Predigt zu Jes 7,10-14

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Predigt zu Jes 7,10-14

 Immanuel – Gott mit uns! | Christfest II | 26.12.2021 | Predigt zu Jes 7,10-14 | verfasst von Anna Lerch |

Liebe Festtagsgemeinde,

Die diesjährigen Werbekampagnen haben wohl etwas vom heiligen Kern von Weihnachten erkannt. Etwa wenn Disney über die Bildschirme flimmern lässt: „Wir sind eine Familie, hier bleibt niemand allein.“ Auch Coop lässt dieses Jahr ausstrahlen: „Magie entsaht, we mer fürenand da sind.“[1] Ähnlich klingt es in der Coca-Cola-Werbung: „Weihnachten ist magisch, wenn wir sie zusammen verbringen!“ Und Zalando hält fest: „Glück heißt, für andere da zu sein.“ Der Detailhandel Migros wirbt folgendermaßen: „Lassen wir niemanden alleine!“

Ja, lassen wir niemanden alleine! Weil auch wir nicht alleingelassen sind. Gott schaut uns an und sagt: Ich bin da. Mit und für dich. Das ist das Immanuel-Zeichen: „Siehe, die junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären. Und sie wird ihm den Namen Immanuel geben“. Das heißt „Gott mit uns“.

Die Verheißung des Immanuel leuchtet hell inmitten einer dunklen historischen Situation: Ahas ist König in Juda, seine Herrschaft wird durch den syrisch-ephraemitischen Krieg überschattet. Wir befinden uns im 8. Jahrhundert vor Christus. Die Invasion des mächtigen assyrischen Reiches ist fast greifbar. Die Ungewissheit der Zukunft und die Vorahnung der bevorstehenden Feldzüge dominieren die Gedanken Ahas und seines Volkes. Denn die Feldzüge Assurs gehen immer mit Zerstörung, Deportation und Entwurzelung einher. Die Bedrohung ist real. Es ist die Zeit des bevorstehenden Untergangs und des unabwendbaren Neubeginns. Veränderung liegt in der Luft – vieles liegt in der Schwebe. Was morgen sein wird, ist ungewiss. Die Zukunft heißt nicht mehr glänzender Fortschritt, sondern Angst vor Deportation und Zerstörung; drohende Entwurzelung, Isolation und Einsamkeit. Die anhaltende Bedrohung zehrt aus. Wir leben in einer etwas anderen Zeit: Ein Virus wütet weltweit, dringt in jeden Lebensbereich ein und macht vor keiner Landesgrenze halt. Der Feind, der unsere Zukunft unsicher in der Schwebe hält, ist mit bloßem Auge nicht sichtbar. Doch deshalb nicht weniger bedrohlich.

Aber zurück ins 8. Jahrhundert vor Christus. Ahas weigert sich trotz der herausfordernden Bedrohungssituation ein Zeichen von Gott zu erbitten. Obschon Gott ihm das anbietet. Doch warum? Der Text schweigt über seine inneren Motive. Verschiedenes ist denkbar. Ahas setzt sein Vertrauen auf seine politischen Verbündeten und seine königlichen Berater. Ist er gar von seinen eigenen Ideen und Plänen so eingenommen, dass er für Gottes Zukunft nicht frei ist? Vielleicht plagt Ahas aber auch die Angst vor der Enttäuschung. Gott zu vertrauen, birgt immer auch ein Risiko. Wer in einer Beziehung betrogen wurde, dem fällt es danach schwer nicht misstrauisch zu sein. Und das zurecht. Doch wird das Leben so viel heller und farbenfroher, wenn wieder gelernt werden kann zu Vertrauen, zu Lieben und sich Hinzugeben. Möglicherweise verspürt Ahas auch schlicht Unwille sich auf ein Zeichen einzulassen und ihm gegebenenfalls Folge zu leisten. Denn neues Wissen und frische Einsichten gehen immer auch mit einem Mehr an Verantwortung einher. Es könnte auch sein, dass Ahas generell ein Mensch ist der gerne im Bereich des Unverbindlichen, des Bekannten verweilt. Dort wo sein Selbstvertrauen groß ist. Dort wo sein Stolz und sein Egoismus sich schützend vor ihn stellen. Andererseits könnte Ahas auch aus falsch verstandener Frömmigkeit handeln. Er will Gott nicht versuchen.[2] Doch hier im Text macht Gott selbst das Angebot, Ahas ein Zeichen zu schenken. Was auch immer die Beweggründe Ahas sind, er verstrickt sich in seinem eigenen Denken und sieht nicht, worum es wirklich geht. Die Bibel nennt das auch Verstockung. Und vielleicht geht es uns da manchmal nicht anders?

