1. Joh. 3,1f. | Sieh, das Gute …

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1. Joh. 3,1f. | Sieh, das Gute …

Sieh, das Gute ist schon da  | Predigt zu 1. Joh. 3,1f. | 25. Dezember 2021 | Eberhard Busch |

Johann Wolfgang von Goethe hat den Spruch verfasst: „Willst du immer weiter schweifen? / Sieh, das Gute ist schon da.“ Sein Satz passt zu dem verlesenen Bibelwort, das unsere Weihnachts-gedanken leiten soll: „Welch eine Liebe hat uns Gott der Vater erzeigt!“ „Sieh, das Gute ist schon da.“ Schon da, bevor wir es merken und einsehen. Schon heute. Wir müssen nicht länger wie eine Biene hin und her schwirren und da und dort, an dieser und jener Blüte nippen. „Christ, der Retter ist da.“ Und wenn es unsren Gedanken noch so ferneliegt, es gilt. Das steht fest wie ein Haus, das auf einem Felsen steht und nicht auf Sand gebaut ist. Und das ist wie ein Anker, der ein Schiff hält, und wenn die Wellen noch so hin und her schwappen. Wir müssen nicht verzagen – der Helfer ist schon da, Er, der uns in windischen Stürmen mit seinem unendlich sanften Arm umfangen will.

Seht, „welch eine Liebe hat uns Gott der Vater erzeigt.“ „Und seht,  welche Freude, der Vater im Himmel uns macht.“ Das ist die Weihnachtsgeschichte: Gott gibt uns sein Bestes und Liebstes. Es kommt von Herzen und es kommt zu uns. Er will nicht hochhinaus wie die Astronauten, auch wenn das gar nicht nötig ist. Er kommt herab in unsre Niederungen, weil es nötig ist. Der ferne Gott ist uns nah. Der Abwesende ist bei uns: nicht im Zorn, sondern in tröstlicher Liebe, nicht mit der Faust, sondern mit der ausgestreckten Versöhnerhand, nicht im Lärm, sondern in der Stille. Wo? Im Stall von Bethlehem. „Es war sonst kein Raum in der Herberge.“ Als Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Jene weitgereisten Weisen aus dem Morgenland suchen ihn ganz am falschen Ort, im Königshaus zu Jerusalem, mögen die Verehrer von Hoheiten noch so gern dorthin blicken. Nein,  hier ist er nicht, der neugeborene König der Juden. Ihr müsst umdenken, umkehren. Ihr findet ihn anderswo, in einem Kuhstall. Dort ist das Gute schon da, mitten im Dunkel, mitten in der Nacht.

Dort ist es geschehen: „Euch ist heute der Heiland geboren.“ Gott ist der große Spender, der Schenker par excellence. Seine Gabe muss man nach Weihnachten nicht wegräumen bis zum nächsten Jahr oder umtauschen gegen etwas scheinbar Besseres. Sie ist nützlich an jedem weiteren Tag. Unsere Geschenke sind im besten Fall ein Abbild, ein Hinweis, ein Nachklang zu diesem einen guten und beständigen Hauptgeschenk. Ein „schlimmes Weihnachten“ ist für heute befürchtet worden. Ich frage: Was ist da schlimm? Das Schlimmste wäre doch, wenn in unsrer Corona-Nacht nicht das geschähe: „Das ewge Licht geht da herein.“

Wozu ist denn Gottes Weihnachtsgabe gut? Er gibt, damit wir bekommen. Er verausgabt sich, um uns „große Freude zu verkünden. die allem Volk widerfahren soll“. Und das ist es, was wir geschenkt erhalten: Er rückt uns in seine nächste Nähe. Er gibt uns dies, „dass wir Gottes Kinder heißen dürfen. Und wir sind es.“ (V1) Die Juden sind es, und nicht nur sie. Das ist das Weihnachtsgeschenk: Kinder Gottes dürfen auch wir sein. Wohlgemerkt: Wir sind nicht seine Chefberater und nicht seine neunmal klugen Besserwisser. Wir sind auch keine Souffleure des lieben Gottes, so etwas wie die Personen, die im Theater, von einem verborgenen Ort aus, den Text einflüstern, wenn die auf der Bühne nicht weiter wissen. Wie wunderbar, dass Gott allemal weiter weiß. Er kennt den Text auswendig. Er stottert nicht. Im Verhältnis zu ihm sind wir nie mehr als seine Kinder, Anfänger. Sind so etwas wie Adoptivkinder, die ihm von sich aus nicht gehören und die ihm nun doch gehören,  ganz und gar.

