Wie der Weg Jesu durchs …

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Wie der Weg Jesu durchs …

Wie der Weg Jesu durchs Kornfeld unseren Weg durchs Leben kreuzt. | Predigt zu Markus 2, 23-28 | verfasst von Konrad Glöckner |

Kanzelgruß:

Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus Amen.

Hören wir für die Predigt heute auf Worte aus dem Markusevangelium im 2. Kapitel:

(Lesung: Markus 2, 23-28)

Liebe Gemeinde

„Der Mensch ist nicht für die Maschinen da, sondern die Maschinen für den Menschen!“ Ein Argument gegen die zunehmende Schicht- und Rundumdieuhrarbeit. Sei doch der Sonntag ein schützenswertes Gut, die Siebentagewoche das Geschenk von Judentum und Christentum an die Menschheit!

Diese Sätze tauchen aus meiner Erinnerung auf. Sie reichen zurück in eine Zeit, die noch nicht so beschleunigt war, wie die Zeit heute. Sie waren gesprochen vor der Globalisierung und Entgrenzung unserer Welt, in dem Biotop, das sich hinter dem eisernen Vorhang gebildet hatte, in den Wänden des elterlichen Pfarrhauses.

Heute wirkt dieses Argument eigenartig antiquiert. Unser tägliches Leben hat längst Fahrt aufgenommen. Produktivität zählt und uns allen ist klar, wie hoch der Konkurrenzdruck ist. Es geht um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Romantik ist da fehl am Platz. Die Gesetze des Kapitals wiegen schwerer als die Gebote des alten Gottes. Und letztlich sind sie uns auch näher und einleuchtender. Exemplarisch sichtbar ist dies in unseren norddeutschen Küstengebieten, wo große und kleine Unternehmer im Einklang mit den Touristen gegen das Sonntagsverkaufsverbot Sturm laufen. „Eine Kette am Bein auf dem Weg freier Entfaltung.“ Der Mahnruf der Kirchen „Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage.“ klingt da wie Lobbyismus in eigener Sache. Die Siebentagewoche gut und schön, aber sie hat sich doch längst verselbständigt und ist ein säkulares Gut mit empfehlender Wirkung geworden. Letztlich ist es auch egal, wie die freien Tage liegen, ob Montag oder Dienstag …, Hauptsache frei. Wer geht denn schon zum Gottesdienst?

Das heutige Leben mit seinen Zwängen und seinen Freiheiten mag für uns Christen in mancherlei Hinsicht herausfordernd sein, weil es zunehmend die Achtung vor dem, was uns von Gott her geboten ist, zu verlieren scheint. Oder hat der moderne Zeitgeist nicht die Worte Jesu auf seiner Seite, die uns soeben im Markusevangelium begegnet sind: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ „Um des Menschen willen“, das klingt doch wie: „um dem Willen des Menschen zu dienen“, klingt wie nach Freistellung pur. Der Mensch muss es mögen, dann ist es gut. Und dieses freistellende Wort Jesu vom Sabbat ist das Original, der Spruch von den Maschinen nur eine verzerrte Kopie. Wollten wir uns als Christen und Kirche gegen den Zeitgeist stellen, müssten wir uns dann nicht auf die Seite der Pharisäer schlagen und mit ihnen gegen Jesus Einspruch erheben: „Warum tun deine Jünger das, was nicht erlaubt ist?“

Bleiben wir ruhig eine Weile bei den Pharisäern stehen und freunden uns ein wenig mit ihnen an. Wir treffen auf Menschen, die mit tiefem Ernst ihren Glauben leben und die versuchen, Gottes Willen bestmöglich Raum zu geben. So fragen sie nach dem, was uns Menschen von Gott vorgegeben und damit unserer eigenen Verfügungsgewalt entzogen ist. Welche Tabus, so fragen sie, sind zu wahren und keineswegs zu überschreiten, damit menschliches Leben gelingt und nicht aus der Bahn geworfen wird. Welche Tabus darf man keineswegs überschreiten? Eine wichtige und stets neu zustellende Frage. Was ist tabu, was ist heute tabu? Das Klonen von Menschen? Noch sind wir uns einig, dass das Schaffen von Menschen nicht in des Menschen Belieben gestellt ist. Aber das Genom ist entschlüsselt und die Produktion genmanipulierter Kinder im November 2018 erstmalig geschehen. Und Dammbrüche verschieben die Grenzen. Was ist tabu? Wehe dem, der diese Frage verdrängt!

