1. Johannes 2,12-14

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1. Johannes 2,12-14

| Doppelt genäht hält besser | [Reformationssonntag in der Schweiz]| 22. Sonntag nach Trinitatis | 05.11.23 | 1. Joh 2,12-14 | Paul Wellauer |

| Psalmgebet im Wechsel| Psalm 22,1-22 | Die Bibel nach Martin Luther, 2017*
| Leiden und Herrlichkeit des Gerechten |
[1 Ein Psalm Davids, vorzusingen, nach der Weise «die Hirschkuh der Morgenröte».]

I 2 Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.

II 3 Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.

I 4 Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.

II 5 Unsere Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen heraus.

I 6 Zu dir schrien sie und wurden errettet, sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.

II 7 Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.

I 8 Alle, die mich sehen, verspotten mich, sperren das Maul auf und schütteln den Kopf:

II 9 »Er klage es dem HERRN, der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.«

I 10 Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.

II 11 Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an, du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.

I 12 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; denn es ist hier kein Helfer.

II 13 Gewaltige Stiere haben mich umgeben, mächtige Büffel haben mich umringt.

I 14 Ihren Rachen sperren sie gegen mich auf wie ein brüllender und reißender Löwe.

II 15 Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.

I 16 Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.

II 17 Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat mich umringt; sie haben meine Hände und Füße durchgraben.

I 18 Ich kann alle meine Gebeine zählen; sie aber schauen zu und weiden sich an mir.

II 19 Sie teilen meine Kleider unter sich und werfen das Los um mein Gewand.

I 20 Aber du, HERR, sei nicht ferne; meine Stärke, eile, mir zu helfen!

II 21 Errette mein Leben vom Schwert, mein einziges Gut von den Hunden!

I 22 Hilf mir aus dem Rachen des Löwen und vor den Hörnern der wilden Stiere – du hast mich erhört!

I+II AMEN

| Lesung Predigttext 1.Johannes 2,12-14 | Die Zürcher Bibel, 2007** |

| Absage an die Welt|

12 Ich schreibe euch, den Kindern: Euch sind die Sünden vergeben, um seines Namens willen.

13 Ich schreibe euch, den Vätern: Ihr habt den erkannt, der von Anfang an war. Ich schreibe euch, den jungen Männern: Ihr habt den Bösen besiegt.

14 Ich habe euch geschrieben, den Kindern: Ihr habt den Vater erkannt. Ich habe euch geschrieben, den Vätern: Ihr habt den erkannt, der von Anfang an ist. Ich habe euch geschrieben, den jungen Männern: Ihr seid stark, und das Wort Gottes bleibt in euch, und ihr habt den Bösen besiegt.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Selig ist jeder Mensch, der Gottes Wort hört, in seinem Herzen bewahrt und danach lebt. Amen

Predigt | Doppelt genäht hält besser |

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern durch die Liebe und Gnade Gottes

Als Vater von sechs Kindern weiss ich recht gut, dass man gewisse Dinge mehrmals sagen muss, bis sie gehört und umgesetzt werden: «Räum bitte deine Kleider und Schuhe weg!» – «Erledige zuerst die Hausaufgaben, dann kannst du nach draussen gehen!» – «Stell die Musik endlich leiser!» Ich weiss gar nicht, wie oft ich solche Sätze wiederholt habe. Der Mensch lernt durch Wiederholungen, mehrmaliges Nachahmen, immer und immer wieder Üben derselben Dinge. Selten kapiert er etwas gleich beim ersten Mal. So war und ist es wohl auch bei jedem von uns.

Gut möglich, dass sich Johannes solche Gedanken machte, als er die Sätze des heutigen Predigttextes niederschrieb. Zwei Mal notiert er fast die gleichen Gedanken. Und er spricht die Leser und Leserinnen auch als Kinder und junge Männer an. Doch auch die Väter müssen sich zwei Mal denselben Inhalt anhören. Es scheint Johannes besonders wichtig zu sein, was er ihnen hier mitteilt.

Doppel genäht hält besser: «Wenn ich es nur einmal sage oder schreibe, ist es rasch wieder vergessen oder wird gar nicht erst gehört. Besser, ich wiederhole es nochmals!»

Es geht Johannes um grösstmögliche Gewissheit im Glauben, er möchte Kernaussagen des Glaubens in ihren Köpfen und Herzen bestärken und bestätigen. Grundlegende, fundamentale Inhalte des Glaubens sollen sich in ihnen verfestigen, ihrem Glauben und Hoffen Boden und Leitplanken geben.

