Wo siehst du hin?

Wo siehst du hin?

Predigt zu Eph 5, 1-9 | verfasst von Peter Schuchardt |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen

Liebe Schwestern und Brüder,

„Ach Mensch, wo hast du denn bloß deine Augen?“, fragte mich meine Frau bei unserem Spaziergang am Wochenende. Wir waren bei dem herrlichen Wetter in ein nahes Waldstück gefahren. Ich hatte einen Specht gehört und guckte immer wieder nach oben, ob ich ihn denn nicht doch sehen könnte. Dabei sah ich nicht auf den Weg. Ich stolperte über eine Baumwurzel und konnte mich gerade noch am Arm meiner Frau festhalten. Sie war darüber so erschrocken, dass sie ausrief: „Ach Mensch, wo hast du denn bloß deine Augen?“ Alles war noch mal gutgegangen. Den Specht habe ich dann nicht mehr gesehen, nur noch ab und zu gehört, aber ich guckte jetzt ja auch wieder auf den Weg und achtete auf die Stolperfallen.

Um das Sehen geh es heute an diesem Sonntag. „Okuli“, heißt er, „meine Augen“ heißt das übersetzt, denn im Psalm 25 steht als Motto für diesen Sonntag: „Meine Augen sehen stets auf den Herrn!“ (Ps 25,15). Bei allem, was ich tue, was ich sage, was ich denke, habe ich immer Gott im Blick und vor Augen, so verstehe ich das.  Denn dann, so meint das Psalmwort, hast du ein gutes Ziel vor Augen. Das wird dir helfen, wenn du in deinem Leben stolperst oder dich verläufst. Und dann hast du auch jemanden an deiner Seite, der dich auffängt, wenn du zu fallen drohst. Das passiert ja nun nicht nur bei Waldspaziergängen, sondern in jedem Leben. Und jeder und jede fragt unser Sonntag Okuli mit seinen Lesungen und Liedern: Wo siehst du hin? Woran orientierst du dich in deinem Leben? Was bestimmt deinen Weg?

Die Corona-Pandemie hat ja indirekt auch manches Gute. Zum einen sehen wir nun klar, dass wir Menschen miteinander verbunden sind. Das, was in Wuhan in China passierte, hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Wir sind als Menschheit ganz eng miteinander verwoben, gerade auch in dieser schweren Zeit. Vielleicht haben wir das noch nie so deutlich gespürt. Zum anderen zeigt sich: Unser Leben läuft nicht mehr so hektisch wie früher. Ich weiß, viele sehnen sich nach dem normalen Leben zurück. Das tue ich auch. Und doch ist es eine Chance, die Gott uns gibt, verstärkt über diese Lebensfragen nachzudenken. Wenn ich nicht mit dem Flugzeug in ferne Länder jette, wenn ich nicht von Party zu Party lebe, wenn ich nicht ständig shoppen gehe, dann ist ja nun Zeit zu fragen: Woran will ich mich orientieren? Wie viele andere sehe ich morgens auf die Inzidenz-Zahlen. Das ist wichtig, aber das ist kein Lebensinhalt. Und wie trügerisch die Zahlen sind, wie schnell die Werte wieder nach oben schnellen können, das haben wir an vielen Stellen in unserem Land erlebt. Es ist natürlich möglich, wenn denn die Pandemie vorbei ist, wieder zum alten Lebensstil zurückzukehren. Aber ich denke, das ist nicht gut. Nicht gut für die Schöpfung, die Gott uns anvertraut. Nicht gut für die Menschen, mit denen wir weltweit verbunden sind. Nicht gut für die Menschen, die nach uns kommen werden.

Es ist eben nicht einerlei, woran ich mein Leben orientiere. Es hat immer Auswirkungen auf mein Leben. Und es zeigt sich daran, wie wir miteinander umgehen. Unser Glaube lädt uns ein, Gott in den Blick zu nehmen. Denn dann, so sagt die Bibel, wird sich unser ganzes Leben zum Guten verändern. Davon erzählt auch der Predigttext für heute aus dem Epheserbrief:

Nehmt euch also Gott zum Vorbild! Ihr seid doch seine geliebten Kinder. Und führt euer Leben so, dass es ganz von der Liebe bestimmt ist. Genauso hat auch Christus uns geliebt und sein Leben für uns gegeben – als Opfer und als Duft, der Gott gnädig stimmt. Über Unzucht, jede Art Unsittlichkeit oder auch über Habgier sollt ihr nicht einmal reden. Denn das gehört sich nicht für Heilige. Ihr sollt nichts sagen, das andere herabsetzt, nicht dumm daherreden und keine zweideutigen Witze machen. Das ist nicht angemessen! Bringt vielmehr euren Dank zum Ausdruck. Denn eines müsst ihr wissen: Jede Art von Unzucht, Unsittlichkeit und Habgier ist ja nichts anderes als Götzendienst. Wer dies tut, erhält kein Erbe im Reich von Christus und von Gott. Niemand soll euch mit leeren Versprechungen verführen. Denn wegen solcher Dinge bricht der Zorn Gottes über die Menschen herein, die ihm nicht gehorchen. Mit solchen Leuten dürft ihr nichts zu tun haben! Früher habt ihr nämlich selbst zur Finsternis gehört. Aber jetzt seid ihr Licht, denn ihr gehört zum Herrn. Führt also euer Leben wie Kinder des Lichts! – Denn das Licht bringt als Ertrag lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. (Eph 5, 1-9 BasisBibel)

