Predigt zu Jes 7,10-14

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Predigt zu Jes 7,10-14

Den Anfang feiern | Christfest II | 26.12.2021 | Predigt zu Jes 7,10-14 | verfasst von Christoph Kock |

I. Weihnachtsblues

Frauke ist zum Heulen zu mute. Sie hat die Nase gestrichen voll von Weihnachten. Sie zündet sich eine Zigarette an. In ihrer Vorstellung hätte es so ein schöner Tag werden können. Die Kinder wieder zuhause, ihre Schwester mit Mann zum Essen. Ein entspannter Abend. Dafür hat sie geplant, eingekauft, sich in die Küche gestellt. Und jetzt das.

Die ersten Alarmzeichen hat sie übersehen, das ist Frauke inzwischen klar. Judith, ihre Tochter, wollte über Weihnachten gar nicht nach Hause kommen. Frauke musste betteln. „Mir zuliebe“. Und Julian hätte sich doch wenigsten an Weihnachten zusammenreißen können. Zugegeben, auch sie findet ihren Schwager Roland merkwürdig. Aber er ist nun mal Bettinas Mann. Beim Thema „Impfen“ ist das Gespräch am Tisch eskaliert. Bettina hatte zwar mal erwähnt, dass Roland sich nicht hat impfen lassen. Aber Frauke dachte, dass hätte sich inzwischen erledigt. Von wegen. Roland hat jedenfalls keinen Zweifel daran gelassen, dass er nach wie vor von den Impfungen nichts hält. Julian hat seinem Onkel lautstark widersprochen und ihm Egoismus und fehlendes Verantwortungsbewusstsein vorgeworfen. Und Klaus, ihr Mann, hat erfolglos versucht, die beiden zu bremsen. Als Roland dann noch betont hat, dass er sich vor dem Besuch nicht hat testen lassen, ist Julian aufgestanden und hat das Zimmer ohne ein weiteres Wort verlassen. Fünf Minuten später hat keiner mehr am Tisch gesessen. Die Gäste sind vorzeitig abgereist. Ihre Schwester mit verheultem Gesicht. Klaus trägt seine Wut jetzt durch die Gegend und die Kinder sind irgendwo im Haus elektronisch beschäftigt. Der Nachtisch wartet vergeblich im Kühlschrank. Und Frauke steht frierend auf der Terrasse und raucht. Sie hat den Weihnachtsblues.

II. Das Fest der Erfüllung

Fraukes Frust mit dem Fest ist leider kein Einzelfall. Viele Menschen machen vergleichbare Erfahrungen. Eine Psychologin beschreibt den Weihnachtsblues auf ihrer Website und führt weiter aus: „Ausgelöst wird die Krise besonders an den Weihnachtsfeiertagen, die uns mit den Ideal-Vorstellungen des familiären Zusammenhalts konfrontieren.“ Egal, wie groß die Familie ist: diesem Idealbild könne man kaum bis gar nicht gerecht werden. „Gemeinsames Feiern im Kreise der Lieben bedeutet auch sehr viel Stress. Der Wunsch nach Harmonie lässt mögliche vorhandene Konflikte nicht verschwinden, sie sind nur noch schwieriger auszuhalten (auch wenn sie vielleicht gar nicht ausgetragen werden).“[1] Und das schon vor der Pandemie.

Der Wunsch nach Harmonie gehört zur DNA des Festes. Schließlich haben die Engel auf den Feldern von Bethlehem vom Frieden auf Erden gesungen. Aber wann und wo sich dieser Frieden einstellt, ist offengeblieben. Aller Sehnsucht zum Trotz machen Konflikte an Weihnachten keine Pause, Kriege gehen trotz aller Legenden weiter. Alle Jahre wieder scheitert das Fest an den eigenen Ansprüchen derer, die es feiern.

Weihnachten wird als Fest der Erfüllung gefeiert. Das Entscheidende ist doch passiert. Das Kind ist geboren. Gott ist Mensch geworden. Der Retter, der Heiland, der Christus weilt auf Erden. „Siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Wer will, wer braucht da mehr? Immer nur her mit dem Frieden, zumindest für ein, zwei Tage, wenigstens in der Familie. Hohe Erwartungen gehen mit dem Fest einher. Daran kann es nur scheitern.

