Matthäus 10,32-42

Matthäus 10,32-42

Zweiter Weihnachtstag | Matthäus 10,32-42 (dänische Perikopenordnung) | verfasst von Rasmus H.C. Dreyer |

„Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ sagt Jesus in diesem Text. Was wurde aus dem Frieden auf Erden und dem Wohlgefallen für die Menschen im Weihnachtsevangelium? Nein, wir sind schon weiter. Jesus ermahnt uns, das Kreuz auf uns zu nehmen, um seiner würdig zu sein.  Der weihnachtliche Friede war kein Idyll. Der Glaube an den kleinen Knaben, der in Bethlehem geboren wurde, sollte Konsequenzen haben und zu Verfolgungen führen: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“

In Dänemark feiern wir mitten in der Weihnachtszeit einen Märtyrertag, den Sankt Stephanstag. Er fällt auf den zweiten Weihnachtstag, und jedes Jahr sind viele von Euch ziemlich überrascht, wenn ihr zum Gottesdienst kommt und nicht vom Kind in der Krippe hört, sondern von der Steinigung des Stephanus – des ersten christlichen Märtyrers. So wie ich eben vorgelesen habe, wie Jesus voraussagt, dass der Glaube zu Mord und Leiden führt, und wie die Botschaft von der Liebe Gottes auf Widerstand stoßen wird und ein Ärgernis sein wird, das Streit bis in die Familien bringt.

Ich erinnere mich, wie ich selbst davon betroffen wurde und die Verärgerung bei den Leuten erlebt habe. Das war ein zweiter Weihnachtstag, an dem ich im Dom von Roskilde predigte. Ein wütender Kirchgänger ermahnte mich danach, dass alle die Geschichten über die Verfolgung für die Dänen nicht relevant seien. Denn damit hatte ich natürlich den weihnachtlichen Frieden gestört, dass ich von dem Streit und den Verfolgungen sprach, die die Botschaft von der Macht der Liebe, von dem Kind in Bethlehem noch heute verursacht. Aber wir hier in unserem relativ friedlichen Land sollten die Konsequenzen des Glaubens an Jesus als dem Erlöser kennen. Der Glaube darf nicht zu einem Idyll werden, und dies ist ja ein großes Risiko in unserer gemütlichen Weise, Weihnachten zu feiern. Wir müssen als ein christliches Land und als christliche Menschen durchaus Verantwortung tragen für unsere christlichen Brüder und Schwerstern, die unter Verfolgung en leiden. Daran soll uns der Sankt Stephanstag, unser kirchlicher Märtyrertag, gerade erinnern.

Der Sankt Stephanstag ist älter als das Weihnachtsfest, das ja wegen der fehlenden biblischen Datierung am Tag der Sonnenwende gefeiert wird, ein Beschluss aus dem vierten Jahrhundert. Stephan wurde wegen seines Glaubens und seiner Verkündigung nur wenige Jahre nach dem Todd und der Auferstehung Jesu ermordet, vermutlich um das Jahr 35. Stephanus wusste, dass Gott uns so sehr liebt, dass er in Jesus zu uns kommen würde. Keiner brauchte mehr einen Weg zu Gott zu finden – sei es mit einem Lastauto oder mit noch so vielen unschuldigen und frommen Werken. Und Stephanus hielt fest an seinem Glauben, auch wenn er auf die Probe gestellt wurde und seine Gegner meinten, ihr Gott sei so groß und unangreifbar, dass er sich nie so mit Menschen einlassen würde, wie Jesus dies tat.

„Sie schrien aber laut und hielten sich ihre Ohren zu und stürmten auf ihn ein und steinigten ihn“, und Stephanus fiel auf die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an“.  Und als er das gesagt hatte, verschied er (Apostelgeschichte, 7,59-60).

Stephanus war der erste Märtyrer der Kirche. Aber was ist ein Märtyrer – und hier reden wir wohlgemerkt von einem christlichen Märtyrer, der unschuldig stirbt? Das Wort Märtyrer stammt aus dem Griechischen und bedeutet Zeuge. Das bedeutet jemand, der den Mund aufmacht und spricht, wenn er gefragt wird, und sagt, was er weiß und glaubt. Märtyrer sein bedeutet deshalb nicht notwendigerweise, dass man misshandelt oder getötet wird wie Stephanus, sondern es bedeutet, dass man frei auftritt und es wagt, den Mund aufzumachen. Und dass man sich überhaupt nicht damit abfindet, dass der Glaube an Gott und Jesus unterdrückt und verfolgt wird.

Martin Luther hat gesagt, dass alle Christen Papst, Bischof und Priester sind, wenn wir aus der Taufe gekrochen sind. Und ja, das würde vielleicht die Glaubwürdigkeit der Volkskirche durchaus stärken, wenn ein Bischof oder zur Not ein Propst sich freiwillig von Löwen auffressen lassen würde. Aber die Verpflichtung, Zeugnis für Christus abzulegen, die gilt uns allen. Das gilt auch für die Verantwortung für unsere Mitchristen.