Für die Pharisäer sind zur Beantwortung dieser Frage, keine Abwägungen von Ethikkommissionen demokratischer Staaten maßgebend, schon gar nicht Entscheidungen autokrativer Systeme. Sie vertrauen sich der Schrift an, die zu ihnen spricht: „Es ist dir gesagt Mensch, was gut ist, und was Gott der Herr von Dir fordert, nämlich Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein, vor deinem Gott.“ Und also achten sie Gottes Gebote und auch das Gebot Gottes, dass der Sabbat zu heiligen ist. Niemand soll dieses Gebot überschreiten.

Dammbrüche verschieben Grenzen, in der Tat, tuen sie das. Fragen wir uns doch zum Spaß, wie viele der 10 Gebote heute noch ernsthafte Tabus benennen, die wir nicht leichtfertig überschreiten, oder von denen wir uns daran gewöhnt haben, dass sie von anderen leichtfertig überschritten werden: „Du sollst nicht lügen?“ „Du sollst nicht begehren?“ „Du sollst nicht ehebrechen?“ „Du sollst den Namen des Herrn, Deines Gottes nicht unnütz führen?“ – „Ach Gottchen!“ „Du sollst den Feiertag heiligen?“ Ist nicht all dies ins Belieben von uns Menschen gestellt?

„Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist“, fragen die Pharisäer. Sie fragen Jesus, als sie sehen, wie er an einem Sabbat mit seinen Jüngern durch die Kornfelder ging, und wie diese dabei Ähren ausraufen. Wir haben uns an ihre Seite gestellt, denn wir haben den Ernst ihres Anliegens verstanden. Aber dennoch, ganz wohl fühlen wir uns nicht. Die Pharisäer haben Recht, im Prinzip, aber müssen sie in diesem Fall derart auf ihren Prinzipien reiten? Die kleinen Körnchen und die großen Fragen, passt das denn zusammen? Muss man aus jeder Mücke gleich einen Elefanten machen? Zu ernten, ja das wäre verboten, aber beiläufiges Ausrupfen und Essen? Dies sollte doch erlaubt sein, denken wir – und ist es auch, fällt uns plötzlich ein. Steht es nicht so im 5. Buch Mose? Im 23. Kapitel? Jesus wird es wissen und den Pharisäern freundlich auf die Schultern klopfen und zu ihnen sagen: „Gut, dass Ihr Gottes Gebot ernst nehmt. Hier allerdings trifft es nicht zu.“ Leicht wird er den Streit aus der Welt schaffen, wird er das Missverständnis aufräumen können. Darüber freuen wir uns und warten neugierig auf seine Antwort.

Jesu Antwort fällt anders aus als von uns erwartet. Er verweist nicht auf die Stelle im Buch Mose, an die wir dachten, sondern er erinnert an eine Geschichte, in welcher David im Tempel die Schaubrote nahm, weil er und seine Gefährten Hunger hatten. Schaubrote waren für einige Tage vor dem Allerheiligsten ausgestellt. Anschließend mussten die Priester sie essen und auch nur sie durften es tun. Kultische Reinheit war dazu erforderlich. David jedenfalls war nicht befugt und auch nicht seine Gefährten. Akute Gefahr des Verhungerns hätte vielleicht sein Handeln legitimiert, aber davon ist keinesfalls die Rede. Dennoch kann David es tun. Nicht verstohlen und heimlich. Er berichtet davon und es wird darüber berichtet, denn auf andere Weise ist es recht und richtig bei ihm. Es ist seine Autorität, seine Autorisierung durch Gott und der Beginn seines Königtums, was ihm das Recht dazu verleiht. Und diese Autorität, die ihm eignet, strahlt bis in diese Zeit. Nun lässt sie die Pharisäer verstummen. Sie brechen ihr Streitgespräch ab, bloß weil Jesus an diese Begebenheit erinnert. Dabei hat er doch gar nicht auf ihre Frage erwidert! Der Zwist bleibt im Raum.

