1. Johannes 2,12-14

Home / Kasus / 22. So. n. Trinitatis / 1. Johannes 2,12-14
1. Johannes 2,12-14

22. Sonntag nach Trinitatis | 05.11.23 | 1. Joh. 2, 12 – 14 | Ulrich Pohl |

Nur Väter! Nur Söhne!

Es ist unübersehbar, der, der diese Zeilen geschrieben hat, ist ein Kind seiner Zeit. Ein kompetentes Gespräch über Glaubensfragen hat man damals nur Männern zugetraut. Schade. In der frühen Christenheit gab es zahlreiche Frauen, die eine entscheidende Rolle gespielt haben. Vielleicht rührten die Probleme, die in unserem heutigen Bibelabschnitt zu erkennen sind, auch daher, die Herren Apostel waren zu sehr unter sich. Sie hätten mehr auf die Frauen hören sollen!

Aber dieses – damals heiße – Eisen anzufassen, dazu fehlte damals wohl einfach der Mut. Die christlichen Gemeinden befanden sich in einer Phase der allgemeinen Verunsicherung.

Vierzig Jahre war es her, da war der Apostel Paulus umhergezogen und hatte überall im Mittelmeerraum Gemeinden gegründet. Die Männer und Frauen der ersten Stunde waren voller Begeisterung, sie setzten alles ein, um zu Jesus zu gehören.

Doch dann starb die erste Generation langsam aus. Das war für viele schwer zu verstehen. Hatte es nicht geheißen, Jesus kommt wieder, und zwar bald, noch zu unseren Lebzeiten? Aber nun war niemand mehr in Sicht, der Jesus von Angesicht zu Angesicht gesehen hätte.

Wer konnte noch Auskunft darüber geben, wie Jesus wirklich war? War er wirklich ein Mensch? Oder war er nur ein göttliches Geistwesen, das allen so vorkam wie ein Mensch?

Was hatte er genau gesagt? Mitunter kommt es auf die Feinheiten an. Was hatte er wirklich gesagt? Worum ging es ihm? Was war sein Wille?

Und nicht zuletzt: Was für Menschen waren seine Jünger? Sie waren mit dem göttlichen in Berührung gekommen. Waren sie dadurch zu Heiligen geworden? Selbst zu Göttern gar? Und was waren die, die Jesus jetzt nachfolgten, die ihm nachfolgen, ohne ihn je gesehen zu haben. Waren sie auch Heilige? Oder waren sie noch Sünder? Oder beides?

Es gab lange Debatten um diese Fragen. Hinzu kam, seit einigen Jahren waren immer mehr selbst ernannte Apostel in den Gemeinden unterwegs. Und die hatten natürlich Lösungen anzubieten, oh ja! Die wußten auf alles eine Antwort. Sie waren mitreißende Redner. Die Gemeinden atmeten auf: So einen brauchen wir, der gibt uns Orientierung! Aber dann stellte sich heraus, das, was diese feurigen Prediger verbreiten, ist mit dem, was Jesus einst gelehrt hat, nicht in Einklang zu bringen. „Es hört sich doch gut an“, sagten die einen. „Aber es stimmt nicht“, sagten die anderen. „Da kann man sich doch nach richten!“, sagten die einen. „Aber Jesus hat etwas anderes gesagt“, sagten die anderen. „Was hat er denn gesagt“, erwiderten die ersten, „keiner von uns weiß es, einer war dabei.“

Verunsicherung, lange Diskussionen, und schließlich endloser Streit. Das ist der Tod jeder Gemeinde.

Was würde Jesus sagen? Was würde Jesus tun? Es war niemand mehr übrig, der das hätte sagen können.

Nur einen gab es noch.

Der, der die Zeilen unsers Abschnitts heute geschrieben hat, war der allerletzte, der Jesus noch mit eigenen Augen gesehen hatte. Johannes war sein Name, Johannes Sohn des Zebedäus. Er war einer der Jünger und einer der Apostel. Jesus selbst hatte ihn beauftragt, das Evangelium in alle Welt hinauszutragen. Uralt sei er geworden, weiß man aus den früheren Schriften, und schließlich als Bischof auf der Insel Patmos gestorben. Die drei „Johannes“-Briefe, sind nach ihm benannt. Hier meldet er sich zu Wort, um den Gemeinden noch einmal zu sagen, welchen Weg sie nehmen sollen.

Er ahnt, es könnte das letzte mal sein. Irgendwann wird auch er nicht mehr da sein. Dann müssen die, die Jesus nachfolgen, die Richtung selbst finden. Dann müssen sie den Weg alleine gehen, bis dass Jesus endlich wiederkommt. Der Apostel Johannes ahnt auch das: Die Zeit bis dahin kann lang werden. Generationen können ins Land gehen, bis es wieder so weit ist.

