1. Joh 3,1-2 | Gotteskind

Home / Bibel / Neues Testament / 23) 1. Johannes / 1 John / 1. Joh 3,1-2 | Gotteskind
1. Joh 3,1-2 | Gotteskind

Gotteskind | 1. Weihnachtsfesttag | 25.12.2021 | Predigt zu 1. Joh 3, 1+2 und dem Bild Emil Nolde „Heilige Nacht“ 1912 | verfasst von Rainer Kopisch |

Liebe Gemeinde,

als Erstes will ich mich bei Ihnen allen bedanken, dass Sie sich Zeit nehmen und am Weihnachtsmorgen nach dem Heiligen Abend zum Gottesdienst kommen.

Sie können Ihr Herz öffnen für Ihre persönliche Weihnachtsbotschaft, die in Ihren Herzen wachsen will.

Heute werden Sie die Weihnachtsbotschaft aus verschiedenen Quellen hören:

Predigtbild: Emil Nolde, Heilige Nacht 1912 © Nolde Stiftung Seebüll

Das Bild „Heilige Nacht“ 1911 von Emil Nolde,

der Predigttext aus dem ersten Johannesbrief,

eine Weihnachtspredigt 1945 meines Vaters im Kriegsgefangenenlager Remagen.

Liebe Gemeinde,

die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem ist in der christlichen Kunst in vielen Darstellungen als Krippenbild festgehalten. Der Maler Emil Nolde kannte viele dieser Krippenbilder, als er sich 1912 entschloss, ein eigenes Bild zu malen. Es gehört zum Bilderzyklus „Das Leben Christi“ von 1912/13. Emil Nolde war ein expressionistischer Maler, der in seinen Bildern das malerisch ausdrückte, was ihn innerlich bewegte.

Das ist auch mein Grund, sein Bild „Heilige Nacht“ dieser Weihnachtspredigt voranzustellen.

Von Emil Nolde wissen wir, dass er als Kind und Jugendlicher sehr intensiv in den Evangelien des Neuen Testamentes gelesen hat. Die Geschichten des Lebens Jesu fügten sich bei ihm zu inneren Bildern, die wiederum später seine Darstellungen beeinflussten. In den Jahren der Entstehungszeit des Bilderzyklus „Das Leben Christi“ schreibt Emil Nolde: „In Abständen von jeweils einigen Jahren entstanden immer wieder Bilder mit religiösem Inhalt. Die Vorstellungen des Knaben von einst, als ich während der langen Winterabende tief ergriffen alle Abend in der Bibel lesend saß, wurden wieder wach. Es waren Bilder, die ich las, reichste orientalische Phantastik.“

Sehen wir uns die Heilige Nacht in Ruhe und mit Achtsamkeit an. Jede und Jeder von Ihnen wird von einem anderen Detail in das Bild gezogen.

Zunächst sehen wir Josef und Maria mit ihrem Jesuskind. Ungestört blickt Maria auf das rote Bündel Mensch in ihren emporgereckten Händen. Ihre Liebe und Freude ist nicht zu übersehen. Gemalt kommt das Kind wie von oben. Emil Nolde hat sicher die Worte aus dem Anfang des Johannesevangeliums vor seinem inneren Auge und Ohr:

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“

Maria weiß, dass sie ihren Sohn als den Sohn Gottes empfangen hat. Das wurde ihr vom Engel Gabriel angekündigt. Wir erinnern uns. Als Maria die schwangere Elisabeth besucht, die spätere Mutter Johannes des Täufer, hüpft das Kind im Leib der Elisabeth bei der Begrüßung durch Maria. Vom Heiligen Geist erfüllt preist Elisabeth Maria: „Selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist vom Herrn.“ Maria antwortet mit einem Lobgesang, den wir überliefert als Magnificat kennen. „Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.“ Diese ersten Worte sind der Maria im Bild anzusehen, wobei aber die Mutterfreude alles überstrahlt.

Josef weiß nach einer empfangenen Traumbotschaft von seiner wichtigen Aufgabe als Ehemann der Maria und sieht gespannt und voller unausgesprochener Fragen nach der Zukunft auf das Kind. Wenn wir der Richtung der Arme Marias folgen sehen wir das Jesuskind unter einem Stern.

Emil Nolde malte den Stern fünfzackig. Der Stern wurde so ein Zeichen für die Ewigkeit. Seinen Namen hat er, weil man endlos in einem Strich seinen Linien folgen kann.