III. In Krippe und Bibel: Jesus und Jesaja

Ein paar Jahrzehnte kamen Christinnen und Christen ganz gut ohne Weihnachten aus. Sie feierten Ostern und das jeden Sonntag. Jesus ist von den Toten auferstanden. Das reichte aus. Je mehr Zeit ins Land ging, desto wichtiger wurde es zusammenzutragen, was Jesus gesagt und getan hatte. Ostern leuchtete darin auf, das neue Leben in Gottes Reich. Schließlich wollte auch erzählt werden, wie alles angefangen hatte. Wie besonders Jesus war, musste doch auch schon bei seiner Geburt spürbar gewesen sein. Dafür blieb seine Verbindung zur jüdischen Bibel maßgebend. Jesus gehört hinein in die Geschichte Gottes mit dem jüdischen Volk. Das Kind liegt in der Krippe und zugleich in der jüdischen Bibel. Was jüdische Propheten wie Jesaja geschaut hatten, war für christliche Ohren mit Jesus verbunden: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. …  Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.“

Was Gott hat ankündigen lassen, erschien Christinnen und Christen in Bethlehem erfüllt. Je intensiver sie in der jüdischen Bibel lasen, desto öfter entdeckten sie dort den Christus wieder, den Messias, den sie kannten. Dass Juden und Jüdinnen dieselbe Bibel anders lasen, spielte dabei kaum eine Rolle. Dass Jesaja selbst gar nicht von Jesus gesprochen hat, ist für viele von ihnen heute gar nicht mehr vorstellbar. So eng sind dessen Texte für sie mit Weihnachten verbunden. Von Jesaja verheißen, in Jesus erfüllt. Mit dieser Übernahme sind Veränderungen verbunden, die sich als problematisch erwiesen haben. Der Teufel steckt im Detail.

IV. Ein Zeichen: Immanuel

733 Jahre vor Weihnachten. König Ahas herrscht über Juda und residiert in Jerusalem. Ahas steckt in einer Zwickmühle. Eine neue Großmacht etabliert sich in der ganzen Region, unterwirft Land um Land. Ahas‘ Nachbarn, das Nordreich Israel und Syrien, wehren sich dagegen. Sie wollen, dass Ahas sich ihnen anschließt. Wenn nicht, so drohen die Nachbarn, setzen wir dich ab. Aber Ahas will die Assyrer nicht herausfordern und keinen Krieg heraufbeschwören, den Juda nur verlieren kann. Da ziehen seine Nachbarn mit ihren Heeren vor Jerusalem, um ihrer Drohung Nachdruck zu verleihen. Aber sie können es nicht erobern. In der belagerten Stadt denkt Ahas darüber nach, die neue Großmacht Assur zur Hilfe zu rufen. „Bloß nicht“, lässt Gott durch Jesaja ausrichten. Ahas ist hin- und hergerissen, weiß nicht, wem er vertrauen soll. Dem Gott Israels oder der Logik, dass der Feinde Feind mein Freund sein muss. Beim Propheten Jesaja heißt es im 7. Kapitel:

Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach:

Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe!

Aber Ahas sprach:

Ich will’s nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche.

Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David:

Ist’s euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen?

Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben:

Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.

Ein Zeichen wird Gott König Ahas geben. Dafür, dass Gott Gott ist und aller Vertrauen wert. Ein Kind wird geboren, das Immanuel heißen wird. Gott mit uns. Dieses Kind ist Gottvertrauen in Person, Zuspruch und Anspruch zugleich: Gott ist mit uns. Lasst uns darauf vertrauen. Wer immer dieses Kind sein wird.

V. Jungfrau bevorzugt

Martin Luther übersetzt: „Eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären“. In der hebräischen Bibel steht jedoch: „eine junge Frau ist schwanger“. So viel ist klar: Bei diesem Zeichen geht es nicht um das Wunder einer Geburt ohne Sexualität. Zu diesem Wunder kommt es erst 500 Jahre später, als die hebräische Bibel ins Griechische übersetzt wird. In einer anderen Zeit, in einer anderen Kultur. Da war es durchaus üblich, dass besondere Menschen von einer Jungfrau geboren wurden. Insbesondere für Herrscher gehörte das zum guten Ton. Sie umgaben sich so mit göttlichem Glanz. Und so haben die biblischen Erzähler Matthäus und Lukas aus Jesu Mutter eine Jungfrau gemacht. So, wie sie die jüdische Bibel lasen, nämlich auf Griechisch, war das für sie naheliegend. Damit erzählten sie von Jesu Geburt wie von der eines gottgesandten Herrschers. Später ist daraus ein Dogma geworden, mit langer leibfeindlicher Wirkung. Jungfrau bevorzugt. Für Martin Luther war das Dogma so selbstverständlich, dass er seinem eigenen Anspruch, die Bibel aus dem Hebräischen zu übersetzen, hier nicht gerecht geworden ist. Erst in der Lutherübersetzung von 2017 signalisiert eine Fußnote: „Wörtlich: ‚junge Frau‘“. Schade, dass die Jungfrau im Text geblieben ist.

