Willkommen in der Wolke!

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Willkommen in der Wolke!

Predigt über Hebräer 11,1–2 + 12,1-3 | verfasst von Manfred Mielke |

Liebe Gemeinde,

als die Israeliten aus der Sklaverei Ägyptens auszogen, kannte keiner einen sicheren Fluchtweg. Aber sie bekamen Hilfe. Quer durch die Wüste leitete Gott sie tagsüber mittels einer Wolkensäule und nachtsüber mittels einer Feuersäule. Diese Wolken waren nahe und zuverlässig. Gott orientierte sein Volk; er selbst jedoch blieb dabei verhüllt. So konnten sich die Flüchtenden ganz auf ihre nächsten Schritte und ihren riskanten Freiheitsdrang konzentrieren.

Wolken bewegen sich normalerweise hoch am Himmel, zeigen aber ihre Wirkkräfte auf Erden. Der Prophet Jesaja schreit zB um Hilfe: „Bitte, Gott, zerreiß den Himmel und fahr herab, damit sich dein Shalom hier durchsetzt!“ In dieser Bitte gelten Wolken als Barrieren des Himmels, die Gott zerreißen kann und soll. Und zur Geburt Jesu fordert ein christlicher Liederdichter die Wolken direkt auf: „Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus!“ Da wird die andere Fähigkeit der Wolken angesprochen. Die, dass sie sich ausschütten können. Ich sehe darin eine starke Veranschaulichung dafür, dass die Geburt Jesu sogar Himmel und Erde verbindet. – Doch bei Jesu Kreuzigung verfinsterte sich der Himmel so zappenduster, als ob ein ewiger Stillstand über die Schöpfung hereingebrochen sei. Nach einigem Nachdenken meinte der Apostel Paulus aber: „Der Tod Jesu am Kreuz war kein Weltuntergang, sondern die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen. Christus sühnte wie ein unschuldiges Opferlamm alle Schuld hinweg. Damit wir nicht als Sklaven zurückbleiben, denn wir haben durch Christi Auferstehung eine Kindschaft erworben – in Gottes Freiheit!“

Die vier Evangelisten berichten von Jesu Passion und Ostern dann aus ihrem Blickwinkel heraus. Ob nun die Kreuzigung Jesu aber mehr eine Schande oder mehr ein Sieg war, darüber entwickelte sich in deren Gefolge ein munteres Briefeschreiben. Im späten Hebräerbrief lesen wir dazu: „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Durch diesen Glauben haben die Vorfahren Gottes Zeugnis empfangen. Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, … und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ (Hebräer 11,1–2 + 12,1-3)

Die Wolke in der Sinai-Wüste war zugleich eine Verhüllung und eine Offenbarung des einzigartigen Jahwe-Gottes. Der Hebräerbrief im Neuen Testament interpretierte dann diese Wolke als eine Ansammlung von Vorbildern, die er namentlich auflistet. Noah und Mose, Abraham und David, Henoch und Rahab sind dabei die bekanntesten. Doch für ihn ist wichtig, dass sie einen großen Werkzeugkasten füllten, mit dessen Hilfe sie Himmel und Erde verändert hatten. Mit grandiosen Wirkungen, wie wir lesen: „Diese haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind der Schärfe des Schwerts entronnen, aus der Schwachheit zu Kräften gekommen, sind stark geworden im Kampf und haben fremde Heere in die Flucht geschlagen.“

Der Hebräerbrief hängt die Portraits der alttestamentlichen Mütter und Väter nicht in langen Fluren als Ahnengalerie auf. Vielmehr braucht er ihren Überschuss an Mut für die Ermutigung seiner Zweifels- und Glaubensgenossen. Ohne Unterbrechung fügt er an die Tapferkeiten der Vorzeit die Grausamkeiten der Gegenwart an, wenn er auflistet: „Andere haben Spott und Geißelung erlitten, dazu Fesseln und Gefängnis …sie haben Mangel, Bedrängnis und Misshandlung erduldet. Sie … sind umhergeirrt in Wüsten, auf Bergen, in Höhlen und Erdlöchern. Diese alle haben durch den Glauben Gottes Testat empfangen. Jedoch haben sie nicht alle Verheißungen erlangt, weil Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat; denn sie sollten nicht ohne uns vollendet werden.“

Die Überwindung der erlittenen Gewaltexzesse soll die erwünschte Wirkung bei den Adressierten haben, dass „ihr jetzt nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ Dennoch reagieren wir unterschiedlich, je nachdem, ob wir Ähnliches aus einem Gutachten über Mißbrauchsfälle hören oder als persönlich erzählte Traumata. Dazu möchte ich zwei Beispiele erwähnen.

