Predigt zu Jes 7,10-14

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Predigt zu Jes 7,10-14

Geburtsvorbereitung | Zweiter Weihnachtsfeiertag | 26.12.2021 | Predigt zu Jes 7,10-14| verfasst von Wolfgang Vögele |

Segensgruß

Der Predigttext für den zweiten Weihnachtsfeiertag steht Jes 7,10-14:

„Und der Herr redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom Herrn, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will’s nicht fordern, damit ich den Herrn nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist’s euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel.“

Liebe Schwestern und Brüder,

während der Heilige Abend der Kernfamilie vorbehalten ist, treffen sich Onkel und Tanten, Großeltern, Nichten und Cousins oft am Zweiten Weihnachtstag. Dieser Feiertag ist für Großfamilie und Verwandtschaft vorbehalten. Auf dem Mittagstisch stehen Reste der Weihnachtsgans und die Salate, die alle mitgebracht haben. Später werden die Geschenke unter den Weihnachtsbaum gelegt, die es im Advent nicht mehr zur Post geschafft haben. Bevor ausgepackt wird, singen alle Weihnachtslieder, Papa am Klavier, die Enkelin an der Geige und der Jüngste bläst ein wenig schräg in die Blockflöte. Weihnachten rückt in den Hinter-, Familie in den Vordergrund. So feierlich-familiär gestaltet sich für viele der zweite Weihnachtsfeiertag.

In diesem Jahr braucht es eine zusätzliche Vorbereitung. Jeder, der Gänsekeule essen und im Kreis der Familie Geschenkpapier zerknüllen will, muß einen negativen Corona-Test vorweisen. Diese Vorbereitung verschafft vielen zusätzliche Aufregung. Haben Teststationen an Feiertagen geöffnet? Wie kann ich belegen, daß der gekaufte Test nicht älter ist als vierundzwanzig Stunden? Kein Fest im Jahr macht so viele Vorbereitungen nötig wie Weihnachten, obwohl jeder weiß, was zu tun ist: Vanillekipferl backen, den Tannenbaum mit Kugeln und Lametta schmücken, originelle Geschenke besorgen und dabei niemand vergessen, schließlich eine große Schüssel Kartoffelsalat für die Familienfeier am zweiten Festtag. Corona-Tests bringen da nur zusätzliche Aufregung in den seit Jahren feststehenden Ablauf. Aber trotzdem ist er dringend notwendig, das sieht die ganze Familie ein, auch Onkel Herbert, der lange skeptisch war und über die Gesundheitsminister gemeckert hat.

Weihnachten benötigt in der Familie intensive und konzentrierte Vorbereitungen, die kalte, stille Winterabende vergessen lassen. Es erzeugt in der Dunkelheit des Winters eine angenehme Aufregung, die sich im Kerzenlicht des Tannenbaums zuverlässig in weihnachtliche Beschaulichkeit und Ruhe auflöst. Im Advent baut sich die Spannung auf, die Vorbereitungen verstärken sie, und spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag kehren Ruhe und Frieden ein, selbst in Familien, die über ausgebliebene oder unerwartete Geschenke gestritten haben. An Weihnachten erklingt ein langer Orgelpunkt der Entspannung und des Ausruhens, obwohl jeder weiß, daß schon nach einer knappen Woche die guten Vorsätze des neuen Jahrs drohen.

Der König Ahas, von dem der Prophet Jesaja erzählt, interessiert sich mehr für Diplomatie als für die Familie, denn er steckt in einer politischen Zwickmühle. Er muß sich auf den Angriff einer Großmacht vorbereiten. Und er weiß ganz genau, daß kein noch so großes Heer die drohende Niederlage und die Zerstörung Jerusalems wird abwenden können. Ahas möchte einerseits gern von Gott ein Zeichen, einen Wink haben, was er am besten tun kann, um seine Macht zu erhalten. Auf der anderen Seite traut er sich nicht richtig. Er will Gott nicht belästigen. Ahas weiß ganz genau: Er bittet stets dann um Zeichen, wenn er mit seiner eigenen Klugheit am Ende ist und sich in eine Sackgasse verrannt hat, aus der er eigenständig nicht mehr herausgelangt. Zeichen Gottes können Ungewißheiten, schwierige Entscheidungen und vor allem Zwickmühlen auflösen. Ahas weiß das. Und er weiß auch: Ich müßte selbst handeln und tätig werden. Der Angriff der Großmacht aus dem Norden beruht auf meinen eigenen Fehlern.