Immerhin, wir sind nicht weniger als das: Gottes Kinder. Wir sind wohl auch Menschenskinder. „Menschenskind“, so ruft man, wenn man sich über jemanden aufregt. Da schreit man: „Pass doch auf, Menschenskind!!“ – nämlich wenn der Betreffende nicht aufpasst. Und nun wird gerade solchen Menschenskindern zugerufen: Ihr, genau ihr seid trotzdem von Gott geliebt. Und also: „Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes.“ (V2) Dass Gott uns liebt, das macht etwas mit uns. Er wird uns gleich, so wie wir sind, aber um uns nicht so zu lassen, wie wir sind. Jetzt dürfen wir es uns  gesagt sein lassen: „Gott geht mit dir, seinem Kind, fürchte dich nicht“ (J. C. Lavater). Wir gehören nun auf Gottes Seite und nicht mehr auf die Seite der Bosheit, des Geizes, der Faulheit, der Lüge. Dem werden wir entfremdet. Dem werden wir entwöhnt. Da dürfen wir beherzt sagen wie Nikolaus von Zinzendorf: „Wenn mich die böse Lust anficht, / muss ich, Gottlob! ihr folgen nicht.“

Achten wir auch darauf, dass das Bibelwort mehrfach davon spricht  „Wir sind nun Gottes Kinder.“ Wir! Mehrzahl! Sind wir Gottes Kinder, dann bekomme ich damit Geschwister. Gott kommt uns nahe, damit wir einander nahekommen. Hier gibt es nicht lauter Einzelkinder, bei denen jedes für sich seine Eigenbrötelei pflegt und zuletzt jedes allein zurechtkommen muss. Alleinsein ist ein Übel. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir brauchen einander. Wir sind in Gottes Familie zusammengebunden zu einer Gemeinschaft, zu einem Miteinander, in dem nicht mehr zählt jung oder alt, einfach oder studiert, stark oder schwach. Hier kommt zum Zuge, was Gerhard Terstegen uns vorgesungen hat: „Kommt Kinder, lasst uns wandern, / wir gehen Hand in Hand; / eins freuet sich am andern / in diesem wilden Land. / Kommt, lasst uns kindlich sein, / uns auf dem Weg nicht streiten; / die Engel selbst begleiten / als Brüder unsre Reihn.“

Der Vers unterstreicht, dass wir noch unterwegs sind. Wir sind noch nicht am Ziel, an dem Ziel, wo uns Gott hinhaben will, dort, wo „wir Gott sehen, wie er ist“ (V2), dort, wo „Gott wird sein alles in allen“ (1Kor 15,28). Das wird der ewige Weihnachtstag sein, an dem Gott für immer uns eingeholt hat und wir von ihm eingeholt sind. Dann wird es an den Tag kommen, was jetzt noch eingewickelt ist in Windeln und in einer Krippe liegend. Jetzt „wandeln wir nicht im Schauen.“ Wir haben im Glauben zu wandern (2Kor 5,7).