Ganz identisch sind die erste und zweite Version seiner Sätze jedoch nicht, er variiert in einigen Details: Den grössten Unterschied macht er bei seiner Botschaft an die Kinder: «Euch sind die Sünden vergeben, um seines Namens willen.», notiert er im ersten Satz. «Ihr habt den Vater erkannt.» lautet die zweite Aussage. Auf den ersten Blick sind dies sehr unterschiedliche Gedanken. Für Johannes gehören Sündenvergebung und den himmlischen Vater zu erkennen offenbar untrennbar zusammen, so nahe scheinen sie ihm, dass er sie fast synonym und im selben Atemzug nennen kann.

Wenn wir uns vor Augen halten, wie Jesus Christus den himmlischen Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32) beschreibt, haben wir ein anschauliches Beispiel für den Vater, der Sünden vergibt. Er trägt dem jüngeren Sohn nicht nach, dass er das halbe Erbe verprasst hat, er begrüsst ihn nicht mit Vorwürfen, sondern freut sich, dass er «wieder lebendig» ist. Und auch dem selbstgerechten älteren Sohn begegnet der Vater liebevoll und grosszügig, er geht ihm nach und lädt ihn zum Freudenfest ein. So beschreibt Jesus Gott als gütigen, vergebungsbereiten Vater. Gott als solchen Vater erkennen heisst: Ich darf mit seiner Vergebung rechnen, dafür steht er mit seinem Namen. Dieser liebevolle Vater begegnet uns an vielen Orten im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen (u.a. Johannes 15,9-12; 1. Johannes 4,7-21).

Irdische Väter können nachtragend und hartherzig sein, der himmlische Vater vergibt gern. Johannes möchte, dass sich schon die Kinder dies einprägen und nicht mehr vergessen: Vater und Vergebung gehören bei Gott untrennbar zusammen.

Für die Väter hat Johannes beide Male die identische Botschaft: «Ihr habt den erkannt, der von Anfang an war.» Der einzige Unterschied ist – wie bei allen Wiederholungen – die Zeitform: Zunächst in der Gegenwart: «Ich schreibe euch, …» und danach in der Perfektform: «Ich habe euch geschrieben, …» – So, als hätten die Väter in der Zwischenzeit die Gelegenheit gehabt, sich das Gehörte zu verinnerlichen.

Der Wunsch und Traum jedes Predigers, jeder Verkündigerin ist wohl, dass die Zuhörer und Zuhörerinnen die Botschaft nicht bloss anhören, sondern auch annehmen und beherzigen. Die Perfektform wird in der deutschen Sprache ja auch «vollendete Vergangenheit» genannt, für Geschehnisse der Vergangenheit, die weiterhin eine Wirkung für die Gegenwart haben. Johannes will damit wohl auch ausdrücken: Es reicht nicht, Glaubensinhalte einmal zu lesen oder zu hören, ihr müsst sie auch so in eurem Denken und Leben aufnehmen, dass sie eine Wirkung entfalten können. Das Gehörte und Gelesene soll euren Alltag in der Gegenwart und Zukunft prägen.

Dazu äussert sich Johannes den Vätern gegenüber etwas geheimnisvoll und rätselhaft: «Ihr habt den erkannt, der von Anfang an war.» Kein anschaulicher Vater, der gerne vergibt, wie beim Satz für die Kinder, sondern ein ewiger Gott, der in die fernste Vergangenheit zurückreicht.
Die Bibelforscher sind sich zwar uneins, was zuerst entstand, das Johannesevangelium oder die Johannesbriefe. Doch wir können wohl davon ausgehen, dass beim einen oder anderen Leser die Worte vom Anfang des Johannesevangeliums, dem sogenannte Johannesprolog, anklingen: «1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. 4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.» (Johannes 1,1-4)

Wir lernen nicht nur durch Wiederholung, sondern auch durch das Kombinieren und Vernetzen von Informationen: Die Väter dürfen und sollen diesen Satz: «Ihr habt den erkannt, der von Anfang an war.» mit ihren eigenen Glaubensinhalten und -einsichten füllen. Johannes erwartet von ihnen, dass sie eine umfassende Einsicht von Gott haben, die bei «Adam und Eva» beginnt und über die jetzige Zeit in die Zukunft reicht.