Wir haben mit Christen aus Ruanda getrommelt und gesungen. In vertraulichen Situationen haben sie erzählt, wie sie den Genozid überlebt haben. Einer erzählte von seinem stundenlangen Ausharren in einem Erdloch. Dort lag er nicht allein, sondern andere, die erschlagen waren, lagen auf ihm. Als wir dann mit ihm und den anderen Überlebenden ihre Lieder sangen, spürten wir eine unfassbar neue Lebensbejahung.

Oder das junge Paar, das mich um die Taufe ihres Kindes bat. Die Mutter eine Jesidin, die von ihrer Familie in Syrien verstoßen war, der Vater ein Kasache, dessen Großvater Laienprediger im Untergrund war. Beide Eltern strahlten eine starke Zuversicht aus. Deren Kind zu taufen, ließ mich ein wenig von der urwüchsigen Kraft spüren, die damals zur Flucht aus der Sklaverei Ägyptens und zur Auferweckung Jesu von den Toten geführt hatte. – Diese Zeugen prahlten nicht und trugen keine Parole auf ihrer Stirn wie heutige Glaubenskrieger. Sie überzeugten durch die Schlichtheit ihrer Schilderungen, die ganz bei ihnen bleiben und dennoch ansteckend wirkten.

 

Wir merken anhand solcher Erzählungen, dass die Wolke der Zeugen um uns herum kontinuierlich wächst. Durch Menschen, mit denen wir Tür an Tür wohnen. Auch mit Friedensaktivisten in den Rassenkonflikten der USA, in den Hauskirchen in China und Hongkong, mit Arbeiterpriestern in den französischen Großstädten. So, wie sich reale Himmelswolken als Tau aufs Land legen, so stehen wir in Fürbitte für sie ein, dass Gottes Zutrauen sie erfrischt und orientiert. Das geschieht nicht separat „für-uns-hier“ und „für-die-da“, sondern wird durch eine Klammer zusammengehalten. Dazu sagt der Hebräerbrief: „Die riskieren alles auf Hoffnung. Doch sie warten noch, damit sie nicht ohne uns vollendet werden.“

Das ist ein noch ungewohnter Gedanke für uns, dass uns andere zur Wolke der Christen hinzuzählen und von uns Mut erwarten. Denn die Wolke, die damals in der Wüste Sinai auf Abstand blieb und dabei majestätisch war, ist aufnahmebereit für uns. Wenn wir uns in sie hineinbegeben, dann spüren wir ihre Luftigkeit, die unserem Glauben einen neuen Atem schenkt. Dann gehören wir mit ihr zum Himmel und sind zugleich in unserer Wirksamkeit sehr irdisch. Dann wächst ein Glaube in uns, der so viel Glut hat und Orientierung gibt, dass dies kaum in Worte zu fassen ist. Der Hebräerbrief sagt es für die ausgelaugten und erschöpften Christen seiner Zeit so: „Euer Glaube ist eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Wie kann man Nichtzweifeln an Nicht-Sichtbarem? Glaube ist doch eher etwas Positives, Aufrichtendes, Souveränes; verwirrt da nicht eine doppelte Verneinung? Die Wörter „Nichtzweifeln“ und „Nicht-Sichtbares“ decken jedoch mehrere Bedeutungen ab. Sagen wir zu dem Nicht-Sichtbaren, es ist eine „Vision“, und sagen wir zum Nichtzweifeln, er ist ein „Überführtsein“, dann entdecken wir unseren Glauben als ein „Überzeugtsein durch Visionen“. In diesem „Überführtsein durch Visionen“ begleitet uns der Hebräerbrief, weil wir biblische Verheißungen ausprobieren, denn wir sind von ihrer Notwendigkeit überführt. Warum sonst können wir Diktaturen bezwingen helfen, Gerechtigkeit üben, Verheißungen erlangen und den maulstarken Löwen den Rachen stopfen?

