Marathon

Marathon

Goldene Konfirmation | Predigt zu Hebr 11,1–2(8–12.39–40); 12,1–3 | verfasst von Verena Salvisberg |

 

Das ist kein Hundertmeterlauf, das ist ein Marathon.

Liebe Gemeinde, Sie kennen das Zitat. Bundesrat Alain Berset hat das gesagt anlässlich der Pressekonferenz zum Corona-Virus. Vor genau einem Jahr, am 25. März 2020.

Das ist kein Hundertmeterlauf, das ist ein Marathon.

Heute wissen wir, dass er recht hatte. Und es ist noch nicht vorbei. Es braucht weiterhin Geduld und Ausdauer.

Das ist das Thema des heutigen Predigtwortes aus dem Hebräerbrief.

Wir wollen mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der noch vor uns liegt.

Natürlich geht es im Hebräerbrief nicht um Ermutigung und Ansporn im Aushalten und Überstehen der Pandemie und der Massnahmen zu ihrer Eindämmung, die einiges von uns abverlangen, sondern in diesen Zeilen geht es um den Glauben.

Die Adressaten des Schreibens sind müde. Glaubensmüde. Ermattet. Es ist schwer durchzuhalten. Wo ist die Begeisterung? Wo ist der Schwung? Da ist Widerstand. Da ist Belächeln. Da ist Geringschätzung. Da ist Scheitern. Da ist Alltagstrott. Da ist Kampf.

Liebe goldene Konfirmandinnen und Konfirmanden. Sie kennen das. Lebenserfahren wie Sie sind. Da ist so viel Glück. Erfüllung. Sinn. Und da ist auch vieles, was man überstehen, durchstehen und aushalten muss in fünfzig Jahren.

Was lässt einen durchhalten? Was lässt einen den Marathon laufen? Das Leben lehrt eine gewisse Gelassenheit. Die Erfahrung, mehr überstanden zu haben als gedacht.

Im Rückblick entstehen Einsichten. Andere Perspektiven.

Es wächst die Weisheit: nicht immer ist alles so ist wie es auf den ersten Blick scheint.

Davon kündet Matthias Claudius in seinem Lied «Der Mond ist aufgegangen»:

Seht ihr den Mond dort stehen

Er ist nur halb zu sehen

Und ist doch rund und schön

So sind wohl manche Sachen

Die wir getrost belachen

Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Erinnern Sie sich an Ihren Konfirmandenunterricht, liebe Jubilarinnen und Jubilare? Was haben Sie gelernt damals? Wie hat Ihr Konfirmationspfarrer Paul Wiedmer versucht, bei Ihnen die Freude am Glauben zu wecken? Wie hat er geworben für diese Lebensperspektive, die wohl weniger ein Fürwahrhalten von Inhalten als eine Haltung ist. Zuversicht. Vertrauen.

Und hat diese Haltung Sie begleitet in Ihrem Leben? War sie für Sie eine – neumodisch gesagt – Ressource?

Der Hebräerbrief definiert dies so: Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Mir kommt das ziemlich schwierig vor.

Aber aus diesen Worten spricht ein eindringliches Werben. Sei nicht müde! Werde nicht matt!

Im Glauben kann ich Dinge und Zusammenhänge erfassen, die sich meinem Auge verbergen und die meinen Verstand herausfordern. Ich nehme eine andere Perspektive ein.

Mit dem Glauben ist es wie mit einem Lauf über eine lange Distanz. Es braucht Ausdauer. Stehvermögen. Und es gibt Durststrecken.

Und darum führt unser Brief die Wolke der Zeugen ins Feld. Menschen, die entgegen allem Anschein aus Gottvertrauen gelebt und ihren Weg gegangen sind. Vorbilder.

Alles, was Rang und Namen hat im ersten Teil der Bibel wird aufgezählt. Noah, Abraham, Josef, um nur einige herauszupicken, aber auch Sara, die in hohem Alter noch einen Sohn bekam oder Rahab, die den fremden Kundschaftern geholfen hat.

Anhand von diesen Geschichten und Gestalten des Alten Testaments, legt der Hebräerbrief dar, wozu der Glaube Menschen befähigt hat. Es lag nicht etwa auf der Hand, was sie taten, es war nicht leicht oder im Trend oder leuchtete auch andern ein. Im Gegenteil.

Oft brauchte es Mut und Durchhaltewillen, Ausdauer und Geduld.

Und nach dieser seitenlangen Aufzählung und Beschreibung heisst es – und da muss ich schmunzeln – Und was soll ich noch sagen? Mir fehlt die Zeit, auch noch von Gideon, Barak, Samson, Jephta, David und Samuel und von den Propheten zu erzählen. Aufgrund des Glaubens haben sie Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheissungen erlangt, Löwen den Rachen gestopft und gewaltiges Feuer gelöscht. Zweischneidigem Schwert sind sie entronnen, und wo sie schwach waren, haben sie Kraft empfangen.

Auf sie sollen wir schauen, wenn wir müde sind. Die Geduld verlieren. Aufgeben wollen.

Aber was helfen uns diese frommen Geschichten?

Verweilen wir kurz bei einem Beispiel, um der Argumentation des Hebräerbriefs noch etwas mehr auf die Spur zu kommen. Bei Noah.

