

 

Amen.

 

 

Reiner Kalmbach,

Pfarrer der Evang. Kirche am Río de la Plata und

der Vereinigten Evangelisch- lutherischen Kirche,

San Carlos de Bariloche und San Martin de los Andes, beides in Patagonien-Argentinien

 

Mail: reiner.kalmbach@gmail.com

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