Für das Kind, das Ahas angekündigt wird, sind nicht die Umstände seiner Zeugung entscheidend, sondern das, was es verkörpert. Immanuel wird ein paar Jahrhunderte vor Jesus durch Jerusalem laufen und die Menschen haben vor Augen: „Gott mit uns“.

VI. Von der Erfüllung zum Anfang

Später wird Jesus Immanuel genannt. „Gott mit uns“. Ist er der Immanuel oder ein Immanuel? Zumindest ist ein Kind dieses Namens in Jerusalem angekündigt worden, etliche Jahrhunderte vor Jesu Geburt. Jüdische Auslegung streitet darüber: Wer ist dieses Kind wohl gewesen? Was hat es mit dem Messias, dem Gesalbten Gottes zu tun, den Jesaja ein paar Kapitel später ankündigt? Was ist bereits geschehen, was steht noch aus? Da wird viel Zukunftsmusik der Bibel abgelauscht. So viel ist noch offen, wird erwartet, herbeigesehnt. Frieden auf Erden, aller Kriege Ende, Gerechtigkeit.

Wenn Christinnen und Christen hier zuhören, bekommen sie wieder ein Gespür dafür, was sich noch nicht erfüllt hat. Obwohl Jesus geboren ist. Dass die Engel über den Feldern vor Bethlehem Zukunftsmusik machen. Eine Perspektive für Weihnachten. Der Anfang ist gemacht, mehr nicht. Worauf es ankommt, was es mit diesem Heiland und Retter auf sich hat, wird sich erst noch zeigen. Ostern war es auch schon so: Worauf es ankommt, was es mit der Auferstehung auf sich hat, wird sich erst noch zeigen. Immerhin: Der Anfang ist gemacht, das kann gefeiert werden.

Nur wie? Am Abend sitzen Frauke und Klaus im Wohnzimmer. Vor Frauke liegt ein Zettel. Darauf hat sie „Weihnachten 2022“ geschrieben. Sie spricht mit Klaus darüber, was sie im nächsten Jahr anders machen wird. Der Zettel soll an den Kühlschrank, damit sie sich daran erinnert. Frauke schreibt: „Alles kann, nichts muss.“ Wenn die Kinder andere Pläne haben, dann ist das so. Mit Bettina wird sie sich im Advent zum Frühstück treffen. Wie wäre es, mal mit Freunden zu feiern? Wer vorbei kommt, ist willkommen. Einfach ohne Geschenke. Aber vielleicht bringen sie einen Salat mit, wie früher. Je länger Frauke überlegt, desto mehr fällt ihr für ihren Zettel ein. Das ist doch ein guter Anfang.

Amen.

 

Lieder:

O Bethlehem, du kleine Stadt (EG 55)

In einer Höhle zu Bethlehem (EG.RWL 547)

 

Sündenbekenntnis:

Unfassbar bist du in deiner Größe, Gott,

und begegnest uns in einem Kind.

Erhaben bist du, Anfang und Ende,

und machst dich angreifbar und verletzlich.

Wir können das nicht zusammendenken,

was bei dir, Gott, zusammengehört.

Barmherziger Gott,

komm und hilf uns,

dich so zu lieben

wie du bist:

offenbar und geheimnisvoll,

mächtig und Ohnmacht ertragend,

größer als alles, was wir sehen,

und mit einem Blick für das Kleine,

das uns entgeht.

Herr, erbarme dich.

Gnadenzusage: Joh 3,16

Pfarrer Dr. Christoph Kock

Wesel

E-Mail: christoph.kock@ekir.de

 

Dr. Christoph Kock, geb. 1967, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland. Seit 2007 Pfarrer an der Friedenskirche in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesel.

 

[1]                https://www.klinikticker.de/2016/12/16/wie-vermeide-ich-den-weihnachtsblues/

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