Jeden Tag werden Christen irgendwo in der Welt getötet. Das ist uns in den letzten Jahrzehnten nähergekommen. Man denke nur an den französischen Priester Jaques Hamel, der 2016 vor dem Altar seiner Kirche enthauptet wurde. Man denke an die Bombenangriffe, bei denen Frauen und Kinder während des Gottesdienstes in einer der größten Kirche Kairos getötet wurden. Man denke an das Mitglied des britischen Parlaments, der von seinen eigenen Wählern bei einem offenen Bürgertreffen in einer Kirche in England ermordet wurde. Man denke an die jahrelangen Christenverfolgungen in Syrien, im Irak, ja heute auch in dem früher christlichen Land Türkei. Oder, wenn man das vergessen haben sollte, der widerliche Angriff vor einigen Jahren auf einem Weihnachtsmarkt vor der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche in Berlin. Der Lastwagen, dessen Todesfahrer seinen Überfall damit beendete, dass er den großen Weihnachtsbaum des Markts umfuhr. Das ist sicher kein Zufall. Und ja, vielleicht wollen und sollten wir das nicht einen Religionskrieg nennen. Trotz allem dürfen wir nicht den Blick dafür verlieren, dass auch christliche Terroristen im Namen ihrer Religion gewalttätig werden. Der verstorbene Bischof von Roskilde Jan Lindhardt hat einmal sinngemäß gesagt, wenn die eine Seite in einem Konflikt meint, dass es um Religion geht, dann sollte die andere Seite das auch ernst nehmen.

Infolge der Organisation Offen Türen, die verfolgte Christen unterstützt, werden etwa 100 Millionen Christen in der ganzen Welt verfolgt.  Das schlimmste Land ist das offiziell religionsneutrale Nordkorea. Aber auch Eritrea, Syrien, der Irak, der Iran, Afghanistan gehören zu den Ländern, in denen Christen verfolgt werden. Im afghanischen Parlament äußerte das Mitglied Nazir Ahmad Hanafi im Jahre 2015, also ehe die Taliban an die Macht kamen, dass jeder, der zum Christentum konvertiert, hingerichtet werden solle. Man versteht das afghanische Sprichwort:  Als der Teufel auf die Erde kam, landete er in Kabul.

Die kaltblütigsten und grausamsten Verfolgungen von Christen geschahen im Islamischen Staat. Ihr Kalifat ist glückerweise beendet. Aber IS begann seinerzeit seine Untaten in alten christlichen Städten im Irak und Syrien damit, dass die viele Christen kreuzigten.

Das alte christliche Nahe Osten ist nun fast vor unseren Augen verschwunden. Und doch besteht Hoffnung. Die Christen kehren langsam zurück. In einer Reportage aus der christlichen Stadt Qaraqosh, die die muslimischen Iraker Al-Hammdaniya nennen, trafen Journalisten einer dänischen Zeitung einen der zurückgekehrten christlichen Iraker, Edmund Gewarkes. Der Reporter trifft ihn vor der Tahira-Kirche der Stadt, einer der größten Kirchen im Irak, die der IS vergeblich versucht hatte niederzubrennen. Edmund Gewarkes sagt:

„Sie nur hin, dann siehst du die finsterste Bosheit, die wir je gesehen haben“, und er fährt fort: „Ihr … sollt die Welt wissen lassen, was der Islamische Staat uns Christgen angetan hat“.

Ein alter christlicher Mann aus der Geburtsstadt Jesu Bethlehem erklärte vor einigen Jahren dem Journalisten Klaus Wiwel, warum wir unsere christlichen Brüder und Schwestern in den Ländern, in denen das Christentum begann, vergessen haben: „Im Westen sind wir nur Araber, in den arabischen Ländern sind wir nur Christen. Wir verlieren an beiden Fronten“.

Niemand hat wohl Nachteile bei uns, weil er Christ ist. Für viel ist das auch Gewohnheit und Tradition geworden. Wir riskieren ja auch nicht täglich, wegen unseres Glaubens gesteinigt zu werden, wie das Stephanus widerfuhr. Gott sei Dank! Aber die Geschichte von Stephanus und die blutrote liturgische Farbe in unseren Kirchen an diesem Tag helfen uns zu verstehen, dass wir vielleicht unseren Glauben und die Leiden unserer Brüder und Schwestern viel ernster nehmen sollten.

Zwei Jahrtausende nach dem Kind in der Krippe ist das Christentum noch immer der Glaube, der in der Welt am meisten gefährdet ist. Amen.

Pastor Rasmus H.C. Dreyer

DK-4244 Agersø

E-mail: rhd(at)km.dk

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