In der Gegenwart läßt sich die Corona-Pandemie als eine solche Zwickmühle beschreiben, bestimmt durch Ungewißheiten und fehlende Entscheidungen. Ungewißheiten und Zweifel lieben die Spinner, die verschwurbelte Verschwörungstheorien verbreiten. Ungewißheiten erzeugen Politiker, die sich nicht auf ein klares gemeinsames Programm zur Bekämpfung der Pandemie einigen können. Ungewißheit erzeugen auch Epidemiologen und Virologen, die sich nicht in einer öffentlich verständlichen Sprache ausdrücken können. Sie geben Empfehlungen, die in ganz unterschiedliche Richtungen weisen.

Es wäre ungewöhnlich, wenn in der heutigen Tagespolitik ein Abgeordneter oder Kanzler ein Zeichen Gottes verlangen würde. Und im Falle des Corona-Virus haben sich Tests und Impfungen eines möglichst großen Teils der Bevölkerung als das Mittel der Wahl durchgesetzt. Zwar kann die Impfung die Verbreitung des Virus nicht völlig verhindern, aber sie sorgt in der Regel für einen milden Verlauf der Krankheit.  Und die – ja, auch an Weihnachten lästigen, aber notwendigen – Tests sorgen dafür, daß erkrankte Menschen sich schnell isolieren können und danach niemanden mehr anstecken. Politik ist die Kunst, in unübersichtlichen Situationen mit schwierigen Entscheidungen Mehrheiten zu finden und dann entschlossen zu handeln. Der König Ahas, vom Propheten Jesaja angesprochen, weiß eigentlich, was er zu tun hätte. Und die feiernden Weihnachtsfamilien lassen alle anreisenden Opas und Tanten vor dem Anzünden der ersten Kerze auf das Corona-Virus schnelltesten.

Der Prophet Jesaja, der sich mit Politik und Festen gut auskannte, gibt trotzdem noch einen wichtigen Hinweis. Er wirft ein helles Licht auf die Politik, auf die handelnden Menschen und auf das Leben selbst. Ihr sollt Gott nicht ermüden, sagt er. Quengelnde kleine Kinder ermüden den Großvater, der die Enkel lieb hat. Irgendwann fallen ihm beim Spielen mit dem gelben Plastikbagger die Augen zu. Jesaja sagt: Unserem Gott kommen die Menschen vor wie quengelnde Erwachsene. Sie wollen ihre eigene Unfähigkeit und Überforderung einfach auf Gott weiterschieben. Erwachsener Glaube verlangt von Gott keine Wunderdinge, keine Mirakel, mit denen er sich selbst und die Menschen bestätigen würde. Es kommt auf die richtige Zuordnung von Beten und Handeln, von Glauben und Denken an. Jesaja versteht Gott nicht als Notrufzentrale für Fälle voraussehbarer menschlicher Unzulänglichkeit. Genau diese Art von Quengelei macht Gott nachhaltig müde.

Und nun kommt der Höhepunkt: Um aus diesem Kreislauf von Quengelei und Müdigkeit auszubrechen, entschließt sich Gott nach dem Propheten Jesaja, wirklich ein Zeichen zu geben: Eine junge Frau wird einen Sohn mit dem Namen Immanuel – Gott mit uns – gebären. Die vielen Ausleger dieser Stelle haben lange gegrübelt, wen Jesaja mit diesem Kind gemeint haben könnte. Es könnte sich um einen Sohn des Propheten handeln. Jesaja hatte zwei Söhne, wie andere Propheten auch. Es könnte sich auch um einen Königssohn wie David oder Salomo handeln, der das Nord- und das Südreich Israel wieder vereinigt. Es könnte mit dem Sohn das Kollektiv des Volkes Israel gemeint sein.

Für christliche Ausleger wies diese Stelle stets und unwiderlegbar auf die schwangere Jungfrau Maria hin, die in Bethlehem den Heiland zur Welt brachte. Es ist schon oft gesagt worden, aber ich will es wiederholen. Was wegen der griechischen Übersetzung des hebräischen Urtexts für die ersten Christen unumstößlich eine ‚Jungfrau‘ war, ist im Hebräischen eher eine junge Frau im heiratsfähigen Alter. Das lenkt die Aufmerksamkeit von der Geburtsheilkunde auf die Glaubensinhalte. Es kommt nicht darauf an, ob Maria Jungfrau war. Es kommt darauf an, daß ihr Sohn predigt, heilt, ans Kreuz geschlagen wird. Es kommt darauf an, daß Gott ihn auferweckt. Weihnachten ist ein Fest für alle Glaubenden, nicht nur für niedergelassene Gynäkologen und Hebammen.