Er ist aber auch Zeichen für den Weg Jesu Christi durch die fünf Zacken: Menschwerdung, Leiden, Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft.

Der fünfzackige Stern ist hier ein gemaltes Glaubensbekenntnis an Jesus Christus, den eingeborenen Sohn Gottes, unseren Herrn. Das Jesuskind scheint auch um seinen Weg zu wissen. Es wendet das Gesicht aus der Blickrichtung Marias, die ihn liebevoll anstrahlt. Auch Josef lenkt durch seinen zuwendenden Blick die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das nachdenklich erscheinende Gesicht des Jesuskindes.

Emil Nolde malt zwischen der liebevollen Aufmerksamkeit Marias und den Stern, der Jesu Weg in seinen Sternzacken zeigt, etwas sehr Wichtiges. Durch die Neigung des Köpfchens stellt der Maler Jesu Ergebenheit in den Willen Gottes dar. Wie unrealistisch uns das bei der Betrachtung erscheint, interessiert den expressionistisch „predigenden“ Maler nicht.

Die zentrale Aussage „Die Liebe Gottes kommt in seinem Sohn auf die Erde“, malt Emil Nolde ausdrucksstark mit Farben in vielen Details. „Die Farben sind meine Noten“ sagte Emil Nolde von sich und Kirsten Jüngling überschreibt ihre Biografie über ihn mit diesem wichtigen Satz.

Maria war die Erste, die vom Vorhaben Gottes erfuhr, Jesus als seinen Sohn auf dieser Erde gebären zu lassen. Gott vertraute ihrer Mutterliebe seinen Sohn an.

Die Geburt in Bethlehem ist der sichtbare Beginn der neuen Zeit, der Zeit mit Christus.

Das zeigt auch die Verkündigung der Engel an die Hirten.

Die Hirten auf dem Feld hörten die Botschaft des Engels von der Geburt des Heilandes im Stall von Bethlehem und den Gesang der Engel von der Ehre Gottes und dem Frieden auf Erden. Ihr baldiges Ankommen hat Emil Nolde ins Bild gebracht.

Ungestört von Alldem lässt er den Esel aus seiner Krippe fressen.

Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext aus dem 1. Johannesbrief im 3. Kapitel ab Vers 1 + 2 handelt von der Herrlichkeit der Gotteskindschaft und lautet:

  1. Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum kennt uns die Welt nicht; denn sie kennt ihn nicht .
  2. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

Diese Verse scheinen auf den ersten Blick weit weg von Weihnachten und der Geburt des Gottessohnes im Stall von Bethlehem zu sein. Sie haben aber die Geburt des Gottessohnes als Voraussetzung. Sie beziehen die Geschehnisse des Lebens Jesus Christi hier auf Erden ein, auf die Emil Nolde mit dem fünfzackigen Stern im Bild der Heiligen Nacht hinweist.

Wir sind durch Jesus Christus Kinder Gottes geworden, weil Jesus das Reich Gottes in seinem Leben als Gottes Sohn in dieser Welt gepredigt und im Glauben hat erlebbar werden lassen.

Seine Heilungen, die er in der Liebe Gottes Menschen geschenkt hat, sind für Glaubende das erlebbare Reich Gottes gewesen. Viele sind schon zu seinen Lebzeiten zu geliebten Kindern Gottes geworden, weil sie durch ihn Gott und seine Liebe kennen gelernt haben.

Rudolf Bultmann hat darauf hingewiesen, dass das Kennen Christi und Gottes im Johannesevangelium und im ersten Johannesbrief letztlich in inniger gegenseitiger Liebe seine Erfüllung findet. Das Lebenszeichen der Christinnen und Christen ist die Liebe, weil sie Gott kennen. Menschen wie die Mutter Jesu zeigen uns, wie Liebe gelebt wird.

Weil sie weiß, dass sie von Gott geliebt ist, kann sie lieben wie Emil Nolde sie in dem Bild Heilige Nacht zeigt. Wir sind als geliebte Kinder Gottes frei, es ihr in unserem Leben gleich zu tun. So hat also Emil Nolde den heutigen Predigttext expressionistisch deutlich in seinem Bild „Heilige Nacht“ in zweifellos liebender Weise vor unsere Augen und Herzen gestellt.

Der Grund dieser Verse liegt zuerst in den Weihnachtstatsachen und den Weihnachtsgeschenken Gottes, wie mein Vater sie in der Predigt an die Mitgefangenen hinter Stacheldraht formuliert.