Nicht, als läge eine Auslegungsfrage des Sabbatgebotes vor, die mit einem Schriftverweis schnell aufgeklärt wäre, antwortete Jesus, nicht so, als hätten die Pharisäer eine konkrete Handlung von ihm hinterfragt, sondern so, als hätten sie seine Autorität ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Wahrscheinlich hat er Recht und ein feines Gespür für untergründige Spannungen und Töne. Souverän durchbricht er die Struktur der Argumentation seiner Gegner und lässt sich nicht auf die Diskussion über ein Verständnis von Schriftworten ein, zu dem sie ihn verleiten. Er wäre wohl in eine Falle getreten und die Pharisäer hätten Recht behalten, selbst wenn sie von ihm widerlegt worden wären. Denn sie hätten die Ebene und die Qualität des Gespräches bestimmt. Stattdessen wechselt Jesu die Ebenen und erzählt nicht vom Buchstaben, sondern vom Geist, der in der Schrift liegt. „Wisst Ihr denn nicht, was David tat“, sagt er zu ihnen und nimmt damit zugleich den freien Geist und die Autorität Davids für sich in Anspruch: Er, Jesus, vergleicht sich mit David dem König, der die Schaubrote nahm. Als Davids Sohn weist er sich aus und in gleicher Freiheit wie David gewährt er seinen Jüngern, am Sabbat Ähren zu raufen. Autorisiert ist er durch Gott und am Beginn seines Wirkens. Ganz in diesem Duktus fügt er hinzu: „So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ Der Punkt ist gesetzt!

Oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls nicht so. Möglicherweise fügt Jesu diesen letzten Satz nicht selbst hinzu. Vermutlich wurde er von späteren Erzählern ergänzt, die damit den anderen Satz Jesu interpretieren und ausschließlich auf Jesus und seine einzigartige Bevollmächtigung als Davids- und Menschensohn bezogen wissen wollen, den anderen Satz, der uns zu Beginn dieser Predigt begegnete, den auch wir durchaus für problematisch erfanden – und den bezeichnender Weise auch die späteren Evangelisten nicht von Markus übernahmen – den Satz nämlich: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“

Aber es wäre schade, wenn dieser Satz fehlte, oder exklusiv nur auf die Person Jesu gedeutet würde. Eine entscheidende Pointe würde der Geschichte vom Ährenraufen dann fehlen, eine Pointe, die wir nun, nach längerem Blick auf die ganze Begebenheit, sehen können. Nun begegnet uns der Satz Jesu keineswegs mehr als ein allgemeiner, aus seinem Kontext zu lösender Weisheitsspruch, der uns Menschen ermächtigte, je nach Belieben zu entscheiden, was heilig und gut für uns sei. „Um des Menschen willen“, das klingt nun nicht länger nach der Freistellung pur: „um dem Willen des Menschen zu dienen“. Die Worte begegnet als ein Ausspruch Jesu, der die Autorität und die Freiheit seines eigenen Handelns mit Verweis auf David aus seiner besonderen Nähe zu Gott begründet und somit aus seiner ihm eigenen Bereitschaft, Gott mit seinem ganzem Herzen zu lieben, mit seiner ganzen Seele und mit aller seiner Kraft. Der Satz begegnet als Ausspruch aus dem Mund des Menschen Jesu, der konsequent nach dem Willen Gottes fragt, der sein Selbstsein im tiefsten Vertrauen auf Gott begründet und der das Gebet: „aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe“ spricht, als es für ihn um Leben um Tod für ihn geht. Und der so das Leben gewinnt.