Wie reagiert Gott auf das ausgeschlagene Angebot? Trotz Ahas misstrauen, schenkt Gott Sein Immanuel-Zeichen. Gerade in der Unverständlichkeit der Stunde, in Not und Verzweiflung verspricht Gott, gegenwärtig zu sein. Das Immanuel-Zeichen macht deutlich: Gott ist da und wird da sein. Gott gibt das Zeichen Seiner Nähe und Seines Daseins allen Menschen. Den Verschlossenen, den Wartenden, den Offenen und den Verstockten. Wie Ahas fordert die Immanuel Verheißung auch uns heute heraus: Wie halten wir`s mit der Vertrauenswürdigkeit Gottes? Wie steht’s um unsere Vertrauensbereitschaft?

Gott schenkt sein Immanuel-Zeichen allen Menschen. Doch es ist eben kein Zeichen von tief unten oder weit oben. Es ist kein mächtiges Mirakel hoch oben am Himmel oder aus den Tiefen der Unterwelt, sondern ein zutiefst menschliches Zeichen. Mitten aus dem Leben stammt es: „Eine junge Frau wird schwanger werden und einen Sohn gebären. Und sie wird ihm den Namen Immanuel geben“. Das heißt: „Gott mit uns.“ Der Verfasser des Matthäus Evangeliums sieht dieses Immanuel-Zeichen in Jesus verkörpert und erneuert. Er und die ersten Christen versteht die Verheißung des Immanuel, die ursprünglich Ahas galt, als eingelöst.[3]

Doch was für ein Zeichen ist das, von dem uns der Verfasser des Matthäus Evangeliums berichtet? Schauen wir bei der Weihnachtsgeschichte genau hin, wird sichtbar: Ein unverheiratetes Paar kriegt in einem stinkenden Stall ein Kind. Die Luft ist stickig und der Atem der Tiere berührt leise ihre Nacken. Es ist ein einsamer und verlassener Ort, da in der Gemeinschaft der Herberge kein Platz mehr für sie war. Die Hilfe von Schwestern, Müttern und anderen Verwandten bleibt aus. Josef ist etwas unbeholfen und seine junge Verlobte erlebt ihre erste Geburt. Der Stall ist ohne fließend Wasser dreckig und unhygienisch, was die Geburt wenig ästhetisch, dafür gefährlich macht. Nicht einmal ein bequemes Bett, ein sauberes Lager gibt es dort, weit außerhalb der schützenden Stadtmauern. Das Zeichen der Herrlichkeit Gottes ist ein neugeborenes Kind, das in Windeln gewickelt ist und in einer Futterkrippe liegt. Das ist die Magie von Weihnachten!

Die Verheißung des Immanuel nimmt Gestalt an. Menschliche Gestalt. Gott selbst will uns ein Unterpfand – eine Verleiblichung – Seiner Gegenwart schenken. Durch die einfache Geburt im Stall wird die verheißene Nähe Gottes für Hirten und Weise, Esel und Ochs sichtbar und erfahrbar. Und auch heute gilt für die Nähe Gottes: Sie ist nicht allzu weit weg zu suchen! Die Augen und das Herz gilt es offen zu halten für die Zeichen der Zuneigung Gottes im Alltag und im Alltäglichen!

