You’ll Never Walk Alone

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You’ll Never Walk Alone

Predigt zu Jeremia 31, 31-34 | verfasst von Eberhard Busch |

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund machen; nicht, wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern machte, da ich sie bei der Hand nahm, dass ich sie aus Ägypten führte, welchen Bund sie nicht gehalten haben, und ich sie zwingen musste, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Haus Israel machen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben; und sie sollen mein Volk sein, so will ich ihr Gott sein. Und wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: „Erkenne den HERRn“, sondern sie werden mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der HERR. Denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

Das haben wir wohl gleich beim Verlesen dieses Textes vom Propheten Jeremia gemerkt: Darin wird ein Begriff betont, der uns aus anderen Zusammenhängen geläufig ist: der Begriff „Bund“. Bei einer Hochzeit etwa wird zwischen zwei Partnern der Ehebund befestigt. Man nennt Deutschland auch die Bundesrepublik und die Tabelle der Fussballvereine Bundesliga. Die Schweizer Autos tragen am Nummernschild die Buchstaben CH, das heißt: Confoederatio Helvetica, auf deutsch: Schweizer Bund, und am Nationalfeiertag singt man von der „Eidgenossen Bruderbund“. Es gibt einen deutschen und einen Schweizer Gewerkschafts-Bund. Und wie heißt die Organisation für nachhaltige Entwicklung und Umweltschutz? Sogar mit vier großen Buchstaben: BUND usw. Der Begriff bezeichnet einen Zusammenschluss von Menschengruppen unter einem Merkmal, das sie miteinander verbindet.

In unserer Bibel wird auch betont von einem Bund geredet. Es geht hier um einen Bund höchst besonderer Art, um die Verbindung des ewigen Gottes mit uns vielseitig bedrohten Lebewesen. Mit „Vater Abraham“ (wie Paulus ihn nennt) hat Gott vor Urzeiten einen „ewigen Bund“ geschlossen (Gen. 17,7), einen Beistandspakt sondergleichen Von da an geht es los. Ist es ein ewiger Bund, so hat er jederzeit eine weit geöffnete Tür. Paulus hat davon geredet und schrieb: „Ist Gott allein der Juden Gott? Ist er nicht auch der Heiden Gott?“ (Röm 3,29), und so ist er auch der Christen Gott. Wiederum: Ist es ein ewiger Bund, so wird in alle Zukunft kein anderer sein als der,  zu dem Menschen von Ost und West, von Nord und Süd herbeikommen und „mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tisch sitzen“, wie Johannes Calvin, der Genfer Reformator, bemerkt hat.

Allerdings redet nun der Prophet Jeremia von einem „neuen Bund“. Ja, hat jetzt dieser ewige Bund aufgehört, ewig zu sein? Hat Gott davon Abstand genommen, seinem Volk treu zu sein? Und inwiefern ist dieser neue Bund neu? Hat er etwa den einen durch einen anderen Bund ersetzt? Ich denke, wir haben das so zu verstehen: Gott schließt keinen anderenBund mit seinem Volk, aber er schließt ihn je nach dem anders. Ja, es gab noch eine ehemalige Zuwendung Gottes zu seinen Geschöpfen. Jedoch lief sie ins Leere. Gott liebte seine Menschen, aber sie liebten alles andere mehr als ihn und sein Wort und sein Gebot. Gott redete mit ihnen, aber sie kuschelten lieber mit ihren selbstgemachten Phantasien und gaben ihm keine Antwort oder eine verkehrte. Gott kann zu derart treulosen Gestalten nur Nein sagen. Doch gibt Gott gibt nicht auf. Er bricht deshalb nicht ab, sie zu lieben. Er handelt nach dem denkwürdigen Merkspruch: „Treusein zeigt sich, wenn alles schief läuft.“

Es ist doch geradewegs phantastisch, wie Gott dabei vorgeht. Eben wendet er sich noch ab von seinem Volk, weil bei ihm „alles schief läuft“, weil es nicht sein Partner sein kann, so wie es sich benimmt. Und noch haben wir zu seufzen, mit den Worten von Gottfried Arnold: „Herr, zermalme, brich, vernichte / alle Macht der Finsternis, / Lass uns wahre Freiheit finden.“ Und schon jetzt wendet Gott sich genau diesem Volk zu und behandelt es als seinen Partner. Er macht mit solchen gemeinsame Sache, zu denen er zu Recht Nein sagen muss. Er verbündet sich sogar mit den traurigsten Gesellen und macht sie zu seinen Gefährten. Und sagt: „Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken“ (V34). Gott sei Dank! Er beseitigt nicht seine Treue zu seinem Bund, sondern die Störung des Bundes durch unsre Untreue.