„Ihr seid Gottes geliebte Kinder!“, das steht ganz am Anfang dieses Abschnitts. Und das ist ja das Wunderbare an Gott: Er macht uns in der Taufe zu seinen Kindern. Gott führt uns so von der Dunkelheit ins Licht. Als Gottes Kinder sind wir nun Kinder des Lichts. Wir müssen gar nichts dafür tun: Gottes Kind zu sein, das schenkt uns Gott. Weil er uns liebt. Weil jeder und jede ihm unendlich wichtig und in seinen Augen kostbar ist. Wer das im Herzen spürt, der kann Gott nur jeden Tag danken für seine Güte und Liebe. Und nun kommt für den Apostel das Entscheidende: Wir sollen, dazu ruft er uns auf, uns Gott zum Vorbild nehmen. Als seine geliebten Kinder sollen wir Gott und seine Liebe ständig im Blick haben. Weil Gott uns so liebt, sollen wir auch liebevoll miteinander umgehen. Wenn ich weiß, Gott liebt mich, dann höre ich auf, ständig mich vor Gott zu beweisen, was für ein toller Kerl oder eine tolle Frau ich bin. Und dann erkenne ich: Der Mensch, der neben mir geht, mit mir arbeitet, neben mir in der Bank beim Gottesdienst sitzt, ist doch auch Gottes Kind. Er ist mein Bruder, sie ist meine Schwester im Glauben. Bei uns in der Kirche ist die Bezeichnung „Schwestern und Brüder“ für unser Miteinander ganz wichtig. Denn so hat es Jesus es uns gesagt: Wer Gottes Willen tut, der ist ihm Bruder und Schwester (Mk 3, 31-35). Und so sollen wir dann auch einer mit dem anderen umgehen. Weil wir zur Familie Gottes gehören. Nun kann es in jeder Familie Streit geben, auch in der Gottesfamilie. In der Sprache des Epheserbriefes gehört so ein Streit zur Finsternis. Aber wir sollen uns nie damit abgeben, sondern miteinander, als Kinder des Lichts, nach Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit suchen.

Der Apostel nennt nun ganz konkrete Dinge, die es in der Gemeinde nicht geben soll, ja, die es seiner Meinung nach gar nicht geben darf: Unzucht, Unsittlichkeit und Habgier. Dazu sagt er: Zweideutige Witze, dummes Geschwätz und Worte, die den anderen fertigmachen, das sind Dinge, die in einer christlichen Gemeinde keinen Platz haben sollen. Es gibt ein Klischeebild von Christen, liebe Schwestern und Brüder: Das sieht so aus, dass wir immer mit einer leisen, leiernd-säuselnden Stimme sprechen, immer einen roten Kopf kriegen, wenn nur das Stichwort „Sexualität“ fällt und sowieso die absoluten Spaßbremsen sind. Ein Christenleben ist, so das Klischee weiter, ein Leben in einer grauen muffigen spaßlosen Welt, dass nur darauf wartet zu sterben, um dann im Himmel zu sein. Das ist natürlich Blödsinn. Blödsinn ist es auch, die Worte des Epheserbriefs so zu verstehen, als seien wir Christen die moralisch besseren Menschen, die über den Anderen, den Nichtchristen, den Heiden stehen und ständig den Zeigefinger erheben, um den Menschen zu sagen, was sie nun schon wieder alles verkehrt machen. Wenn wir Christen als Besserwisser auftreten, dann können wir gleich einpacken.