In Jesus kommt Gott dem Menschen näher als jemals zuvor. Er weint und schreit, braucht windeln, wird älter, wird Teenager, Erwachsen. Und stirbt, so wie jeder Mensch einmal. Gott verschenkt sich selbst. Er wird Mensch um uns als Mensch zu begegnen; uns zu halten, mitzuweinen und mitzulachen, mit uns die Feste des Lebens zu feiern und auf unsere Erfolge anzustoßen. Es gibt nichts was Gott nicht kennt, nichts wo er nicht mitfühlen – mitfeiern oder mitleiden – könnte! „Sich selbst verschenken“ das kennen wir aus Liebesbeziehungen. Wir geben nicht nur Anteil an unserer Zeit, unserem Denken, Leben und Fühlen, sondern damit auch an uns selbst. Manchmal setzten wir uns zurück, verzichten bewusst, um Anderen Raum zu geben. Wenn wir lieben, entfalten wir (etwa als Mutter und Vater) ungeheure Kräfte der Selbsthingabe und Selbstzurücknahme.

Ähnlich ist es mit Gott. Gott setzt sich selbst Grenzen, macht sich zum Zeichen und wird Mensch! Gott gibt sich hin und verschenkt sich uns. Und dass ohne Selbstbezogenheit oder Selbstaufgabe. Ja, vielleicht haben die diesjährigen Werbekampagnen etwas von diesem heiligen Kern von Weihnachten erkannt, wenn sie die Gemeinschaft ins Zentrum des Festes stellen.

Etwas vom wertvollsten was wir einander schenken können, ist wahrhaftiges Dasein. Mit und füreinander. In einem Moment von unaushaltbarer Trauer, von innerer Zerrissenheit und abgrundtiefer Nacht schaut mir eine Freundin tief in die Augen und sagt: „Ig weis“.[4] Sie war einfach da. Mit mir und für mich. Hat mich und meine Trauer ausgehalten. Ich wusste in dem Moment: Ich bin und werde verstanden. Wirklich verstanden. Denn auch sie kannte Verlust und Tod. Etwas schöneres und tieferes hätte mir da, in dieser dunklen Stunde, nicht widerfahren können.

Dass Gott Mensch wird, in einem einfachen Stall, in Windeln gewickelt und in einer Futterkrippe liegend, heißt eben auch: Gott umarmt das Menschsein, kommt in unsere mistdurchsäuerten Kammern, in stickig-dunkle Zerrissenheit und die verlassenen Orte unseres Herzens. Er versteht uns. Jesus hat sowohl menschliche Abgründe, wie auch die Höhenflüge des Lebens am eigenen Leib erfahren. Er wurde durch seine engsten Freunde verraten, erlitt Folter und den Tod eines Verbrechers. Jesus wurde aber auch schon als Kind reich Beschenkt mit Myrre, Gold und Weihrauch und später von einer großen Menschenmasse in Jerusalem gefeiert und bejubelt. Ja, er umarmt unser Menschsein mit allem drum und dran. Mit allen Höhen und allen Tiefen.

Gott verspricht: Ich bin da und werde da sein. Mit und für dich. Das bedeutet Immanuel: Gott mit uns! Und wenn es möglich ist, dass Gott im stinkigen Stall Wohnung nehmen will, müssen auch wir nicht zuerst saubermachen, aufräumen oder eine Generalreinigung unseres Lebens organisieren. Gott will zu uns kommen. Egal wo wir sind und wie es um uns steht. Er schaut uns tief in die Augen und sagt: „Ig weis.“ – „Ig weis.“ Gott ist einfach da. Mit und für dich. Gottes Geburt und Nähe hängt weder an äußeren Gegebenheiten noch innerer Sortiertheit. Sie ist geschenkte Gemeinschaft.