Ebenso beim ersten Satz: „Der christliche Glaube ist eine Zuversicht ist auf das, was man hofft.“ Wird hier nicht Gleiches mit Gleichem erklärt? Wenn aber unsere Hoffnungen aus Gottes Erwartungen herkommen, dann werden wir uns auf sie einlassen. Dann machen wir die großen Begriffe der Bibel zu unseren Tu-Wörtern. Dann entdecken wir unseren Glauben als das bewusste Übernehmen der Erwartungen Gottes. Bei diesem „Annehmen der Erwartungen Gottes“ begleitet uns der Hebräerbrief, weil wir die Zielvorgaben Gottes ausprobieren, denn sie sind zu unseren Überzeugungen geworden. Warum sonst sollen wir die Feuerkraft der Massenvernichtungswaffen auslöschen helfen, Geschwächten neue Kräfte angedeihen lassen, stark werden in Konflikten und Übergriffe in die Flucht schlagen?

Glaube ist das „Annehmen einer Erwartung“ und ein „Überführtsein durch Visionen“. Für beides ist das Bild einer Wolke eine emotionale und zielführende Veranschaulichung. Die Wolke erschien den Israeliten in der Hitze als Nebelsäule und in der Nacht als Glutsäule, nach Ostern wurde sie durch Vorbilder angereichert und nun umhüllt sie uns. Aber sie verhüllt uns nicht, sondern lässt unserm Handeln Wirkung und Weite aus einer gemeinsamen inneren Kraft. Denn bei allen Unterschieden im Temperament werden wir letztlich gemeinsam von Gott ertüchtigt. Wir werden uns unterschiedlich wie eine Wolke positionieren. Gerade dadurch ermutigen wir andere, sich ganz auf ihre nächsten Schritte und ihren Freiheitsdrang zu konzentrieren. Amen

 

(Die Definitionen für „Glauben“ sind zitiert. Ich kann aber dazu die Belegstellen nicht mehr finden.)

 

 

Vorschlag für Lieder:

EG 290 Nun danket Gott, erhebt und preiset

EG 409 Gott liebt diese Welt

EG 324 Ich singe dir mit Herz und Mund

EG 178.6 Tau aus Himmelshöhn, Heil um das wir flehn

EG 399 O Lebensbrünnlein tief und groß

EG 383 Herr, du hast mich angerührt

EG 277 Herr, deine Güte reicht so weit

Versteck dich nicht in deinem Schweigen (Peter Spangenberg zu EG 328)

 

Vorschlag für eine Fürbitte:

(Die Seligpreisungen sind aus einer Meditation des Dekanats Prutz in Österreich 2011)

 

Liebe Gemeinde, unsere Fürbitten greifen die Seligpreisungen Jesu auf.

Wir bestätigen die einzelnen Fürbitten mit: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Diakon/in: Selig, die mit den Augen der Anderen sehen können,

denn sie werden mehr Offenheit finden, als sie für möglich hielten.

Liturg/in: Gott, wir bitten Dich, dass wir offen bleiben

für Menschen, die in großer Not sind. Wir rufen zu Dir:

(Gemeinde) Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die willig sind, den ersten Schritt zu tun,

denn sie werden Frieden schaffen.

Lasst uns beten für die Bekehrung und Besserung

der Kriegstreiber und Ausbeuter, der Leuteschinder und Weltverderber.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die dem Nächsten zuhören können, auch wenn er anderer Meinung ist,

denn sie werden Kompromisse fördern.

Lasst uns beten für Frauen und Männer,

die Verbindungen schaffen und Identität stiften.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die Kranke, Alte und Behinderte besuchen,

denn sie werden niemals einsam sein.

Lasst uns beten für Erwachsene und Kinder, die auf den Impfschutz

länger warten müssen und verunsichert sind.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die mit dem Lobpreis Gottes am Frühstückstisch beginnen,

denn sie werden einen Sinn in ihrem Alltag finden.

Lasst uns beten für alle, deren Lebensgrundlagen verloren gehen

durch die Ausbeutung der Natur und den Klimawandel.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die ihre Vorurteile überwinden,

denn sie werden eine Entfeindung erleben.

Lass uns eine gastfreundliche Gesellschaft sein,

auch wenn wir Widerstände spüren.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut.

 

Selig, die auf ihr Prestige verzichten,

denn es wird ihnen an Freunden nicht mangeln.

Gib uns die Kraft, auch in Zeiten des Verzichts

großzügig zu sein im Bekenntnis unserer Hoffnung.

Wir rufen zu Dir: Herre Gott, stärke unseren Mut. Amen

 

Mielke, Manfred, Pfarrer i.R.

Manfred.Mielke@ekir.de

Am Bosserhof 13 a

46519 Alpen

 

 

Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen. Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda. Instrumentalist und Arrangeur.

 

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