Also muß das, was Jesus wollte, was er gesagt und getan hat, möglichst genau weitergegeben werden, von einer Generation zur anderen. „Ich schreibe den Vätern. Ihr habt den erkannt und angenommen, der am Anfang steht. Ich schreibe den Söhnen, denn ihr habt das Böse, die Anfechtung überwunden.“ Und als wollte der Apostel Johannes eine Menschenkette bilden, die sich an den Händen fasst und über die Zeiten hinweg reicht, wiederholt er das gleiche noch einmal in der Vergangenheitsform: „Ich habe den Vätern geschrieben … Ich habe den Kindern geschrieben … Ich habe den Söhnen geschrieben.“

Am letzten Dienstag war Reformationstag. Wir haben darüber nachgedacht, wie sich unsere Kirche erneuert.

In unserem Predigtabschnitt heute beschreibt der Apostel Johannes, wie sich aus dem, was einst mit der Jesus-Bewegung begann, langsam so etwas wie eine Kirche entwickelt. Er weiß, bald muss er sein Werk loslassen. Aber er hat eine Idee davon, was danach kommt, und die gibt er den Gemeinden mit.

Es ist die Idee, die Kirche bildet sich: Sie bildet sich an den äußeren Widerständen, die auf sie eindringen. Durch den Druck von außen gewinnt sie sozusagen ihre äußere Form.

Zugleich bildet sie sich von innen. Sie bildet sich dadurch, dass die Generationen umsichtig mit einander umgehen. Die Väter geben den Söhnen weiter; für heute gesagt, die Mütter und Väter unserer Gemeinden geben den Jüngeren das Wissen darum weiter, worauf es ankommt. Dazu ist der Konfirmandenunterricht da. Dazu gibt es evangelische Kindergärten. Dazu gibt es die Jugendarbeit. Darin bildet sich die geistige Kraft der Kirche. Darin bildet sich die innere Substanz einer Gemeinde.

Wir leben in einer Zeit, in der sich die Generationen gegenseitig viele Vorwürfe machen. Von „alten weißen Männern“ hört man mitunter, von einer „Boomer-Generation“, die Schuld sei, dass die Welt in einem so beklagenswerten Zustand ist. Zugleich ermuntert man die jungen Menschen in der Haltung, ihr wißt schon alles, die Welt geht demnächst unter, die Alten haben es nur noch nicht begriffen. Das was ihr tun müßt, ist das Lernen zu verweigern und für die Zukunft zu streiken.

Der Apostel Johannes erkennt, es kommt darauf an, die Generationen müssen von einander das beste denken. So zollt er den erwachsenen Generationen großen Respekt: Die Väter und Mütter haben Jesus als ihren Herrn angenommen. Sie sollen weitergeben, was sie selbst einmal gelernt und erkannt haben. Die Söhne und Töchter müssen mit den Herausforderungen ihrer Zeit neu fertig werden. Wohlgemerkt: Gemeint sind nicht die 8 bis 18jährigen. Sie sind noch dabei, in diese Welt hineinzufinden. Sie sollen lernen, sie zu verstehen. Söhne und Töchter – gemeint sind vielmehr die Gestalter von heute, die erwachsenen Söhne und Töchter. Sie haben selbst schon Kinder, haben schon etwas hinter sich, haben etwas geleistet. Sie haben das Böse überwunden, schreibt der Apostel Johannes. Das ist ein großes Kompliment und ein Grund, stolz zu sein.

Wir sorgen uns um unsere Gemeinde. Wir fragen uns, was wird aus ihr und was kommt morgen. Internet, soziale Medien, Kriege und Epidemien: Mit immer mehr von dem, was an neuen Herausforderungen auf die Gemeinde eindringt, sind die, die schon lange die Entscheidungen treffen, überfordert. Wenn wir das empfinden, wird es Zeit, das, was wir haben, in die Hände derer zu legen, die nach uns kommen.

Die Aufgabe aller ist es, die Kindergeneration, die danach kommt, zu bilden. Ihr nahe zu bringen, worauf es beim christlichen Glauben ankommt: Wie wir leben sollen, wie wir sterben sollen, wie wir einander begegnen sollen und wie wir Gott gegenübertreten sollen. Wenn wir das aufrichtig und nach bestem Wissen weitergeben, dann dürfen wir, wenn andere einmal die Geschicke der Gemeinde übernehmen, getrost loslassen. Die, die nach uns kommen, werden das Schwierige, was kommt, zu meistern wissen. Dann werden die Älteren stolz sein auf das, was die Söhne und Töchter schaffen. Die Jüngeren werden den Müttern und Vätern mit Respekt und Liebe begegnen.

So schreibt sich fort, was der Apostel Johannes vor 2000 Jahren im Werden gesehen hat. Ich schreibe den Vätern. Ich schreibe den Müttern. Ich schreibe den Töchtern. Ich schreibe den Söhnen. Auch den Kindern schreibe ich. Haltet fest an dem, was ihr erkannt habt. Überwindet alle Anfechtung. Seid euch nicht zu schade, den Kampf gegen das Böse wagen, mitunter ist das unumgänglich. So wird eure Gemeinde wachsen und stark werden. So geht unsere Kirche durch die Zeit.

de_DEDeutsch