Der Sohn Immanuel – Gott mit uns – wird geboren. Die Menschen erhalten ein Zeichen, aber keines, das zur Duldungsstarre verleitet. Sie erhalten ein Zeichen der Ermutigung zum Denken, Handeln und Glauben. Die mündige Welt, in der Menschen ihre eigenen guten und weniger guten Entscheidungen treffen, bleibt bestehen. Glauben bedeutet nicht Warten auf Gott, sondern Denken und Handeln in der Freude von Gottes Gegenwart.

Der Sohn Immanuel – Gott mit uns – wird geboren. Das scheint mir an den Aussagen Jesajas besonders wichtig. Gott stellt sich keine Soldatenbataillone vor, auf deren Koppelschlösser die Parole „Gott mit uns“ eingeschlagen ist. Gott schickt keinen Heeresgeneral, keinen Ersatzkönig, keinen neuen Machthaber, der die eigentlich nötigen Entscheidungen trifft, welche die verantwortlichen Politiker versäumt haben. Regierungsbildung bleibt Sache der Menschen. Das Zeichen ist ein Baby. Und dieses Baby ist erst einmal um seiner selbst willen interessant. Ein Baby – das sind 4250 Gramm neues Leben, Zukunftschancen, Verwandlung und Veränderung. Ich sehe, wir sehen in einem Baby die Gegenwart, in der es Schutz braucht, Liebe und Geborgenheit. Wir sehen in ihm aber auch die vielen Möglichkeiten zur Bildung und Gestaltung der Welt. Wir sehen den erwachsenen Menschen, der in der Welt Gutes tun kann.

Der Sohn Immanuel – Gott mit uns – wird geboren. Ein Baby ist nicht nur Zeichen, nicht nur Hoffnung auf neues Leben. Es bedeutet auch Vorbereitung: Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung für die Mutter, Veränderungen in der Familie, Vorfreude der Geschwister. Das Baby bedeutet schlaflose Nächte, Erschöpfung, dauerndes Sich-Kümmern, später eine manchmal nicht ganz einfache Ablösung aus dem Elternhaus. Und gelegentlich, liebe Brüder und Schwestern, Sie haben die Beispiele alle vor Augen und in der Erinnerung, bricht der Streit über Ablösungen und Familienkonstellationen gerade an Weihnachten in aller Bitterkeit aus. Die Bibel kennt solchen Streit. Lukas erzählt davon, als der zwölfjährige Jesus lieber im Tempel in Jerusalem bleibt, um theologische Streitgespräche mit den Schriftgelehrten zu führen. Daß sich seine Eltern, bereits auf dem Heimweg, Sorgen machen, kümmert ihn nicht.

Der Sohn Immanuel – Gott mit uns – wird geboren. Man kann Jesajas Worte so deuten, daß sie sich auf das Kind in der Krippe von Bethlehem beziehen. Darauf ruht der christliche Glaube. Das Gotteszeichen, von dem Jesaja spricht, wird damit noch ungewöhnlicher. Denn dieses Baby wird ein so erstaunliches Leben führen: unzählige Menschen im Herzen berühren, bei anderen Krankheiten heilen und wieder andere zum Nachdenken anregen. Dieses Baby wird Anstoß erregen, Protest und Neid provozieren. Dieses Baby, in der Vorhersage des Jesaja und genauso in der Krippe von Bethlehem, ist ein Zeichen Gottes, das sich niemand so ausgedacht haben kann.

Für uns Christenmenschen, irgendwo zwischen Epidemie und Epiphanias, zwischen Erschöpfung nach dem Weihnachtsfest und Aufbruch ins neue Jahr, bedeutet Weihnachten ein neues Verständnis von Zeit. Weihnachten heißt: Der Sohn Immanuel – Gott mit uns – wurde geboren, vor zweitausend Jahren, und diese Gewißheit kann niemand nehmen. Wir kommen von Weihnachten her. Weihnachten heißt: Wenn in der Gegenwart, bedingt durch Familienstreitigkeit oder Coronaplagen, Verzagtheit oder Verzweiflung drohen, wird das Zeichen des Sohnes zur Ermutigung und zum Ansporn, sich nicht unterkriegen zu lassen. Und Weihnachten heißt schließlich: Die Zukunft bleibt offen – für das Kommen von Gottes Sohn.
Gott mit uns. Amen.

 

PD Dr. Wolfgang Vögele

Karlsruhe

wolfgangvoegele1@googlemail.com

Wolfgang Vögele, geboren 1962. Privatdozent für Systematische Theologie und Ethik an der Universität Heidelberg. Er schreibt über Theologie, Gemeinde und Predigt in seinem Blog „Glauben und Verstehen“ (www.wolfgangvoegele.wordpress.com).

 

 

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