Auch die doppelte Botschaft an die jungen Männer lässt viel an Interpretationsspielraum offen. Deutlich wird für mich: Johannes kennt sich mit Teenagern und jungen Erwachsenen aus. Er kennt ihr Kämpfe und ihr Ringen. Er packt sie bei ihrem Potential und bei ihrer Ehre: «Ihr habt den Bösen besiegt.» Was für eine grosse Ansage! Da schlägt das Herz jedes Heranwachsenden höher: «Was, das traut uns dieser Mann Gottes zu: Wir haben das Böse besiegt.» Ich sehe die jungen Männer innerlich einige Zentimeter wachsen und mit stolzgeschwellter Brust dastehen. Welcher Jugendliche möchte nicht ein Held sein und die Welt verändern? Beim zweiten Mal verstärkt Johannes diese Aussage noch: «Ihr seid stark…». Johannes weiss seine jungen Zuhörer abzuholen und dazu zu bringen, dass sie ihre Ohren spitzen. «…und das Wort Gottes bleibt in euch.», fährt er fort. Auch von ihnen erwartet er, dass Gottes Wort in ihrem Inneren bleibt und Wirkung zeigt. Und er macht mit diesem Nachsatz auch deutlich: Es sind wohl nicht ihre pubertierenden Muskelkräfte und Weltveränderungsgedanken, welche das Böse besiegen, sondern Gottes Wort in ihnen entfaltet diese Macht. Die Ohren und Herzen der Jungen Männer sind bestimmt besonders hellhörig für «Ihr seid stark!» und «Ihr habt den Bösen besiegt». Doch mit der Zeit und nach Rückschlägen und Enttäuschungen werden sie wohl lernen: Wenn wir Gottes Wort in unserem Leben Raum und Entfaltungsmöglichkeit schenken, kann diese Stärke und Siegesgewissheit weiterwachsen.

Doppelt genäht hält besser: Johannes hat ein grosses Anliegen, dass wesentliche Glaubensaussagen sich in den Gedanken und Herzen seiner Leser und Leserinnen verdichten und verfestigen. Daher wiederholt er sie hier zwei Mal gleich nacheinander. Im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen finden wir auch viele andere Gedanken, die mehrmals oder immer wieder aufleuchten. Manchmal scheint es einem beim Lesen, als würden Johannes einen Gedanken einkreisen, den er letztlich nicht ganz in Worte fassen kann. Er nähert sich dem, was er ausdrücken möchte, von allen Seiten an, macht aber deutlich, dass es Geheimnisse und Wunder im Glauben gibt, die mit Worten und unserem Verstand nicht bis ins Letzte zu erklären sind. Mich regt er damit an, selbst weiter zu forschen, tiefer zu graben, nochmals darüber nachzudenken.

Johannes wendet sich an Kinder, Väter und junge Männer: Er macht damit deutlich, dass jede Generation auf ganz eigene Weise das Evangelium hören und erfahren soll. Wir feiern an den meisten Sonntagen getrennt in Kinder-, Jugend- und Erwachsenengottesdiensten: Jede Altersgruppe hört und feiert die Biblische Botschaft mit je eigenen Liedern, Formen und ihrem Verständnis angemessen. Manchmal sind in Familiengottesdiensten oder bei besonderen Festen alle Generationen gemeinsam im Gottesdienst versammelt. Im Idealfall ist dann für jede und jeden etwas Ansprechendes und Stufengemässes dabei. Es lässt sich aber kaum vermeiden, dass sich Einzelne unter- oder überfordert fühlen.

So oder so: Es tut uns gut, die grundlegenden Inhalte des Glaubens immer und immer wieder zu hören und zu verinnerlichen. Doppelt genäht hält besser!

AMEN

 

Alternativer Psalm: Wochenpsalm 143

 

Liedvorschläge

ERG 32 Ein’ feste Burg ist unser Gott

ERG 557 All Morgen ist ganz frisch und neu

ERG 724 Sollt ich meinem Gott nicht singen

ERG 793 Herz und Herz vereint zusammen

ERG 798 So jemand spricht: «Ich liebe Gott»

RW 98 Vater unser, Vater im Himmel

RW 100 Bist zu uns wie ein Vater

RW 102 Bis ans Ende der Welt

*) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

**) Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich

ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998

RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017

 

Bild: Kirche Altnau, Thurgau, Bergpredigt, Glaskünstler Carl Elmpt, 1927, vgl. https://www.evang-altnau.ch/bericht/494,  Foto Paul Wellauer

Pfr. Paul Wellauer, Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Web: www.internetkirche.ch | www.internetkirche.ch/livestream

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer und Mitglied im Kirchenrat der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich

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