Durch Glauben baute Noah, als er einen Hinweis bekam auf das, was noch nicht sichtbar war, voller Ehrfurcht vor Gott eine Arche.

Ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht. Das ist nicht einfach. Man muss aushalten, dass einige den Kopf schütteln.

Beim Berner Troubadour Mani Matter heisst das so:

Mi begriift, dass d Lüt hei gseit, däm Ma däm spinnts.[1]

 

Lang ischs här da het mal eine öppis afa boue[2]
öppis wie ne grosse Chaschte, d Lüt wo si cho gschoue
Hei ne gfragt: was sel das gäh? Es Schiff het dise gseit.
Aber s isch keis Meer gsi und kei See dert wiit und breit.

Und me begrifft, dass d’Lüüt hei gseit: däm Maa, däm spinnts

Und si hei d’Chöpf ersch rächt gschüttlet, wo das Schiff du später
het e Längi übercho gha vo drüühundert Meter
Füfzig Meter Breiti drissig Höchi und du noh
sitlich i dr Wand e grossi Tüüre dri isch cho.

Und me begrifft, dass d’Lüüt hei gseit: däm Maa, däm spinnts

Und si hei ne gseh i ds Schiff näh Löie und Giraffe
Nachtigalle, Zebra, Elefante, Söi und Affe,
Schlange, Chüe, Rhinozeros, Gazälle, Dromedar
Känguru und Kolibri, vo allem gäng es Paar.

Und me begrifft, dass d’Lüüt hei gseit: däm Maa, däm spinnts

Und wo d’Tier si drin gsi isch är sälber du mit sine
Söhn und sire Frou und sine Schwigertöchter ine.
D’Lüt hei sich versammlet und g’holleiet usse draa,
wo n’är hinder sich die grossi Tüüre zue het ta.

Und me begrifft, dass d’Lüüt hei gseit: däm Maa, däm spinnts

Aber gli het s afa rägne wi no nie uf Ärde
Langsam het me d’Fluet gseh stige und gäng höcher wärde
Mau no het dr Maa im Schiff ghört rüefe: löht üs drii.

Aber gli druuf isch zäntume Totestilli gsii.

 

Leben gegen den Augenschein und deshalb überleben.

Einer aus der Wolke der Zeugen als Glaubensvorbild.

Aber nicht nur diese biblischen Väter und Mütter gehören zu der Wolke der Zeugen, es können auch Zeitgenossen sein.

Bei mir ist es zum Beispiel meine Grossmutter, die mich mit ihrer Güte und mit ihrer bedingungslosen Zuwendung gelehrt hat, Zutrauen zu haben, Zuversicht, komme was wolle.

Werden nicht auch Sie, liebe goldene Konfirmandinnen und Konfirmanden, mit Ihrer Lebenserfahrung, mit Ihrer Weisheit zu Zeugen für Ihre Grosskinder oder Nachbarn oder Freunde? Werden wir nicht immer wieder einander zu Zeugen, indem wir geduldig tragen, was uns aufgeladen ist. Indem wir heiter und gelassen, beharrlich und unbeirrt unseren Weg gehen.

Kurt Marti verdichtet das so:

Glauben?

Hie und da

Doch ohne den Glauben anderer

Nicht einmal hie und da

Ich bin, was ich bin durch andere;

Ich glaube, was ich glaube, dank anderen.

Und so, mit jedem Atemzug:

Leben aus geselliger Gnade

 

Ja, da ist im Brief dieser Hinweis auf die Wolke der Zeugen und da ist noch ein weiterer:

Wir wollen mit Ausdauer laufen in dem Wettlauf, der noch vor uns liegt, und hinschauen auf den, der unserem Glauben vorangeht und ihn vollendet, auf Jesus.

Heute am Palmsonntag schauen wir auf Jesus, der triumphal einzieht in die Hauptstadt. Der ein paar Tage später verlassen, verraten, gefoltert und gedemütigt den Kreuzestod stirbt und noch in seinen letzten Zügen Glauben wagt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Sich an Gott zu wenden in der äussersten Gottverlassenheit, das ist doch so etwas, wie eine feste Zuversicht dessen, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.

Nein, kein Hundertmeterlauf, ein Marathon.

Und manchmal sind wir müde. Ermattet. Es ist schwer durchzuhalten. Wo ist die Begeisterung? Wo ist der Schwung? Da ist Widerstand. Da ist Belächeln. Da ist Geringschätzung. Da ist Scheitern. Da ist Alltagstrott. Da ist Kampf.

Und da ist diese unglaubliche Ermutigung, Glauben zu wagen.

Amen

 

 

Pfrn. Verena Salvisberg

Roggwil

verenasalvisberg@bluewin.ch

 

 

Verena Salvisberg ist Gemeindepfarrerin in Roggwil im Kanton Bern, vorher war sie in Laufenburg und Frick tätig.

 

[1] Begreiflich, dass die Leute sagten: Dieser Mann spinnt.

[2] Strophen vorlesen oder das Lied abspielen: Dr Noah von Mani Matter: https://www.youtube.com/watch?v=mqSLajf_yAc

 

de_DEDeutsch