Das Besondere und Wunderbare an dem sperrigen Wort Jesu nun aber ist, dass er diese Freiheit, die aus seiner Beziehung zu Gott erwächst, nicht exklusiv für sich allein in Anspruch nimmt. Er spricht sie als etwas aus, was allen Menschen gilt, uns allen, weil er glaubt und dafür einsteht, dass Gott einem jeden von uns mit gleicher Liebe und Nähe begegnet, wie ihm. Sein Menschsein erhebt Jesu zum Bild exemplarischen Menschseins und ruft uns auf, ihm zu folgen. Nicht allein er ist Herr über den Sabbat, wir alle sind es, um unser aller Menschen willen ist der Sabbat geschaffen! Gottes Gebot, den Sabbat zu ehren, wird in einer neuen, einfachen und klaren Bedeutung erkennbar, nämlich dass wir Menschen des Geschenks des Sabbats bedürfen, um wirklich Menschen zu sein. Uns Menschen fehlt etwas, wenn wir uns nicht auf Gott ein- und von ihm beschenken lassen. Wir brauchen diese besondere Zeit im Laufe all unserer sonstigen Zeit, um die Begegnung mit Gott zu pflegen, eine Begegnung, zu der Gott selbst uns einlädt und zu welcher er steht. Das Sabbatgebot lädt uns ein, unsere Sinne für die Gegenwart Gottes in unserem Leben zu schärfen und uns von seiner Liebe zum Leben anstecken zu lassen. Wir brauchen das Sabbatgebot und wir brauchen wir auch all die anderen Gebote Gottes, um wirklich Menschen zu sein. Sie ordnen unser Leben. Nicht, indem wir sie ängstlich befolgen, sondern indem wir ihren Geist begreifen und uns, wie Jesus, von Gottes Liebe zum Leben anstecken lassen. Sie sind ein Geländer, an das wir greifen können, wenn wir ansonsten den Halt verlieren. Sie wollen uns zur Freiheit anleiten, nicht gängeln.

„Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ wird der Apostel Paulus später schreiben. Es geht um Leben und Tod, wie bei Jesus auch. In der Tat. Im ernsten und rechten Umgang mit Gottes Geboten entscheidet sich viel. Daran entscheidet sich, ob wir das Gespür für die Liebe Gottes bewahren, in welcher er die Welt ins Dasein gerufen hat, und uns Menschen, dass uns vor seinem Angesicht ein freies und mündiges Leben gelingt.

Was ist der Mensch, wozu ist er da – was ist gelingendes Leben? Diese Fragen sind uns auch heute, in unserer modernen und schnelllebigen Welt, nicht fremd. Keineswegs sind sie antiquiert, selbst wenn uns manche Antworten heute so vorkommen. Die Antwort aber, die Jesu den Pharisäern gibt, und die der Evangelist Markus uns überliefert, ist nach wie vor unverbraucht und sie hebt sich in von vielen andern ab: „Um des Menschen willen hat Gott den Sabbat geschaffen!“ Welches Menschenbild, welches Weltbild und welches Gottesbild steckt darin? Darüber nachsinnend gehen wir weiter, entfernen uns von den Pharisäern. Wir teilen den Ernst ihrer Suche, aber gerade darum gehen wir weiter und schließen uns Jesu an. Gemeinsam mit ihm und seinen Jüngern ziehen wir nun durchs Kornfeld. Noch immer ist Sabbat, beiläufig aber zupfen auch wir hier und da Ähren und kauen auf ihnen herum. Angefüllt sind wir mit Bildern, die aus der Vergangenheit auftauchen und mit Fragen, die in die Zukunft reichen, und wir spüren dabei, wie das Wort Jesu uns dabei weiterhilft. Es hilft uns die Ahnung für das, was Heilig ist, zu wahren, inmitten unseres schnelllebigen Alltags, inmitten eines Lebens, das nur dem Schein nach sich selber genügt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Jesus Christus, unserem Herrn.

Amen.

Pastor Dr. Konrad Glöckner

Kirchweg 42, 18565 Hiddensee

Kloster@pek.de

Konrad Glöckner, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Seit 2008 tätig als Pastor in Kloster, Insel Hiddensee

Liedvorschlag:

  • Wohl denen, die da wandeln, EG 295, 1-4
  • Vertraut den neuen Wegen, EG 395, 1-3
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