Eben hieß es, wir haben zu wandern in einem „wilden Land“. So etwas wie die Wüste Sinai tut sich auf, durch die Maria und Joseph mit dem Jesuskind kurz nach seiner Geburt um ihr Leben fliehen müssen. (Mt 2,13f.) Flüchtlinge in Not!! In unserem Text lesen wir: „Die Welt erkennt uns nicht, weil sie Gott nicht erkannt hat.“ Sie ist blind für Ihn und blind dafür, dass ihm an Geborgenheit für uns gelegen ist. Und gelt, manchmal sind wir auch blind, ist uns Gott und sein Interesse an seinen Menschen wie ein ferner Nebel. „Sieh, das Gute ist schon da“,  aber wir sehen es nicht. Und sind so etwas wie die Impfverweigerer: ein Hilfsmittel ist da, aber wir lehnen es ab. Mir sagte neulich eine junge Frau bei der Post, als ich fragte, ob meine Sendung in ein fernes Land dort wirklich ankomme: „Da hilft nur Hoffen und Beten“.

Dabei geht es um nicht weniger als um das, wovon Martin Luther gesungen hat: „Das ewge Licht geht da herein und gibt der Welt ein‘ neuen Schein,  es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht.“ Martin Luther sagt: Gibt der Welt einen neuen Schein. Der Welt! Welch eine  Horizonterweiterung! Und wir dürfen darin ein Licht sein. „Ihr seid Kinder des Lichts“, wird uns in der Bibel zugesprochen und zugetraut. „Du in deiner Ecke, ich in meiner hier.“  Menschen, die wissen: eben, „da hilft nur Hoffen und Beten“, Kinder des Lichts, denen Aufklärung lieb ist, eines Lichts, das nicht bloß in geschlossener Gesellschaft leuchtet. Blicken wir über unsern Tellerrand hinaus! Da sind noch Weitere. Ein Andersgläubiger, ein Ausländer, ein Missetäter? Wenn uns die Augen geöffnet sind, sehen wir Menschen noch einmal anders an: Himmel, sind sie nicht auch Gotteskinder? Die Welt ist größer als meine Familie, größer auch als mein Volk, größer auch als meine Kirche.

Vielleicht gibt es ja bei unserer Feier eine Überraschung. Es klopft jemand an unsere Türe. Ein Unerwarterer! Wir können nicht naiv sein, aber bitte auch nicht hartherzig. Es gibt Gründe, unsere Türe verschlossen zu halten. Doch die Frage sei erlaubt: Schließen wir die Falschen aus? In der Bibel steht der Satz: „Herberget gern“ (Röm 12,13).

Im Schweizer Kanton Thurgau lernte ich eine hübsche Sitte kennen. Wenn ich mich bei Jemandem an der Haustüre gemeldet habe, erscheint ein Hausbewohner, gibt mir die Hand und sagt “Willkomm‘!“ Und wenn er mich in sein Wohnzimmer geführt hat, reicht er mir zum zweiten Mal die Hand mit den Worten „Willkomm‘ in der Stube!“. Wie man sagt: doppelt genäht hält besser. So fühlt sich ein unerwarteter Besucher gut aufgenommen und ernst genommen.

Von einem neunjährigen Mädchen namens Lydia las ich einen feinen Aufsatz.  Schon die Überschrift ist eindrücklich, die Verbindung der beiden Worte:  „Unsere Bettler“. Bettler? Mir sollen sie vom Hals bleiben? Im Gegenteil, sie sind „unsere“ Bettler.  Es ist wie ein Band um sie und uns geschlungen, das uns miteinander verknüpft. Sicher, es gibt auch sonst Leute, die uns quer sind. Doch die, denen ich soeben die Tür vor der Nase zuschließen wollte, ein Jeder, eine Jede hat heimlich eine Frage auf der Lippe: Sind wir nicht eure Verwandten?

In einer jüdischen Geschichte lesen wir, wie Einer fragte: „Wann weicht die Nacht endlich dem Tag?“ Ein Vorlauter ruft dazwischen: „Das weiß doch jeder: im Morgengrauen!“ Ein Weiser antwortete: „Nein, die Nacht weicht erst dann dem Tag, wenn du im Angesicht deines Mitmenschen die Schwester, den Bruder erkennst.“ – Wünschen wir uns gegenseitig eine gesegnete Weihnacht.

Eberhard Busch

37133 Friedland

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