In seiner Weihnachtspredigt 1945 im Kriegsgefangenenlager bezeichnet er die Berichte des Neuen Testamentes von Ereignissen, die mit der Geburt Jesu im Zusammenhang stehen, als Weihnachts-Tatsachen und bezeichnet die Anknüpfungspunkte für unseren Glauben darin als Weihnachts-Geschenke Gottes. Er predigt zu gefangenen Soldaten, die zu Weihnachten statt zuhause zu sein hinter Stacheldraht eingesperrt sind. Er weiß etwas, was der Theologe und Philosoph Bert Hellinger später als Regeln der menschlichen Beziehungen herausfinden wird: Für stabile Beziehungen unter Menschen ist es erforderlich, dass Geben und Nehmen zwischen allen Beteiligten einer Beziehung ausgeglichen sein muss; sonst hält eine Beziehung nicht, sie geht auseinander. Die Beziehung fordert also den Ausgleich.

Deswegen taucht in der Weihnachtspredigt meines Vaters am Schluss die eigentümlich formulierte Frage auf: Was fordert die Weihnacht von uns?

Ich will seine eigene Antwort mit Zustimmung in meiner Predigt wiedergeben.

„Was fordert die Weihnacht von uns?

Ein Herz, das sich aufschließt für das Wunder der Weihnacht,

ein Herz, das dankbar ist für die himmlischen Gaben in Christus.

Gott hat uns mit seinem Sohn in der Krippe so reich beschenkt.

Ja, er hat am Kreuz sein Leben für uns gegeben.

‚Das hat er alles uns getan

Sein groß Lieb zu zeigen an.

Des freu sich alle Christenheit

Und dank ihm das in Ewigkeit.‘

Diese Freude und dieser Dank soll unser ganzes Leben durchstrahlen,

dies fröhliche Herz der Weihnacht wollen wir uns bewahren

– auch im grauen Alltag – in Lust und Sorge.

Christus will unser Kreuz tragen helfen.

Schauen wir im Blick auf ihn vertrauend in die Zukunft.

‚Ach mein herzliebes Jesulein,

Mach dir ein rein sanft Bettelein,

Zu ruhn in meines Herzens Schrein,

Dass ich nimmer vergesse dein!‘ Amen

So hatte der Text des neunten Chorals aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium das letzte Wort in der Predigt zu Weihnachten 1945 im Kriegsgefangenlager, um das Herz der gefangenen Soldaten zu erreichen.

Auch unsere gefangenen Herzen und Seelen mögen sich der entscheidenden Weihnachtsbotschaft öffnen, die wir vielfältig vernommen haben.

Ich wünsche Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest und den Frieden Gottes in Ihren Herzen und in aller Welt.

Amen

Pfarrer i. R. Rainer Kopisch

Braunschweig

E-Mail: rainer.kopisch@gmx.de
Bitte nutzen Sie diese Adresse zur gern gesehenen Kontaktaufnahme

Zur Erstellung der Exegese des Textes habe ich das Theologische Wörterbuch zum NeuenTestament von Kittel in der ersten Auflage und die Interlinearübersetzung von Ernst Dietzfelbinger in der dritten Auflage benutzt.

Wichtiger Hinweis zum Lesen:

Der bekannte Theologe Rudolf Bultmann weist im ersten Band von 1933, Seite 711 des großen Theologischen Wörterbuches zum Neuen Testament auf eine für unseren Text bedeutende Tatsache hin. Das griechische Wort ginoskein für „erkennen“ spielt im Johannesevangelium und im 1. Johannesbrief eine größere Rolle als in allen anderen urchristlichen Schriften. Es klärt die wichtigen Beziehungen zwischen Gott, Jesus Christus und den Menschen.

Literatur zum Predigtbild:

Emil Nolde, Die religiösen Bilder (Nolde Stiftung Seebüll und DUMONT),

Kirsten Jüngling, Biographie, EMIL NOLDE,  DIE FARBEN SIND MEINE NOTEN, Propyläen—

Eine interessante Bildbetrachtung der „Heiligen Nacht“ von Emil Nolde:  bei youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=SW3LoDISUkg

Rainer Kopisch, Pfarrer in Ruhe der Evangelisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig,

Seelsorger mit logotherapeutischer Kompetenz, letztes selbstständiges Pfarramt: Martin Luther in Braunschweig,

Seit Beginn meines Ruhestandes vor 15 Jahren schreibe ich Predigten im Portal der Göttinger Predigten. Diese Arbeit ist mein Dank für die Liebe Gottes, die mich in meinem Leben begleitet hat.

de_DEDeutsch