Auf Gott ist Verlass, Ihm kann und darf man vertrauen. Gott spricht: Ich bin da und verlasse dich nicht! Er sagte zum judäischen König Ahas: „Fasse dich, und bewahre die Ruhe! Fürchte dich nicht und verzage nicht vor der drohenden Gefahr!“ Und gab ihm das Immanuel-Zeichen als Garant Seines Beistandes. Auch die Geburt Jesu in Judäa fällt in eine turbulente Zeit. Die Zeitenwende ist die Zeit der unverwirklichten Hoffnungen, der Oppression durch Fremdherrschaft und der uneingelösten Werbeversprechen eines Imperiums. „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.“ singen dort die Engel umleuchtet vom Glanze Gottes. Um Gott in unserem Jahrhundert zu begegnen, muss man sich nicht erst unter den Mistelzweig stellen oder auf die nächste „magischste Zeit des Jahres“ warten. Wir dürfen Gott in jeder Tages- und Jahreszeit um ein Zeichen seiner Nähe bitten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Anna Lerch

Zürich

E-Mail: anna.lerch@kirchestaefa.ch

Anna Lerch, geb. 1992, Vikarin in Stäfa, Evangelisch-reformierten Kirche Zürich (Schweiz).

Fürbitten:

Gott komm in unsere Welt

in die finsteren Kammern unseres Herzens,

in die verlassenen Orte unserer Seele.

Erhelle unsere düstere Vergangenheit mit deinem Licht.

Lass uns deine Herrlichkeit sehen.

Schenke uns eine helle Zukunft!

Gott, schenke den Ausgezehrten neue Kraft. Du weißt, wie die Pandemie-Jahre und auch persönliche Schicksale an uns zehren. Du siehst, was uns bewegt und des Nachts wachhält. Heile die Risse die durch die Gesellschaft, Familien und unser Inneres gehen. Schenke uns wahre Gemeinschaft.

Gott, verhilf den Hoffnungslosen zu einem neuen Lichtblick. Gerade den Menschen, die auf der Flucht sind und denen die wie Maria und Josef weit außerhalb der Gesellschaft (und den schützenden Stadtmauern) auf sich allein gestellt sind. Hilf Menschen in Politik und Wirtschaft immer wieder verantwortungsvolle und menschliche Entscheidungen zu treffen.

Gott, schenke den Verstockten neuen Mut zu Lieben und zu Glauben. Du siehst ihre Enttäuschungen und tiefen Verletzungen, die vielleicht gerade in der Weihnachtszeit, wo idyllische Familiengeschichten und über die Bildschirme flackern, mehr denn je schmerzen. Schenke du Begegnungen, die vertrauen wecken und aufmuntern.

Gott, verhilf den Menschen in Afghanistan zu einer echten Zukunft. Sei bei den Menschen die Gewalt, Unterdrückung und Ausbeutung erleben. Und schenke deinen Beistand an den Orten wo Kriege herrschen und zerstörerische Invasionen bevorstehen.

Gott wir bitten Dich, dass Du dein Versprechen mit und für uns zu sein wahr werden lässt. Hier und Dort. Für uns und die Welt. Amen.

[1] Hochdeutsch: „Magie entsteht, wenn wir füreinander da sind.“

[2] Die Angst vor der Zeichenforderung als treibender Kraft ist gerechtfertigt (vgl. Num 14,22; Den 6,16). Jedoch gibt es auch positiv konnotierte Zeichen im Alten Testament: Gideon und Saul erhalten ein Zeichen, dass Gott nahe ist in der Not (vgl. Ri 6,17; 1 Sam 10,7)!

[3] Frühestens in der in der nachexilischen Zeit wurde die Immanuel-Geburt als Verheißung verstanden (vgl. Mi 5,2). Wer mit Immanuel in Jes 7,14 gemeint ist, wird in der alttestamentlichen Wissenschaft breit diskutiert. Für eingängige Zusammenstellungen über die Deutung des Immanuel-Zeichens vgl.  Rudolf Kilian, Jesaja. 1-12, Die neue Echter Bibel. Kommentar zum Alten Testament mit der Einheitsübersetzung, hrsg. von Josef G. Plöger und Josef Schreiner, Würzburg: Echter Verlag, 1986, S. 57-61; Willem André Maria Beuken, Jesaja 1-12, Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament, hrsg. von Erich Zenger, Freiburg im Breisgau: Herder, 2003, S. 203-205.

[4] Hochdeutsch: „Magie entstehet, wenn wir füreinander da sind.“

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