Calvin schreibt dazu: „Wir sehen doch die Gläubigen häufig fallen, und nicht nur zehnmal im Leben, sondern alle Tage.“ Dennoch, „Gott wird niemals von ihnen weichen.“ „So oft uns in der Heiligen Schrift das Wort Bund begegnet, müssen wir zugleich an das Wort Gnade denken.“ Jawohl, das ist der neue Bund: Ein Gnadenbund. Von Gott allein in die Wege geleitet, ohne Mitwirkung von uns. Sola gratia!, das heißt: aus Gnade allein. Auch wenn wir nicht zuverlässig sind, sind wir von ihm nicht verlassen. Das ist ewiggültig: Er ist mit uns und bei uns und um uns. Das verspricht er uns, und von diesem Versprechen rückt er nicht ab. Er hält Wort. Darum gilt das, was in einem alten und heute aufs neue aktuellen Musical gesungen wird: „You’ll Never Walk Alone“ – „Du wirst nie allein unterwegs sein.“

Gott liegt allerdings daran, dass seine Menschen, dass wir das begreifen, dass uns das ins Herz geschrieben ist. An seine Zusage dürfen wir uns nun halten. Wie es Martin Luther so gut in einem seiner Lieder sagt: „Er sprach zu mir: Halt dich an mich!“ So geschieht das, was er uns sagt: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben. Und so sollen sie mein Volk sein.“ (V33) Gott verspricht das, weil zu einem richtigen Bund halt doch zwei gehören, und seien wir noch so verschieden von ihm. Seine Gnade ist kein Verhängnis. Er will freie Menschen haben, Menschen, die von sich aus ihm Antwort geben, Menschen, die gern singen: „Die Gedanken sind frei.“ Diese Freiheit ist das Neue in dem neuen Bund.

Aber was soll dann die Rede von einem Gesetz? Nun, Freiheit ist nicht Gesetzlosigkeit. Freiheit ist nicht rücksichtloser Egoismus, wie so manche heute meinen. Nein, rechte Freiheit lebt allein in einer klaren Verbindung, so sicher die nur klar ist, wenn wir in ihr frei atmen können. Johann Wolfgang von Goethe schrieb in seinen Aufzeichnungen: „FreiwilligeAbhängigkeit ist der schönste Zustand – und wie wäre der möglich ohne Liebe.“ Ja, die Liebe selbst ist „freiwillige Abhängigkeit“. Gibt uns Gott sein Gesetz, dann sind wir frei – frei in Gemeinschaft, mit ihm und in Gemeinschaft mit unseren Nachbarn, in Rücksichtnahme auf unsere Mitmenschen, im Wissen, dass auch sie ihm gehören und dass wir darum mit ihnen zuammengehören als seine Geschöpfe, als seine Kinder, als sein Volk.

Falsche Freiheit, in der wir gegeneinander boxen! Rechte Freiheit, in der wir miteinander auskommen! Derselbe, der uns sagt: Halt dich an mich, der spricht auch so, wie ein Schwabe bei seinem hohen Geburtstag seinen Dorfbewohnern den einen Satz zurief: „Haltet au z’samme!“ Gott will sein Gesetz in unser Herz schreiben, damit wir begreifen: Er, der uns mit seiner starken Hand hält, Er hält uns damit die Andern nicht vom Hals, er legt sie uns nahe. So nahe, bis wir zusammen halten!

Dabei dürfen dann alle zu Wort kommen. Und dafür tragen alle Verantwortung. Und wer zum Volk Gottes gehört, dürfte seinen Nächsten behilflich sein, – damit es endlich dazu kommt, wie es der Prophet sagt: „Sie sollen mich allekennen, beide, klein und groß.“ Alle! Eine jede und ein jeder. Weder sind die Alten altes Eisen, noch sind die Jungen unreifes Gemüse. Wie oft haben gerade die etwas zu sagen, die man im allgemeinen Gerede übergangen hat, denen man das Wort abgeschnitten hat! Und dabei dürfen wir uns selbstverständlich einsetzen für ein Mitspracherecht auch in all jenen anderen Bünden, die am Anfang der Predigt genannt wurden. Einsatz für eine Demokratie in radikalster Bedeutung!

Blicken wir jetzt nicht zum Fenster hinaus, blicken wir auf unsere Christengemeinden! Wird es auch nur in ihnen gelebt: „sie sollen mich alle erkennen“? Lebt in ihnen etwa noch die alte Unterscheidung weiter zwischen Amtsträgern und Laien, zwischen den Experten und denen, die den Mund halten sollen? Diese Unterscheidung ist nicht gerade biblisch. Es ist in Gottes Namen Zeit, dass hier so viele Laien, mit dem Philosophen Immanuel Kant zu reden: aus ihrer „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ herauskommen. „Selbstverschuldet“, weil ihnen unser Gott doch ein Mundwerk verliehen hat und nicht den Mund verboten hat. Wobei es ja gewiss nicht verboten ist, aufeinander zu hören.

In der Reformation redete man vom „allgemeinen Priestertum der Gläubigen“. Der Ausdruck besagt eben: In der Gemeinde unseres Gottes sind alle Mitglieder mündig. Sind denn nicht alle fähig und sind nicht alle aufgerufen, Rede und Antwort zu stehen? ein jeder und eine jede je mit ihren Gaben. Und „auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein“ (Jochen Klepper). Sei es denn so, wie es neulich zu sehen war, dass Menschen von Fenster zu Fenster, von Balkon zu Balkon einander mit einem Gesang grüßen, der Quarantäne zum Trotz, den Todkranken zum Trost!

Der Basler Theologe Karl Barth schrieb am Abend seines Lebens: „Mich interessiert der Gott und der Welt gegenüber mündig werden sollende Mensch: der mündige Christ und die mündige Christenheit, ihr Denken, Reden und Handeln in der Verantwortung vor Gott, in ihrer lebendigen Hoffnung auf ihn, in ihrem Dienst in der Welt, in ihrem freien Bekenntnis, in ihrem Beten ohne Unterlass“. Wie sagt doch Jeremia? „Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern, noch eine Schwester die andre lehren und sagen: ‚Erkenne den HERRn’, sondern sie werden mich alle kennen, beide, klein und groß, spricht der HERR.“

Eberhard Busch, Friedland

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