Dabei geht es doch um ganz wichtige Dinge. Unzucht hat mit Sexualität zu tun. Jede Sexualität, die den anderen nur als Objekt zur Triebbefriedigung sieht, ist falsch. Habgier ist der Geiz, der ganz knauserig mit Geld umgeht, und die Sucht nach immer mehr Geld und Besitz. Unsittlichkeit oder besser Unreinheit, so das griechische Wort, ist alles, was meinem Leben, meinem Körper, meiner Seele schadet. Durch meine Arbeit in der Klinik erlebe ich jede Woche, was etwa Drogen und Alkohol mit einem Menschen machen können. Jemand voller Habgier hat nur das Geld, eine Süchtige nur die Droge oder die Flasche vor Augen. Der andere ist für mich nur Mittel zum Zweck, um an Geld oder Alkohol zu kommen. Das alles sind Stolperfallen auf meinem Weg, durch ich abstürzen kann. Wenn ich nun mir aber Gott zum Vorbild nehme, dann sehe in mir und in dem anderen den Menschen, der von Gott geliebt ist. Und die Liebe sieht in dem anderen nie nur ein Objekt, sondern immer das von Gott geschützte und gewollte Wesen. Und wenn ich das sehe, dann gehe ich anders mit ihm um. Und dann passe ich auch auf, was ich sage und wie ich es sage. Wir erleben es etwa in der Politik, in den Medien, in den sozialen Netzwerken: Worte können verletzen, können ausgrenzen, können einen Menschen niedermachen und ihn zum Objekt degradieren. Gerade die Me-Too-Debatte der letzten Jahre hat gezeigt, wie vor allem Frauen schon durch anzügliche Witze, durch schlüpfrige Bemerkungen verletzt und als Lustobjekt betrachtet wurden – und werden.

Aber alles das steht gegen Gottes Liebe, mit der er uns doch begleitet. Und weil Gott so anders mit uns umgeht, sollen wir es eben auch tun. Die Verse aus dem Epheserbrief kann ich auch so zusammenfassen: Geht liebevoll miteinander um, weil Gott so mit jedem und jeder von euch umgeht. Und das ist das, was Gott von euch möchte. Die Menschen sollen euch nicht als lustfeindliche Spaßbremsen erleben, sondern als Boten seiner Liebe. Wer zu euch kommt, soll spüren: Hier herrscht ein anderer Geist als in der Welt. Hier ist Gottes Geist zu spüren. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist unsere Aufgabe. Eine große Aufgabe, die nicht immer leicht ist. Darum ruft uns der Apostel auf, immer wieder Gott in den Blick zu nehmen. In diesen Wochen der Passionszeit denken wir besonders an das Leiden unseres Herrn Jesus Christus. Der zeigt uns ja, wie tief Gottes Liebe reicht. Sie gibt ihm Kraft, durch Verrat, Einsamkeit und Tod zu gehen. Aber der Tod ist nicht das Ende. Am Ende steht der neue Anfang, steht Ostern, steht die Auferstehung Jesu. Seit Ostern sehen wir das Licht Gottes, das in die Welt scheint. Es macht sogar die finsterste Finsternis des Todes hell.

„Ach Mensch, wo hast du denn bloß deine Augen?“ Die Frage meiner Frau vom Wochenendspaziergang nehme ich als Anfrage an uns. Wo sehen wir hin? Woran orientieren wir uns in unserem Leben? Blicke mit deinen Augen auf Gott, der dich liebt, dazu ruft uns der Sonntag heute auf. Nimm dir diese Liebe zu Herzen. Nimm sie dir zum Maßstab für das, was du sagst und was du tust. Dann wird es dir, dann wird es den Menschen, die mit dir gehen, gut gehen.

Amen

Lieder:

EG 391 (Wochenlied)

EG 302 (bes. Str.2!)

EG 91

Fürbittgebet

Gütiger Gott,

mit deiner Liebe setzt du einen neuen Maßstab für unser Leben.

Bei dir sind wir geborgen.

So oft aber vergessen wir deine Liebe.

Anderes erscheint uns wichtiger und bedeutender.

Dann gib uns nicht auf.

Lass uns nicht verloren gehen,

wenn wir auf Irrwege geraten.

Halte uns,

bevor wir in die Abgründe unseres Lebens stürzen.

Wir bitten dich für alle,

die an ihrem Leben verzweifeln,

die in Sucht und Abhängigkeiten geraten sind,

deren Herz von Bitterkeit zerfressen ist,

die keine Freude mehr spüren und keinen Sinn mehr sehen.

Sei du ihnen nahe.

Öffne ihr Herz für dein Wort.

Schenke ihnen Kraft und Hoffnung.

Wir denken an die Menschen,

die unter Krieg und Verfolgung leiden.

Tröste sie.

Lenke die Herzen derer,

die Entscheidungen treffen und Verantwortung tragen.

Wir bitten dich für alle, die nun krank sind,

die um einen lieben Menschen trauern,

die aus unserer Mitte verstorben sind.

In der Stille sagen wir dir, was wir noch auf dem Herzen haben:

Gütiger Gott,

deine Liebe hält und trägt uns in allem.

Darauf vertrauen wir.

Amen

Anmerkung:

Gute Anregungen fand ich bei Gottfried Voigt, Das heilige Volk. Homiletische Auslegung der Predigttexte. Neue Folge: Reihe II, Göttingen 1979

Pastor Peter Schuchardt

Bredstedt

E-Mail: peter.schuchardt@kirche-nf.de

Peter Schuchardt, geb. 1966, Pastor der Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), seit 1998 Pastor an der St. Nikolai Kirche in Bredstedt/Nordfriesland (75%), seit 2001 zusätzlich Klinikseelsorger an der DIAKO NF/Riddorf (25%).

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